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Erfolgloser Asylantrag einer alleinerziehenden äthiopischen Asylbewerberin

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Academic year: 2022

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VG Bayreuth, Urteil v. 27.06.2018 – B 7 K 17.31492 Titel:

Erfolgloser Asylantrag einer alleinerziehenden äthiopischen Asylbewerberin Normenketten:

AsylG § 3 Abs. 1, § 28, § 77 Abs. 1 VwGO § 108 Abs. 1

AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 Leitsätze:

1. Äthiopischen Asylbewerbern droht wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo in Äthiopien keine Gruppenverfolgung im Rechtssinne. Zwar kommt es gegenüber Angehörigen dieser Volksgruppe immer wieder zu unterdrückenden und diskriminierenden Handlungen, die jedoch die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite Verfolgungsdichte nicht erreichen (vgl. VG

Regensburg BeckRS 2018, 1323). (Rn. 23 – 24) (red. LS Clemens Kurzidem)

2. Es ist nicht davon auszugehen, dass jede wie auch immer geartete Form der Betätigung für eine der zahlreichen exilpolitischen Gruppen bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu einer beachtlichen

Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr kommt es für die Feststellung des relevanten Verfolgungsgrades grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen etwa als terroristisch eingestuft wird und insbesondere in welcher Art und in welchem Umfang sich der Asylbewerber tatsächlich und wahrnehmbar exilpolitisch betätigt hat (wie VG Ansbach BeckRS 2018, 1629). (Rn. 30 – 37) (red. LS Clemens Kurzidem)

3. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG soll einem Ausländer nicht die Heilung von einer Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist von einer

wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Gesundheitsgefahren auszugehen (vgl.

BayVGH BeckRS 2015, 50384). (Rn. 38 – 40) (red. LS Clemens Kurzidem)

4. Um Töchter vor einer Beschneidung zu schützen, besitzen äthiopische Asylbewerber im Fall einer Rückkehr nach Äthiopien die Möglichkeit, dass sie sich als Familie in hinreichender Entfernung von

bestimmten Verwandtschaftsmitgliedern ggf. in einer größeren Stadt niederlassen, sodass nicht zu erwarten ist, dass es diesen gelingt, die Tochter gegen den Willen der Eltern zu beschneiden. (Rn. 43) (red. LS Clemens Kurzidem)

5. In Äthiopien besteht selbst für alleinerziehende Mütter die Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen; Erwerbsmöglichkeiten bestehen dabei auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung. Auch in unteren Gehaltsschichten werden Kinder häufig nach der Schule von privatem Betreuungspersonal betreut. (Rn. 44) (red. LS Clemens Kurzidem)

Schlagworte:

Äthiopien, Oromo, Verfolgungsgeschichte erfunden, behauptete geringfügige exilpolitische Betätigung, weibliche Genitalverstümmelung, depressive Erkrankung nicht glaubhaft gemacht und im Übrigen behandelbar, äthiopische Staatsangehörige, Volkszugehörigkeit der Oromo, Gruppenverfolgung, Gesundheitsgefahren, Beschneidung, interner Schutz, Alleinerziehende, Erwerbsmöglichkeiten, Kinderbetreuung

Fundstelle:

BeckRS 2018, 15626  

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

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Tatbestand 1

Die Klägerin zu 1 ist nach ihren Angaben äthiopische Staatsangehörige mit Volkszugehörigkeit der Oromo.

Sie habe ihr Heimatland im Juni 2013 verlassen, sei am 29.06.2015 nach Deutschland eingereist und stellte am 03.09.2015 Asylantrag. Die Klägerin zu 2 ist die am 02.05.2016 in Deutschland geborene Tochter der Klägerin zu 1.

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Anlässlich ihrer Anhörung beim Bundesamt am 20.02.2017 gab die Klägerin zu 1 an, sie habe einen Kebele-Ausweis besessen, diesen aber bei der Überfahrt übers Meer verloren. Sie habe in Jimma, Dorf S.

mit ihrer Mutter und ihrem Bruder gelebt, das Haus habe ihrem verstorbenen Vater gehört. Die Klägerin zu 1 wisse nicht, wie er gestorben sei, er sei vor langer Zeit gestorben, die Mutter der Klägerin zu 2 sei

alleinerziehend gewesen. Der Bruder der Klägerin zu 2 sei auch geflüchtet, zu ihrer Mutter habe sie keinen Kontakt mehr, seitdem sie das Land verlassen habe. Wenn sie noch lebe, lebe sie wahrscheinlich noch dort. Ihren Mann habe die Klägerin zu 1 im Sudan kennengelernt. Sie sei ein Jahr im Sudan gewesen, habe dort im Haushalt gearbeitet und habe das verdiente Geld an den Schleuser abgeben müssen. In Libyen sei sie ein Jahr im Gefängnis gewesen, habe sich für acht Tage in Italien aufgehalten und sei anschließend über Österreich nach Deutschland gereist. An weiteren Verwandten habe die Klägerin zu 1 im Heimatland noch eine Tante. Sie habe die Schule bis zur fünften Klasse besucht, jedoch abgebrochen, sie könne ein bisschen lesen und schreiben. Die Flucht habe 125.000 Birr gekostet, ihr Ehemann habe das Geld bezahlt.

Bis zum Sudan habe ihre Tante den Schleuser bezahlt. Die Klägerin zu 1 sei Schülerin gewesen und habe bei ihrer Mutter gelebt. Befragt nach den Gründen für ihre Ausreise gab die Klägerin zu 1 an, 2010 hätten vier Polizisten mit Tarnanzügen die Klägerin zu 1 und ihre Freundin auf dem Weg zur Schule mitgenommen und an einem unbekannten Ort drei Tage lang vergewaltigt. Sie habe das Land verlassen, weil Frauen dort keine Rechte hätten, sie habe nicht zur Schule gehen können. Sie würden traditionell auch zwangsweise beschnitten, dies sei auch bei der Klägerin zu 1 der Fall. Sie seien drei Tage lang Tag und Nacht

misshandelt, getreten und geschlagen worden, sie sei am Kopf verletzt worden. Sie hätten sie dann beide mit dem Auto in einem Waldstück rausgelassen. Die Klägerin zu 2 sei geschwächt gewesen, sie habe nicht mehr laufen können. Ihre Freundin sei älter gewesen, sie habe sie bei Hirten gelassen, sie sei nach Hause gelaufen und habe die Eltern der Klägerin zu 1 verständigt. Ihre Eltern seien vorbeigekommen und hätten sie ins Krankenhaus mitgenommen, wo sie 15 Tage gewesen sei. Die Blutung habe nicht aufgehört, der Arzt habe ihr einen Nachweis gegeben, warum sie im Krankenhaus gewesen sei, ein Attest, um die Übeltäter verklagen zu können. Sie sei mit ihrem Bruder zur Polizei gegangen, zuvor hätten die

Vergewaltiger eine Klage eingereicht, dass die Klägerin zu 1 politisch tätig sei oder gewesen sei. Sie hätten den Nachweis vom Arzt weggenommen und zerrissen und die Klägerin zu 1 und ihren Bruder von der Polizeistation weggejagt. Sie seien nach Hause gegangen, es sei ihr immer noch schlecht gegangen, sie habe viel geblutet, es sei eine Kombination gewesen von der Vergewaltigung und der Beschneidung. Auf Fragen des Bundesamts gab die Klägerin zu 1 an, sie könne sich nicht erinnern, wann sie beschnitten worden sei, sie sei zu klein gewesen. Bis 2010 sei sie gesundheitlich (wegen der Beschneidung) nie wieder genesen (wird näher ausgeführt). Die Klägerin zu 1 sei mit ihrem Bruder wieder zum Arzt und sie hätten ihn gebeten, den Nachweis noch einmal zu geben, dieser habe aber gesagt, dass die Polizei bei ihm gewesen sei und ihm verboten habe noch irgendwelche Papiere auszustellen. Die Klägerin zu 1 sei ein weiteres Mal zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten. Sie hätten ihr gesagt, dass sie Probleme haben möchte.

Dann hätten sie sie ins Gefängnis auf der Polizeistation gesteckt. 15 Tage lang hätten sie sie dort

geschlagen, an die Wand geworfen und am Kopf verletzt. Seitdem sei ihr Denkvermögen beeinträchtigt. Sie hätten sie ein Papier unterschreiben lassen, dass sie nie wieder ihre Vergewaltigung anzeigen sollte, sie habe sie nirgendwo erwähnen dürfen. Während sie in Haft gewesen sei, sei ihr Bruder nach Jimma gegangen, um Anzeige zu erstatten. Dort hätten sie in auch weggejagt. Nach dem Gefängnis sei die Klägerin zu 1 immer noch von den Schlägen benommen gewesen und habe sich deshalb nicht mehr in der Schule konzentrieren können. Die Schulleitung habe sie auch wegen der Anzeige aus der Schule geworfen.

Die Polizei habe sie danach verfolgt und sei mehrmals nach Hause gekommen. Ihr Bruder habe sie bei einem Nachbarn fünf Tage lang versteckt, sie habe Angst gehabt, noch einmal nach Hause zu gehen.

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Während die Polizei sie gekidnappt habe, habe ein Schüler mit seinem Handy ein Video von dem

Festhalten durch die Polizei gemacht. Der Bruder der Klägerin zu 1 habe die Polizisten nach dieser gefragt,

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sie hätten gesagt, dass es eine Videoaufnahme gebe und sie diese haben wollten und das sie keine Ruhe geben würden, bis das Video ausgehändigt werde. Mit diesem Video sei die Freundin der Klägerin zu 1 zur Polizei gegangen, sie sei von der Polizei nie wieder zurückgekommen.

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Die Klägerin zu 1 habe sich nicht mehr ins Freie trauen können. Dann hätten sie alle, ihre Mutter, der Bruder und die Klägerin zu 1 die Hoffnung verloren, dort ein normales Leben führen zu können. Sie hätten sie nach Addis Abeba geschickt zu einer Tante. Zwei Jahre lang habe sie sich in Addis Abeba versteckt mit der Hoffnung, dass über dieses Ereignis Gras wachse und sie wieder normal leben könne. Sie habe gehofft, dass sie wieder mal zu ihrer Mutter zurückkehre. Ihr Bruder habe berichtet, dass die Polizei immer noch auf der Suche nach ihr gewesen sei. Die Polizei habe Druck auf die Eltern und Verwandten gemacht, um ihr Versteck zu verraten. Ihr sei keine andere Wahl geblieben als das Land zu verlassen. Ihre Tante habe sie mit einem Schleuser in den Sudan geschickt.

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Auf Vorhalt, dass die Polizei, nachdem die Klägerin zu 1 das Papier mit den Forderungen unterschrieben gehabt habe, doch das bekommen habe, was sie gewollt habe und die Sache für sie damit doch

abgeschlossen gewesen sei und es sich nicht erschließe, warum man auch nach dem Unterschreiben des Papieres noch nach der Klägerin zu 1 gesucht habe, gab die Klägerin zu 1 an, nach dem Unterschreiben habe sich herumgesprochen, dass es dieses Video gebe. Davon hätten sie Angst gehabt und gedacht, es sei in der Hand der Klägerin zu 1 oder derjenigen ihres Bruders gewesen, dieses Video zu bekommen. Aber das Video habe die andere Freundin gehabt. Auf Vorhalt, dass die Polizisten die Klägerin zu 1 doch hätten festnehmen können, nachdem das Video aufgekommen sei, die Polizei die Klägerin zu 1 aber frei habe herumlaufen lassen und ob die Polizei nicht schon zugegriffen hätte, wenn so ein starkes Interesse an der Klägerin zu 1 bestanden habe, führte diese aus, sowohl in der Heimat als auch in Addis Abeba habe sie sich nicht sehen lassen. Auf Frage des Bundesamts, wie sich das geäußert habe, dass die Polizei die Klägerin zu 1 immer wieder verfolgt habe, gab sie an, ihr Bruder habe davon erzählt, sie sei nach 15 Tagen Gefängnis fünf Tage in der Nachbarschaft versteckt gewesen, danach sei sie direkt nach Addis Abeba gekommen. Auf Frage, ob ihr in den zwei Jahren etwas zugestoßen sei, gab sie an, in Addis Abeba habe niemand über ihre Existenz gewusst, sie sei immer im Haus eingesperrt gewesen. Auf weitere Frage, wie regelmäßig die Polizisten in diesen zwei Jahren gekommen seien, um nach der Klägerin zu 1 zu suchen, was der Bruder ihr erzählt habe, gab die Klägerin zu 1 an, ihre Tante und ihr Bruder hätten regelmäßig telefoniert. Auf Frage, wie oft die Polizisten gekommen seien, um nach der Klägerin zu 1 zu suchen, führte sie aus, in den fünf Tagen seien sie fast jeden Tag gekommen. In Addis Abeba sei das Gespräch zwischen ihrem Bruder und der Tante abgelaufen, ihre Tante habe ihr gesagt, es sei hoffnungslos. Auf Nachfrage, ob die Tante der Klägerin zu 1 gesagt habe, wie oft die Polizisten gekommen seien, gab sie an, nein, das seien Gespräche zwischen der Tante und dem Bruder gewesen, sie sei 15 Jahre alt gewesen.

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Auf Bitte, ganz detailliert den 15-tägigen Aufenthalt im Gefängnis zu beschreiben und was sie dort gesehen und erlebt habe bzw. wie es dort ausgesehen habe, gab die Klägerin zu 1 an, sie sei mit zehn anderen Frauen in einem Raum gewesen, sie hätten am Tag eine Scheibe trockenes Brot, ein Glas Wasser bekommen. Es habe dort ein Loch gegeben, dort hätten sie ihre Bedürfnisse verrichtet. Sie seien den ganzen Tag dort eingeschlossen gewesen, der Raum habe nur eine Tür, kein Fenster gehabt. Es habe keine Möglichkeit gegeben frische Luft zu bekommen, sie hätten sie auch dort im Zimmer geschlagen. Sie sei nie rausgelassen worden, sie hätten sie mit Polizeiklöppeln geschlagen, sie hätten sie getreten. Auf Frage, was denn der Vorwurf gewesen sei, gab sie an, weil die Klägerin zu 2 die Polizei falsch verdächtigt gehabt habe und die Namen der Polizei beschmutzt habe. Auf weiteren Vorhalt, dass man normalerweise geschlagen werde, wenn man Informationen rausbekommen wolle und was man die Klägerin zu 1 gefragt habe, gab sie an, sie hätten nicht viel mit ihr geredet, stattdessen viel geschlagen. Sie habe die Verletzung am Kopf erlitten. Auf Frage, aus welchem Grund der Bruder Anzeige in Jimma erstattet habe, obwohl er gewusst habe, dass die Klägerin zu 1 das Papier habe unterschreiben sollen und obwohl er gewusst habe, dass ihnen nicht geholfen werde, gab sie an, beim ersten Mal seien sie zur Polizei gegangen, beim zweiten Mal sei sie verhaftet worden, dann sei ihr Bruder zu der obersten Stelle in Jimma gegangen, aus

Verzweiflung mit der Hoffnung, dort Hilfe zu bekommen.

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Auf Vorhalt, dass die Klägerin zu 1 erzählt habe, von den sechs Hirten von ihren Eltern abgeholt worden zu sein und am Anfang der Anhörung gesagt zu haben, sie habe ihren Vater nie kennengelernt, gab sie an, es liege an der Sprache, auch ein Teil der Eltern oder nahe Verwandte würden Eltern genannt. Letztendlich sei es ihr Bruder und ihre Mutter gewesen, die sie abgeholt hätten. Auf weitere Fragen des Bundesamts führte die Klägerin zu 1 aus, die Vergewaltiger hätten sie nicht weggejagt, sondern vorher schon die Anzeige gegen die Klägerin zu 1 erstattet. Diejenigen, die im Büro gesessen hätten und die Anzeige hätten entgegennehmen sollen, hätten sie weggejagt. Bei der Klage habe es sich darum gehandelt, dass die Klägerin zu 1 als notorische Gegnerin der Regierung angeklagt gewesen sei. Ein Verfahren sei gegen sie nicht geführt worden. Sie habe von der Klage dadurch erfahren, dass die Polizisten das gesagt hätten. Sie hätten der Klägerin zu 1 zuvorkommen und ihre Anklage nichtig machen wollen.

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Auf Vorhalt, warum man die Klägerin zu 1 überhaupt freigelassen habe, wenn die Polizisten solche Angst vor ihrer Anzeige gehabt hätten, gab die Klägerin zu 1 an, zuerst hätten sie nur ihre Lust befriedigen wollen, dann hätten sie sie freigelassen. Die Sache mit dem Video habe die Sache verschärft. Auf Vorhalt, dass das mit dem Video doch viel später gewesen sei, gab die Klägerin zu 1 an, nach den drei Tagen sei die

Freundin mit dem Video zur Polizei gegangen. Auf Vorhalt, dass sich nicht erschließe, warum man die Klägerin zu 1 dann aus dem Gefängnis gelassen habe und dies überhaupt keinen Sinn ergebe, aus welchem Grund man sie hätte freilassen sollen, um anschließend in ganz Äthiopien nach ihr zu suchen, um an das Video zu kommen, führte sie aus, ganz genau wisse sie es nicht, wann ihre Freundin mit dem Video zur Polizei gegangen sei. Sie wisse es nicht, vielleicht sei sie auch nach 15 Tagen ihres

Gefängnisaufenthaltes zur Polizei gegangen. Auf weiteren Vorhalt, dass in beiden Fällen die Reaktion der Polizei für das Bundesamt keinen Sinn ergebe bzw. wieso man die Klägerin zu 1 frei laufen lassen sollte, um dann Anzeige zu erstatten, um ihr zuvorzukommen bzw. warum man sie aus dem Gefängnis entlassen sollte, um wegen des Videos nach ihr zu suchen, führte sie aus, sie verstehe die Einwände. Sie denke, die Mentalität von Äthiopien sei anders als hier in Deutschland. Einmal vergewaltigten sie einen, sie verhafteten einen, sie ließen einen frei, sie machten, was sie wollten.

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Auf Frage, warum die Klägerin zu 1 nicht weiter in Addis Abeba habe bleiben können, nachdem ihr in zwei Jahren nichts passiert sei, gab sie an, dort habe sie wie im Gefängnis gelebt, habe nicht zur Schule gehen können, weil sie Angst gehabt habe, dass die Polizei sie erwische, außerdem sei die dort illegal gewesen.

Auf Vorhalt, dass die Tante einer der drei Verwandten in Äthiopien sei und ob die Klägerin zu 1 nicht glaube, dass man zumindest bei der Verwandten nach ihr gesucht habe, wenn sie von einem so großen Interesse für die Polizei gewesen sei, nachdem die Polizei immerhin zwei Jahre hierzu Zeit gehabt habe, gab die Klägerin zu 1 an, sie sei sich nicht sicher, ob die Polizei wisse, wo ihre Tante sei. Auf Vorhalt, dass das Bundesamt schon glaube, dass die Polizei in Äthiopien die Möglichkeit gehabt hätte es rauszufinden, führte die Klägerin zu 1 aus, das glaube sie nicht, woher sollten sie wissen, dass das ihre Tante gewesen sei. Auf Vorhalt, dass die Klägerin zu 1 in ihrem Heimatdorf von lokalen Polizisten verfolgt worden sei und wer sie in Addis Abeba hätte festnehmen sollen, führte sie aus, wie sie gesagt habe, ihre Freundin habe das gleiche wie sie durchgemacht. Sie sei spurlos verschwunden, das gleiche Schicksal habe die Klägerin zu 1 befürchtet. Ihre Freundin hieß S. Auf Vorhalt, dass die Freundin ja auch mit dem Video zur Polizei

gegangen sei, sich aber auch nicht in Addis Abeba versteckt habe, führte sie aus, sie habe Angst gehabt, gegen Angst könne man nichts machen. Auf Vorhalt, dass die Angst im Heimatdorf verständlich erscheine, nicht jedoch in Addis Abeba, führte die Klägerin zu 1 aus, sie sei davon ausgegangen, dass es dieselbe Regierung und dieselbe Polizei sei, sie habe gedacht, sie kommunizierten miteinander. Sie habe Angst vor dem Schicksal ihrer Freundin gehabt, die Angst sei tief in ihr gesessen. Befragt nach ihren Befürchtungen für den Fall der Rückkehr führte die Klägerin zu 1 aus, sie habe schon ganz am Anfang gesagt, ihre Rechte als Frau seien mit Füßen getreten worden. Dazu gehörten die unfreiwillige Beschneidung, der Rauswurf aus der Schule und die Vergewaltigung. Sie habe das Land illegal verlassen, das sei strafbar. Man könne sie ins Gefängnis stecken, das sei ein Willkürstaat, man könne sie auch umbringen. Dieselben Gründe würden auch für ihr Kind gelten. Bei der Beschneidung der Klägerin zu 1 habe es sich um eine einmalige

Beschneidung gehandelt. Wegen der Kopfverletzung sei sie beim Arzt gewesen, jedoch habe sie kein Attest bekommen.

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Die anwesende Bevollmächtigte warf die Frage auf, welche gesundheitlichen Probleme die Klägerin zu 1 wegen der Beschneidung habe. Hierzu gab sie an, sie habe immer noch Schmerzen, sie sei noch nicht zur Frauenärztin gegangen, werde das aber noch tun. Manchmal verliere sie ihr Gedächtnis. Die Klägerin zu 1 wurde darauf hingewiesen, sie solle zu einem Facharzt gehen und sich ein Attest ausstellen lassen und dies dem Bundesamt vorlegen. Auf Frage der Bevollmächtigten, ob bei einer Rückkehr auch die Beschneidung der Tochter zu befürchten sei, gab die Klägerin zu 1 an, das sei zwar gesetzlich verboten, aber

Beschneidungen würden bei Mädchen trotzdem durchgeführt, weil sie sonst keinen Mann bekämen. Die Bevollmächtigte warf die weitere Frage auf, wie es psychisch bei der Klägerin zu 1 aussehe, ob sie manchmal daran denken müsse, was in Äthiopien vorgefallen sei. Hierzu gab die Klägerin zu 1 an, ja, manchmal schon. Die Bevollmächtigte gab zu Bedenken, dass die Klägerin zu 1 evtl. unter einer PTBS leide, aber sie sei noch nicht beim Arzt gewesen und könne kein Attest vorlegen. Die Bevollmächtigte übergab eine schriftliche Stellungnahme, in der die Gefahr der Beschneidung für die Klägerin zu 2 als Grund, der einer Rückkehr ins Heimatland entgegenstehe, angegeben wurde. Befragt nach Gründen, die im Rahmen der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu berücksichtigen seien, gab die Klägerin zu 1 an, sie habe ihr Kind und ihren Mann hier.

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Mit Bescheid vom 13.04.2017 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerinnen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (Nr. 1). Zugleich wurden die Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt (Nr. 2), der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Nr. 3) sowie festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerinnen wurden aufgefordert, die

Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Klageverfahrens. Sollten die Klägerinnen die Ausreisefrist nicht einhalten, werden sie nach Äthiopien abgeschoben. Die Klägerinnen könnten auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

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Zur Begründung des Bescheids wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Die Klägerinnen seien keine Flüchtlinge im Sinne der entsprechenden Definition. Selbst bei Wahrunterstellung einer

Verfolgungshandlung fehle es jedenfalls an einem der im § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgeführten für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft relevanten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Die Klägerin zu 1 habe selbst vorgetragen, der Vorwurf für ihre 15-tägige Haft sei gewesen, dass sie die Polizei schlecht gemacht und ihre Namen beschmutzt habe. Dies erfülle jedoch keines der genannten Anknüpfungsmerkmale. Auch die Klägerin zu 2 ist kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Zwar stelle die Beschneidung grundsätzlich eine an die Geschlechtsangehörigkeit anknüpfende und gegen Kinder gerichtete Handlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG dar. Allerdings sei eine solche konkret drohende Verfolgungshandlung von der Klägerin zu 1 nicht ausreichend vorgetragen worden. Aus den Einlassungen der Klägerin zu 1 ergebe sich, dass sie als Mutter der Klägerin zu 2 gegen eine Beschneidung sei. Dass sie die Klägerin zu 2 vor einer Beschneidung nicht beschützen könnte, habe sie ebenso wenig vorgetragen, wie diejenigen Akteure genannt, von denen die Gefahr der Beschneidung ausgehen solle. Die Einlassungen der Klägerin zu 1 zur Beschneidung der Klägerin zu 2 hätten sich vielmehr auf die Darstellung der allgemeinen Situation in ihrem Heimatland beschränkt. Sie habe selbst angegeben, dass Beschneidungen in Äthiopien verboten seien.

Hinzu komme, dass die Klägerin zu 1 mit der Klägerin zu 2 nach Addis Abeba gehen könnte, wo die Aufklärungsquote und die Toleranz, auch eine nicht beschnittene Frau zu ehelichen, wesentlich höher als in ländlichen Gebieten des Landes sei. Nicht zuletzt gebe es gerade in Großstädten zahlreiche Institutionen und Organisationen, die sich für Frauen und ihre Rechte einsetzten, an die sich die Klägerin zum Schutz der Klägerin zu 2 wenden könne.

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Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Die Klägerin zu 1 habe vorgetragen zu befürchten, bei einer Rückkehr nach Äthiopien verhaftet oder getötet zu werden.

Eine Verhaftung könne eine unmenschliche oder erniedrigende Handlung darstellen, die Tötung sei

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grundsätzlich eine unmenschliche Behandlung, allerdings habe die Klägerin zu 1 keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr dies tatsächlich drohe. Nach eigenen Angaben habe sie sich über einen Zeitraum von zwei Jahren bei ihrer Tante in der Hauptstadt Addis Abeba aufgehalten, ohne dass ihr etwas passiert wäre. Hätten die Polizisten sie tatsächlich ausfindig machen wollen, hätten sie sie in diesen zwei Jahren gefunden. Es sei kein konkretes Ereignis vorgefallen, das die Klägerin zu 1 zu ihrer Flucht aus Addis Abeba veranlasst haben solle. Zwar sollen die Tante und der Bruder am Telefon miteinander darüber gesprochen haben, dass nach der Klägerin zu 1 gesucht werde, allerdings habe die Suche seitens der Polizei, ihren Wahrheitsgehalt unterstellt, zumindest nach zwei Jahren nicht mehr als ernsthaft bewertet werden. Wenn in zwei Jahren die Suche nicht erfolgreich gewesen sei, sei auch kein Grund ersichtlich, aus welchem Grund die Suche erfolgreich werden sollte. Es komme hinzu, dass sich die vermeintliche

zweijährige Suchaktion der Polizei zu keinem Zeitpunkt konkretisiert gehabt habe. Selbst wenn tatsächlich nach der Klägerin zu 1 in ihrem Heimatdorf gesucht worden sein solle, habe man die Suche offensichtlich nicht bis nach Addis Abeba ausgedehnt. Davon, dass dies nach inzwischen rund vier Jahren erfolgen werde, sei mangels anderweitiger Informationen nicht auszugehen. Auch seien keine stichhaltigen Gründe dafür vorgetragen worden, dass der Klägerin zu 2 eine Beschneidung, die grundsätzlich eine

unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen könne, konkret drohe. Um Wiederholungen zu vermeiden, werde auf die vorherigen Ausführungen verwiesen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Klägerinnen könnten sich auf die Unterstützung ihrer Familienangehörigen im Heimatland

verlassen. Insbesondere lebten dort noch die Mutter der Klägerin zu 1 sowie ihre Tante, die sich zwei Jahre lang um sie gekümmert hatte. Dass sie ihre Hilfe bei Rückkehr der Klägerinnen verweigern könnte, sei nicht ersichtlich. Nicht zuletzt könnten sich die Klägerinnen auf die Unterstützung des ebenfalls

ausreisepflichtigen Ehemanns der Klägerin zu 1, zugleich Vater der Klägerin zu 2, verlassen. Nach eigenen Angaben verfüge er über ein breites Familiennetz, das sich nach den Gegebenheiten im Heimatland auch um die Klägerinnen kümmern werde. Es drohe den Klägerinnen auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Klägerin zu 1 habe zwar vorgetragen, krank zu sein. Allerdings sei die Krankheit trotz Hinweises in der Anhörung bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht durch Atteste oder ähnliches nachgewiesen worden. Daher sei nicht erkennbar, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 1 alsbald nach einer Rückkehr nach Äthiopien schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich verschlechtern werde. Auf die weiteren Ausführungen wird verwiesen.

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Am 25.04.2017 ließen die Klägerinnen durch ihre Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid vom 13.04.2017 erheben mit dem Antrag:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 13.04.2017, Geschäftszeichen …, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerinnen als Asylberechtigte anzuerkennen,

hilfsweise, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.

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Mit Beschluss vom 23.04.2018 hat das Gericht den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit weiterem Beschluss vom 30.05.2018 wurde ein Antrag der Klägerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte samt Sitzungsniederschrift und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

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Weiter beigezogen wurde die für den Ehemann/Lebensgefährten der Klägerin zu 1, dies ist der Vater der Klägerin zu 2, geführte Bundesamtsakte Az. … Dessen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27.06.2018 abgewiesen.

Entscheidungsgründe 20

Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 13.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Diese haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Verneinung von

Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die weiteren Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.

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In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der

Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:

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Das Gericht konnte sich nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, dass die Klägerin zu 1 ihr Heimatland aus asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten Gründen verlassen hätte.

23

a) Den Klägerinnen droht wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo in Äthiopien keine Gruppenverfolgung im Rechtssinne, wobei nach § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Grundsätzlich kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer zwar nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit

vergleichbaren Lage befindet. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden Gruppen gerichteten Verfolgung setzt dabei voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in

flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die

Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die

Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine in zumutbarer Weise erreichbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.11.2016 – Au 5 K 16.31853 – juris m.w.N.).

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Dies zugrunde gelegt, droht den Klägerinnen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Dabei wird nicht verkannt, dass es durchaus immer wieder zu unterdrückenden und diskriminierenden Handlungen wie auch zur Verletzung von Menschenrechten von Volkszugehörigen der Oromo kommt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerungsgruppe der Oromo einen ganz wesentlichen Anteil der Gesamtbevölkerung Äthiopiens ausmacht. Bezieht man dies mit ein, so wird die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische landesweite

Verfolgungsdichte von oromischen Volkszugehörigen klar nicht erreicht (vgl. VG Regensburg, U.v.

24.1.2018 – RO 2 K 16.32411 – juris; s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22.03.2018 – Gz. 508- 516.80/3 - ETH).

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b) Aus dem individuellen Vortrag der Klägerin zu 1 ergibt sich nicht, dass ihr und/oder der Klägerin zu 2 ein Anspruch auf Zuerkennung einer der geltend gemachten Rechtspositionen zustehen würde.

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Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich begründet, aus welchen Gründen die Zuerkennung einer der begehrten Ansprüche nicht in Betracht komme.

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Auch auf der Grundlage des Vortrags im gerichtlichen Verfahren und insbesondere der Angaben der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung besteht kein Anlass für eine abweichende Beurteilung.

Vielmehr ergibt ein Abgleich der Angaben der Klägerin zu 1 gegenüber dem Bundesamt mit den in der mündlichen Verhandlung angebrachten Ausführungen in aller Deutlichkeit, dass der Klägerin zu 1 die von ihr geltend gemachte Fluchtgeschichte nicht geglaubt werden kann.

28

Die von der Klägerin zu 1 beim Bundesamt referierte Fluchtgeschichte erscheint bereits im Ansatz verworren, nicht konsistent und von erheblichen Ungereimtheiten und Widersprüchen geprägt. In der mündlichen Verhandlung konnten diese Aspekte nicht aufgelöst werden, sondern die Klägerin zu 1 hat in ganz grundlegenden Facetten ihrer Geschichte abweichende bzw. unschlüssige Angaben gemacht, die deutlich dagegen sprechen, dass sie aus eigenem Erleben berichtet hat. So hat die Klägerin zu 1 angegeben, das Video, das im Heimatland Probleme bereitet habe, habe ihre ebenso von der Polizei mitgenommene Freundin aufgenommen. Das Handy der Freundin, mit dem diese gefilmt habe, sei versteckt gewesen; die Klägerin zu 1 wisse nicht, wo es versteckt gewesen sei (S. 6/7 der Niederschrift). Im weiteren Verlauf hat die Klägerin zu 1 angegeben, die Freundin habe das Handy in der Hand gehabt. Die Klägerin zu 1 sei mit ihrer Freundin für drei Tage festgehalten worden und drei Tage nach der Freilassung sei die Freundin mit dem die Polizeikräfte belastenden Video zu Polizei gegangen, um es dort vorzuzeigen (S. 7 der Niederschrift). Andererseits soll einer der Polizisten gesehen haben, dass ein Video aufgenommen worden sei; es habe sich um vier Polizisten gehandelt (S. 8 der Niederschrift). Dies erscheint jedoch in keiner Weise glaubhaft. Hätte ein beteiligter Polizist anlässlich des angeblichen Kidnappings durch die Polizei mitbekommen, dass die Freundin der Klägerin zu 1 ein belastendes Video aufgenommen hatte, so hätte die Polizei die Freundin nicht nach (angeblichem) dreitägigem Festhalten und Vergewaltigen (vgl. S. 4 der Anhörungsniederschrift) mit eben diesem belastenden Video auf dem Handy freigelassen. Nur

ergänzend ist hier anzumerken, dass die Polizisten nach der Version der Klägerin zu 1, die diese beim Bundesamt dargeboten hat, Tarnanzüge getragen haben sollen, wohingegen sie in der mündlichen Verhandlung von Polizeiuniformen gesprochen hat (S. 8 der Niederschrift).

29

Vor diesem Hintergrund ist das Gericht überzeugt, dass die Klägerin zu 1 beim Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung frei erfundene Geschichten referiert hat, um ihre Chancen im Asylverfahren zu verbessern. Eine Glaubhaftigkeit kann ihren Darstellungen insgesamt nicht zugesprochen werden. Nach dem Eindruck des Gerichts, den dieses in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin zu 1 gewonnen hat, erschien diese auch in der Lage zu sein, ihre Anliegen ruhig und geordnet vorzutragen, gerade auch in Bezug auf die Belange, die ihre Tochter betreffen. In rechtlicher Hinsicht ist damit davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1 ihr Heimatland verlassen hat, ohne dass eine Vorverfolgung im Sinne des Asyl- und Flüchtlingsrechts vorgelegen hat.

30

2. Auch auf den Nachfluchtgrund der exilpolitischen Betätigung kann sich die Klägerin zu 1 nicht mit Erfolg berufen. Zwar ermöglicht § 28 AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Nach Überzeugung des Gerichts ist es aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland droht.

31

In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Den

verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen ist zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die

(9)

Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Aufgrund der Auskunftslage, die auch die Entwicklungen während der Massenproteste 2015/2016, den Ausnahmezustand 2016 und die aktuellen politischen Entwicklungen berücksichtigt, geht das Gericht jedoch weiterhin nicht davon aus, dass jede wie auch immer geartete Form der Betätigung für eine der zahlreichen exilpolitischen Gruppen in der äthiopischen exilpolitischen Szene im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr kommt es – auch nach der aktuellen Lage – für die Feststellung des relevanten Gefährdungsgrades grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen etwa als terroristisch eingestuft wird und insbesondere in welcher Art und in welchem Umfang der Betreffende sich im Einzelfall exilpolitisch tatsächlich und wahrnehmbar betätigt hat (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v.

14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; VG Bayreuth, U.v. 20.11.2017 – B 2 K 16.31139; s. auch VG Kassel, U.v.

5.9.2017 – 1 K 2320/17.KS.A; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A; a.A. VG Würzburg, U.v.

15.9.2017 – W 3 K 17.31180; zum Maßstab vgl. VGH BW, U.v. 30.5.2017 – A 9 S 991/15 – alle juris).

32

Dem Auswärtigen Amt liegen auch nach dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 22.03.2018 keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine

oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt.

Maßgeblich ist danach vielmehr der konkrete Einzelfall, also beispielsweise, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche politische Tätigkeit es sich handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt.

Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt – soweit bekannt – ohne Konsequenzen. Der Lagebericht vom 22.03.2018 geht insbesondere auch auf die innenpolitischen Entwicklungen im Frühjahr 2018 und auf den am 16.02.2018 ausgerufen (neuerlichen) Ausnahmezustand ein, hält aber gleichwohl an der bisherigen Gefährdungseinschätzung bei Rückkehr von im Ausland exilpolitisch tätigen Äthiopiern fest (vgl. S. 18 des Lageberichts vom 22.03.2018; S. 16 des Lageberichts vom 06.03.2017).

33

In einer Auskunft vom 30.01.2017 an das VG Gießen geht das Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien zum Fall einer exilpolitischen Tätigkeit für die EPPFG davon aus, dass eine Verhaftung für den Fall der Rückkehr keinesfalls ausgeschlossen werden könne. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass im Rechtssinne von einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit insbesondere auch von nur einfachen Mitgliedern (sog. „Mitläufer“, ohne dass damit ein Werturteil verbunden wäre) im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien auszugehen wäre (vgl. VG Regensburg, U.v. 8.3.2018 – RO 2 K 16.30643 – juris).

34

Günter Schröder geht in seiner Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen in der dortigen

Streitsache Az. 6 K 4787/15.GI.A davon aus, dass eine Verfolgungsprognose anhand bestimmter Merkmale nicht abgegeben werden könne, weil das Handeln der äthiopischen Sicherheits- und Justizbehörden gegenüber allen wirklichen und putativen Gegnern von einem hohen Maß an Willkürlichkeit geprägt sei.

Unter diesem Gesichtspunkt sei generell die Unterscheidung zwischen unbedeutender und exponierter Stellung in einer Oppositionsorganisation als nicht relevant für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr anzusehen. Dies gelte in besonderem Maß seit dem Erlass der Anti-Terrorismusgesetze und gerade auch unter dem Ausnahmezustand. Weiter führt er aus, dass mit „hoher Wahrscheinlichkeit“

eine längere Inhaftierung - verbunden mit intensiver Befragung - auch unter dem jetzigen Ausnahmezustand als Minimum anzunehmen sei. Es bleibt jedoch offen, wie Schröder trotz der Prognoseunsicherheit zu dieser Annahme kommt. So belegt er diese Annahme nicht mit konkreten Beispielen für ein Einschreiten äthiopischer Stellen gegen Rückkehrer, obwohl er angibt, dass diese häufig verhaftet würden (Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017). Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass kaum Abschiebungen nach Äthiopien stattfinden, was die Grundlage dieser Aussage allerdings fraglich erscheinen lässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es seit Mitte 2015 im Zusammenhang mit dem „Masterplan“ der

Regierung vor allem in der Provinz Oromia zu Massenprotesten kam und es im Zusammenhang mit diesen Protesten und dem Einschreiten der Sicherheitskräfte zu Todesfällen und Verhaftungen gekommen ist. So sollen nach dem Gutachten von Günter Schröder im Rahmen der Unruhen 2016 unter Geltung des Ausnahmezustandes über 11.000 Menschen verhaftet worden sein. Diese Verhaftungen fanden jedoch im Zusammenhang mit - zumindest teilweise - gewaltsamen Protesten in Äthiopien statt. Sie sind kein Beleg

(10)

dafür, dass auch Rückkehrer alleine wegen ihrer exilpolitischen Betätigung nun einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind. Dies belegen auch die Ausführungen in der Stellungnahme Schröders nicht hinreichend. Dieser führt zwar nachvollziehbar aus, dass im Zusammenhang mit den Unruhen in Äthiopien selbst die äthiopische Diaspora – auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach dem äthiopischen Anti-Terrorismusgesetz von 2009 – verstärkt überwacht wird (Rn. 134 der Stellungnahme vom 15.02.2017).

Ein konkretes Beispiel für eine Verfolgung allein auf Grund einer exilpolitischen Tätigkeit unterbleibt jedoch.

Auffällig ist hierbei auch, dass Schröder zum einen zwar deutliche Aussagen trifft (Bestrafung jedes Mitglieds/Unterstützers einer exilpolitischen Gruppe, die mit einer als terroristisch eingestuften Gruppe zusammenarbeitet [Rn. 232 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; häufige Verhaftungen [Rn. 214 der Stellungnahme vom 15.02.2017]; längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumaner Haftbedingungen [Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017]), gleichzeitig aber äußert, dass sich angesichts der Willkürlichkeit die konkreten Verfolgungshandlungen im Einzelnen schwer vorhersagen ließen und er an anderer Stelle (Rn. 226 der Stellungnahme vom 15.02.2017) angibt, dass im heutigen Äthiopien die eine staatliche Verfolgung auslösenden Momente in der Regel vielschichtig seien und sich nur selten auf ein bestimmtes Merkmal reduzieren ließen (vgl. ausführlich VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A – beide juris).

35

Auch unter Einbeziehung der Stellungnahme Günter Schröders vom 18.02.2018 an das VG Würzburg ergibt sich kein hiervon abweichendes Ergebnis. Zwar kommt Günter Schröder zu dem Ergebnis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass unter dem wieder eingeführten Ausnahmezustand exilpolitisch tätige Äthiopier bei einer Rückführung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt seien, als Unterstützer einer „terroristischen Organisation“ verfolgt und äußerst bestraft zu werden (Rn. 83 der Stellungnahme vom 18.02.2018), während in der Stellungnahme vom 15.02.2017 an das VG Gießen noch ausgeführt wurde, angesichts der Willkürlichkeit im Handeln der Sicherheitsorgane und der mangelnden Rechtsstaatlichkeit in Äthiopien lasse sich im Einzelnen nicht vorhersagen, was Rückkehrer zu befürchten hätten. Eine längere Inhaftierung verbunden mit intensiver Befragung und mit hoher Wahrscheinlichkeit inhumanen Haftbedingungen sei jedoch als Minimum anzunehmen (Rn. 237 der Stellungnahme vom 15.02.2017; dieser Passus befindet sich im Übrigen auch noch unter Rn. 82 der Stellungnahme vom 18.02.2018). Anderseits führt Schröder in Rn. 17 der Stellungnahme vom 18.02.2018 aus, aufgrund des neuerlichen Ausnahmezustandes vom 16.02.2018 schienen die gleichen Bestimmungen wie beim Ausnahmezustand 2016 zu gelten. Damit ist aber weder nachvollziehbar noch plausibel dargelegt, warum nunmehr (allein) aufgrund des Ausnahmezustands 2018 exilpolitisch tätige Äthiopier bei einer Rückführung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt sein sollen, als Unterstützer einer „terroristischen Organisation“

verfolgt und äußerst bestraft zu werden, wenn andererseits keine anderen Bestimmungen wie beim Ausnahmezustand 2016 gelten sollen.

36

Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Auskunftslage nimmt das Gericht daher auch weiterhin nicht an, dass äthiopische Asylbewerber, sofern sie sich zu einer Exilorganisation, die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Vereinigung nahesteht, bekennen und sie für diese Exilorganisation nur ein Mindestmaß an Aktivität vorweisen, für den Fall der Rückkehr nach Äthiopien bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG erwartet. Vielmehr müssen nach Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Äthiopien nur solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31836; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 21 ZB 15.30119 m.w.N. – alle juris). Erforderlich für einen beachtlichen

Nachfluchtgrund aufgrund exilpolitischer Betätigung ist nämlich eine „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ der Verfolgung im Falle einer Rückkehr. Nicht ausreichend ist hingegen, dass eine solche möglich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann. Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Falle einer nicht exponierten Stellung kann – wie bereits ausgeführt – auch den oben genannten aktuellen Stellungnahmen nicht entnommen werden. Gerade wegen der intensiven Beobachtung exilpolitischer Auslandsaktivitäten durch äthiopische Stellen muss davon ausgegangen werden, dass auch diesen nicht verborgen geblieben sein kann, dass bei einer Vielzahl von äthiopischen Asylbewerbern weniger politische Interessen maßgeblich sind als vielmehr das Bemühen, sich im Asylverfahren eine günstigere Ausgangsposition zu verschaffen. Im Hinblick darauf ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die äthiopischen Behörden derartige Personen

(11)

als „gefährlich“ erachten und gegen diese im Falle ihrer Rückkehr in einer Art und Weise vorgehen, dass die für eine Schutzgewährung anzulegende Schwelle (vgl. z.B. § 3a Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG) erreicht wird.

37

Bei Anlegung dieser Maßstäbe gehört die Klägerin zu 1 nicht zu dem gefährdeten Personenkreis, der im Falle seiner Rückkehr oder Abschiebung wegen seiner exilpolitischen Tätigkeit im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, von äthiopischen Behörden in asylrechtlich relevanter Weise belangt zu werden. Die Klägerin zu 1 hat erstmals in der mündlichen Verhandlung ohne eine weitere

Substantiierung behauptet, sie nehme in Deutschland ab und zu an Versammlungen und/oder Demonstrationen teil. Sie wisse nicht, welche Veranstaltung sie zuletzt besucht habe; sie habe Kopfschmerzen/Depressionen und vergesse viel. Mitglied einer Vereinigung sei die Klägerin zu 1 in

Deutschland nicht (S. 8 der Niederschrift). Die Angaben der Klägerin zu 1 zu einem etwaigen exilpolitischen Engagement sind damit insgesamt äußerst dürftig geblieben und wurden auch lediglich ohne greifbare Substanz behauptet. Unabhängig davon handelt es sich, wenn man die Richtigkeit der Angaben der Klägerin zu 1 einmal unterstellen möchte, bei dieser in qualitativer und quantitativer Betrachtung um eine reine „Mitläuferin“ der exilpolitischen Bewegung in Deutschland. Ihr Engagement ist in keiner Weise herausgehoben, sondern bleibt noch einmal deutlich unter dem Durchschnitt zurück, der – wie dem Gericht aufgrund einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist – für die breite Masse der Mitglieder der exilpolitischen Vereinigungen kennzeichnend ist. Die etwaigen exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin zu 1 führen daher nach Überzeugung des Gerichts nicht dazu, dass sie von den äthiopischen Behörden als „gefährliche Oppositionelle“ angesehen wird, weshalb es nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass sie allein aufgrund ihrer (behaupteten) Betätigung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.

38

3. Zu Recht hat das Bundesamt schließlich das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint. Es liegt insbesondere kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot vor. Aus den in der mündlichen Verhandlung behaupteten Kopfschmerzen und Depressionen ergibt sich kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot.

Der Klägerin zu 1 droht in Bezug auf ihre gesundheitliche Situation im Falle ihrer Rückkehr oder Rückführung in ihr Heimatland keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine solche Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die

Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG).

39

Eine alsbald eintretende erhebliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin zu 1 ist im Falle ihrer Rückkehr bzw. Rückführung nach Äthiopien nicht anzunehmen.

Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren

körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz: bei existentiellen Gesundheitsgefahren, was insbesondere aus dem der Vorschrift immanenten Zumutbarkeitsgedanken folgt (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A mit zahlreichen weiteren Nachweisen; siehe ferner BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 ZB 15.30054 – juris).

40

In der vorliegenden Sache ist nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon auszugehen, dass die Behandlung von akuten Erkrankungen in Äthiopien durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet ist (vgl. S. 23/24 des Lageberichts vom 22.03.2018). Sollte sich ein Behandlungsbedarf für die in der mündlichen Verhandlung erwähnten Depressionen ergeben, so stehen hierfür in Äthiopien diverse Medikamente zur Verfügung (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien:

Psychiatrische Versorgung, September 2013). Anzumerken ist hierzu freilich, dass ein (akuter)

(12)

Behandlungsbedarf bisher in keiner Weise glaubhaft gemacht worden ist. Ferner wird die Klägerin zu 1 im Falle ihrer Rückkehr mit der Klägerin zu 2 nicht auf sich alleine gestellt sein, denn in die Rückkehrprognose ist ihr Ehemann/Lebensgefährte einzubeziehen, dessen Klage ebenfalls ohne Erfolg geblieben ist (U.v.

27.6.2018 - B 7 K 17.31491). Des Weiteren verfügt insbesondere der Ehemann/Lebensgefährte der Klägerin zu 1 über erheblichen verwandtschaftlichen Rückhalt und ist im arbeitsfähigen Alter, so dass er sich eine Erwerbstätigkeit suchen und für seine Familie sorgen kann.

41

4. Der Klägerin zu 2 droht in Äthiopien nach Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher

Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Verfolgung (in Form der Beschneidung). Die Klägerin zu 1 hat zwar durch ein Attest vom 20.06.2018 glaubhaft gemacht, dass sie selbst einer Beschneidung

unterzogen worden sei. Daraus ergeben sich indessen keine Ansprüche der Klägerin zu 2, denn für die Beurteilung ist in sachlicher und rechtlicher Hinsicht auf die aktuelle Lage in Äthiopien abzustellen.

42

Nach dem Lagebericht vom 22.03.2018 ergibt sich, dass seit der Reformierung des Strafgesetzbuches 2005 die Genitalverstümmelung gemäß Art. 565 mit Geldstrafe ab 500 Birr (ca. 20 EUR) oder mit mindestens dreimonatiger, in besonders schweren Fällen mit bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe bedroht ist. Die Zahl der Neuverstümmelungen hat sich hiernach inzwischen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert.

Dennoch ist Genitalverstümmelung nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet (Zahlen schwanken auch hier zwischen 56 und über 70% landesweit). Am häufigsten ist sie in ländlichen Gebieten der an Dschibuti und Somalia grenzenden Regionen Somali und Afar sowie in der gesamten Region Oromia anzutreffen. In den Grenzregionen Tigray (Grenze zu Eritrea) und Gambella (Grenze zu Südsudan) ist sie am wenigsten verbreitet. Die Regierung sowie äthiopische und internationale

Organisationen führen Kampagnen zur Abschaffung der Genitalverstümmelung durch. Die äthiopische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, wie etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen oder Kinder- und Zwangsehen bis zum Jahre 2025 endgültig

abzuschaffen.

43

In der vorliegenden Sache ist davon auszugehen, die Eltern der Klägerin zu 2 diese im Falle der Rückkehr vor einer Beschneidung schützen können. Es besteht die Möglichkeit, dass sie sich als Familie – soweit erforderlich – in hinreichender Entfernung von bestimmten Mitgliedern der Verwandtschaft ggf. in einer größeren Stadt niederlassen, so dass nicht zu erwarten ist, dass es den betreffenden Verwandten gelingen wird, die Klägerin zu 2 gegen den Willen ihrer Eltern zu beschneiden. Wie sich aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes ergibt, erfolgt eine Beschneidung inzwischen bei der überwiegenden Anzahl der Mädchen nicht mehr. Soweit die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, dass sie Probleme bei der Partnerwahl ihrer Tochter im Falle der Nichtbeschneidung befürchte (vgl. S. 9 der Niederschrift), ist eben gerade auch der eingeleitete und weiter fortschreitende Einstellungswandel in der äthiopischen Bevölkerung zu berücksichtigten. Freilich mag es auch in mehreren Jahren noch potentielle Ehemänner geben, die auf eine Beschneidung ihrer künftigen Ehefrau Wert legen. Andererseits ist zu erwarten, dass es durchaus auch eine erhebliche Anzahl von Äthiopiern (oder anderen Einwohnern) gibt, die mit dem gesellschaftlichen Wandel gehen und den alten Vorstellungen nicht mehr verhaftet sind.

44

Soweit eine Niederlassung in einer größeren Stadt nötig werden sollte, um die Klägerin zu 2 vor dem Zugriff von Verwandten, die sie beschneiden wollen, zu schützen, so mag es zwar sicherlich zutreffen, dass die Reintegration in Äthiopien erleichtert würde, wenn auf entsprechenden Rückhalt durch Verwandte rekurriert werden könnte (siehe oben). Zwingend erscheint dies jedoch keinesfalls: Die Eltern der Klägerin sind im erwerbsfähigen Alter, so dass zumindest ein Elternteil einer Berufstätigkeit nachgehen kann, mit der das Existenzminimum der Familie gesichert werden kann. Nach der neueren Auskunftslage ist selbst im Falle von alleinstehenden Frauen keineswegs davon auszugehen, dass diese nicht in der Lage wären, den Lebensunterhalt für sich und ihr minderjähriges Kind zu sichern. In Äthiopien ist es möglich, selbst als alleinstehende Mutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung. Kinder werden häufig – bei Alleinerziehenden wie bei erwerbstätigen Personen – nach der Schule von privatem Betreuungspersonal betreut, auch in den unteren Gehaltsschichten (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 13.07.2017 – Gz.

508-516.80/49153).

(13)

45

Eine derartige Situation eines alleinstehenden Elternteils mit minderjährigem Kind ohne jeden

familiären/verwandtschaftlichen Rückhalt ist im Falle der hiesigen Klägerinnen im Übrigen jedoch aufgrund des bestehenden Familienverbunds mit dem Vater der Klägerin zu 2 überhaupt nicht konkret zu besorgen.

46

5. Nach allem sind die Klagen insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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