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Archiv "Triage bei Influenzapandemie: Wer kann versorgt werden?" (28.01.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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28. Januar 2011 A 157

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an sollte für den Ernstfall einer Pandemie vorbereitet sein: Nach welchen Kriterien geht man vor, um Leben zu retten, oder wie werden die knappen medizini- schen Güter und Maßnahmen zuge- teilt? Es ist bemerkenswert, dass der Sachverhalt der Triage oder die Zu- teilung knapper medizinischer Gü- ter und Maßnahmen im Infektions- schutzgesetz nicht angesprochen werden – sind dies doch ganz zen- trale Probleme im Fall einer Pan - demie. Dort kann es auf der Mikro- ebene unter anderem zur Verknap- pung von Impfstoff, antiviralen Arz-

neimitteln oder aber auch zur Ver- knappung in der medizinischen Ver- sorgung kommen, etwa infolge feh- lender Beatmungsplätze in Kran- kenhäusern. Dringend stellt sich die Frage nach der gerechten Zuteilung im Katastrophenfall.

Die tatsächlichen Dimensionen der Triage werden bei der Auflis- tung der Behandlungsprioritäten deutlich (1):

Sofortbehandlung von Patien- ten mit einer akuten vitalen Bedro- hung

schwerverletzte Patienten, bei denen eine aufgeschobene Behand-

lung mit gleichzeitiger Transport- priorität für die baldige Kranken- hausbehandlung zu vertreten ist

Patienten, die eine Behand- lung leichter Gesundheitsschäden im Rahmen von Selbst- oder Nach- barschaftshilfe oder durch den Hausarzt benötigen

Patienten ohne Überlebens- chance, schwerstgeschädigt und nicht behandlungs- oder transport- fähig, die nur palliative Behandlung und/oder seelsorgerischen Beistand bekommen können.

Auch eine Pandemie kann eine solch große Anzahl von Erkrankten TRIAGE BEI INFLUENZAPANDEMIE

Wer kann versorgt werden?

Im Katastrophenfall rückt der Erhalt der Gesundheit der Bevölkerung gegenüber dem Grundrecht des Einzelnen in den Vordergrund. Zu prüfen ist, ob der

Rechtsrahmen im Fall einer Pandemie dementsprechend anzupassen ist.

Foto: ddp

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wesen an seine Grenzen stößt.

Denn die Behandlung ist mögli- cherweise – auch aufgrund der ho- hen Ansteckungsgefahr – sehr auf- wendig. Das deutsche Gesundheits- system ist nicht auf eine außer - gewöhnliche und sehr hohe Zahl von Kranken mit gleichen Sympto- men und gleichen Anforderungen an medizinische Interventionen ein- gerichtet. Die Reserven können schnell aufgebraucht sein.

Zuteilung sollte nach gerechten Kriterien erfolgen

Zur Durchführung einer infekti- onsschutzrechtlichen Triage gibt es bisher keine gesetzliche Rege- lung. Im Infektionsschutzgesetz findet man keine Hinweise darauf.

Allenfalls in den Pandemieplänen lassen sich Ansätze finden. In be- stimmten Situationen ist aber eine infektionsschutzrechtliche Triage erforderlich, und die Priorisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, die mit Impfstoffen und Medika- menten versorgt werden müssen, wird notwendig. Es bestehen das Problem der Verteilung (besser:

Zuteilung) voraussichtlich knap- per Güter sowie der daraus resul- tierende Konflikt zwischen dem Erhalt der Gesundheit der Bevöl- kerung und den Grundrechten des Einzelnen.

Die Zuteilung von knappen Gü- tern an bestimmte Bevölkerungs- gruppen sollte nach gerechten Kri- terien erfolgen. Dies bedarf einer gesetzlichen Regelung, die das Infektionsschutzgesetz ergänzen könnte. Im Nationalen Pandemie- plan wird bereits die Bevorratung von antiviralen Arzneimitteln zur Therapie bei bestimmten Perso- nengruppen vorgegeben. Auch für die Verteilung von Pandemieimpf- stoff unter der Bevölkerung ist dort ausdrücklich eine Rangfol- ge von Bevölkerungsgruppen ge- nannt. Danach sind vorrangig zu impfen:

Gesundheitspersonal, Personal von Rettungsdienst und Feuerwehr

Polizei, Ordnungsbehörden, Entsorgungsunternehmen

weiteres Personal des Kata- strophenschutzes

Personen mit dem Risiko ei- nes schweren Krankheitsverlaufs

Allgemeinbevölkerung.

Die Schweiz bietet mit der In - fluenzapandemie-Verordnung vom 27. April 2005, die Ermächtigungen zur Regelung einer Prioritätenliste beinhaltet, eine für Deutschland mögliche Lösung. Hier heißt es:

„Art. 12 Prioritätenliste.

Das Department kann bei einer Mangellage die Zuteilung von Impfstoffen, antiviralen Medika- menten oder anderen geeigneten Arzneimitteln gegen Influenza der Bedrohungslage angemessen mit einer Prioritätenliste und einem Verteilerschlüssel regeln. (. . .). Mit der Zuteilung ist der größtmögliche Nutzen für die Gesundheit der Be- völkerung anzustreben, insbesonde- re sollen eine angemessene Ge- sundheitsversorgung sowie wichti- ge Dienste erhalten bleiben.“

Die Ermächtigung zur Regelung einer Prioritätenliste in der Schwei- zer Influenzapandemie-Verordnung präzisiert: „Namentlich kann fol - genden Personenkategorien Priori- tät eingeräumt werden.

Medizinal- und Pflegepersonal;

Personen, die in wichtigen öf- fentlichen Diensten, wie innere und äußere Sicherheit, Transport, Kom- munikation sowie Versorgung mit Energie, Trinkwasser und Nah- rungsmitteln, tätig sind;

Personen, für die eine Influen- zaerkrankung ein erhöhtes Sterbe - risiko darstellt.

Im Übrigen richtet sich die Zu- teilung nach anerkannten medizini- schen und ethischen Kriterien.

(. . .).“ (2)

Bevölkerungsbezogene Nutzenmaximierung

Der Medizinethiker Hans-Marin Sass hat Regeln für Interventionen im Pandemiefall herausgearbeitet:

1. Das Wohl und Überleben der Gemeinschaft ist das oberste Gebot.

2. Behandle bevorzugt diejeni- gen, die für die Aufrechterhaltung zentraler Dienste von Versorgung und Sicherheit unentbehrlich sind;

dazu gehören Mitarbeiter von Ver- sorgungs- und Sicherheitsdiensten sowie medizinisches, hygienisches und pflegerisches Personal.

Die grundsätzliche Frage lautet:

Wie gehen wir mit der Verknap- pung medizinischer Güter und den Folgen um? Hierzu ergeben sich drei Optionen: Absenkung des Versorgungsstandards, Ra- tionierung und/oder Priorisie- rung. Über alle drei Optionen muss antizipierend ein gesell- schaftlicher Diskurs eingeleitet werden. Dazu ist es wichtig, zu- nächst die Begriffe zu definieren.

Rationierung bedeutet ein bewusstes Vorenthalten medizinisch notwendiger Maß- nahmen.Formen der Rationie- rung sind die harte Rationie- rung, bei der die Ressourcen nicht vermehrbar sind (zum Beispiel Anzahl von Spender - organen) und ein Zukauf nicht möglich ist. Bei einer weichen Rationierung bleibt eine Res- sourcenausweitung durch Zu-

kauf möglich. Heimliche Ratio- nierung bedeutet, dass ohne Transparenz Leistungen im Sinne einer „barmherzigen Lü- ge“ vorenthalten werden, wo- hingegen bei einer offenen Ra- tionierung die Rationierung transparent und nachvollzieh- bar dargestellt wird.

Priorisierung im Ge- sundheitswesen bedeutet die Festlegung einer Vorrangigkeit (und damit auch Nachrangig- keit) von zum Beispiel Kranken- und Krankheitsgruppen, Patien- tengruppen, Methoden/Verfah- ren und Versorgungszielen.

Die öffentliche Debatte über Priorisierung zielt unter ande- rem darauf ab, das Bewusst- sein dafür zu schärfen, dass die begrenzten Mittel, Kapazi- täten und Zeit möglichst sinn- voll eingesetzt werden müs-

sen. Die Zuteilung begrenzter Mittel im Gesundheitswesen hat Vorteile. Es kommt zur Er- höhung der Verteilungsgerech- tigkeit. Zudem bietet die Priori- sierung einen Ordnungsrah- men, um hohe und niedrige Prioritäten in der medizini- schen Versorgung festzulegen.

Sie kann dazu beitragen, die knappen Mittel nach gesell- schaftlich konsentierten Krite- rien möglichst gerecht zu ver- teilen. Priorisierung bedeutet aber nicht den Ausschluss von medizinisch notwendigen Leis- tungen, sondern eine Abstu- fung der Leistungsgewährung nach Vorrangigkeitsprinzipien.

Dabei ist sie von der Rationie- rung abzugrenzen, bei der me- dizinisch notwendige Maßnah- men bewusst vorenthalten werden.

RATIONIERUNG UND PRIORISIERUNG

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28. Januar 2011 3. Beschränke Bewegungsfrei-

heit und andere Bürgerrechte, führe Impfzwang und andere Maßnah- men zur Eindämmung der Katastro- phe und Rettung möglichst vieler Menschenleben ein.

4. Sei rigoros in der Durchset- zung des Erhalts der Gesundheit der Bevölkerung.

5. Sichere Transparenz und Doku- mentation der Maßnahmen für eine spätere kritische Überprüfung zu. (3)

Bei einer schweren Pandemie mit mehr als 20 Prozent Infizierten und einer Mortalität von mehr als 50 Pro- zent beschreibt Sass die Interventi- onsmöglichkeiten folgendermaßen:

offene und proaktive Informa- tion der Bevölkerung

Selbstschutz durch Hygiene, Vorratshaltung, (Selbst-)Quarantäne

partnerschaftliche Informatio- nen und Training von Verordnungs- trägern vor und in der Krise

Verfügbarkeit von Palliativa und Sedativa

Aufrechterhaltung privater und öffentlicher Dienste sowie der öf- fentlichen Ordnung

selektive Quarantäne und Ak- zeptanz von Selbstquarantäne

Entwicklung von Schutzimp- fungen

Behandlung von Infektions- kranken außerhalb der Kranken- häuser

rezeptfreie Virustatika, Pallia- tiva, Sedativa (falls vorhanden)

Verhinderung von Panik und Rechtlosigkeit

Sicherung zur Möglichkeit des Wiederaufbaus von Kernleistungen des gesellschaftlichen Lebens.

Eine solche schwere Pandemie stellt eine Gesellschaft vor eine gro- ße Herausforderung. Unklar ist, wie in diesen kritischen Situationen die Menschen sowie jeder Einzelne, die staatlichen Organe und institutionel- len Marktteilnehmer mit dem Phä- nomen Angst umgehen und welche psychosomatischen Probleme sich ergeben – unabhängig davon, ob man am Virus erkrankt oder nicht.

Es kommt möglicherweise zu Panik und Revolten, zu mehr Rechtsver- stößen, wie Einbrüchen in Apothe- ken und Supermärkte, und zu Ge- walttätigkeiten. Auch Probleme bei der häuslichen Versorgung von Pa-

tienten im nachbarlichen oder fami- liären Umfeld sowie die ausreichen- de Verfügbarkeit von Sedativa und Palliativa gehören zu den bisher un- gelösten medizinischen und verord- nungspolitischen Problemen.

Dass solch ein Szenario nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt die Erd- bebenkatastrophe auf Haiti. Sehr schnell entstand dort ein gesell- schaftlicher Ausnahmezustand. Es gab viele Verletzte, es wurde ge- plündert und überfallen. Helfer aus Deutschland mussten lernen, auch mit solchen Bedingungen umzuge- hen. Katastrophen solchen Ausma- ßes können auch für Deutschland nicht sicher ausgeschlossen werden.

Wichtig ist die geschulte ärztliche Perspektive

Die Triage im Katastrophenfall er- fordert einen speziell ausgebildeten Sichtungsarzt. Dieser muss sich zu- erst einen Überblick über die Scha- densentstehung sowie die Zahl, die Art und die Schwere der Gesund- heitsschäden aller Betroffenen ver- schaffen. Auch muss er feststellen, bei wem unmittelbare Lebensgefahr droht, um sofort eingreifen zu kön- nen. Schweben mehrere Schadens- opfer in Lebensgefahr, muss der Arzt die Dringlichkeit jedes einzelnen Falls unverzüglich und zutreffend abschätzen. Triage erfordert dem- nach fachtechnisches Urteilsvermö- gen, Diagnostik mit einfachsten Mit- teln, Mut zur Verantwortung sowie eine rasche Entschlussfähigkeit.

Sichtung ist ein dynamischer Prozess, der bei einer Änderung der angebotenen und nachgefragten Ressourcenmenge wiederholt wer- den muss. Der Arzt kann daher im- mer wieder gezwungen sein, die Einteilung der Patienten in die Dringlichkeitskategorie und deren Dringlichkeitsreihenfolge zu än- dern, abhängig von der Entwick- lung des Angebots medizinischer Ressourcen und der entsprechenden Nachfrage. Die Triage im Katas - trophenfall findet Anwendung im infektionsschutzrechtlichen Rege- lungsbereich, wenn es bei einer Pandemie zu einem Massenanfall von Notfällen kommt, bei denen (Priorisierungs-)Entscheidungen ge- troffen werden müssen.

Bei einer Pandemie kann es zur Verknappung von medizinischen Gütern und zu Engpässen bei der medizinischen Versorgung kom- men. Dies kann wiederum zu einer harten Rationierung führen. Die Durchführung einer Priorisierung kann zur Verteilungsgerechtigkeit beitragen. Zur Vorbereitung von Priorisierungsempfehlungen im vor- politischen Raum sollte ein un - abhängiges Gremium in der Form eines Gesundheitsrats gegründet werden. Dieser würde zur Vorbe - reitung von Priorisierungsempfeh- lungen auch im Pandemiefall ein - gesetzt werden. Er führt eine Fol- genabschätzung durch, um dem Gesetzgeber, der letztlich über Prio- risierungen entscheiden muss, kom- petent beraten zu können. Im Rah- men der Influenza-A/H1N1-Pan - demie wurde eine derartige Auf - gabe im Hinblick auf die zeitlich gestaffelte Verabreichung des Pan- demieimpfstoffs an bestimmte Ri - sikogruppen von der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch- Institut übernommen.

Im Katastrophenfall rückt der Er- halt der Gesundheit der Bevölke- rung gegenüber dem Grundrecht des Einzelnen in den Vordergrund.

Auch aus ärztlicher Sicht ist zu prü- fen, ob der Rechtsrahmen im Fall einer Pandemie unterhalb einer Ka- tastrophe anzupassen ist. Die Kom- petenzen von Bund und Länder auf Basis des Infektionsschutzgesetzes reichen allein nicht aus, um handeln

zu können. ■

Dr. med. Annegret Schoeller Prof. Dr. med. Christoph Fuchs Bundesärztekammer Herbert-Lewin-Platz 1 10623 Berlin

LITERATUR

1. Sefrin P: (Massen-)Notfallmedizin. Sichtung als ärztliche Aufgabe. Dtsch Arztebl 2005;

102(20): A 1424–8.

2. 818.101.23. Verordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung einer Influenza-Pandemie (Influenza-Pandemieverordnung, IPV) vom 27. April 2005 (Stand am 1. Juli 2007). Der Schweizerische Bundesrat. www.admin.ch/

ch/d/sr/818_101_23/index.html.

3. Sass HM: Ethische Risiken und Prioritäten bei Pandemien. Zentrum für Medizinische Ethik Bochum. Ruhr-Universität Bochum.

Hrsg.: Sass, H. M., Vollmann, I., Zenz, M.

Medizinische Materialien 2009.

T H E M E N D E R Z E I T

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