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Archiv "DANK: Die überaus große Anzahl zustimmender Briefe" (06.04.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

BRIEFE AN DIE REDAKTION

DANK

Der Beitrag: „Krise und Zukunft der Me- dizin" von Dr. med. A. Vogl, erschienen in den Heften 40 und 41/1978 hatte ein überwältigendes Leserecho. Überwältigt war vor allem der Autor in einem sehr handfesten Sinne: er konnte auf all die Briefe, die er bekam, einfach nicht ant- worten. Daher bringen wir — seiner Bitte entsprechend — nachstehend seinen Dankeschön-Brief an seine (und unsere) Leser. Zunächst aber, pars pro Zoto, eine der Zuschriften.

Lebenslange Erfahrung

. . . Endlich hat es einmal jemand gewagt - aus einer lebenslangen Er- fahrung heraus - den Finger in offe- ne Wunden zu legen und die Fehler in unserem derzeitigen System nicht nur bei anderen zu suchen. Nach- dem nun mal die Krankenhausko- sten am stärksten gestiegen sind, ist es besonders anzuerkennen, daß Sie gerade als Chefarzt die kardinalen Fehler im Krankenhauswesen er- kannt und schonungslos herausge- stellt haben. Was Ihren Artikel aber besonders lesens- und beherzigens- wert sein läßt, ist die Erkenntnis un- serer derzeitigen Krise aus großer historischer Gesamtschau, die Er- kenntnis eben, daß wir an allgem.

Überdosierung - weniger der Droge Arzt - wohl aber der ärztlichen Tech- nik und Labormedizin leiden.

Dr. med. W. Fliegenschmidt 6332 Ehringerhausen

Die überaus große Anzahl zustim- mender Briefe und die noch größere Zahl Sonderdruckanforderungen machen es mir unmöglich, alle ein- zeln zu beantworten. Ich kann nur hier dafür danken. Eine einzige Zu- schrift enthielt bei sonst voller Wür- digung des „glänzenden" Inhaltes eine Kritik, nämlich an dem Satz „Ei- ne Medizin ohne Glauben bleibt ein Haus ohne Fundament". Nun, ein modernes Weltbild ist heute ohne Transzendenz irgendeiner Form nicht mehr denkbar. Man muß nur auf die Physiker horchen. Die ange- wandte Heilkunde bedarf eines Glaubens an den Sinn des Lebens, von seiten des Arztes, der sie aus- übt, von seiten des Kranken, der sie

entgegennimmt. Eine solche Sinn- gebung verlangt aber mehr als eini- ge Moleküle und den Zufall. Ferner sei es mir erlaubt, die Zuschrift eines jungen Arztes wiederzugeben. Viel- leicht stimmt sie einige Ordinarien, so sie das „Deutsche Ärzteblatt" je- mals lesen, doch ein wenig nach- denklich. Der heute übertriebene Objektivitätswahn in der Medizin hat mit Heilkunst nur mehr wenig zu tun, denn Kunst bleibt immer eine sub- jektive Leistung, die ihre Grenzen kennt und beachtet. Eine Medizin, die den Tod ignoriert, macht sich lächerlich. Der Brief: „Ich habe Ihren Beitrag im Deutschen Ärzteblatt 40/

41 mit Freude gelesen. Seit acht Mo- naten arbeite ich als Medizinalassi- stent an großen Kliniken. Nach mei- nem Staatsexamen im Februar die- ses Jahres begann ich mit Begeiste- rung und vielen Erwartungen, meine an der Universität erworbenen im wesentlichen theoretischen Kennt- nisse in der Praxis anzuwenden.

Doch inzwischen bin ich als Anfän- ger von der Krankenhaus-Medizin mit ihren großen apparativen Mög- lichkeiten enttäuscht und fühle ein beständiges Unbehagen bei meiner Arbeit, die mich oft nicht befriedigt.

Insbesondere die Überdosierung der Medizin - wie Sie es nennen - in Diagnostik und Therapie, die fehlen- de religiöse Verankerung der Medi- zin, die mangelhafte prä- und post- klinische Präventivmedizin und das ungenügende Eingehen auf seeli- sche Störungen des Patienten berei- tet mir Kummer. Ich habe oft über die Gründe meines Unbehagens nachgedacht, ohne mir genau dar- über klar zu werden. Durch Ihren hervorragenden Artikel, dem ich in allen wesentlichen Punkten zustim- me, habe ich die Gründe meiner Ent- täuschung erkannt und neuen Mut geschöpft. Dafür möchte ich Ihnen herzlich danken." Endlich noch die Worte eines Facharztes für Innere Medizin: „Ich möchte Ihnen sehr da- für danken, daß Sie zu Papier ge- bracht haben und veröffentlichen konnten, was sicher ein Großteil der Ärzteschaft denkt."

Dr. med. A. Vogl Grillchaussee 100 2208 Glückstadt

FORUM

Multiple-choice- Prüfung

und ärztliche Berufsfähigkeit

Gerhard Kienle und Werner Kreysch

Das Medizinstudium ist in ei- ner schweren Krise: Das Ziel der neuen Approbationsord- nung, das praxisnahe Stu- dium, wurde nicht erreicht.

Die schriftliche Prüfung gibt keinen Aufschluß über die Eignung zum ärztlichen Beruf.

So wird schon die Gefahr an die Wand gemalt, daß die Krankenkassen eine zweite -

„kasseneigene" - ärztliche Prüfung als Voraussetzung für die kassenärztliche Tätigkeit einführen möchten. Ohne eine geeignete mündliche und praktische Prüfung, so mei- nen die Verfasser, drohe ein Chaos in der ärztlichen Ver- sorgung.

Dieser Beitrag faßt die Argumente zusammen, die die Anwendung der eingeführten Multiple-choice-Prü- fungen (MC) im Medizinstudium fragwürdig erscheinen lassen und sie teilweise sogar verbieten. Das Selbstverständnis der schriftlichen Prüfung lautet nach dem Ergebnis- bericht über die schriftlichen Prü- fungen nach der Approbationsord- nung für Ärzte vom März 1977: „Es muß ... betont werden, daß die schriftlichen medizinischen Prüfun- gen Lernleistungstests sind, die prü- fen sollen, ob die erforderlichen Kenntnisse nach Abschluß eines Studienabschnittes vorhanden sind.

Sie haben nicht die Aufgabe, die Be- rufsfähigkeit der Medizinstudenten festzustellen."

838 Heft 14 vom 6. April 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Multiple-choice-Prüfung

Diese Sätze schildern die Schwierig- keit, in die die Medizinerausbildung nach Einführung der neuen Appro- bationsordnung für Ärzte (AO) im Jahr 1970 und daran anschließend nach Einführung zentraler schriftli- cher Leistungstests gekommen ist.

Sie umreißen die hilflose Situation der für die Ausbildung Verantwortli- chen, die einen Studiengang konzi- piert haben, bei dem sie nicht wis- sen, welche Fähigkeiten der Studen- ten ausgebildet werden sollen, und ein Prüfungsverfahren erfunden ha- ben, dessen Korrelation zur Berufs- fähigkeit, die ja angestrebt ist, sie nicht kennen. Andererseits wird die Berufsfähigkeit im wesentlichen aufgrund der zentralen Leistungs- tests bescheinigt.

Eine Prüfung auf Berufsfähigkeit muß eine Prüfung in konkreten Si- tuationen sein oder in Modellen, die konkrete Situationen simulieren.

Dies wurde bei der Konzipierung der AO jedoch nicht berücksichtigt.

Praktika stehen im Mittelpunkt Das Herzstück der AO sind die Prak- tika. Man ging von der Vorstellung aus, daß eine Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme nur aus- gestellt werden kann, wenn die je- weils zu erwerbenden Fähigkeiten durch die Prüfung auch tatsächlich festgestellt sind. Ob sich die Eig- nung zum ärztlichen Beruf in dieser Weise additiv während des Stu- diums feststellen läßt, ist nicht wei- ter untersucht worden. Die spezi- fisch ärztliche Tätigkeit ist jedenfalls durch die Integration gekennzeich- net, und diese ist mehr als die Sum- me der Teile. Es ist nicht entschie- den, ob diese Möglichkeit in der dis- kontinuierlichen praktischen Prü- fung auch real besteht oder ob ihr nur eine Alibifunktion zur Durchset- zung der schriftlichen Prüfung zu- kommt. In Wirklichkeit findet eine integrierende Art der praktischen Prüfung nicht statt.

Die Konsequenzen werden langsam überschaubar: Es kommt immer häufiger vor, daß die jungen, gerade mit dem Studium fertigen und zur

Bundeswehr eingezogenen Ärzte beispielsweise keine intravenöse Spritze setzen oder keinen Gipsver- band anlegen können.

Welches sind die Ursachen dieser Entwicklung? — Wegen der bekann- ten und nicht geleugneten Schwie- rigkeiten, ein Arztbild zu formulie- ren, hat die Approbationsordnung auf eine solche Formulierung bezie- hungsweise eine Präzisierung von Richtzielen für die Ausbildung ver- zichtet. Dieser Mangel führte zusam- men mit positivistischem Pragmatis- mus dazu, einen Katalog von zum Teil sehr detaillierten Kenntnisanfor- derungen aufzustellen und in der Folge nur das alternativ als Frage zu stellen, was auch leicht zu prüfen ist: im wesentlichen die Kenntnis von Fakten und Kausalzusammen- hängen. Aufgaben, die sich auf hö- here kognitive Lernziele wie Analy- se, Synthese oder Beurteilung be- ziehen, werden so gut wie nicht ge- stellt. Der ganze Bereich der affekti- ven Lernziele (gedankliche Leistun- gen wie Aufnehmen, Beobachten, Antworten, Wertung, Aufbau einer Werthierarchie usw.) sowie die Rei- he der psychomotorischen Lernziele werden bei diesen Tests völlig ver- nachlässigt. In der Konsequenz ist auch die eigentlich zu fordernde Er- folgsvalidierung (werden Kandida- ten mit guten Testergebnissen auch später gute Ärzte oder nicht?) er- setzt worden durch die wesentlich aussageschwächere lnhaltsvalidie- rung, das heißt, es wird für jede Auf- gabe nur geprüft, ob sie sich auf einen Stoff aus dem Lernzielkatalog bezieht oder nicht. Nimmt man noch hinzu, daß die Prüflinge im Durch- schnitt eineinhalb Minuten Zeit zur Bearbeitung einer Frage — also Le- sen, Überdenken der Fragestellung und Finden der Antwort — haben, so erkennt man, was mit dieser Prü- fungsmethode angerichtet worden ist.

Kein Nachweis der Berufseignung Die Zulassung zum Arzt wurde dem

„Modell" der Heilpraktikerprüfung angepaßt. Man geht von der Kurier- freiheit aus, die durch bestimmte

Regeln oder Verbote eingegrenzt ist.

So wie beim Heilpraktiker wird auch nunmehr für den Arzt auf den Nach- weis der Berufseignung verzichtet.

Die Prüfung erstreckt sich nur auf ein bestimmtes Wissen, für den Heil- praktiker bezüglich der Verbote, für den Arzt auf Wissensinhalte und Ge- bote. Das Zulassungsverfahren ist im Prinzip gleichartig, wenn auch keinesfalls gleichwertig. Damit ist aber das Wesen der Approbation als Arzt aufgegeben.

Die Fähigkeit zur freien Formulie- rung ist bei MC-Tests überhaupt nicht erforderlich. Wissenschaftli- che Arbeit einerseits und das beson- dere Arzt-Patient-Verhältnis ande- rerseits erfordern aber, daß der Arzt sich in seinen Überlegungen und Problemen verständlich machen kann.

Untersuchungen über das Lernver- halten von Studenten, die wissen, daß sie nach dem MC-Verfahren ge- prüft werden, weisen auf weitere ne- gative Folgen hin: Das Denken in Problemlösungen wird durch Fak- ten-Pauken ersetzt. Unbeliebte Fachgebiete werden zugunsten an- derer völlig vernachlässigt; das gan- ze Studium ist auf den Test hin orientiert. Als Gründe für die Einfüh- rung der schriftlichen MC-Tests werden vor allem größere Objektivi- tät, erhöhte Chancengleichheit und bequemere technische Durchführ- barkeit genannt.

Objektivität im Sinne der Testtheorie ist charakteristisch durch folgende Komponenten:

a) Unabhängigkeit vom Prüfer;

b) Durchführungsobjektivität und c) Normierung der Auswertung.

Der Punkt c) ist für die MC-Tests sicher erfüllt. Eine Normierung von Einflüssen der Prüfungssituation (Durchführungsobjektivität) kann aber erfahrungsgemäß wegen der bei jedem Kandidaten unterschiedli- chen Prüfungsangst nicht erreicht werden; im Gegenteil: Ein (mensch-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 6. April 1978 839

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Multiple-choice-Prüfung

licher) Prüfer kann auf diese subjek- tiven Komponenten des Kandidaten eingehen und trotzdem ein korrek- tes Bild von dessen Leistungsfähig- keit erhalten. Allgemeiner formu- liert: Objektivität im obigen Sinne macht den Prüfling zu einer „Ma- schine", aus der die Kenntnisse per Knopfdruck herauszuholen sind; sie vernachlässigt alle Einflüsse, die durch den Kandidaten selbst — um den es ja gerade geht — in die Prü- fungssituation hineinkommen.

Eine genauere Ausleuchtung der Prüfungsbedingungen offenbart das Gegenteil der vielzitierten Chancen- gleichheit, die das Auswerteverfah- ren sicherstellen soll. Die MC-Aufga- ben sind oft so konstruiert, daß eine Frage selbst bei vollständiger Kennt- nis des Sachverhalts nicht korrekt beantwortet werden kann, weil sich die Alternativen entweder teilweise überlappen oder nicht in vollem Um- fang zutreffen, oder aber die Falsch- antworten einfach den Stand der Wissenschaft vor 5, 10 oder 20 Jah- ren beschreiben.

Der gute Student kann in einer Prü- fung mit freier Antwort (mündlich oder schriftlich) die entsprechende Problematik beschreiben und wird eine gute Note erhalten. Er fragt sich beim Lesen der MC-Fragen: „Was 'vollen die denn nun hören?", d. h.

entscheidend ist nicht die Kenntnis des Studenten, sondern seine Ein- stellung auf die MC-Fragen, bei de- nen zu viel Nachdenken schon allein aus zeitlichen Gründen nur schadet.

Die Prüfung schlägt in ihr Gegenteil um: Zu viel Nachdenken und Pro- blembewußtsein erschweren die Aufgabenlösung!

Grautöne im Leistungsspektrum der Kandidaten können wegen der Schwarzweißstruktur der Aufgaben- lösungen mit einer Einzelaufgabe nicht erfaßt werden, die Alternativen unterscheiden sich oft nur in fein- sten Details. Bei einer mündlichen Prüfung kann vom Prüfer sehr wohl herausgearbeitet werden, wie weit die Kenntnisse des Kandidaten ge- hen. Bei den MC-Aufgaben wird le- diglich festgestellt: er weiß bezie- hungsweise rät es oder nicht!

Praxisnahe Abschlußprüfung Stellt man sich die Frage, ob es sich bei den beschriebenen Schwierig- keiten um grundsätzliche oder um praktische Probleme handelt, die nur wegen der unvollkommenen Durchführung einer im Prinzip voll- kommenen Methode auftreten, so muß man zugestehen, daß der Kern des Problems im Übergang vom ei- gentlich Gewünschten zum tech- nisch Machbaren liegt. Die prakti- sche Prüfung, die ein Modell der Realität ist, kann nicht durch besse- re Fragestellungen ersetzt werden.

So sollte von einer Abschlußprü- fung, die die Berechtigung zur freien Arzttätigkeit nach sich zieht, grund- sätzlich gefordert werden, daß darin ein repräsentatives Spektrum der Probleme angesprochen wird, die auch in der täglichen Praxis auftre- ten und sinnvoll bewältigt werden müssen. Es müßte demnach ein Fall diagnostiziert und eventuell ein The- rapievorschlag unterbreitet werden.

Solche Aufgaben gibt es beim Insti- tut für medizinische und pharma- zeutische Prüfungsfragen (IMPP), Mainz, auch, sie werden aber wegen des verhältnismäßig großen Aufwan- des nur sehr sparsam eingesetzt. Ob der Arzt jedoch mit einem Patienten sprechen, seine Verfassung visuell beurteilen und auch gezielt untersu- chen kann, bleibt unbekannt.

Liest man schließlich in der Selbst- darstellung des Instituts für medizi- nische und pharmazeutische Prü- fungsfragen, daß — weil doch ein Arztbild fehle — man überlegen solle, ob nicht der Lernzielkatalog ein Er- satzarztbild darstellen könne, so ist hier schlicht die Überlegung umklei- det, das Arztbild durch die Prü- fungsmethode zu bestimmen, das heißt der Weg bestimmt das Ziel.

Grenzen psychologischer Tests Psychologische Tests, zu denen als Spezialfälle Leistungs- und Eig- nungstests gehören, sind bei sorg- fältiger Anwendung Hilfsmittel, um Aussagen über gewisse Fähigkeiten und Kenntnisse eines Menschen zu erlangen.

Die „Theorie" erlaubt bei gewissen- haftem Vorgehen Schlüsse in der Form statistischer Aussagen. Die an- gewandten Testverfahren halten aber oft einer strengen methodi- schen Kritik nicht stand, insbeson- dere ist die Validität gering, zum Teil gar nicht oder unzureichend über- prüft. Außerdem haben die Tests Rückwirkungen auf das Sozial- und Lernverhalten von Schülern und Studenten, die sicherlich nicht er- wünscht sind und sogar unwissen- schaftliches Vorgehen fördern.

Man sollte sich die Gründe für diese Entwicklung ehrlich eingestehen:

Von dem Menschen wird keine Notiz genommen, damit werden die Prü- fungen ungerecht. Sie sind geeig- net, die hohen Studentenzahlen for- mal zu bewältigen, und geben den Hochschullehrern die Möglichkeit, die Verantwortung sowohl für die Beurteilung des einzelnen Studen- ten als auch für die Gesamtentwick- lung des Medizinstudiums auf die Anonymität staatlicher Behörden abzuschieben. Hinzu kommt eine Amerika-Euphorie und der Glaube an den Offenbarungscharakter stati- stischer Aussagen.

MC-Tests sollten daher nur in dem Umfange eingesetzt werden, in dem ihre Aussagekraft nachgewiesen ist, z. B. zur Überprüfung der unteren Lernzielhierarchien im kognitiven Bereich. Das relative Gewicht der Ergebnisse in der Gesamtbeurtei- lung muß dem relativen Gewicht der so nachgewiesenen Lernziele an den Gesamtlernzielen entsprechen, d. h. für die Arztausbildung, daß eine Kombination von Teilprüfungen zu fordern ist, in der alle Lernziele (ko- gnitive, affektive und psychomotori- sche) überprüft werden. Das Ge- samtergebnis ergibt sich als gewich- tetes Mittel der Teilergebnisse. Ins- besondere muß das Ergebnis der MC-Tests durch die Leistungen in den anderen Prüfungen korrigierbar sein.

Es sollen abschließend noch einige Bemerkungen zur Verwendung schriftlicher MC-Tests als Hoch- schuleingangstests gemacht wer-

840 Heft 14 vom 6. April 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Multiple-choice-Prüfung

den. Hierzu liegen eine Reihe von Untersuchungen vor, deren Ergeb- nisse wie folgt zusammengefaßt werden können:

1. Es gibt bisher keine Testverfah- ren, die zuverlässige Langprogno- sen über die spätere Entwicklung der Kandidaten ermöglichen, zumal die Eigenschaften, die einen „Wis- senschaftler" kennzeichnen, noch zu wenig bekannt sind.

2. Abiturnoten allein besitzen trotz der schlechten Korrelation zum Stu- dienabschluß und zum beruflichen Erfolg in der Medizin einen wesent- lich höheren Voraussagewert als Tests.

3. Eine Kombination aus Noten und verschiedenen Tests, in die die Teil- ergebnisse mit empirisch ermittelten Gewichtsfaktoren eingehen, weist an sich den bisher besterreichbaren Zusammenhang mit dem Studiener- folg auf. Die dabei erreichbaren Vali- dierungskoeffizienten liegen aber immer noch nicht sehr hoch und führen zu einer Anzahl von Fehlent- scheidungen.

Es soll darauf hingewiesen werden, daß im primären und sekundären Bildungsbereich die Entwicklung in den letzten Jahren von den Ein- gangsprüfungen weg zu Erpro- bungsstufen geführt hat. Nur im ter- tiären Bildungsbereich ist eine Be- obachtungsstufe nicht üblich. Psy- chologische Tests als Eignungstests sollten weniger zur Selektion als vielmehr zur Beratung der Studen- ten verwendet werden.

Der wohl allseits unbestrittene Qua- litätsverlust der Absolventen ärztli- cher Ausbildung dürfte zum Teil auf die schriftliche Prüfung, zum Teil auf die Überfüllung des Studiums durch „Kapazitätsberechnung" und verwaltungsgerichtliche Zuteilung von Studienplätzen zurückzuführen sein. Wenn aber Ausbildungsord- nung und Verwaltungsgerichtspra- xis nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zur inhaltlichen Auf- hebung der ärztlichen Approbation führen und eine unabsehbare Ge- fährdung der Volksgesundheit zu er-

warten ist, so muß doch ernsthaft geprüft werden, wie dies alles mit dem Auftrag unserer Verfassung in Einklang zu bringen ist.

Beispiele

aus IMPP-Aufgaben

Die folgende Aufgabe verdeutlicht, warum ein guter Student mit mehr als Durchschnittswissen Schwierig- keiten bei der Lösung haben kann, die ein durchschnittlicher Student nicht hat.

Aufgabe 1 (Nr. 40):

Welche Aussage trifft zu?

Wird beim radioaktiven Zerfall die Ordnungszahl der Tochtersubstanz gegenüber der der Muttersubstanz erhöht, so muß

(A) eine ß-Strahlung vorliegen;

(B) eine a-Strahlung vorliegen;

(C) ein künstlich radioaktiver Stoff zerfallen sein;

(D) eine y-Strahlung vorliegen;

(E) Eine präzise Aussage läßt sich in diesem Falle nicht machen.

Die richtige Antwort ist A. Nun gibt es aber zwei Arten von (3-Zerfall, die sich hinsichtlich der Ordnungszahl der Tochtersubstanz unterschied- lich verhalten, den bekannten ß -

-Zerfall:

Neutron Proton + Elektron + An- tineutrino

(Ordnungszahl der Tochtersubstanz um 1 erhöht)

und den weniger bekannten (3 + -Zer- fall:

Proton Neutron + Positron + Neutrino

(Ordnungszahl der Tochtersubstanz um 1 erniedrigt!)

Für einen Studenten, der nur den ersten Zerfallstyp kennt, ist die Be- antwortung der Frage leicht, wer

auch von dem zweiten weiß, muß wegen der Zweideutigkeit des Aus- drucks „ß-Strahlung" länger nach- denken. Nur die raffinierte Formulie- rung bewahrte hier die Konstrukteu- re vor einer völlig falsch gestellten Aufgabe.

Aufgabe 2 (Nr. 41) Welche Aussage trifft zu?

Myocardinfarkte werden am häufig- sten verursacht durch :

(A) Koronarsklerose mit weitgehen- der Stenose bzw. Obliteration der Lichtung;

(B) thromboembolischen Verschluß eines der großen Äste beider Kranzarterien;

(C) obturierende Thrombose eines oder mehrerer großen Äste der Koronararterien bei intakter Intima;

(D) schwere Hypoxämie;

(E) Anämie.

Wenn der Stade,:} weiß. daß bei 20 Prozent aller Herziniarkte keine Ko- ronarsklerose zu finden ist, und daß etwa die Hälfte der Infarkte nicht im Versorgungsbereich stenosierter Koronargefäße liegen und daß man die Mehrzahl der Herzinfarktpatien- ten einer Antikoagulantien-Dauer- behandlung unterzieht, dann kann er nur noch fragen, welchem Para- digma der Vorzug gegeben wird. Der Student muß also Meinungsfor- schung betreiben.

Anschrift der Verfasser:

Privatdozent

Dr. med. Gerhard Kienle Dr. rer. nat. Werner Kreysch Gemeinnütziges

Gemeinschaftskrankenhaus Beckweg 4

5804 Herdecke/Ruhr

DEUTSCHES ARZTEBL ATT Heft 14 vom 6. April 1978 841

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