D
ie minimalinvasive Chirurgie (MIC) wird nach Einführung von Asepsis und Anästhesie als die dritte pa- tientenfreundliche Revolution in der Chirurgie bezeichnet. In einer Vielzahl von randomisiert kontrollierten Studien sowie Metaanalysen konnten signifikan- te Vorteile gegenüber offenen Operatio- nen – im Besonderen bezogen auf alle schmerzassoziierten Parameter – nach- gewiesen werden. Die Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie kommen allerdings nur dann zum Tragen, wenn die Operati- on möglichst komplikationsarm durchgeführt wird.„Patienten mit postoperati- ven Komplikationen und sol- che, bei denen während des Eingriffs auf die offene Technik konvertiert werden muss, zei- gen ein schlechteres Ergebnis als Patienten, die primär offen operiert werden“, sagte Prof.
Dr. med. Reinhard Bittner (Ma- rienhospital Stuttgart) auf dem 123.Kongress der Deutschen Ge- sellschaft für Chirurgie (DGCH) in Berlin. Die zur DGCH ge- hörige Deutsche Gesellschaft für Viszeralchirurgie, deren Vorsitzen- der Bittner ist, hat daher eine struktu- rierte Ausbildung formuliert (Kasten), die Operationstechniken standardisiert und bietet seit zwei Jahren die Zu- satzausbildung „Minimalinvasive Chir- urgie“ an.
Die Ärzte werden bei Live-OPs und im Rahmen von kommentierten Video- Demonstrationen geschult. Inzwischen wurde ein Netzwerk von Hospitations- kliniken geschaffen, in denen Chirur- gen die Operationstechniken der Ex- perten studieren können. Letztlich müssen Bewerber für die Zusatzqualifi-
kation drei ungeschnittene Operations- Videos einreichen, mit denen der Chir- urg seine Expertise unter Beweis stellt.
„Das Ziel dieser Neuerungen ist vor al- lem, die Sicherheit für den Patienten zu erhöhen“, so Bittner. Mit diesem Nach- weis habe man ein Instrument geschaf- fen, die operativen Fähigkeiten eines Be- werbers vergleichsweise objektiv ein- schätzen zu können. Dieses Kriterium sei
nicht nur in Deutschland, sondern welt- weit ein Novum.
Bislang absolvierten jedoch viel zu wenig Ärzte die Schulung, kritisierte Bittner. Bis dato seien lediglich siebzig Zertifikate verliehen worden. Er führt die geringe Nachfrage vor allem darauf zurück, dass die Kliniken diese Zusatz- qualifikation bei Stellenausschreibun- gen zu selten verlangen. Doch auch die Patienten könnten die ärztliche Qualifi- kation fördern, indem sie sich vor einer
„Schlüsselloch-OP“ nach der Zusatz- qualifikation erkundigten. „Die vieler- orts selbst ernannten Zentren für mini-
malinvasive Chirurgie gewährleisten kei- ne Garantie für Qualität“, sagte Bittner und warnte vor Etikettenschwindel: „Das ist kein geschützter Begriff.“
Etwa 70 Prozent aller viszeralchirur- gischen Operationen erfolgen heute mi- nimalinvasiv. Doch das jüngste Kind der Chirurgie war lange Zeit heftigst um- stritten – aus unterschiedlichen Grün- den. „Da es sich um komplett neue Tech-
niken handelt, müssen auch erfahrene Chirurgen nochmals die Schulbank drücken“, sagte Bittner. Das „indirek- te“ Arbeiten mit verlängertem Instru- mentarium im zweidimensionalen Blick- feld erfordert neue Sehgewohnheiten.
Gewöhnungsbedürftig ist für Chirurgen das reduzierte taktile Gefühl, sodass das Präparieren deutlich erschwert ist.
Auch eine während der Operation auf- tretende Blutung ist schwieriger zu stil- len als bei einer offenen Operation. Be- sonders in der Aufbauphase neuer Ope- rationstechniken ist die Operationszeit verlängert. „Insgesamt ist das Erlernen M E D I Z I N R E P O R T
A
A1274 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 19⏐⏐12. Mai 2006
Minimalinvasive Chirurgie
Deutsche Operateure setzen internationale Standards
Strukturierte Ausbildung mit Zusatzqualifikation / Standardisierung der Operationstechniken / Auch Kinder profitieren von der Technik
Das minimal- invasive Ope- rieren im zwei- dimensionalen Blickfeld erfordert ein langfristiges Training des Chirurgen.
Foto:Caro
der MIC ein schmerzhafter, zeitaufwen- diger Prozess, der zudem nicht von je- dem Klinikleiter gefördert wird – das schließt auch Universitätskliniken ein“, betonte Bittner. So verfügt nur die Uni- versität Tübingen unter der Leitung von Prof. Dr. med. Gerhard F. Bueß über das einzige universitäre Trainingszentrum für minimalinvasiv tätige Chirurgen aus dem In- und Ausland.
Eine organisierte Anhängerschaft mit strukturierten Aus- und Weiterbildungs- plänen gab es nicht und war abhängig vom Engagement Einzelner. Doch das hat sich in den letzten Jahren geändert – durch den unermüdlichen Einsatz von Einzelkämpfern und nicht zuletzt durch die Gründung der „Chirurgischen Ar- beitsgemeinschaft Minimalinvasive Chir- urgie“ (CAMIC) als Interessenvertre- tung aller chirurgisch minimalinvasiv tätigen Fächer vor sechs Jahren.
„Jetzt sind wir eine starke Organisa- tion mit über 600 Mitgliedern. In zahllo- sen Veranstaltungen wurden die mini- malinvasiven Operationstechniken de- monstriert und in offener freundschaft- licher Atmosphäre, basierend auf wis- senschaftlichen Erkenntnissen, ihre Sinn- haftigkeit diskutiert, sodass wir heute in vielen Bereichen auf sicheren Boden gelangt sind“, berichtete Bittner.
Pioniere in der Kinderchirurgie
Seit dem ersten MIC-Eingriff im Jahr 1981 – eine Appendektomie, durchge- führt von Prof. Dr. med. Karl Semm – sind weltweit rund 3 000 wissenschaftli- che Arbeiten veröffentlicht worden.Als evidenzbasiert gelten heute die Chole- zystektomie, die Hernioplastik und die kolorektale Resektion. Um die man- gelnde Akzeptanz der MIC zu steigern, plädiert die CAMIC für
> die Einrichtung eines nationalen Instituts für Aus- und Weiterbildung mit telekommunikativer Vernetzung zu den operativen Zentren,
> die Berücksichtigung der laparo- skopischen Chirurgie in der Berufungs- strategie der Universitäten sowie eine
> adäquate Abbildung der minimal- invasiven Eingriffe im DRG-System.
Von der Öffentlichkeit bisher wenig beachtet ist die minimalinvasive Chir- urgie beim Kind. Dabei werden selbst
Neugeborene routinemäßig mit speziell entwickelten Instrumenten operiert.
„Deutsche Kinderchirurgen gehörten zu den Pionieren dieser Operations- technik auch in dieser Altersklasse. Ei- nige davon zählen heute zu den interna- tional bekanntesten Vertretern ihres Faches. Sie haben nahezu die ganze Welt bereist, um diese Technik bekannt zu machen“, berichtete der Präsident
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- chirurgie, Prof. Dr. med. Felix Schier (Universität Mainz).
Unterstützt werde die Kinderchirur- gie von der deutschen Instrumenten- technik, die den weltweiten Markt der minimalinvasiven Instrumente domi- niert. „Es gibt seit kurzem vollständige Sets von Instrumenten von nur zwei Millimeter Durchmesser. Damit wer- den selbst stundenlange, große Ein- griffe an kleinen Kindern vorgenom- men“, so Schier. An speziellen kinder- chirurgischen Kliniken würden pro Tag drei bis fünf Kinder minimalinvasiv operiert. Die Mehrzahl der Eingriffe betrifft Neugeborene mit angebore- nen Fehlbildungen – wie Ösophagus- atresie, Gallengangsatresie, Darmatre- sie, Analatresie oder wegen fehlender Nervenzellen im Dickdarm (Morbus Hirschsprung).
„Alle diese Operationen benötigten bis vor kurzer Zeit künstliche Ausgänge, mehrere Operationen mit jeweils mona- telangen Zwischenpausen – ganz abge- sehen von den ausgedehnten Schnitten, die im Laufe der Jahre proportional mit- wachsen und später kosmetisch stören.“
Heute können viele dieser Eingriffe mi- nimalinvasiv, ohne künstliche Darm- ausgänge, mit stationären Aufenthalten von wenigen Tagen, praktisch ohne Drainagen und mit sofortiger Rückkehr zur normalen Kost erledigt werden. Der früher übliche tagelange „Kostaufbau“
mit Tee und Zwieback sei nahezu abge- schafft. Etliche Operationen – zum Bei- spiel Nierenbeckenstenosen – lassen sich ambulant vornehmen, was bis vor kurzem undenkbar war.
Auch Routineeingriffe wie die Ap- pendektomie, die Leistenbruchoperati- on oder die Pylorushypertrophie wer- den heute bei Kindern minimalinvasiv operiert – in einigen Klinik routi- nemäßig. Damit kann der durchschnitt- liche stationäre Aufenthalt in manchen kinderchirurgischen Kliniken nur 2,7 Tage betragen. „Der früher so häufig diskutierte Hospitalismus kann sich da gar nicht erst entwickeln. Auch für ein regelrechtes Spielzimmer gibt es in einer solchen kinderchirurgischen Abteilung keinen Anlass mehr“, so Schier in Berlin: „Wer spielen kann, kann meist auch gleich nach Hause gehen.“ Dr. med. Vera Zylka-Menhorn M E D I Z I N R E P O R T
A
A1276 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 19⏐⏐12. Mai 2006
Erforderliche Nachweise zum Erwerb der Zusatzqualifikation „Minimalinva- sive Chirurgie“
1. Die Teilnahme an zwei mehrtägigen Fort- bildungsveranstaltungen der Chirurgi- schen Arbeitsgemeinschaft Minimalinva- sive Chirurgie (CAMIC), die Live-Opera- tionen bieten und in denen einzelne Ope- rationstechniken (Cholezystektomie, Her- nioplastik, Kolonresektion, Fundoplicatio, diagnostische Laparoskopie, Appendek- tomie) systematisch vermittelt werden 2. Die Teilnahme an einer von der CAMIC
empfohlenen Fortbildungsveranstaltung zur Erlernung der laparoskopischen Basis- techniken, zum Beispiel mit Pelvitrainer oder am Tiermodell
3. Fünf ganztägige Hospitationen an autori- sierten Hospitationskliniken (zum Beispiel Hospitationskliniken der CAMIC) 4. Die Kameraführung bei 150 laparoskopi-
schen oder retroperitoneoskopischen oder extraperitonealen Eingriffen
5. 150 selbstständig ausgeführte laparosko- pische oder retroperitoneoskopische oder extraperitoneale Eingriffe:
a) 100 Eingriffe der einfachen Gruppe – wobei mindestens drei verschiedene durchgeführt werden müssen: Chole- zystektomie,Adhäsiolyse,Appendekto- mie, Hernie (TAPP oder TEP), Colosto- ma, Ileostoma, Gastrotomie
b) 50 Eingriffe aus der schwierigen Grup- pe: Fundoplicatio, Kolonresektion, Ad- renalektomie, Splenektomie, Pankreas- resektion, Magenresektion, Ösopha- gusresektion (mindestens zwei ver- schiedene Eingriffe müssen duchge- führt werden)
6. Die verantwortliche Assistenz von 30 Ein- griffen der Gruppe 5 a)
7. Die Vorlage von drei ungeschnittenen Vi- deobändern mit je einem selbstständig durchgeführten Eingriff bei einem Gut- achter der CAMIC (obligat: Cholezystek- tomie und Kolonresektion; fakultativ:
Fundoplicatio oder Hernioplastik).