• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Das apallische Syndrom: Diagnose, Prognose und ethische Probleme" (14.03.1997)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Das apallische Syndrom: Diagnose, Prognose und ethische Probleme" (14.03.1997)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

V

or dem Hintergrund der kon- troversen und teilweise emo- tional besetzten Diskussion über ethische Aspekte des apallischen Syndroms ist die Festle- gung einheitlicher diagnostischer Kri- terien besonders wichtig. In den ver- gangenen fünf Jahren wurden von amerikanischen Expertenkommissio- nen (Multi-Society Task Force und American Neurological Association), an denen Neurologen, Neurochirur- gen und Neuropädiater beteiligt wa- ren, derartige Kriterien erarbeitet und publiziert (1, 22, 23, 24). Auch in Europa wird diese Thematik im Rah- men eines von der Europäischen Uni- on geförderten Verbundprojektes in- tensiv erforscht und diskutiert (16).

Der Begriff „apallisches Syndrom“

wird im vorliegenden Artikel syn- onym verwendet mit der englischen Bezeichnung „persistent vegetative state“; die Schwierigkeiten bezüglich der Nomenklatur werden später er- läutert.

Diagnostische Kriterien

Das apallische Syndrom ist ein neurologisches Krankheitsbild, das durch schwere zerebrale Funktions- störungen verursacht wird, wobei un- terschiedliche Ursachen zugrunde liegen können (1, 11, 22, 23). Häufig handelt es sich vorwiegend um aus- gedehnte kortikale Läsionen (9, 22).

Aber auch diffuse Marklagerschädi- gungen (22) sowie bilaterale Thala- musläsionen (17) können als wesent- liches morphologisches Korrelat dem apallischen Syndrom zugrunde- liegen.

Bei den betroffenen Patienten fehlen jegliche Hinweise auf eine be- wußte Wahrnehmungsfähigkeit der eigenen Person und der Umwelt, eine Interaktion mit dem Untersucher ist nicht möglich. Sprachverständnis und expressive Sprachfunktionen sind aufgehoben. Es besteht jedoch ein Schlaf-Wachzyklus, so daß die Patien- ten intermittierend wach sind und die

Augen geöffnet haben. Bei der Un- tersuchung zeigen sich keinerlei will- kürliche Reaktionen auf visuelle, akustische, taktile oder nozizeptive Reize.

Es handelt sich somit um eine Be- wußtseinsstörung, bei der nicht die Wachheit, sondern die Wahrneh- mungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

Vegetative Funktionen, wie Tempera- tur-, Kreislauf- und Atemregulation, die im Hypothalamus und im Hirn- stamm integriert werden, sind so weit erhalten, daß ein Überleben der Pati- enten möglich ist, wenn entsprechen- de medizinische und pflegerische Maßnahmen gewährleistet sind. Hirn- stammreflexe und spinale Reflexe sind in unterschiedlichem Ausmaß noch auslösbar. Schließlich besteht bei Patienten mit apallischem Syn- drom regelmäßig eine Harn- und Stuhlinkontinenz.

Als wesentliches klinisches Merkmal des apallischen Syndroms fehlen also bei der Verhaltensbeob- achtung der Patienten Hinweise auf elementare kognitive Funktionen.

Der Schlaf-Wachrhythmus ist erhal- ten, jedoch häufig gestört. Bezeich- nend ist, daß die Patienten mit apalli- schem Syndrom keinen Blickkontakt aufnehmen, Objekte nicht fixieren und zu keiner Blickfolge in der Lage sind. Manche Patienten zeigen auf

akustische und/oder visuelle Reize eine Kopf- und Augenwendung zur jeweiligen Reizquelle, was jedoch als primitiver Orientierungsreflex und nicht als willkürliche Reaktion zu werten ist. Andere Primitivreflexe, wie Palmomental- oder Greifreflex, können ebenfalls auslösbar sein.

Außerdem treten nicht selten spon- tane oder durch äußere Reize indu- zierte Myoklonien auf. Die unwill- kürliche Motorik kann sich auch in Form von ungezielten Rumpf- und Extremitätenbewegungen manife- stieren, aber auch subkortikal gene- rierte mimische Äußerungen, wie Grimassieren, Lächeln oder Weinen werden gelegentlich beobachtet.

Mitunter äußern apallische Patien- ten verschiedene Laute (Schmatzen, Zähneknirschen oder Grunzen), die teilweise durch orale Automatismen bedingt sind.

Unerfahrene Untersucher und insbesondere auch Angehörige ver- kennen die hier beschriebenen un- willkürlichen motorischen Phänome- ne bisweilen als willkürliche Reak- tionen.

Die fehlende Wahrnehmungs- fähigkeit apallischer Patienten läßt sich nach wissenschaftlichen Krite- rien derzeit nicht beweisen. Den- noch ist diese Annahme gut begrün- det, insbesondere wenn sich bei ein- deutig erfüllten klinischen Kriterien des apallischen Syndroms in bildge- benden Untersuchungen ausgedehn- te Hirnparenchymläsionen nachwei- sen lassen. Denn die anatomische In- tegrität der Großhirnstrukturen ist eine wesentliche Voraussetzung für die bewußte Wahrnehmungsfähig- keit (17).

Das apallische Syndrom kann vorübergehend auftreten oder irre- versibel sein. Die Diagnosestellung ist bei reif geborenen Kindern erst nach dem dritten Lebensmonat zuverlässig möglich. Bei reifen Neugeborenen und Frühgeborenen ergeben sich dia- gnostische Schwierigkeiten, die in ei- ner aktuellen Übersicht näher erläu- tert werden (5).

A-661 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 11, 14. März 1997 (41)

Das apallische Syndrom ist eine Bewußt- seinsstörung, die aus schweren zerebra- len Funktionsstörungen unterschiedli- cher Genese resultiert und durch aufge- hobene Wahrnehmungsfähigkeit bei er- haltener Wachheit charakterisiert ist. In der vorliegenden Übersicht werden ak- tuelle diagnostische und prognostische Kriterien sowie ethische Fragen zum apallischen Syndrom zusammengefaßt.

Das apallische Syndrom

Diagnose, Prognose und ethische Probleme

Wilhelm Nacimiento

Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Johannes Noth) der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen

(2)

Differentialdiagnosen

Aufgrund der klinischen Befun- de muß das apallische Syndrom von folgenden neurologischen Störungen abgegrenzt werden:

¿ Das Koma ist eine Bewußt- seinsstörung, bei der Wahrnehmung und Wachheit aufgehoben sind (11, 22). Es handelt sich um einen schlafähnlichen Zustand, die Augen des Patienten sind geschlossen. Je nach Komatiefe sind unterschiedliche Reak- tionen auf Schmerzreize möglich. Der Patient ist jedoch nicht erweckbar. In den meisten Fällen geht das apallische Syndrom aus einem Koma hervor. An- dererseits kann sich das apallische Syn- drom zu einem Koma entwickeln.

À Das Locked-in-Syndrom kann nach ausgedehnten Läsionen im Be- reich des Brückenfußes auftreten und ist Ausdruck einer Deefferentierung.

Solche Patienten sind wach und zu al- len Wahrnehmungen fähig, aufgrund einer Tetraplegie und hochgradiger Hirnnervenausfälle jedoch nur zu ver- tikalen Augenbewegungen und Lid- bewegungen in der Lage, wodurch im begrenzten Umfang eine Kommuni- kation ermöglicht wird. Ein vergleich- bares klinisches Bild kann bei einer schweren Polyneuroradikulitis mit Hirnnervenbeteiligung auftreten.

Á Bei der fortgeschrittenen De- menz können kognitive Funktionen sehr stark eingeschränkt sein, im be- grenzten Ausmaß sind jedoch willkür- liche Reaktionen auf äußere Reize möglich. Allerdings kann eine solche schwere Demenz im Spätstadium in ein apallisches Syndrom übergehen.

 Der Hirntod ist durch den irre- versiblen Ausfall aller zerebraler Funktionen charakterisiert, so daß der Patient tief komatös ist und sämtliche Hirnstammreflexe erloschen sind (31, 32). Im Gegensatz zum apallischen Syndrom wird der Hirntod nach medi- zinischer, juristischer und theologischer Auffassung mit dem Tod gleichgesetzt, wobei durch mechanische Beatmung und Kreislaufunterstützung die Funk- tionen der anderen Organe nur über ei- nen kurzen Zeitraum aufrechterhalten werden können (31, 32). Nach Feststel- lung des Hirntodes ist eine Organex- plantation möglich, während dies beim apallischen Syndrom unter keinen Umständen erlaubt ist (31, 32).

à Der akinetische Mutismus ist ein äußerst seltenes Syndrom, bei dem aufgrund ausgedehnter bilateraler me- so-dienzephaler Läsionen oder mittel- liniennaher Schädigung des Frontal- hirns eine schwere Störung des psy- chomotorischen Antriebs hervorgeru- fen wird (14). Diese Patienten sind wach und teilweise wahrnehmungs- fähig, Rumpf- und Extremitätenbewe- gungen sowie Spontansprache und verbale Äußerungen sind jedoch voll- ständig oder weitgehend aufgehoben.

Blickfixation und optokinetischer Ny- stagmus können erhalten sein.

Die unter Punkt 1 bis 5 skizzier- ten neurologischen Zustände sind durch klinische Untersuchung dia- gnostizierbar und vom apallischen Syndrom abgrenzbar. Zur sicheren Beurteilung sind jedoch in vielen Fäl- len Verlaufsuntersuchungen notwen- dig (11, 22, 23).

Anmerkungen zur Nomenklatur

Die Syndrombezeichnung „apalli- sches Syndrom“ wurde 1940 erstmals von Kretschmer verwendet (19), sie ist aus dem Lateinischen (pallium, Hirn- mantel) abgeleitet und suggeriert ein anatomisches Substrat, welches nicht in allen Fällen zutrifft. Deshalb wird diese Bezeichnung in der aktuellen interna- tionalen Literatur ebenso wie die Be- griffe „neokortikaler Tod“ und „coma vigile“ abgelehnt (16, 22). In der anglo- amerikanischen Literatur ist der erst- mals von Jennett und Plum (1972) ein- geführte Begriff „persistent vegetative state“ (13) am gebräuchlichsten, er hat jedoch zu Verwirrungen geführt, da von vielen Ärzten und Angehörigen betroffener Patienten persistierend mit irreversibel gleichgesetzt wird (22).

Dies war nicht die Intention der Auto- ren, die mit persistierend lediglich zum Ausdruck bringen wollten, daß dieser Zustand über einen gewissen Zeitraum aufrechterhalten bleibt, ohne damit ei- ne prognostische Wertung zu implizie- ren (13, 22). Nach neueren Bestrebun- gen sollte deshalb das Syndrom in der internationalen Literatur lediglich „ve- getative state“ genannt werden (16).

Ob sich eine solche Namensänderung durchsetzen wird, ist jedoch zweifel- haft. Im deutschsprachigen Raum ist

die Bezeichnung „apallisches Syn- drom“ so fest etabliert, daß die Ein- führung einer neuen Krankheitsbenen- nung nicht realistisch erscheint.

Ätiologie des

apallischen Syndroms

Die Ursachen des apallischen Syndroms lassen sich insgesamt in drei Kategorien unterteilen:

1 Traumatische und nichttrau- matische zerebrale Läsionen

1 Degenerative und metaboli- sche Störungen des ZNS

1 Fehlbildungen des ZNS.

Zu den traumatischen zerebralen Läsionen zählen offene und gedeckte Schädel-Hirn-Traumen. Die nichttrau- matischen zerebralen Läsionen umfas- sen neben der globalen hypoxischen Hirnschädigung zerebrovaskuläre Er- krankungen (Ischämien und nichttrau- matische intrakranielle Blutungen), durch prolongierte Hypoglykämie ver- ursachte Enzephalopathien, entzünd- liche Läsionen (Enzephalitis oder Meningoenzephalitis), intrakranielle raumfordernde Prozesse sowie ZNS- Schädigungen durch Intoxikationen.

An degenerativen ZNS-Erkrankun- gen, die zum apallischen Syndrom führen können, sind fortgeschrittene Stadien des Morbus Alzheimer, der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung, der Chorea Huntington sowie des Morbus Pick zu nennen. Beispiele für Stoff- wechselerkrankungen, die häufig in ein apallisches Syndrom einmünden, sind Gangliosidosen, Adrenoleukody- strophie und Mitochondriopathien.

Schließlich können zahlreiche Fehlbil- dungen des ZNS, wie die Anenzepha- lie, Hydrozephalie und hochgradige Mikrozephalie ein apallisches Syn- drom hervorrufen.

Häufigste Ursachen des apalli- schen Syndroms sind das Schädel- Hirn-Trauma und die globale hypoxi- sche Hirnschädigung nach akuter kar- dio-respiratorischer Insuffizienz (22).

Nach Empfehlungen der Multi- Society Task Force sollte die Diagnose

„apallisches Syndrom“ nach traumati- scher und nichttraumatischer ZNS-Lä- sion erst dann gestellt werden, wenn ein Zeitraum von mindestens einem Monat nach dem akuten Ereignis ver- strichen ist (22). Nach degenerativen

(3)

und metabolischen Störungen des ZNS sowie bei zerebralen Fehlbildungen müssen die Symptome des apallischen Syndroms über mindestens einen Mo- nat persistieren, um die Diagnose zu rechtfertigen (22). Die Expertenkom- mission der American Neurological Association vertritt die Auffassung, daß diese Diagnose unabhängig von der Ätiologie nur dann gestellt werden kann, wenn die Sym-

ptome über mindestens einen Monat anhalten (1, 16, 24). Diese zeitli- che Definition findet in der neueren Literatur (16) größere Akzep- tanz, da sie für die häu- figen Ursachen des apallischen Syndroms einen längeren Beob- achtungszeitraum ein- räumt.

Prognostische Bewertung

In den meisten Fällen geht das apalli- sche Syndrom im klini- schen Verlauf aus ei- nem unterschiedlich lange andauernden Ko- ma hervor. Die folgen- den Ausführungen zur prognostischen Bewer- tung beziehen sich nicht auf die Restitution des Komas (10, 21), son-

dern auf die komplette oder inkom- plette Rückbildung des apallischen Syndroms. Diese Unterscheidung ist wichtig und wird auch in der neueren Literatur nicht immer eingehalten.

Zur prognostischen Einschät- zung müssen Ursache und Dauer des apallischen Syndroms sowie Alter des Patienten berücksichtigt werden (23).

Wenn von einer Rückbildung der Symptomatik die Rede ist, muß auch das Ausmaß der neurologischen und psychopathologischen Defizite klar definiert werden, da eine vollständige Restitution eher die Ausnahme ist (3, 7, 23). Die Prognose des apallischen Syndroms ist grundsätzlich nach trau- matischen ZNS-Verletzungen besser als nach nichttraumatischen zerebra- len Läsionen und etwas besser bei

Kindern und Erwachsenen unter 40 Jahren als bei älteren Patienten (16, 23). Nach sorgfältiger Auswertung der umfangreichen Literatur kommen die Expertengremien zu der Auffassung, daß ein apallisches Syndrom dann als irreversibel anzusehen ist, wenn es zwölf Monate nach einer traumati- schen zerebralen Läsion oder drei Monate nach einer akuten nichttrau-

matischen zerebralen Läsion besteht (23). Diese prognostische Einschät- zung gilt sowohl für Kinder als auch für Erwachsene und geht davon aus, daß die Wahrscheinlichkeit einer Re- stitution nach diesen Zeitintervallen extrem gering ist. In Einzelfällen wur- den partielle Rückbildungen nach län- geren Zeiträumen beschrieben, die je- doch mit erheblichen neurologischen und/oder psychopathologischen Resi- duen einhergingen (3, 7). Für einige Patientengruppen konnten klinische Kriterien erarbeitet werden, denen ei- ne prognostische Aussagekraft zuge- ordnet wurde (20, 26). Nach Schädel- Hirn-Trauma können geringe motori- sche Reaktionen, fehlende Pupillen- reaktion, respiratorische Störungen, posttraumatische Epilepsie, Hydroze-

phalus und signifikante extraneurale Verletzungen als ungünstige Prädikto- ren bezüglich einer möglichen Resti- tution des apallischen Syndroms her- angezogen werden (20, 26). Elektro- physiologische Zusatzuntersuchun- gen (EEG sowie akustisch- und soma- tosensorisch evozierte Potentiale) sind für die prognostische Beurteilung des apallischen Syndroms nur sehr eingeschränkt verwert- bar (23). Über die pro- gnostische Wertigkeit neuroradiologischer Befunde liegen diesbe- züglich bisher keine umfassenden systema- tischen Untersuchun- gen vor. Gegenwärtig werden von mehreren Arbeitsgruppen klini- sche und apparativ- diagnostische Kriteri- en zur prognostischen Einschätzung des apal- lischen Syndroms erar- beitet (16, 23).

Nach Diagnose- stellung eines apalli- schen Syndroms muß die individuelle Situati- on des Patienten sorg- fältig beurteilt werden, wobei Ätiologie und Dauer dieses Zustan- des sowie Alter des Pa- tienten eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus müssen Begleit- erkrankungen berück- sichtigt werden. Besonders wichtig sind unheilbare Krankheiten, die mit einer kurzfristig infausten Prognose assozi- iert sind, wie metastasierte maligne Tu- moren oder AIDS. Die prognostische Bewertung darf sich keinesfalls auf die Frage der Irreversibilität des apalli- schen Syndroms beschränken. Es muß vielmehr versucht werden, die mögli- chen bleibenden neurologischen Aus- fälle im Falle einer Restitution abzu- schätzen, was im Einzelfall große Schwierigkeiten bereiten kann. Auch wenn systematische Untersuchungen zur prognostischen Aussagekraft neu- roradiologischer Verfahren noch feh- len, können Computertomographie oder Kernspintomographie des Ge- hirns sehr hilfreich sein. Sie liefern bei- spielsweise nach einem Schädelhirn- A-664 (44) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 11, 14. März 1997

Abbildung: A und B: Computertomographische Befunde eines 50jährigen Patienten, bei dem vier Jahre zuvor eine globale hypoxische Schädigung im Rahmen einer akuten Kreislaufinsuffizienz stattgefunden hat. Als Ausdruck des abgelaufenen Hirnparenchymschadens findet sich eine hoch- gradige zerebrale Atrophie mit entsprechender Erweitung der inneren und äußeren Liquorräume.

C und D: Im Vergleich dazu computertomographische Bilder eines gleichaltrigen Gesunden.

(4)

trauma Informationen über das Aus- maß und die Lokalisation der zerebra- len Parenchymschädigung und somit Hinweise auf die zu erwartenden Pa- resen und neuropsychologischen Aus- fälle. Auch nach einer globalen hypoxi- schen Hirnschädigung können bildge- bende Verlaufsuntersuchungen, die bei initialem Nachweis eines globalen Hirnödems den Übergang in eine schwere zerebrale Atrophie mit ent- sprechend ausgeprägtem Parenchym- untergang dokumentieren (Abbil- dung), auf eine ungünstige Prognose hinweisen. An diesen Beispielen wird andererseits deutlich, daß die Bestre- bungen, einheitliche Kriterien für die Diagnose und prognostische Bewer- tung des apallischen Syndroms festzu- legen, mit methodischen Problemen behaftet ist, da die Vielzahl der ver- schiedenen Ursachen mit einer solchen einheitlichen Beurteilung nicht ohne weiteres vereinbar ist.

Wenn im Einzelfall bei sorgfälti- ger Bewertung der genannten Kriteri- en (Alter und Grunderkrankungen des Patienten, Ätiologie und Dauer des apallischen Syndroms sowie neu- roradiologische Befunde) eine Rück- bildung des apallischen Syndroms mit einer für den Patienten akzeptablen Lebensqualität erwartet werden kann, werden intensivmedizinische Maßnah- men im vollen Umfang zum Einsatz kommen. Wird hingegen die Prognose als ungünstig eingeschätzt, so wird man nach ausführlicher Besprechung mit den Angehörigen die Therapie be- grenzen und auf intensivmedizinische Maßnahmen wie Reanimation, erneu- te Beatmung oder Dialyse verzichten (14). Auch eine antibiotische Behand- lung von Infektionen scheint unter die- sen Bedingungen nicht sinnvoll. Die Therapie wird sich dann auf Flüssig- keits- und Nahrungszufuhr sowie pfle- gerische Maßnahmen beschränken.

Die prognostische Bewertung des apallischen Syndroms und die Festle- gungen der daraus resultierenden the- rapeutischen Strategie sollte nur von intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten vorgenommen werden. Auch wenn ei- ne interdisziplinäre Erörterung dieser Problematik, insbesondere unter Neu- rologen und Internisten, durchaus sinn- voll ist, sollte nicht der Versuch unter- nommen werden, schwierige Entschei- dungen über das therapeutische Proze-

dere an den jeweiligen Konsiliarius der anderen Fachrichtung zu delegieren.

Vielmehr müssen sämtliche internisti- schen und neurologischen Aspekte in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Keinesfalls darf zu einem frühen Zeitpunkt, an dem noch nicht alle relevanten Informationen vorlie- gen, auf eine Beendigung der Therapie gedrängt werden. In vielen Fällen ist zunächst die Fortsetzung einer intensivmedizinischen Maximalthera- pie sinnvoll, um anhand von Verlaufs- untersuchungen zu einer größeren Si- cherheit in der prognostischen Ein- schätzung gelangen zu können. Wenn ein Patient trotz Einstellung intensiv- medizinischer Maßnahmen ein apalli- sches Syndrom monate- oder sogar jah- relang überlebt, resultieren daraus zahlreiche schwierige ethische, soziale, ökonomische und forensische Fragen, die gegenwärig sehr kontrovers disku- tiert werden (2–5, 8, 12, 15, 18, 25, 30).

Ethische Gesichtspunkte

Patienten mit chronischem apalli- schen Syndrom sind üblicherweise in Langzeitpflegeeinrichtungen unterge- bracht, oder sie werden, wenn das En- gagement und die organisatorischen Möglichkeiten von seiten der An- gehörigen gegeben sind, zu Hause von der Familie versorgt. In jedem Fall stellt die Situation, in der über Monate oder Jahre der apallische Patient in ei- nem nicht wahrnehmungs- und kom- munikationsfähigen Zustand erlebt wird, für Familienangehörige eine schwere psychische Belastung dar.

Wird nach der akuten Krankheitspha- se ein stabiler Allgemeinzustand er- reicht, so beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit zwei bis fünf Jahre (23), wobei die Qualität der Pflege im Einzelfall eine entscheidende Rolle spielt. Die Aufhebung der Wahrneh- mungsfähigkeit bedeutet, daß diese Patienten ihre Erkrankung nicht als Leidenszustand erleben (23). Ein mög- liches Verziehen des Gesichtes auf Schmerzreize ist demnach als subkorti- kal generierte mimische Reaktion und nicht als bewußte Schmerzempfindung zu werten (23, 24). Von ärztlicher Seite muß die Tatsache, daß Patienten mit apallischem Syndrom mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu keiner bewuß-

ten Wahrnehmung von Leiden in der Lage sind, ausführlich erörtert werden.

In der Regel wird dies jedoch für medi- zinische Laien, die über einen langen Zeitraum feststellen können, daß sich die Angehörigen intermittierend in ei- nem wachen Zustand befinden, nicht ohne weiteres nachvollziehbar sein.

Auch für das Pflegepersonal ist die Be- treuung von Apallikern mit erhebli- chen psychischen Belastungen verbun- den. Denn die aufwendige Pflege des nicht wahrnehmungsfähigen Patienten wird häufig als äußerst frustrierend empfunden. Wenn aufgrund objekti- ver medizinischer Befunde das apalli- sche Syndrom als irreversibel einge- stuft wird, dann sollten die behandeln- den Ärzte versuchen, dies den An- gehörigen und dem betreuenden Pfle- gepersonal durch einfühlsame und ausführliche Besprechung der Einzel- heiten zu vermitteln. Wenn die ungün- stige Prognose zumindest auf einer ob- jektiven Ebene als Tatsache akzeptiert wird, so wird man sich in der Regel darauf verständigen können, bei der chronischen Betreuung eines apalli- schen Patienten auf akut- und intensiv- medizinische Maßnahmen zu verzich- ten und das weitere Prozedere auf eine optimale pflegerische Versorgung so- wie auf Flüssigkeits- und Nahrungszu- fuhr zu beschränken, um in jedem Fal- le die Würde des Patienten aufrechtzu- erhalten. Das bedeutet, daß auf Reani- mation und mechanische Beatmung verzichtet wird, aber auch Thrombose- prophylaxe und die antibiotische Be- handlung von interkurrenten Infek- ten nicht durchgeführt werden. In Deutschland ist aus juristischer Sicht die Sicherstellung der Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr bei Patienten mit apallischem Syndrom auch dann zwin- gend erforderlich, wenn dieser Zu- stand als irreversibel gewertet wird (18). Ein Vorenthalten oder ein Ent- zug dieser Maßnahmen ist strafbar, auch wenn ein derartiger Wunsch von Angehörigen geäußert wird oder sogar vom Patienten selbst vor der Erkran- kung dokumentiert worden ist (18). In Deutschland ist unter Medizinern und Juristen die Diskussion darüber, ob bei solchen Patienten im Hinblick auf die ungünstige Prognose die Ernährung eingestellt und somit innerhalb kurzer Zeit der Tod herbeigeführt wird, zur Zeit eher zurückhaltend (15). Die der-

(5)

zeitigen Auffassungen der Bundesärz- tekammer gehen dahin, daß ein Nah- rungsentzug bei unheilbar Kranken als eine Form „aktiver Euthanasie“ abge- lehnt wird (18). Die Sterbehilfe-Richt- linien werden zur Zeit von einem Expertengremium der Bundesärzte- kammer überarbeitet, eine endgültige Stellungnahme liegt noch nicht vor.

Die Tendenz zur Tabuisierung dieses Themas in Deutschland ist historisch bedingt und hängt mit den menschen- verachtenden Verbrechen im Dritten Reich zusammen. Damals wurde im Rahmen von sogenannten Euthana- siemaßnahmen die aktive Tötung von Patienten mit unterschiedlichen chro- nischen Erkrankungen ärztlich legiti- miert und praktiziert.

Ganz anders stellt sich diesbezüg- lich die juristische und gesellschaftspo- litische Situation in den USA, Australi- en und anderswo (beispielsweise in Großbritannien oder in den Niederlan- den) dar. Gewissermaßen unbefangen und historisch unbelastet wird in diesen Ländern eine sehr offene, allerdings äußerst kontroverse Diskussion über die Möglichkeit einer Beendigung der Ernährung bei Patienten mit irreversi- blem apallischen Syndrom geführt (2–5, 8, 12, 18, 25, 30). In den USA be- steht grundsätzlich die Möglichkeit, nach gerichtlicher Genehmigung bei solchen Patienten die Ernährung ein- zustellen, wenn von medizinischer Sei- te die Irreversibilität dieses Zustands bescheinigt wird und die Angehörigen ausdrücklich damit einverstanden sind (8, 25, 30). Juristisch unstrittig ist der Sachverhalt insbesondere dann, wenn der Patient noch vor seiner Erkran- kung schriftlich seinen Wunsch doku- mentiert hat, daß er im Falle einer sol- chen Situation nicht am Leben erhalten werden möchte (8, 30). Aus juristischer Sicht ist in den USA die Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr bei apallischen Patienten Bestandteil der medizini- schen Behandlung, so daß die Beendi- gung dieser Maßnahme formal einem Abbruch der Therapie gleichgesetzt wird (8, 24, 30).

In England ist ebenfalls eine Be- endigung der Ernährung bei Patien- ten mit irreversiblem apallischen Syn- drom möglich, sie bedarf jedoch in je- dem Falle einer gerichtlichen Geneh- migung und eines Konsens zwischen Ärzten und Angehörigen bezüglich

dieser Maßnahme (12). Hierzu gibt es Einwände aus der Öffentlichkeit, die damit begründet werden, daß die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr bei solchen Patienten eine humanitäre Maßnahme darstellt, die zur Aufrecht- erhaltung der menschlichen Würde un- abdingbar ist (12).

Die niederländische Gesetzge- bung erlaubt einen sehr weitgehen- den Handlungs- und Entscheidungs- spielraum bei der Betreuung von un- heilbar kranken Patienten. In solchen Fällen ist eine aktive Sterbehilfe er- laubt, wenn sie unter bestimmten Vor- aussetzungen von Ärzten durchge-

führt wird (27, 28). In den Niederlan- den ist diese Vorgehensweise zwar for- mal rechtswidrig, sie wird jedoch nicht strafrechtlich verfolgt, wenn unter an- derem eine entsprechende Patienten- verfügung vorliegt und der Vorgang in einem komplexen Dokumentationssy- stem erfaßt wird (28). Bei Patienten mit irreversiblem apallischen Syndrom wird eine aktive Sterbehilfe durch Ver- abreichung einer letalen Dosis von Se- dativa nur äußerst selten praktiziert (27). Der Nahrungs- und Flüssigkeits- entzug ist jedoch in derartigen Situa- tionen rechtlich möglich und wird nach Absprache mit den Angehörigen gele- gentlich vorgenommen, wenn von ärztlicher Seite bescheinigt wird, daß es sich um einen irreversiblen Zustand handelt. Grundlage hierfür ist die Tat- sache, daß nach niederländischem Recht die Nahrungs- und Flüssigkeits- zufuhr als Therapie betrachtet wird, die unter diesen Bedingungen abge- brochen werden kann (29).

Die Diskussion über die Vielzahl ethischer Probleme, die sich im Zu- sammenhang mit dem apallischen Syn- drom ergeben, wird kontrovers blei- ben. Konsens muß jedoch darüber be- stehen, daß es sich bei apallischen Pati- enten um lebende Menschen handelt.

Abschließende Bemerkungen

Trotz der erheblichen Fortschrit- te, die in den vergangenen Jahren hin- sichtlich einer einheitlichen klinischen Definition und differentialdiagnosti- schen Abgrenzung des apallischen Syndroms erzielt werden konnten, be- stehen auf diesem Gebiet noch erheb- liche Unsicherheiten, die einer wissen- schaftlichen Abklärung bedürfen. Auf der Grundlage der zur Zeit vorhande- nen diagnostischen Kriterien müssen unter Berücksichtigung der einzelnen Ursachen verläßliche epidemiologi- sche Daten über Inzidenz und Präva- lenz dieses Syndroms eruiert werden.

Künftige funktionelle PET-Untersu- chungen werden zeigen, inwieweit bei Patienten mit apallischem Syndrom nach visueller, akustischer oder soma- tosensorischer Stimulation eine regio- nale kortikale Aktivierung des Meta- bolismus ausbleibt, was die Annahme einer fehlenden bewußten Wahrneh- mungsfähigkeit weiter stützen würde.

Außerdem müssen für die verschiede- nen Ursachen des apallischen Syn- droms klinische und neuroradiologi- sche Kriterien weiter erarbeitet wer- den, die zur prognostischen Bewer- tung herangezogen werden können.

Schließlich muß in klinischen Studien eruiert werden, inwieweit der thera- peutische Einsatz multimodaler senso- rischer Stimulationen, von denen ver- mutet wird, daß sie über eine Förde- rung der Reorganisation intakt geblie- bener neuronaler Systeme zur partiel- len Restitution des apallischen Syn- droms beitragen können, wissen- schaftlich haltbar ist.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-661–666 [Heft 11]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Priv.-Doz. Dr. med.

Wilhelm Nacimiento

Oberarzt der Neurologischen Klink der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Pauwelsstraße 30

52057 Aachen

A-666 (46) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 11, 14. März 1997

Für die kritische Durchsicht des Ma- nuskripts und wertvolle Anregungen danke ich Prof. J. Noth, Dr. R. Töpper, Dr. K. Podoll (Aachen), Prof. K.M. Ein- häupl (Berlin), und Prof. J. P. Malin (Bochum). Prof. A. Thron und Dr. M.

Mull (Aachen) danke ich für die freundliche Überlassung der compu- tertomographischen Befunde.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE