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Archiv "Der Nutzen der Gentechnologie für die Medizin: Stellungnahme I" (01.10.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

AUSSPRACHE

Stellungnahme I

In den Laboratorien der Welt wer- den fast täglich neue Entdeckun- gen auf dem Gebiet der Molekular- genetik gemacht. In der Bundesre- publik gefällt man sich dagegen in moralisierender Besserwisserei, gründet Benda-Kommissionen und setzt der Gentechnologie

„ethische Grenzen", ohne selbst etwas Bahnbrechendes zu ihr bei- getragen zu haben. Um so erfreu- licher ist der zukunftsorientierte Vortrag von E. v. Wasielewski, Mainz, den das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT am 16. 04. 86 abge- druckt hat.

Der redaktionelle Zwischentitel

„Gentransfer in die Keimbahn des Menschen nicht vertretbar" ist aber mißverständlich, weil er die entscheidende Einschränkung des Autors „derzeit" unterschlägt.

Selbstverständlich wird es „in Zu- kunft" solche Eingriffe geben. So hat E. Geissler vom Ostberliner Zentralinstitut für Mikrobiologie schon vor Jahren bedauert, „daß eigentlich die Zeit noch nicht reif ist, Eingriffe in das Erbgut von (menschlichen) Keimzellen bereits öffentlich zu propagieren", weil bestimmte Leute „vom Konservati- ven bis zum Ultralinken" versu- chen, „solche Entwicklungen mit vordergründigen, letztlich nicht stichhaltigen Argumenten von vornherein zu tabuisieren".

B. Davis von der Harvard Medical School hat auf Befürchtungen im Zusammenhang mit einem Gen-

transfer in die menschliche Keim- bahn so reagiert: „Durch Züch- tung und Auslöschung ganzer Spezies hat der Mensch für lange Zeit in der Evolution interveniert.

Darüber hinaus als eine Form prä- ventiver Medizin dürfte Genthera- pie an menschlichen Embryonen den gleichen Effekt auf den Gen- pool haben, wie ein bereits akzep- tiertes Verfahren: die pränatale Diagnose, die zu einer Selektion normaler Embryonen führt."

Inzwischen mehren sich auch bei uns besonnene Stimmen, die vor einem strafrechtlichen Verbot ge- netischer Keimbahnmanipulatio- nen beim Menschen „für alle Zei- ten" warnen und ideologisch be- frachtete Formulierungen vom

„unerlaubten Eingriff in die gött- liche Schöpfung" zurückweisen.

P. Herrlich vom Institut für Genetik am Kernforschungszentrum in Karlsruhe hält es für möglich, daß durch weitere Forschung „Teilbe- reiche der Keimbahngenetik unbe- zweifelbar aufgeklärt und in ihren Wirkungen bekannt sind. Dann sollte eine Entscheidung über das Einführen intakter Gene akzepta- bel werden. Wir sollten uns das Nachdenken nicht durch Tabus blockieren lassen".

W. Doerfler vom Institut für Gene- tik der Universität Köln meinte vor kurzem: „Ich sehe — vielleicht et- was utopisch im Moment — die Möglichkeit, daß eben eines Tages doch die Möglichkeiten gegeben sein könnten, mit denen man ir- gendeinen Defekt in der Familie sinnvoll verändern kann." Und

auch E. v. Wasielewski bemerkt zum Transfer genetischer Informa- tionen in die Keimbahnzellen,

„daß man auch beim Menschen an die frühzeitige Korrektur von ge- netischen Defekten denken"

könnte.

Ich sehe in der gonosomalen Gen- therapie nichts ethisch Verwerf- liches, keine angemaßte Herr- schaft über kommende Generatio- nen. Ich sehe darin die Möglich- keit der denkbar besten Mitgift für spätere Geschlechter. Wir sind als Ärzte aufgerufen, nicht nur Krank- heiten zu heilen, sondern auch Krankheiten zu verhüten. Kann ei- ne Erbkrankheit „kausaler" verhü- tet werden als durch die Korrektur genetisch defekter Geschlechts- zellen?

Man täusche sich nicht über die Rasanz des gentechnologischen Fortschritts: Was „derzeit" noch nicht denkbar ist, kann morgen schon Routine sein. Ich selbst würde es meinen Eltern in 20 oder 50 Jahren nicht verziehen haben, wenn sie mich mit einem korrigier- baren Erbdefekt hätten zur Welt kommen lassen.

Dr. med. Egon Kehler Internist und Pneumologe Sülztorstraße 41

2120 Lüneburg

Stellungnahme II

„Von Mendel bis heute" — darum geht es doch nicht. Vor über einer Milliarde Jahren war durch schritt- weisen Zusammenschluß von Pro- karyoten zu Eukaryoten der Weg frei zur Entwicklung der Sexualität und damit zur systematischen Generierung eines vorläufigen Höchstmaßes an genetischer Viel- falt. Die heute um sich greifende Genmanipulation bedeutet ein neues Prinzip der Evolution, bei dem das menschliche Bewußtsein eine wesentliche Rolle spielt. Es muß mit Sorge erfüllen, daß die Forscher die Bedeutung dessen, was sie tun, auch nicht ansatzwei-

Der Nutzen

der Gentechnologie für die Medizin

Zu dem Beitrag von Professor Dr. med.

Eberhardt von Wasielewski

in Heft 16/1986, Seiten 1117 bis 1121

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 40 vom 1. Oktober 1986 (59) 2699

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Gentechnologie

se reflektieren. Fällt niemandem auf, welch ein Wortungeheuer bei- spielsweise „Gentechnik" ist?

Hier wird eine prinzipielle Diffe- renz von Technik und Biologie verwischt. Technik fixiert das Wis- sen durch Schaffung zeitlich defi- nierter Verhältnisse; Biologie be- deutet lebendige Überschreitung jedes fixierten Wissens!

Gene sind kein Material, sondern Zeitgestalten. Sie „bestehen" we- sentlich aus Beziehungen und Prozessen, sind also dynamische Raum-Zeit-Strukturen. Wenn mit dem Weltbild der klassischen Phy- sik das Leben zu erklären und zu behandeln versucht wird, dann können Ungeheuer erwartet wer- den. In den zehn „Aufträgen an ei- ne Medizin der Zukunft" ist mehr- fach von Effektivität, Kausalthera- pie, Kontrolle und gar Reparatio- nen die Rede. Nun, ich wünsche dem Autoren, wenn er einmal alt ist, keine „effektive Geriatrie", sondern Lebenssinn jenseits aller Objektivierbarkeit.

Bernd Granzow, Arzt Süllbergsterrasse 45 2000 Hamburg 55

Stellungnahme III

In Tabelle 2 — „Die Entwicklung der Gentechnologie aus histori- scher Sicht" — heißt es, daß Hert- wig 1875 die Bedeutung der Kern- verschmelzung bei Befruchtung erkannt habe. Das ist m. W. falsch.

Oskar Hertwig, Anatom und Biolo- ge, hat die Befruchtung beim See- igel beobachtet. Dabei erkannte er, daß der Zellkern Träger des Erbgutes ist, und daß bei der „Rei- feteilung" der Chromosomensatz reduziert wird. Ein „Genom" ist ei- ne Zelle mit einem „vollständigen"

haploiden Chromosomensatz, der bei Pflanzen und niederen Lebe- wesen (Seeigel) vorkommt. Durch die Reifeteilung — Meiose — entste- hen männliche oder weibliche Nachkommen durch zwei aufein- ander folgende Kernteilungen; ei-

ne „Kernverschmelzung" findet nicht statt. Anders gesagt: Die

„artspezifische" Chromosomen- zahl wird erhalten durch Kern tei- lung! Das Ganze heißt auf deutsch: Getrenntgeschlechtliche Vermehrung.

Im Gegensatz zu einem Genom ist ein Gamet eine Keimzelle mit ei- nem „halben", das heißt einfa- chen haploiden Chromosomen- satz; beim Menschen 22 plus Ge- schlechtschromosome. Bei Be- fruchtung kommt es zum Ver- schmelzen des männlichen Chro- mosomensatzes mit dem weib- lichen Chromosomensatz — allge- mein „Kernverschmelzung" ge- nannt. Auf diese Weise entstehen Nachkommen mit 46 Chromoso- men, dem für den Menschen „ad- spezifischen Merkmal". Zum Ver- gleich Anzahl der Chromosomen:

Affe 54, Pferd 64, Esel 62.

Eine befruchtete Eizelle ist eine einzige Zelle — Fachausdruck „Zy- gote". Die Zygote gewährleistet — durch Längsteilung der Chromo- somen —, daß die Nachkommen zu genau gleichen Teilen — 50:50 — das Erbgut von Vater und Mutter erhalten; gleichgültig, ob es sich um Nachkommen männlichen oder weiblichen Geschlechts han- delt. Auf deutsch: Geschlechtliche Befruchtung.

Dr. med. Gisela Winkler Richard-Dehmel-Straße 5 2000 Hamburg 55

Stellungnahme IV

Die Ausführungen zur Gentechno- logie sind sehr informativ, die Hoffnungen, die in sie aus medizi- nischer Sicht gesetzt werden, groß. Auch ich bin überzeugt, daß sich dieser Technologiezweig in Zukunft eindrucksvoll entwickeln wird.

Bis zur Korrektur genetischer De- fekte ist sicher noch ein weiter Weg. Ist es technisch nicht viel einfacher, zum Beispiel die Infek-

tiosität des Windpockenvirus mit der Letalität des AIDS-Virus zu koppeln? Birgt diese Technologie nicht auch erhebliche Risiken? In- wieweit bestehen hier schützende Gesetze?

Zur umfassenden Information der Ärzteschaft wäre eine im gleichen Maße umfassende und kompeten- te Stellungnahme über die Risiken der Gentechnologie wünschens- wert.

Dr. med. Gerd Iseler Arzt für Allgemeinmedizin Kapitän-Koldewey-Straße 6 2811 Bücken

Schlußwort zu den Stellungnahmen I bis IV

Jeden wissenschaftlichen Vorstoß in Neuland begleiten—neben posi- tiver Erwartung — rationale und emotionale Kritik. Die Gentechno- logie (zweifellos keine glückliche Wortschöpfung) hat sich dieser Kritik sehr früh gestellt. Seit dem Asilomar-Treffen (1975), an dem 140 Wissenschaftler aus 16 Län- dern teilnahmen, um Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in vitro neu kombinierte Nukleinsäu- ren zu erarbeiten, gibt es eine ständige, sehr offen geführte Dis- kussion zwischen Molekularbiolo- gen, Medizinern, Juristen, Theolo- gen, Philosophen, Politikern und Fachvertretern anderer Diszipli- nen über alle aktuellen und pro- spektiven Fragen, die mit dieser neuen Forschung verbunden sind.

Ich kann mich der Meinung nicht anschließen, daß die Diskussion ohne Reflexion über die Dimen- sion dieser Forschung und ihrer möglichen Konsequenzen geführt würde. Gerade auch aus den La- boratorien kommen oft Hinweise über die Grenzen des Vertretba- ren. Mißbrauch durch Verantwor- tungslose ist freilich nie auszu- schließen. Aber das trifft für alle Lebensbereiche — nicht nur für die Gentechnologie — zu. Sicher ist genetische Information mehr als 2700 (60) Heft 40 vom 1. Oktober 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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