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Archiv "Anwendungsbeobachtungen: Verharren in der „Schmuddelecke“" (20.10.2000)

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S

o genannte Anwendungsbeobach- tungen (AWB) zur Forschung über Arzneimittel nach ihrer Zulassung werden in großem Umfang durchge- führt. In auffälligem Kontrast dazu steht jedoch, dass Stellenwert und Aus- sagekraft von AWB unverändert kon- trovers diskutiert werden und sie ihr

„Schmuddelimage“ (3) keineswegs ab- gelegt haben und Ergebnisse von AWB kaum publiziert sind.

Im Arzneimittelgesetz (AMG) kommt der Begriff „Anwendungsbeob- achtung“ nicht vor. Er findet sich je- doch in den Arzneimittelprüfrichtlini- en. Dort werden in Abschnitt 5, Nr. 1, Unterlagen aufgelistet, die als „wissen- schaftliches Erkenntnismaterial“ anzu- sehen sind und die „eine Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels in der angegebenen Dosierung unter Berücksichtigung der vorgesehenen Anwendungsbedingungen ermöglichen (sollen)“. In dieser Liste sind auch An- wendungsbeobachtungen genannt, und es wird hierzu auf § 67 Abs. 6 AMG ver- wiesen. In diesem 1986 angefügten Ab- satz ist festgelegt, dass „Untersuchun- gen, die dazu bestimmt sind, Erkennt- nisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel zu sam- meln“, den Kassenärztlichen Vereini- gungen und der zuständigen Bundes- oberbehörde anzuzeigen sind. Diese Formulierungen lassen den Schluss zu, dass es solche Untersuchungen gibt oder geben soll, sie lassen jedoch nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die ju- ristische Einbettung zu, noch machen sie Angaben zur inhaltlichen Ausgestal- tung.Auch in den Formulierungen der Arzneimittelprüfrichtlinien gibt es kein

Junktim von Wirksamkeitsbeurteilung und AWB.

Recherchiert man im Online-Archiv des Deutschen Ärzteblattes in den dort verfügbaren Jahrgängen 1996 bis 1999 unter dem Suchwort „Anwendungsbe- obachtung“, findet man 30 Einträge.

Für ein Verfahren, das sehr viele Ärzte und Zehntausende von Patienten be- trifft, ist dies eine magere Ausbeute.

Schwerer wiegt, dass sich nur ein Ein- trag im medizinisch-wissenschaftlichen Teil des Deutschen Ärzteblattes findet:

In einem Übersichtsartikel zur Tumor- schmerztherapie werden die Ergeb- nisse einer Anwendungsbeobachtung beiläufig erwähnt. Dagegen finden sich 20 Einträge in der Rubrik „Varia: Wirt- schaft – Aus Unternehmen“ und fünf weitere unter der Rubrik „Politik“.

Für Aussagen zur

Wirksamkeit ohne Wert

Bemerkenswert ist weiterhin, dass unter 22 Aussagen zu Ergebnissen von An- wendungsbeobachtungen in 15 Fällen ausschließlich Aussagen zur Wirksam- keit präsentiert wurden. In vier Fällen waren Sicherheitsaspekte vorrangig, in zwei Fällen wurde auf ergänzende In- formationen zu früheren klinischen Stu- dien (bei Schwangeren und Kindern) hingewiesen, und nur bei einer AWB wird über Einsichten in das Verord- nungsverhalten der Ärzte berichtet.

Diese – zugegeben oberflächlichen – Einsichten stehen in Einklang mit sorg- fältigeren Analysen von Hasford et al.

(2), die ebenfalls gravierende Mängel aufdeckten. Die Probleme sind folgen- de:

❃AWB sind primär Marketingmaß- nahmen. Sie werden dazu benutzt, Arz- neimittel bekannt zu machen und Ver- schreibungsgewohnheiten zu verän- dern. Dies ist kein Vorwurf, sondern ei- ne Statusbeschreibung, wie sie auch Vertreter der Pharmaindustrie formu- lieren.

❃ Für die Beantwortung medizini- scher Fragen sind AWB in der Mehr- zahl von ungenügender methodischer Qualität.Wenige Ausnahmen belegen jedoch, dass relevante Fragen zur Arz- neimittelversorgung mit diesem Instru- ment methodisch befriedigend beant- wortet werden können.

❃ Die methodische Qualität ist be- sonders unzureichend für den am häu- figsten erhobenen Anspruch von Wirk- samkeitsbehauptungen. Selbst wenn man in Ausnahmesituationen vom Goldstandard der randomisierten Stu- die abgehen muss, stellen AWB keines- wegs die nächstbeste Lösung dar. Sie sind in ihrer teilweise mehr an Umfra- gen erinnernden Ausgestaltung für Wirksamkeitsaussagen ohne Wert.

❃Ergebnisse von AWB sind der (wis- senschaftlichen) Öffentlichkeit nicht zugänglich, was auch unter dem Aspekt der Mitfinanzierung durch die Kran- kenkassen und damit der Solidarge- meinschaft nicht tolerabel ist. Das Ar- gument, AWB hätten in der wissen- schaftlichen Literatur kein angemesse- nes Forum, weist weniger auf die Not- wendigkeit zusätzlicher Publikationsor- gane hin als vielmehr auf die mangeln- de Qualität und fehlende inhaltliche Relevanz der meisten AWB.

Ende 1998 wurden im Bundesanzei- ger Empfehlungen zur Planung und Durchführung von Anwendungsbeob- achtungen veröffentlicht (1). Als Er- gebnis eines längeren Diskussionspro- zesses unter Mitwirkung von biometri- schen Sachverständigen der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informa- tik, Biometrie und Epidemiologie stel- len diese Empfehlungen den Versuch dar, Mängel zu beseitigen. Wichtigste Aspekte sind:

✑ AWB werden als wissenschaftli- che Studien definiert, deren Konzepti- on sich an epidemiologischen Kohor- tenstudien orientieren soll. Der Begriff

„Studie“ betont, dass AWB konkrete Zielsetzungen mit einer geeigneten Me- P O L I T I K

A

A2756 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000

Anwendungsbeobachtungen

Verharren in der

„Schmuddelecke“

Nach wie vor mangelt es den meisten Anwendungsbeobach-

tungen an wissenschaftlicher Qualität. Dabei könnten sie

ein nützliches Instrument der Arzneimittelforschung sein.

(2)

thodik erfolgversprechend angehen müssen.

✑Mögliche Ziele von AWB sind, a) Fragen der Arzneimittelutilisation b) Fragen der Arzneimittelsicherheit c) Fragen der Wirksamkeit zu beant- worten. Die Abfolge von a) nach c) soll als Hierarchisierung verstanden wer- den, weil Anwendungsmodalitäten we- nig erforscht, sehr relevant und durch AWB gut erfassbar sind, während sie für Wirksamkeitsaussagen relativ unge- eignet sind. Die gegenwärtige Praxis steht hierzu in krassem Gegensatz.

✑Die für AWB geforderte „Nichtin- tervention“ wurde präzisiert und von der Zielsetzung abhängig ge-

macht. Für Fragen der Arz- neimittelutilisation ist ein weitestgehendes Nichtein- greifen notwendig; hier wird man auch auf Registerdaten zurückgreifen wollen. Für Fragen der Arzneimittelsi- cherheit sind Interventionen im Sinne strukturierter Doku- mentation und Nachfragen notwendig; Fragen zur Wirk- samkeit sind nicht ohne wei- tergehende Interventionen zu beantworten.

✑Für AWB muss ein Stu- dienplan vorliegen, der De- tails zur Planung, Durchfüh-

rung und Auswertung der Studie enthält.

✑ Wie bei anderen wissenschaftli- chen Studien müssen qualitätssichern- de Maßnahmen die Vollständigkeit und Validität der Daten sicherstellen.

✑ Bei der Auswahl der Ärzte und Patienten und des therapeutischen Vor- gehens muss sichergestellt werden, dass die Ergebnisse der AWB die routine- mäßige Anwendung von Arzneimitteln abbilden.

✑Arzneimittel dürfen nicht zu dem Zweck verschrieben werden, einen Pa- tienten in eine laufende AWB einzu- schließen.

✑Das Honorar für eine Beteiligung an AWB soll sich am tatsächlichen Mehraufwand orientieren – typischer- weise dem für die Dokumentation.

✑ Obwohl in den Empfehlungen nicht enthalten, sollten die Ergebnisse publiziert werden.

Diese Details der Empfehlungen entsprechen im Wesentlichen den Eu-

ropäischen Pharmacovigilance Guide- lines (5), die in Abschnitt 5 so genannte

„Post-authorization safety studies“ be- schreiben. Die Einschränkung auf

„safety“ verdeutlicht, dass die EU- Empfehlung andere Aspekte deutscher Anwendungsbeobachtungen nicht be- rührt. In einigen Punkten geht sie über die deutschen Empfehlungen hinaus:

Ausdrücklich werden vergleichende Studien verlangt. Für bestimmte Fra- gestellungen werden randomisierte kli- nische Studien favorisiert. Solche Studi- en sind aus den deutschen Empfehlun- gen zu Anwendungsbeobachtungen ausdrücklich ausgeschlossen. Auch die

Beratung durch Ethikkommissionen wird in der europäischen Guideline strenger gesehen als in den deutschen Empfehlungen.

„Post-authorization studies“, also Studien, bei denen der Sicherheits- aspekt nicht im Vordergrund steht, er- wähnt die europäische Guideline zwar, ihre Ausgestaltung wird aber nicht näher ausgeführt.

Die Empfehlungen zu Anwendungs- beobachtungen sanktionieren zwar de- ren „Zweckdienlichkeit, nicht aber die Zulässigkeit“ (4). Nimmt man den An- spruch ernst, dass AWB wissenschaftli- che Forschung sind, und berücksichtigt weiter, dass schlechte Forschung un- ethisch ist, so lässt sich hieraus auch ei- ne Aussage über die Zulässigkeit ablei- ten.Soweit Ärzte Wert darauf legen, sich und ihre Patienten in Untersuchun- gen einzubringen, in denen valide Er- kenntnisse gewonnen werden sollen, die ihren eigenen Entscheidungen und

ihren Patienten zugute kommen, sind sie gut beraten, alle ihnen angetragenen AWB anhand der publizierten Empfeh- lungen zu prüfen. Voraussetzung dafür ist, dass sie sich den Studienplan vorle- gen lassen, um sich ein Bild von Zielset- zung und Sinnhaftigkeit machen zu können. Zurückhaltung ist geboten bei AWB, die auf Wirksamkeitsaussagen zielen, da diese in aller Regel problem- behaftet sind.

Erfahrungen mit den Auswirkungen der Empfehlungen stehen noch aus.Als Instrument sind AWB wertvoll, zumal sie die Möglichkeit bieten, solidarisch fi- nanziert zu wichtigen Erkenntnissen in der Arzneimittelversorgung zu kommen. Diese Möglichkeit wird jedoch, was die bislang ge- wonnenen Erkenntnisse be- trifft, nur spärlich genutzt.

Wenn es gelingt, auf der Basis der Empfehlungen die Qualität von AWB zu verbessern – es gibt Anzeichen dafür – und durch valide Ergebnisse zu ver- mitteln, dass mit ihrer Hilfe wichtige Fragen im Gesund- heitswesen beantwortet wer- den können, und wenn Ärzte häufiger die Beteiligung an als AWB verkleideten Werbe- maßnahmen zurückweisen, können Anwendungsbeobach- tungen zu einem nützlichen Instrument der Arzneimittelforschung nach der Zu- lassung werden. Nur so könnte dem Na- serümpfen ein Ende bereitet werden.

Literatur

1. Empfehlungen zur Planung und Durchführung von Anwendungsbeobachtungen. Bundesanzeiger 1998;

229: 16884.

2. Hasford J, Lamprecht T: Company observational post- marketing studies: drug risk assessment and drug re- search in special populations – a study-based analy- sis. Eur J Clin Pharmacol 1998; 53: 369–371.

3. Korzilius H: Anwendungsbeobachtungen – Weg vom Schmuddel-Image. Dt Ärztebl 1997; 94: A-2965.

4. de Mey C: Sinn und Unsinn von Anwendungsbeobach- tungen. Med Klin 2000; 95: 56–62.

5. Notice to Marketing Authorization Holders – Pharma- covigilance Guidelines. CPMP/PhVWO/108/99 corr.

28. 1. 1999.

Prof. Dr. med. Jürgen Windeler Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V.

Fachbereich Evidenz-basierte Medizin Lützowstraße 53, 45141 Essen E-Mail: j.windeler@mds-ev.de P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000 AA2757

Ärzte sollten Arzneimittel nicht zu dem Zweck verschreiben, um Patienten in eine laufende AWB einzuschließen. Foto: Peter Wirtz

Referenzen

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