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Charlie Hebdo als Wendepunkt der Weltpolitik? Was Europa tun kann

Von Dirk Messner, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

vom 21.01.2015

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Charlie Hebdo als Wendepunkt der Weltpolitik?

Was Europa tun kann

„Paris 2015“ stand bis vor wenigen Tagen für die Kli- makonferenz Ende dieses Jahres in Paris. Seit den terro- ristischen Attentaten auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt wird „Paris 2015“ zu einem Synonym für die Ängste vor einem weltweit um sich greifenden Dschihadismus. Die Attentate werfen viele innenpolitische Fragen auf: Wie verhindert eine kluge Einwanderungs- und Inklusionspolitik die Radikalisie- rung junger Muslime in Europa? Wie kann vermieden werden, dass „die Muslime“ und „der Islam“ unter Generalverdacht gestellt werden? Wie können An- schläge auf jüdische und muslimische Einrichtung verhindert werden? Behalten die Vertreter der offenen Gesellschaft die Oberhand gegen demokratiegefähr- dende rechtspopulistische oder extremistische Reakti- onen auf „Paris“?

Die Pariser Attentate stellen jedoch auch eine Heraus- forderung für die Außenbeziehungen Europas dar. Sie stehen in einem Kontext mit der Schreckensherrschaft des „Islamischen Staates“, die sich vom Mittelmeer bis nach Pakistan auszubreiten droht, Al-Kaida, Boko Haram in Nigeria, dschihadistische Gruppen im Jemen, in Mali, auf den Philippinen. Der Dschihadismus ist eine transnationale Bewegung, ein schwer zu kontrollieren- des Netzwerk, das nicht nur im Nahen Osten, oder Pakistan, sondern auch in Europa Jugendliche mit ein- fachen Identitätsangeboten, radikalen Lösungen, Ge- waltverherrlichung und revolutionärem Pathos in sei- nen Bann zieht. Dabei spricht der Dschihadismus nicht nur die Ausgegrenzten an, sondern – man erinnere sich an die Attentäter von 9/11 – auch akademisch gebilde- te Menschen.

Europa steht vor drei zentralen Herausforderungen:

Erstens, vertritt der Dschihadismus, ähnlich wie im 20. Jahrhundert Stalinismus und Faschismus, ein Wel- tordnungskonzept, das auf die Vernichtung der politi- schen Gegner abzielt. Im Visier stehen „der Westen“, aber auch alle Muslime, die sich dem Machtanspruch der Fundamentalisten nicht unterordnen. International abgestimmte Terrorbekämpfung, die die Fehler von Abu Graib und Guantanamo vermeidet, die wie Brand- beschleuniger für den islamistischen Fundamentalis- mus wirkten, ist daher notwendig. Die Eindämmung des Dschihadismus kann nur gelingen, wenn Europa und der Westen zugleich in einen umfassenden und sicher schwierigen Austausch mit islamischen Glau- bensvertretern, Regierungen, gesellschaftlichen Grup- pen, Intellektuellen tritt. Denn das Verhältnis zwischen

„dem Westen“ und „den islamischen Gesellschaften“ ist von wechselseitigen Vorurteilen, Ignoranz, Unkenntnis und oft Ablehnung geprägt. Muslime machen etwa 25 % der Weltbevölkerung aus. Die Verständigung mit

ihnen über die Grundlagen des Zusammenlebens in einer eng vernetzten Weltgesellschaft ist auch eine wichtige Dimension bei der Suche nach einer koopera- tionsbasierten Weltordnung. Dabei muss die Vielfalt der islamischen Welt berücksichtigt werden: Indonesi- en und Tunesien sind vielversprechende Demokratien, Jordanien und Marokko aufgeklärte Monarchien, in Saudi-Arabien wurde gerade ein liberaler Blogger zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt.

Die Auslegungen des Koran und dessen Bedeutung für die Gestaltungen von Gesellschaften gehen weit ausei- nander. Eine Verständigungsstrategie mit islamischen Gesellschaften zu entwickeln, wäre eine Kraftanstren- gung, vergleichbar mit der Willy Brandt‘schen Ostpoli- tik.

Zweitens muss, z. B. während des anstehenden G7- Gipfels unter deutscher Präsidentschaft, verhindert werden, dass die Auseinandersetzung mit dem Dschihadismus zu einer Verengung der internationalen Politik auf Terrorbekämpfung und Sicherheitspolitik führt. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der glo- bal commons, der globalen Systemrisiken und Entwick- lungschancen: Der Schutz des Erdsystems, die Domes- tizierung der globalen Finanzmärkte, Armutsbekämp- fung, globale Regeln für Datenschutz und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Diese Menschheitsthemen stehen 2015 in den Debatten um die globalen Entwicklungs- ziele und über einen Klimavertrag auf der Agenda – sie müssen mit viel Kraft vorangebracht werden.

Drittens eröffnet sich der deutschen Entwicklungspoli- tik eine große Chance. Entwicklungsminister Müller hat die Neuordnung der Zusammenarbeit mit der MENA- Region, zu der zerfallende Gesellschaften wie Syrien, Irak, Jemen, Länder des verblühten arabischen Früh- lings wie Ägypten und Libyen, das sich demokratisie- rende Tunesien und Regionalmächte wie Saudi Arabien und Iran zählen, schon vor Monaten zu einem Schwer- punkt seiner Arbeit gemacht. Die gesamte Region befindet sich im Umbruch. Wie hier durch internationa- le Zusammenarbeit, sich beschleunigendem Staaten- zerfall und der Ausbreitung des Dschihadismus entge- gengewirkt und zur sukzessiven Überwindung von Autoritarismus und Korruption beigetragen werden kann, umschreibt eine echte Herkulesaufgabe. Ent- wicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik müssen ihre Strategien in dieser Nachbarschaftsregion eng ab- stimmen. Deutschland allein kann nur begrenzte Wir- kung entfalten. Minister Müller sollte seine „Sonderini- tiative MENA“ zu einem europäischen Ansatz weiter- entwickeln.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 21.01.2015 www.die-gdi.de | www.facebook.com/DIE.Bonn | www.youtube.com/DIEnewsflash

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