Erfahrungsbericht: Kommunale Abfallentsorgung
Workshop „Nachhaltigkeit in der Daseinsvorsorge –
privat oder öffentlich?“ des DGB am 19.10.2010 in Berlin
Rechtsanwältin Caroline v. Bechtolsheim
Übersicht
I. Ausgangslage
II. Kriterien für die Neuorganisation der Leistung III. Beeinflussung durch rechtlichen Rahmen
IV. Qualitätsniveau V. Wirtschaftlichkeit
VI. Markt und Wettbewerb
VII. Effekte für Lohnniveau und Beschäftigung VIII. Fazit
I. Ausgangslage (1)
Umfassende Erfahrungen der kommunalen Abfallwirtschaft mit der Drittvergabe von Leistungen – Trend zur eigenen Aufgabenwahrnehmung bzw. der Beteiligung hieran?
Abfallwirtschaft entwickelt sich weiter: Vom Entsorger zum Rohstofflieferanten und/oder Energieversorger – gleichzeitig Tendenz zur zunehmenden Auffächerung der Stoffströme und einer Herausnahme von Stoffströmen aus dem
Abfallregime (Mengenrisiko!)
Kommunale Zuständigkeit für die Entsorgung von
Haushaltsabfällen und Gewerbeabfällen zur Beseitigung bleibt voraussichtlich, Gefahr durch „gewerbliche
Sammlungen“?
I. Ausgangslage (2)
Tendenz zur Rekommunalisierung in der Abfallentsorgung, insbes. bei gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften oder nach dem Auslaufen „alter“ Verträge
Kommunale Kooperation könnte durch EuGH Rspr. Aufwind erhalten (Rs. „Stadtreinigung Hamburg“); bislang aber kein klares Bild über Umfang der Inanspruchnahme durch Kommunen -
Konturen des EuGH?
Andererseits schreiben Entsorgungsträger noch häufig nahezu gesamtes Leistungsspektrum aus (Studie Heinrich-Böll-Stiftung im Auftrag des vks im vku: In den Flächenkommunen vielfach
Drittbeauftragung, kein eigenes operatives Geschäft)
II. Kriterien für die Neuorganisation (1)
(Kunden-) Zufriedenheit mit der bisherigen Aufgabenerledigung
Kommunale Steuerung nach Anforderungen
Gemeindewirtschaftsrecht durchsetzbar („Durchgriff“) Gleichzeitig: Ausreichende Flexibilität für zeitnahes,
unternehmerisches Handeln („Machtbalance“) Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung
(Auslastungsmöglichkeiten und –risiko, Synergien, Kosten)
II. Kriterien für die Neuorganisation (2)
Aufwand der Umsetzung
Möglichkeiten der Finanzierung/Investitionsrisiken Ökologie, Klimaschutz
Arbeitsmarktpolitische Erwägungen und Wertschöpfung Potenzial der Akteure
III. Beeinflussung der Kriterien durch den rechtlichen Rahmen
Abfallrechtliche Rahmenbedingungen (zunehmender Einfluss der EU, Stärkung des Privatsektors?)
Organisationsrecht (Gesellschaftsrecht, Kommunalrecht) Kommunalrecht (Kommunalwirtschaftsrecht, kommunales
Organisationsrecht einschl. Recht der kommunalen Gemeinschaftsarbeit)
Vergaberecht (erheblicher Einfluss der EU) Steuerrecht
Arbeitsrecht (erheblicher Einfluss der EU)
IV. Qualitätsniveau
bei öffentlicher Aufgabenerfüllung regelmäßig hohes Niveau der Qualität und Zuverlässigkeit der
Leistungserfüllung, da
Keine Fixierung auf Konzerngewinn
Kostenvorteil: Steuerprivileg (rechtliche Unsicherheit!) Einhaltung des TVöD sichert faire Entlohnung (wird
allerdings häufig ausschließlich als „Kostenfaktor“
wahrgenommen)
Stärkere Orientierung an Zufriedenheit der Bürger und Allgemeinwohlinteressen wie Umweltverträglichkeit etc.
Direkte und flexible Steuerung der Aufgabenerfüllung
IV. Qualitätsniveau (2)
Bei Drittbeauftragung gutes Leistungsniveau nicht ausgeschlossen, aber stark von Auftragssituation (v.a.
Ausgestaltung der Ausschreibung) abhängig:
Konstanter Ansprechpartner vorhanden und zuverlässig ? Sorgfältige Beschreibung des Leistungsspektrums?
Zeitaufwand und Personal ausreichend kalkuliert ? (Auskömmlichkeit oft an der Grenze, Preiswettbewerb häufig über Lohnkosten)
Hohe Bedeutung eines qualitativ guten
Vertragscontrollings mit regelmäßiger Überprüfung der Leistungserbringung des Beauftragten und Abrechnungen Qualität der vorherigen Ausschreibung? Kriterien?
V. Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung
kein klarer Gegensatz: öffentlich = teuer, privat = günstig, sondern abhängig vom Einzelfall
kostenbildende Faktoren (Steuern, Personalkosten, Gewinn etc.) wirken sich je nach Einzelfall unterschiedlich aus
zwar häufig: Kosten der privaten Durchführung unter den Kosten der öffentlichen Leistungserfüllung
gleichwohl: öffentliche Erfüllung bedeutet nicht stets hohe Abfallgebühren, insbesondere wenn der Eigenerbringung ein langjähriger, überteuerter Vertrag mit Dritten vorausging
VI. Markt und Wettbewerb
Preiswettbewerb durch Ausschreibung fördert Oligopolbildung:
vergaberechtliche Rechtsprechung billigt großteils Unterkostenangebote
Auf lange Sicht nur Großunternehmen in der Lage, sich dem Wettbewerb zu stellen
Alternative: Zusätzliche Zuschlagskriterien (Umwelt, Qualität etc.)? Grds.:
Notwendigkeit einer Analyse von Lebenszykluskosten nach neuer Vergabeverordnung
Risikoverteilung:
Risiko langfristiger Investitionen und Fehlprognosen wird bei Fremdvergabe dem Auftragnehmer überbürdet
Bei aktuellen Auslastungsschwierigkeiten von öffentlichen Entsorgungsanlagen: Furcht vor der Eigenerbringung
VII. Effekte für Lohnniveau und Beschäftigung (1)
Grundsätzliche Beobachtung: Ausschreibungen (jedenfalls mit
einzigem Zuschlagskriterium „Preis“) führen zu Leistungserbringung bei niedrigem Lohnniveau, da Unternehmen in seltensten Fällen Tariflöhne zahlen
Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in der Abfallwirtschaft hat nur ein weiteres Absinken der Löhne verhindert
die angemessenen (öffentlichen) Tariflöhne liegen gleichwohl immer noch deutlich über dem Mindestlohn- bzw. Marktniveau
=> niedrige Entlohnung der Auftragnehmer bei Ausschreibungen daher häufige Konsequenz eines günstigen Preises
VII. Effekte für Lohnniveau und Beschäftigung (2)
Forderung nach Tariftreue in Ausschreibungen hat sich bei
Ausschreibung von Dienstleistungen nicht als vergaberechtskonform herausgestellt (EuGH)
Ausnahme: ÖPNV
Alternative: Entlohnungsniveau als „soziales“ Zuschlagskriterium? Zw.
(VK Schleswig-Holstein hält Berücksichtigung der Zahlung von
Tariflöhnen als Zuschlagskriterium für unzulässig, B. v. 14.01.2010, Az.
VK-SH 25/09)
Landesvergabegesetze reagieren z.T. mit eigenen Mindestlohn- vorgaben (z.B. Entwurf Brandenburg), auch diese liegen jedoch
regelmäßig deutlich unter dem Niveau des Tarifes für den öffentlichen Dienst
VIII. Fazit
Kein klarer Trend zur Rekommunalisierung erkennbar
Zunehmend jedoch größeres Verantwortungsbewusstsein gegenüber Arbeitnehmern als Entscheidungsfaktor zugunsten der öffentlichen Leistungserbringung
Steigende Bedeutung von „Sekundärkriterien“ wie z.B.
Umweltkriterien? Stärkere Offenheit des Vergaberechts (§ 97 GWB) Hohe Bedeutung der Gebührenhöhe für die politischen
Entscheidungsträger vor Ort
Sorgfältige Vorbereitung der Organisationsentscheidung notwendig
Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit.
Gaßner, Groth, Siederer & Coll.
Rechtsanwältin
Caroline v. Bechtolsheim EnergieForum Berlin
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