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(1)Else Baker Rede final2 Stand Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freunde, Ich bin dankbar und sehr bewegt, dass heute so viele Menschen gekommen sind

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Else Baker Rede final2 Stand: 26.07.2019

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Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freunde,

Ich bin dankbar und sehr bewegt, dass heute so viele Menschen gekommen sind. Ich möchte auch an die anderen Überlebenden erinnern, die leider nicht mehr bei uns sind, wie Ricky Adler, Hugo Höllenreiner und Walter Winter, die ich persönlich kannte.

Wir alle wären sehr bewegt und freudig berührt, dass heute so viele Leute hier sind, um die Erinnerung an das Verbrechen, welches hier vor 75 Jahren

geschah, wach zu halten.

Übergang an eine Stellvertreterin:

Frau Baker hat mich gebeten, den Rest ihrer heutigen Rede vorzutragen, da sie inzwischen sehr stark sehbehindert ist.

Redetext:

Ich wurde im Dezember 1935 in Hamburg geboren, wo ich in einer

Pflegefamilie aufwuchs. Für mich waren meine Pflegeeltern, Auguste und Emil Matulat, einfach meine Mutter und mein Vater. Wir wussten nicht, dass meine leibliche Mutter eine Sintiza war. Für die Nazis aber war ich damit eine

sogenannte „Zigeunerin“.

Meine Pflegeeltern waren geschockt, als im März 1943 zwei Polizisten vor unserer Tür standen. Sie wollten mich – ein sieben Jahre altes Mädchen – verhaften. Die Polizisten brachten mich zu einem Lagerhaus am Hamburger Hafen. Von hier wurden Sinti und Roma genau wie Juden in die

Konzentrationslager deportiert. Zusammen mit über 300 Sinti und Roma sollte ich nach Auschwitz verschleppt werden.

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Else Baker Rede final2 Stand: 26.07.2019

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Zu meinem großen Glück gelang es meinem Vater, meine Freilassung zu

erreichen, bevor sich der Deportationszug in Bewegung setzte. Ich habe damals gar nicht richtig verstanden, was geschehen war. Am nächsten Tag bin ich einfach wieder in die Schule gegangen.

Nur ein Jahr später wiederholte sich alles noch einmal. Erneut standen

Polizisten vor unserer Tür. Erneut wurde ich verhaftet. Erneut versuchte mein Vater, meine Freilassung zu erreichen. Dieses Mal war es vergeblich.

Zusammen mit 25 anderen Sinti, darunter viele Kinder, wurde ich nach Auschwitz deportiert.

Ich war erst 8 Jahre alt und ganz allein. Es war wie eine Hölle. Diese Situation wird man nie mehr los. Ich hatte so viele Leute noch nie gesehen. Fetzen hingen an ihnen herunter. Einige waren wie Skelette so mager und die Augen waren ganz tief. Schrecklich. Es gibt gar kein Wort dafür, um das zu

beschreiben. Und ich war ja noch ein Kind. Ganz allein zwischen all den fremden Menschen.

Ohne die Hilfe und die Unterstützung durch eine andere Gefangene, die Sintiza Wanda Fischer, hätte ich nicht überlebt. Sie beschützte mich. Als die SS mit den Vorbereitungen begann, um die letzten überlebenden Gefangenen des

Lagerabschnitts BIIe zu ermorden, wurde ich von Wanda getrennt. Alles war noch wesentlich schlimmer als es vorher war. Man kann es sich kaum

vorstellen, aber es war tatsächlich so. Die meisten sind umgebracht worden.

Ich wurde in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Hier hatte ich niemanden mehr, der mich beschützte.Ich habe überhaupt nicht mehr

gesprochen. Ich saß nur immer da wie ein Zombie. Wie eine lebendige Tote.

Gott sei Dank, war ich nur wenige Wochen in Ravensbrück. Mein Vater, Emil Matulat, hatte nicht aufgegeben. Durch Bittschriften und persönliche Eingaben hatte er sich an die Behörden und die Nazi-Führung gewandt. Das war für ihn mit einem hohen Risiko verbunden.

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Else Baker Rede final2 Stand: 26.07.2019

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Ende September 1944 nur wenige Monate vor Kriegsende durfte er mich schließlich abholen. Als mein Vater mich nach diesen schrecklichen Monaten das erste Mal wiedersah, war ich völlig traumatisiert. Er sagte mir später, ich habe wie eine Mumie gewirkt. Meine Augen hätten nicht mehr wie

Kinderaugen ausgesehen. Ich hatte den Blick eines sehr alten Menschen.

Es hat Jahrzehnte gedauert bis ich überhaupt über mein Schicksal sprechen konnte. Erst in den 1990er Jahren habe ich die Kraft gefunden, mit dem Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg Kontakt aufzunehmen und meine Geschichte zu erzählen. Erstmals konnte ich über meine schrecklichen Erlebnisse sprechen, ohne zusammenzubrechen.

Noch heute fällt es mir ausgesprochen schwer, an den Ort des

Vernichtungslagers Auschwitz zurückzukehren. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wohin Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus führen. Drei meiner vier leiblichen Geschwister und meine leibliche Mutter wurden durch die Nationalsozialisten ermordet. Ich selbst habe Auschwitz nur mit viel Glück und durch den selbstlosen Einsatz einzelner Menschen überlebt.

Die Schicksale der Ermordeten und der Überlebenden der Vernichtungslager dürfen nie in Vergessenheit geraten. Auch deshalb stehe ich heute hier. In einer Zeit, in der rassistische Gruppierungen in vielen Ländern an Einfluss gewinnen, reicht es nicht, an die Verbrechen zu erinnern. Wir alle – die Überlebenden der Vernichtungslager genau wie die Nachgeborenen – müssen für

Menschenrechte und Demokratie eintreten. Wir dürfen uns nie sicher sein, daß sich die Verbrechen der Nazis nicht wiederholen.

Else Baker möchte einen letzten Abschlusssatz in Englisch sagen:

May I just say that I am very sad, that the current political climate emboldens racists and extremists so that people like myself have to feel fearful again.

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