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A. Einleitung. 1 BAG, Beschluss vom , 4 AZR 549/08, AP Nr. 46 zu 3 TVG, NZA 2010, 645ff.

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A. Einleitung

Seit mehr als 50 Jahren galt bislang nach der ständigen Rechtsprechung des Bun- desarbeitsgerichts bei Tarifkollision der Grundsatz der Tarifeinheit. Nach dem Prinzip „Ein Betrieb – Eine Gewerkschaft“ konnte sich lediglich ein Tarifvertrag in einem Betrieb durchsetzen, auch wenn der Arbeitgeber für diesen Betrieb an mehrere Tarifverträge mit sich überschneidenden Geltungsbereichen gebunden war. Dies galt sowohl für den Fall der Tarifkonkurrenz als auch im Falle einer Tarifpluralität. Hintergrund für diese Rechtsprechung war der pragmatische Gedanke, eine einfache und handhabbare Lösung bei auftretenden Tarifkollisi- onen zu schaffen. In der Literatur ist diese Vorgehensweise seit jeher auf heftige Kritik gestoßen. Bemängelt wurde durchweg ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit. Zudem hatte sich auch in der Rechtsprechung un- terinstanzlicher Gerichte sowie bei vereinzelten Senaten des Bundesarbeitsge- richts in den letzten Jahren eine schleichende Distanzierung vom Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität im Betrieb angekündigt.

Maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen hat die stetige Veränderung der Gewerkschaftslandschaft in Deutschland. Neben den klassischen DGB- Gewerkschaften bildeten sich zum einen sog. Spezialisten- und Spartengewerk- schaften, wie die Gewerkschaft der Lokführer GDL, der Marburger Bund, die Pilotenvereinigung Cockpit oder die Gewerkschaft der Flugbegleiter UFO. Zum anderen traten zunehmend Richtungsgewerkschaften, insbesondere die im CGB zusammengeschlossenen christlichen Gewerkschaften, auf und damit ebenfalls in Konkurrenz zu den DGB-Gewerkschaften. Diese Wandlung führte immer öfter zu einem Aufeinandertreffen konkurrierender Tarifverträge in einem Betrieb.

Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr seinen über Jahrzehnte hinweg das Tarifrecht prägenden Rechtsgrundsatz der Tarifeinheit im Betrieb bei Tarifplu- ralität aufgegeben. Mit Beschluss vom 27.01.20101 stellte der 4. Senat eine Anfra- ge auf Rechtsprechungsänderung an den 10. Senat. Dieser stimmte mit seinem

1 BAG, Beschluss vom 27.01.2010, 4 AZR 549/08, AP Nr. 46 zu § 3 TVG, NZA 2010, 645ff.

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Beschluss vom 23.06.20102 der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit für die Fälle von Tarifpluralität zu. Am 07.07.20103 gab der 4. Senat dann schlussendlich seine bisherige Rechtsprechung zur Tarifeinheit im Betrieb auf und beendete damit eine Ära.

Diese Rechtsprechungsänderung wirft für die Praxis zahlreiche Neuerungen auf. Die Abkehr von dem Grundsatz der Tarifeinheit bedingt, dass jetzt mehre- re Tarifverträge nebeneinander in einem Betrieb zur Anwendung gelangen und gegebenenfalls unterschiedliche Regelungen enthalten können, ohne dass, wie bisher, einer der konkurrierenden Tarifverträge zurücktreten muss.

Vor diesem Hintergrund stellt sich aktuell die Frage, wie mit den Folgeprob- lemen umzugehen ist. Zum einen führt die Umsetzung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb für den Arbeitgeber zu erheblichen organisatorischen Konse- quenzen. Dieser ist nunmehr gehalten, auf jeden gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter, den für diesen gültigen Tarifvertrag anzuwenden. Dazu ist es aber unerlässlich, dass der Arbeitgeber überhaupt weiß, welcher Tarifvertrag für wel- chen Arbeitnehmer Wirkung entfaltet. Dies führt wiederum zu der wesentlichen Frage, ob dem Arbeitgeber ein Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zusteht. Des Weiteren ist problematisch, wie mit bestehenden Bezugnahmeklau- seln umzugehen ist, da es jetzt an der Bestimmtheit fehlen kann. Zudem sind auch die Auswirkungen auf das Arbeitskampfrecht nicht zu unterschätzen.

Unter Berücksichtigung der von den Kritikern der Tarifpluralität angeführ- ten rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten soll der Fokus dieser Arbeit jedoch schwerpunktmäßig auf den Auswirkungen für das Betriebsverfassungs- recht liegen. Hier gilt es zu begutachten, welche Veränderungen sich durch das Ende der Tarifeinheit bei Tarifpluralität mit Blick auf die §§ 80 Abs. 1, 87 Abs. 1 Einleitungssatz, 77 Abs. 3, 3 Abs.1 BetrVG sowie die Gemeinsamen Einrichtun- gen ergeben und wie diese folglich für den tarifpluralen Betrieb zu lösen sind.

Bei mehreren, in einem Betrieb anwendbaren Tarifverträgen stellt sich auf betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Ebene daher die Frage, ob die Rechtsprechungsänderung auch hier konsequent umzusetzen ist und damit alle geltenden Tarifverträge Wirkung entfalten, oder ob zugunsten der Betriebsau- tonomie nur einem der Tarifwerke Vorzug eingeräumt werden darf. Anders als bei Individualnormen, wird bei betrieblichen Angelegenheiten gem. § 3 Abs. 2 TVG allein auf die Tarifbindung des Arbeitgebers abgestellt. Damit kommt es 2 BAG, Beschluss vom 23.06.2010, 10 AS 2/10, AP Nr. 47 zu § 3 TVG, NZA 2010, 778;

Beschluss vom 23.06.2010, 10 AS 3/10.

3 BAG, Urteil vom 07.07.2010, 4 AZR 549/08, AP Nr. 140 zu Art 9 GG, NZA 2010, 1068ff.

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unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer zur Ver- bindlichkeit tariflicher Vorschriften für den gesamten Betrieb, wenn der Arbeit- geber an den Tarifvertrag gebunden ist. Aus diesem Grunde besteht zukünftig vermehrt die Gefahr unterschiedlicher betrieblicher Regelungen durch verschie- dene Tarifverträge.

Im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung ist zum einen § 77 Abs. 3 BetrVG von dem Paradigmenwechsel betroffen. Hier gilt es zu klären, welcher Tarifvertrag den Tarifvorbehalt nach § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG auslöst und damit abweichende Betriebsvereinbarungen des Betriebsrats sperrt. Problematisch ist zudem, wie es sich mit konkurrierenden Öffnungsklauseln gem. § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG verhält, da diese der Sperrwirkung grundsätzlich entgegenstehen. Mit Blick auf § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG und § 77 Abs. 3 BetrVG muss erörtert werden, wie mit „alten“ Betriebsvereinbarungen umzugehen ist, die bereits vor der Rechtsprechungsänderung Bestand hatten und nunmehr möglicherweise im Widerspruch zu der neuen Rechtslage stehen.

Zum anderen sind von der Rechtsprechungsänderung auch die Regelungsge- genstände des § 87 Abs. 1 BetrVG betroffen, beispielsweise Arbeitszeitmodelle oder Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Nach der Rechtsprechungsaufga- be sind konsequenterweise Arbeitnehmer, die dieselbe Tätigkeit ausüben, unter Umständen aufgrund ihrer jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit unterschied- lich zu entlohnen, müssen unterschiedlich viel arbeiten oder haben Anspruch auf unterschiedlich viele Urlaubstage. Dies kann mit Blick auf verschiedene tarifliche Regelungen zu Arbeitszeitmodellen aber zu weitreichenden prakti- schen Schwierigkeiten führen. Des Weiteren ist hinsichtlich § 87 Abs. 1 Ein- gangssatz BetrVG zu untersuchen, welche Auswirkungen die Tarifpluralität auf den Bereich der Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten hat. In diesem Zusammenhang ist fraglich, nach welchen Kriterien zukünftig der Tarifvorrang behandelt werden soll. Hier muss mit Blick auf den Norm- zweck entschieden werden, ob jeder Tarifvertrag die Sperrwirkung gegenüber dem betrieblichen Mitbestimmungsrecht auszulösen vermag, oder eben nur ei- ner der konkurrierenden Tarifverträge. Ferner ist problematisch, wie es sich mit unterschiedlichen Betriebsvereinbarungen je nach Gewerkschaftszugehörigkeit verhält. Dabei kommt es maßgeblich auf das Verhältnis zwischen Betriebs- und Tarifautonomie nach der Intention des Gesetzgebers an.

Darüber hinaus spielt die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb auch eine entscheidende Rolle in Bezug auf betriebsverfassungsrechtliche Orga- nisationsnormen, insbesondere auf § 3 Abs. 1 BetrVG. Die Schwierigkeit besteht hier darin, dass es dem Arbeitgeber frei steht, mit mehreren Gewerkschaften

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Zuordnungstarifverträge abzuschließen, die nunmehr unabhängig voneinander abweichende Arbeitnehmervertretungsstrukturen vorsehen können.

Letztlich ergeben sich für den tarifpluralen Betrieb auch wichtige Fragen hin- sichtlich der Tarifverträge über die Gemeinsamen Einrichtungen nach § 4 Abs. 2 TVG. Insbesondere außerhalb des AEntG gilt es eine Lösung zu finden, die der Aufgabe gemeinsamer Einrichtungen gerecht wird.

Das Ziel der Arbeit ist demnach eine Analyse der Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb. Im Fokus steht dabei insbesondere, inwieweit einer Aufgabe der Tarifeinheit zugunsten von Tarifpluralität im Betrieb mit besonderem Blick auf das Betriebsverfas- sungsrecht gefolgt werden kann und welche Konsequenzen sich hieraus für die Arbeitsvertragsparteien und andere betriebliche Institutionen ergeben. Aus die- sen Erkenntnissen gilt es, eine praxistaugliche und rechtsdogmatisch fundierte Lösung bei auftretenden Tarifkollisionen im BetrVG zu entwickeln.

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