Die Paschto-Bewegung
Von Wolfgang Lentz, Berlin
Es ist jetzt an die vier Jahre her, seitdem der afghanische
König Muhammad Zähir Säh seine Muttersprache, das
Paschto, zur Nationalsprache seines Königreichs erklärte*).
Einige Monate später wurde der damalige erste Staatssekretär
im Außenministerium Muhammad Na^im ffän als Kultus¬
minister berufen. Als besondere Aufgabe erhielt er vom
Premierminister Muhammad Häiim ffän Anweisungen für
die Pflege des Paschto.
Kaum ein Afghane und noch weniger einer von uns, die
sich für dieses Volk interessieren, wird damals geglaubt haben,
daß schon nach so kurzer Zeit die glänzendsten Erfolge der
Bemühungen sichtbar werden würden. Wir können uns hier
nicht mit der Ausbreitung der praktischen Kenntnis der
Sprache im Lande selbst befassen — ihre Erlernung inner¬
halb von drei Jahren war allen im Staatswesen Beschäftigten
zur Pflicht gemacht worden —, sondem wollen versuchen,
ein Bild über den Zuwachs an Literatur in und über Paschto
zu gewinnen. Dabei sind wir in der glücklichen Lage, über
eine stattliche Sendung neuer afghanischer Veröffentlichungen
berichten zu können, die uns soeben erreicht*). Es sind im
wesentlichen die letzten Bände und Hefte von drei Periodica
der Afghanischen Akademie (Paxto Tobna), von denen wir
frühere Jahrgänge bereits gewürdigt haben').
1) Durch Dekret vom 4. November 1936, vgl. Jahrbuch Kabul
(s. sogleich!) 6,118.
2) Die Gabe danken wir der Afghanischen Akademie, die Über¬
bringung H. Scm.oBiBs. Frühere Sendungen erhielt ich durch freund¬
liche Vermittlung der Afghanischen Gesandtschaft und des Deutsch -
Ausländischen Buchtauschs in Berlin, sowie von G. Graspk in Kabul.
3) Sammlungen zur afghanischen Literatur- und Zeitgeschichte, in
dieser Zeitschrift Bd. 91 (N. F. 16), 1937, 716f., 721.
It
118 W. Lentz, Die Pasclilo-l^ewegiing Die Titel lauten :
1. Jahrbuch {sälnäma) Käbul, das mit der Ausgabe von 1940 auf
das Jahr 1318 h. (A. D. 1939/40), hrsg. von Mhd.Qadlr Taraki^), bereits zum achtenmal erscheint;
2. Monatsschrift (majalla^) Käbul, für die der gleiche Herausgeber verantwortlich zeichnet, bis Nr. 115 für September/Oktober 1940, d. i.
Jahrgang 10, Heft 7;
3. ,,Gute Nachrichten" (pt. Zerai), hrsg. von Gul Pälä Ulfat, die Paschto-Wochenschrift, von der am 3. September 1940 die 10. Nummer
des 4. Jahrgangs herausgekommen ist.
Schon der äußere Eindruck der Reihen ist vorzüghch. Die
Nummern sind noch hübscher in der Ausstattung geworden.
,,Almanach" und „Revue" — so lauten die Nebentitel der
beiden großen Serien — bringen immer mehr interessante
Photos aus Afghanistan und neuerdings auch in größerem
Umfang farbige Wiedergaben von Gemälden einheimischer
Künstler. Die an sich prächtigen früheren Paschto-Auto-
typien sind durch Typendruck abgelöst worden. Dabei hat
sich mit der Zeit eine endgültige Form des Alphabets heraus¬
gebildet, die von der bei uns bekannten') nur in geringfügigen
Einzelheiten *) abweicht.
Der Sprache nach war das Unterrichtsblatt Zerai von
Anfang ah rein auf Paschto abgefaßt und bringt nur jeweils
am Schluß persische Übersetzungen von Vokabeln. Aber auch
die beiden anderen Reihen räumen Aufsätzen auf und über
Paschto einen immer größeren Raum ein. Die allmähliche
Ersetzung des Persischen durch die Nationalsprache in ständig
1) Geschrieben ^«/; vgl. die Bemerkung am Schluß des Aufsatzes !
2) In Afghanistan habe ich auch bei Gebildeten immer nur u in
der ersten Silbe dieses Wortes gehört.
3) Alphabete und Schriftzeichen des Morgen- und Abendlandes,
Berlin 1924, 36.
4) Vgl. ,, Sammlungen" 722. g wird jetzt wie im Persischen ciT ge¬
schrieben, dz ist ^. e (e) wird durch Senkrechtstellung der Jö-Punkte
von i unterschieden. Im Druck liest man am Ende (^; geschrieben
wird ^ ^ bedeutet ai. Kurze Vokale bleiben unbezeichnet. Zu Lehr¬
zwecken gebraucht man die aus dem Persischen bekannten Vokal¬
zeichen, die durch ~ für a ergänzt sind. Das große Lexikon von Mlid.
Gul Muhmand (unten S. 122f. m. Anm. 3) verwendet einige Besonder¬
heiten, die dort auf den ersten Seiten erläutert werden.
W. Lkntz, Die I^asclito-Bewegung 119
sich erweiterndem Umkreis macht dabei einen durchaus
organischen Eindruck.
Zusammenfassende Überblicke über die Paschto-Bewe¬
gung bringen die Jahrbücher. Das Material ist etwas ver¬
streut, weil mehrfach Umorganisationen vorgenommen wor¬
den sind. Doch kann in den letzten drei Bänden mit ihren
umfangreichen Listen ausgegebener und in Vorbereitung be¬
findlicher Publikationen 1) verfolgt werden, wie die bewußte
Pflege der einheimischen Sprache und Literatur aus der in
aller Stille wirkenden Tätigkeit von ,,Cercles litteraires" zu
einer von der Staatsführung planmäßig eingesetzten natio¬
nalen Sache wird. Welche Bedeutung die Regierung den
kulturellen Belangen beimißt, zeigt sie durch eine Reihe von
Maßnahmen, die wir dem letzten Jahrbuch entnehmen
können*). Danach ist der Kultusminister neuerdings auch
noch der erste von zwei persönlichen Referenten (mu'^äwin)
des Premierministers und erscheint als solcher in der Rang¬
liste unmittelbar hinter dem Ministerpräsidenten selbst. Das
Kultusministeriuni betreut das Paschto-Schulwesen und bi¬
bliographiert in seinem Jahresbericht weiterhin die Schul¬
bücher'). Den Ministerien nebengeordnet ist ein selbständiges
.\mt für Schrifttum (rijäsali mustaqillaji matbU'dt) entstanden
unter Leitung von Salähuddin ffän. Ihm unterstehen vier
Generaldirektoren {mudlri 'umümi).
Von diesen vertritt Saj/id Qäsim ffän Hiiti/ä, der früiiere Heraus¬
geber von Sälnäma und Majallaji Käbul. die Presse {naSri/ät), Abdui- raSid ffän Latifi eine Nachrichtenagentur [äzäns] und der Direktor der
Kunstgewerbeschule 'Abduh'iafür ffän BreSna die Druckereien (matäbi^).
Der vierte*) Generaldirektor, 'Abdulhajj ffän Hablbl, ist
zugleich persönlicher Referent {mu'äwin) des Präsidenten
(ra'is). Sein Amtsbereich ist die Afghanische Akademie. Da¬
li Jahrbuch Kabul 6, 1937/38. 103—12. 531—67: 7, 19.S8/39, 485
bis 494; 8, 1939/40, 118—28.
2) Jahrbuch 8, 3. 19. 35.
3) Der letzte Bericht über Umüi i ma'ärif mit Verzeichnis auch der
niclit für Schulzwecke bestimmten Neuerscheinungen steht im Jahr-
liuch 5 für 1936/37, 107—19.
4) In der Rangliste steht or an driller Stelle.
120 W. Lentz, Die Paschto-Bewegung
mit ist diese Institution in einen Apparat eingebaut worden,
der etwa unserm Propagandaministerium entspricht. Sie hat
dadurch die Presse verloren, die ihr vordem unterstand.
Übrigens ist aus den Herausgebern der wichtigsten Zeit¬
schriften und Zeitungen 1) noch eine eigne Schrifttums¬
kammer (däHraja [\] maibü'ät) gebildet worden. Die Afgha¬
nische Akademie ist aus der Vereinigung der Kabuler mit der
Kandeharer Literarischen Gesellschaft entstanden, von denen
die letztere bereits im Sommer 1935 auch in die Hauptstadt
übergesiedelt war. Die Hauptaufgabe des Instituts ist der
Ausbau der Nationalsprache (ta'mim wa takmili zabäni milll).
Es gliedert sich in vier Abteilungen (als mudirijat, aber auch
als Su'ba bezeichnet) mit je einem Direktor (mudir) an der
Spitze.
Der Abteilung für Sprache (zabän) steht Aminulläh ffän Zamarjäli vor, derjenigen für Geschichte (tärih) der Direktor des Kabuler Museums Ahmad 'Ali ffän Kuhzäd, den Zeitschriften vertag (^ahhäfat) leitet der schon erwähnte Taraki. Endlich statt einer Abteilung für Volksliteratur (adabijät mit verschiedenen Zusätzen wie fülklür oder hifzi ätär) unter
Sarwar ffän Güjä wird jetzt eine Rundfunkstelle (idäraji rädijü) mit
dem gleichen Direktor aufgeführt. In der Sprachabteilung betreuen
Qijämuddin ffän ffädim sowie Mhd. A'zam ffän Ajäzi die beiden Unter¬
abteilungen (Su'ba) für Texte und Übersetzungen (ta'alluf wa tar§uma)
sowie für Lexikon und Grammatik (lugät wa qawä'id). Eine weitere
Unterabteilung befaßt sich mit Prüfungen (taftU) der Absolventen von
Paschto-Lehrgängen, zugleich aber mit der Übertragung amtlicher
Erlasse anderer Behörden ins Paschto.
Über die Jahresberichte hinaus geben insbesondere noch
zwei Aufsätze auf Paschto bibliographische Auskünfte. Der
eine ist ein ,, Blick auf die Paschto-Literatur" von Zamar¬
jäli^). Dieser bringt am Schluß ein ausführliches Bücher¬
verzeichnis. Es enthält vorwiegend die ältere Basarliteratur,
die in indischen Lithographien weit verbreitet ist. Sie wird
1) Die letzte offizielle Liste von Zeitschriften und Zeitungen bringt
Jahrbuch 7 am Schluß vor dem Inhaltsverzeichnis des Bandes. Vgl.
dazu noch in der unmittelbar vorhergehenden französisch geschriebenen
Zusammenfassung über ,,L'Afghanistan moderne" aus der Feder
RiStijäs S. 8 (Anhang).
2) Jahrbuch 6, 229—300; 7, 20/i— 50; 8, 320—40.
W. Lbntz, Die Pasciito-Bevvegung 121
in der Regel nach „Landan Mazijum''^) zitiert. Doch erfahren
wir auch von gedruckten und ungedruckten literarischen und
lexikalischen Schätzen der Bibliothek des Kabuler Unter¬
richtsministeriums und des Akademie-Archivs. Die andere
Arbeit entstammt der Feder ffädims und behandelt in kurzen
biographischen Abrissen mit Gedichtproben die gegenwärtige
Generation der Paschto-Schriftsteller"). Ristijä hat den Ar¬
tikel durch eine Würdigung Hädims selbst ergänzt. Die Ab¬
handlung schließt mit einer Liste von 18 neuen Paschto-
Drucken.
Von diesen Veröffentlichungen ist inzwischen auch einiges
nach Deutschland gelangt. Die Drucke sind in der Regel als
Publikationen (naSrijät) der Afghanischen Akademie bezeich¬
net und als solche meist sowohl laufend wie auch mit Angabe
der betreffenden Akademieabteilung numeriert.
Zamarjäli und Hädim selbst haben uns — teilweise unter
Mitarbeit von Ja'qüb Hasan ffän — einen trefflichen „Schlüssel
zum Paschto"') geschenkt. Das musterhaft kalligraphierte
Werk führt den Stoff in Form einer Konversationsgrammatik
mit zahlreichen Beispielen und kurzen persischen Erläute¬
rungen vor. Nach der stilistischen Seite hin wird die Arbeit
in willkommener Weise ergänzt durch einen Briefsteller von
Mhd. Gul ffän Nüri*). Er enthält eine große Zahl von Mustern
für private und amtliche Schreiben und gibt einleitend Aus-
1) Vgl. J. F. Blumhabdt, Catalogues of the Hindi, Panjabi, Sindhi,
and Pushtu printed books in the library of the British Museum, Ldn.
1893, und von dems. Catalogues of the Marathi, Gujarati, Bengali,
Assamese, Oriya, Pushtu, and Sindhi manuscripts in the library of the
British Museum, Ldn. 1905. Bei dieser Gelegenheit sei auch noch auf
Hindi, Panjabi, Pushtu, and Sindhi books des gleichen Verfassers in
Catalogue of the library of the India Office (II 3, 1902) aufmerksam gemacht.
2) Jahrbuch 7,311—40; 8, 241—59.
3) Kabul 1317/18 h. Bd. 2 trägt die allgemeine Nummer 19 der
Akademieveröffentlichungen und ist außerdem als Nr. 3 der Abteilung
für Sprache und als Nr. 3 ihrer l^nterabteilung für Texte und Über¬
setzungen bezeichnet.
4) Kabul 1318. Laufende Publikationsnummer 18, Spezial-Nummer 2
der In der vorigen .\nmerkung genannten Abteilung und Unterabteilung.
0 •
122 W. Lentz, Die Pascitto-Bewegung
kunft über die wichtigsten Anredeformen und auch — ein
Desiderat jedes Lesers afghanischer Veröffenthchungen —
über die Abkürzungen von Titeln und Würden.
Besonders dankenswert sind die ersten Bücher von Proben
volkstümlicher Literatur. Zamarjäli und Taraki haben einen
Band mit 231 Sprichwörtern und Redensarten heraus¬
gebrachtund der ebenfalls schon genannte Närl macht den
Anfang mit einer Sammlung des epischen Gutes, indem er
sieben Prosaerzählungen teilweise mit eingestreuten Versen*)
veröffentlicht.
Zum Schluß muß noch darauf hingewiesen werden, daß
sich die Paschto-Bewegung nicht etwa auf die Hauptstadt
beschränkt. Das große paschto-persische Wörterbuch des da¬
maligen Innenministers Mhd. Gul ffän Muhmand, über das
wir vor kurzem berichtet haben'), ist während einer lang¬
jährigen Tätigkeit dieses hervorragenden Kenners seiner
Sprache im Norden des Landes entstanden. Und jetzt trifft
ein nicht weniger nützliches Lexikon aus Kandehar ein, ein
persisch-paschto Taschenwörterbuch von LaH Mhd. Käkar
und dem erwähnten Generaldirektor Hablbl, dem Heraus¬
geber der dortigen Paschto-Zeitung TuWi Afgän, das als
Nr. 11 einer Reihe von Pubhkationen des Blattes {silsilafi
naSrifäti Tulü'') bezeichnet ist*). Es ist nach Umfang und Aus¬
stattung ein sehr viel anspruchsloseres Unternehmen, ver¬
wertet aber 10000 Paschto-Wörter und bringt Aussprache¬
hilfen durch Vokalzeichen.
Zusammenfassend gesagt, verfügt das Paschto heute be¬
reits über literarische Schätze, deren Besitz das Zusammen-
1) Kabul 1318. Allgemeine Nummer 20, Nr. 4 der Abteilung für
Sprache.
2) Kabul 1318. Allgemeine Nummer 27, Nr. 5 der vorhin er¬
wähnten Abteilung und Unterabteilung. Zu dem literarischen Typus
vgl. , .Sammlungen" 728f. Von dem ersten der jetzt veröffentlichten
Epen, dem von Fatb ffän (vgl. J. Darmesteteb. Chants populaires des
Afghans. 1888—90. Nr. 47) habe ich in Afghanistan verschiedene Fas¬
sungen gesammelt, deren Ausgabe ich vorbereite.
3) In dieser Zeitschrift Bd. 93 (N. F. 18), 1939, 153f.
4) Kandehar 1318.
W. Lbntz, Die Pasclito-Bewegung 123
gehörigkeitsgefühl seiner Sprecher stärken wird und uns die
ersten Beispiele der Standardsprache liefert; darüber hinaus
aber über ernsthafte einheimische Ansätze zur Sichtung des
Sprachstoffs. Hier wird die europäische Forschung mit ihrer
sprach- und literärgeschichtlichen Schulung von neuem ein¬
setzen, um Herkunft und Gebrauch seiner Elemente im ein¬
zelnen festzustellen. Wie wertvoll die Hilfe der einheimischen
Grammatiker und Lexikographen dabei sein wird, mag etwa
daraus erhellen, daß der erwähnte ,,Paschto-Ozean" von
Mhd. Gul ffän Muhmand bei jedem mehrsilbigen Lemma
einen Druckakzent angibt.
So können wir die Afghanen zu den Erfolgen ihrer Paschto-
Bewegung nur beglückwünschen und zum Schluß die Bitte
wiederholen, uns alles, was sie in dieser Sprache drucken,
wenigstens in einem Stück für unsere wissenschaftlichen
öffentlichen Bibliotheken») jeweils möglichst rasch zu über¬
senden, damit wir weiter über diese wichtigen Ergebnisse auf
dem laufenden bleiben.
Ii
Bemerkung: Pasclito (Pt.) wurde transliteriert nacli Abhdlgen.
Preuß. Akad. d. Wiss. Berlin 1938, phil.-hist. Kl. Nr. 7 (1939), S. 168f.,
dagegen nach S. 168 unten Persisch und ebenso die afghanischen Per¬
sonennamen. Die afghanischen Mitglieder der ,, Akademie" haben sich
sämtlich Beinamen zugelegt, deren Vokalisation ohne originale latei¬
nische Umschriften nicht in allen Fällen sicher zu ermitteln ist.
1) Außer der Bibliothek unsrer Gesellschaft und der Preuß. Staats¬
bibliothek (vgl. „Sammlungen" 715f.) tauscht jetzt auch die Preuß.
Akademie der Wissenschaften mit der Afghanischen Akademie Bücher.
Der Deu tsch-Ausländische Buchtausch in Berlin NW 7, Unter den
Linden 8, hat dankenswerterweise die Verteilung aller in Deutschland
eingehenden afghanischen Sendungen übernommen. Diese kommen daher
unter der genannten Adresse am raschesten an ihr Ziel. Natürlich inter¬
essieren auch dorther alle persischen Drucke von allgemeinerer Be¬
deutung.
Bücherbesprechungen
Bruno Meissner und Dietrich Opitz, Studien zum Bü
ffiläni im Nordpalast Assurbanaplis zu Ninive — Abhand¬
lungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1939.
— Berlin 1940.
Vor nahezu einem Jahrhundert begann zwischen Franzo¬
sen und Engländern ein Wettlauf um die Entdeckung und
Freilegung der assyrischen Königspaläste in Nimrud, Kujun-
dschik und Chorsabad. Wissenschaftlicher Drang war gewiß
nicht immer die einzige Triebfeder der zahlreichen Grabungen,
die sich über mehrere Jahrzehnte verteilten. Doch hätten die
architektonischen, bildhauerischen und handwerklichen Funde
eine Grundlage für eine vorderasiatische Archäologie geboten,
ebenso wie die gleichzeitig gefundenen zahllosen Tontafeln
den Ausbau einer Keilschriftwissenschaft ermöglicht haben.
Für eine Beobachtung der Kleinfunde jedoch war die Zeit
noch ebensowenig gekommen wie für eine Erkenntnis der
baulichen Gegebenheiten, und die ungeheuren Schätze an
Reliefs, die in den Palästen zutage kamen, wurden mehr
Gegenstand privater und staatlicher Sammlerleidenschaft
als wissenschaftlicher Untersuchung. So konnte es geschehen,
daß sie, losgelöst aus ihrem baulichen Rahmen, zerstückelt
und über Asien, Europa und Amerika verstreut wurden, viel¬
fach noch bevor ein brauchbarer Fundbericht, eine Beschrei¬
bung oder eine Zeichnung der ursprünglichen Lage vorlag.
Große Transporte für das Louvre-Museum versanken im
Tigris, ohne daß wir über Herkunft und Bildinhalt der
Reliefs etwas Genaues wissen. Andere Reliefplatten wurden
zersägt, um den Transport zu erleichtern. Viele zerbrachen
und ihre Teile gingen verloren.