• Keine Ergebnisse gefunden

Der Wirtschaftshistoriker und seine Welt

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Der Wirtschaftshistoriker und seine Welt "

Copied!
14
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Inhalt

I. Abhandlungen und Studien

Bart van Ark und Rainer Fremdling

New Research in Historical National Accounting 21 Albrecht Ritschl und Mark Spoerer

Das Bruttosozialprodukt in Deutschland nach den amtlichen

Volkseinkommens- und Sozialproduktsstatistiken 1901-1995 27 Udo Ludwig und Reiner Stäglin

Die gesamtwirtschaftliche Leistung der DDR in den letzten Jahren ihrer Existenz - Zur Neuberechnung von Sozialproduktsdaten für

die ehemalige DDR 55 Edwin Horlings and Jan-Pieter Smits

A Comparison of the Pattern of Growth and Structural Change

in the Netherlands and Belgium, 1800-1913 83 Remco Kouwenhoven

A Comparison of Soviet and US Industrial Performance, 1928-1990 107

II. Diskussion

Rainer Fremdling

Industrial Revolution and Scientific and Technological Progress 147 Hans-Peter Vilmann

Überlegungen zur Transformation des Systems öffentlicher Finanzen

in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert 169 Hans-Jürgen Wagener

Transformation als historisches Phänomen 179

(2)

III. Forschungs- und Literaturberichte

Hubert Kiesewetter

Wehlers Mythos der „Deutschen Doppelrevolution" und seine Folgen 195 Helmut Braun und Bernhard Hönig

Wer ist der bedeutendste Ökonom? - Zumindest nach der Anzahl der

Ehrungen auf hoheitiich verausgabten Postwertzeichen 211 Jörg Baten

Anthropometrische Indikatoren, Ernährung, Gesundheit und Wohlfahrt

in historischer Perspektive 219 Autorenverzeichnis

(3)
(4)
(5)

Zu diesem Band

Anläßlich der Besprechung des Bandes "Zerrissene Zwischenkriegszeit" in den Vierteljahrs- heften zur Zeitgeschichte (1996/1, S. 119-132) hat Carl-Ludwig Holtfrerich unlängst einiges zum Festschriften- (Un-) Wesen der Wissenschaft ausgeführt, was an dieser Stelle in Erin- nerung gerufen zu werden verdient. Der bezeichnete Sanunelband stellt ja eine Quasi - Fest- schrift für Knut Borchardt zum 65. Geburtstag dar, obwohl sich dieser immer wieder vehement gegen eine Festschrift verwahrt hatte. Und auch der vorliegende Band des Jahr- buchs für Wirtschaftsgeschichte beabsichtigt, einen Gelehrten unseres Faches zu seinem 65.

Geburtstag zu ehren. Warum erscheint dieses so schwierig?

Traditionelle Festschriften, in denen nahestehenden Kollegen und ehemalige Schüler dem Jubilar gegenüber ihre Reverenz erweisen, haben sich zunehmend zu einem Anachronismus entwickelt. Der liegt sicher auch in einer gewissen (Un-) Logik dieses Vorgehens. Holt- frerich beschreibt diese anschaulich wie folgt:

"Sie [die Kollegen und Schüler] sollen nämlich ihre Glückwünsche dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie dem Jubilar ein zusätzliches, in vielen Überstunden erarbeitetes Stück von dem liefern, was sie ohnehin in ihrem beruflichen Alltag andauernd zu produzieren haben:

ein Forschungsergebnis in Außatzform, mindestens aber einen publizierbaren Artikel, der wissenschafiliche Anregungen widerspiegeln soll, die vom Jubilar ausgegangen sind. Daß dies skurrile Züge aufweist, wird sofort deutlich, wenn man sich vorstellt, daß Schneider einem Berufskollegen als Geburtstagsgeschenk eine Serie neuer Anzüge fertigen, Sektrüttler je hunderttausend Flaschen zusätzlich rütteln und Politiker Neuwahlen provozieren würden,

nur um dem Jubilar mit einem zusätzlichen Wahlkampf zu zeigen, wie sehr sie seine Lebens- leistung aus Anlaß seines runden Geburtstages zu würdigen wissen."

Dabei kommen daim mehrbändige, dickleibige Werke von manchmal bis zu fünf Bänden und mehreren tausend Seiten zustande, in denen Autoren aus aller Welt in zahlreichen Fremdsprachen vertreten sind und damit die wissenschafüiche Reputation des Jubilars augenfällig unterstreichen. Nur findet sich dann kaum noch ein Thema, das neben den bei- den Buchdeckeln die heterogenen Beiträge solcher Sammlungen zusammenhält. Zu diesem Problem vermerkt Holtfrerich in dem erwähnten Beitrag:

"Festschrifien [sind] im Gegensatz zu Konferenzbänden, fast nie thematisch geschlossen [enthalten] häufig Beiträge, die zur Veröffentlichung in angesehenen wissenschafilichen Zeit- schriflen nicht angenommen würden und in denen qualitativ erstklassige Artikel wegen der gegenüber Zeitschriften schlechteren bibliographischen Erfassung gleichsam ein Begräbnis erster Klasse erfahren."

Dennoch hat sich diese Sitte in der deutschen Wissenschaft bis heute gehalten - unter zwei Bänden tut es dabei kaum jemand. Eine Lösung böte der unkonventionelle Vorschlag von Knut Borchardt, über den uns Holtfrerich ebenfalls berichtet und der zum Inhalt hat, eine wissenschaftliche Zeitschrift mit dem Namen "Festschrift" zu begründen, deren Nummern jeweils einem Jubilar gewidmet wäre. Die Herausgeber würden eingehende Manuskripte nach den üblichen Regeln bewerten, d.h. unter Einschaltung anonym bleibender Gutachter, damit den hohen wissenschaftlichen Standard bewahren und die Beiträge wären auch bibliographisch im Sinne von Zeitschriftenartikeln erfaßt. An diesen Vorstellungen haben sich offenbar die Herausgeber der Borchardt-Festschrift orientiert und damit ein Werk beachtlicher Geschlossenheit und wissenschaftlicher Qualität vorgelegt.

(6)

10

Daß es aber auch ganz anders geht hat bereits vor dreißig Jahren die damals noch so benannte "Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" gezeigt, als sie Waither G. Hoff- mann 1968 einen Jubiläumsband widmete. Erst posthum ist zum Gedenken an diesen ein- flußreichen Ökonomen als Ergebnis eines wissenschaftlichen Symposiums ein inhaltlich konzise ausgerichteter Sammelband als Gedenkband publiziert worden. Dem Beispiel der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft von 1968 wollen wir auch mit dieser Ausgabe des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte folgen, indem wir den vorliegenden Band Richard Tilly widmen. Seine Person und sein Werk sollen aus Anlaß seines 65. Geburtstages am 17.

Oktober 1997 kurz in Erinnerung gerufen werden. Seine wissenschaftliche Leistung wird meines Erachtens in der Wirkungsgeschichte seiner Forschungen und seine Bedeutung als akademischer Lehrer in den Arbeiten seiner Schüler stärker deutlich werden als es in einer noch so guten "Festschrift" je zum Ausdruck gebracht werden könnte.

Toni Pierenkemper

(7)

11

Richard H. Tilly

Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wanderte Ferdinand Tilly, wie seit Jahrzehn- ten Hunderttausende seiner Landsleute, aus einem kleinen Örtchen in Hinterponunern nach Amerika aus. In den Auswanderungslisten findet sich für ihn die Berufsangabe "Böttcher".

Wie umfangreich sein Reisegepäck war, wissen wir nicht, doch mit ihm reiste sein 1875 ge- borenes und damals sechs Jahre altes Söhnchen Emil. Die Familie ließ sich zunächst in Chicago nieder, versuchte ihr Glück danach aber in der Landwirtschaft, als sie eine Farm in Michigan pachtete. Dieser Versuch wurde wieder aufgegeben, und man kehrte nach Chicago zurück. Dort fand Emil Tilly eine Anstellung bei der Feuerwehr, heiratete, und 1902 wurde ihm sein Sohn Otto geboren.

Otto Tilly, der Vater unseres Jubilars, verbrachte sein Leben ebenfalls überwiegend in Chicago. Zunächst als Angestellter in der Finanzabteilung der Firma Bell & Howell, einem Unternehmen der Fotobranche, später dann als Industrievertreter eines Büromaschinenunter- nehmens. Dort in Chicago wurde am 17. Oktober 1932 auch Richard Tilly geboren. Sein älterer Bruder Charles lehrt heute als Professor für Geschichte an der Columbia University in New York, dessen Frau Louise an der New School of Social Research ebenfalls in New York und auch sein jüngerer Bruder Steve lebt dort als Architekt. Ein weiterer Bruder, Lawrence, verstarb unlängst in Florida, und allein seine Schwester Caroline blieb ihrer

"neuen" Heimat in Illinois bis heute treu.

Geboren direkt in Chicago wuchs Richard Tilly in einem Vorort der Metropole, in Elm- hurst, auf. Dort wurde er 1938 eingeschult, absolvierte die Grundschule, dann die Junior High School und besuchte ab 1947 die High School des Ortes, wo 1951 seine "Graduation"

erfolgte. Danach wechselte er an die University of Wisconsin in Madison, wo er 1955 seinen Bachlor of Art (B.A.) mit dem "Major" in "History" erlangte. Anschließend trat er in die amerikanische Armee ein und leistete von 1955 bis 1957 seinen Wehrdienst.

Obzwar deutschstämmig, kam Richard Tilly durch seinen Wehrdienst, den er überwie- gend in Würzburg absolvierte, erstmals in engeren Kontakt mit Deutschland. Dies war für Deutschamerikaner seiner Generation nicht unüblich, weil die starken Sympathien für das Deutsche Reich in den USA nach dessen Kriegseintritt 1916 in Ressentiments umschlugen und bei den deutschstämmigen Amerikanern die Assimilation an die angelsächsisch geprägte Kultur beschleunigten. Bei den Tillys in Chicago imd Elmhurst wurde kein Deutsch mehr gesprochen. Richard erlernte die deutsche Sprache daher erst wieder in Deutschland, in der Armee in Würzburg. Die Bekanntschaft mit seiner späteren Ehefrau Elisabeth, die aus einer Würzburger Familie stammte, hat diesen Prozeß sicherlich gefördert.

1957 kehrte Richard Tilly nach seiner Armeezeit in die USA zurück und arbeitete zu- nächst als Angestellter bei der Prudential Insurance Company in Chicago. 1958 wandte er sich dann erneut dem akademischen Leben zu und besuchte bis 1961 die Graduate School der University of Wisconsin. Ein Stipendium ermöglichte ihm einen längeren Aufenthalt in Deutschland, wo er von 1961 bis 1963 in Köln ansässig war und an seiner Dissertation über die deutsche Frühindustrialisierung im Rheinland arbeitete. Zuvor hatte er 1960 in Elmhurst geheiratet, und seine deutsche Frau begleitete ihn zurück nach Deutschland. 1964 erlangte er dann seinen Ph.D. in Economics an der University of Wisconsin. Diese Arbeit wurde mit dem "Edwin Gay Prize" ausgezeichnet, was ihn in die Lage versetzte, 1966 wiederum zu Forschungen nach Deutschland zu reisen. Bereits 1963 hatte er eine Stelle als Assistant-

(8)

12

Professor an der University of Michigan in Ann Abor angetreten und wechselte 1966 an die Yale University in New Haven/Conneticut.

Während seines Deutschlandaufenthaltes im Sonmier 1966 erhielt Richard Tilly auch zahlreiche Einladungen zu Vorträgen über seine Sicht der deutschen Wirtschaftsgeschichte, u.a. von Hermann Kellenbenz nach Köln und auch von Wolfram Fischer nach Münster. In Münster erregte er dabei die Aufmerksamkeit von Walther G. Hofftnann, dem einflußrei- chen empirischen Wirtschaftsforscher, der seine Berufung auf den dort neu geschaffenen Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte betrieb. Im Herbst 1966 übernahm Richard Tilly, gerade 34 Jahre alt, das dortige Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und be- gann seine mehr als dreißig Jahre währende Lehr- und Forschungstätigkeit in Deutschland.

Hier in Münster wurde die Familie Tilly dann auch heimisch. Die jüngste Tochter Stefanie wurde dort geboren, während ihre Geschwister, nämlich Benjamin, der 1983 unter tragi- schen Umständen verstarb, Eva und Johanna alle noch in den USA geboren waren.

Schon früh haben sich in der wissenschaftlichen Arbeit von Richard Tilly zwei zentrale Forschungsbereiche herausgebildet, an denen sein Interesse sein ganzes Forscherleben fest- halten sollte. Im Zusammenhang mit seiner Dissertation, die 1966 von der University of Wisconsin Press unter dem Titel "Financial Institutions and Industrialization in the Rhine- land (1915-70)" gedruckt wurde, hatte er sich einerseits mit den Wachstumsproblemen von Unternehmen in der frühen Industrialisierung sowie mit der Unterstützung des industriellen Wachstumsprozesses durch Finanzinstitutionen in einer überschaubaren Region beschäftigt.

Damit waren ihm die Themen "Wachstum" und "Finanzinstitutionen" klar vorgegeben. Zwei weitere Bereiche, die ihn in einer späteren Phase seiner Forschungen noch stärker interessie- ren sollten, deuteten sich ebenfalls bereits an: nämlich "Unternehmen" und "Region".

Zu den Problemen des industriellen Wachstums, gerade auch in der Frühphase der Indu- strialisierung, hat Richard Tilly zahlreiche bedeutsame Beiträge geleistet. Bereits im Jahre seiner Berufung nach Münster veröffenüichte er im Journal of Economic History "The Poli- tical Economy of Public Finance and the Industrialization of Prussia, 1815-1866", wo er auf wachstumshemmende Faktoren der preußischen Wirtschaftspolitik verwies. In einem Beitrag für den internationalen Wirtschaftshistorikerkongress in München unter dem Titel "The Role of Fiscal Policy in the Economic Developement of Prussia, 1815-1866" (Paris 1968) verdeutlichte er seine Thesen nochmals. Auch seine Antrittsvorlesung "Los von England.

Probleme des Nationalismus in der deutschen Wirtschaftsgeschichte" (ZfgSt. 1968) beschäf- tigte sich mit den politischen Determinanten des preußisch-deutschen Industrialisierungspro- zesses. Daneben traten aber weitere Gesichtspunkte, so z.B. "Finanzielle Aspekte der preußischen Industrialisierung, 1815-1866" (Berlin 1968). Dieses Thema ließ Richard Tilly nicht mehr los. Er widmete zahlreiche Beiträge dem "Wachstumsparadigma", wie er diesen Problemkomplex in einer umfassenden Rezession der fünfbändigen deutschen Ausgabe der

"Fontana Economic History of Europe" benannte. (Das Wachstumsparadigma und die europäische Industrialisierungsgeschichte, GG 1977). Bis in die unmittelbare Gegenwart er- schienen weitere Beiträge zum Thema, so 1989 "German Industrialization and Gerschen- kronian Backwardness" (Rivista Storia Economica).

Eng verknüpft mit den Forschungen zum industriellen Wachstum waren Studien zur Fi- nanzierung dieses Wachstums und den damit befaßten Institutionen. Das schlug sich bereits

1967 in dem Beitrag "Germany, 1815-1870" für den von Rondo Cameron herausgegebenen Band "Banking in the Early Stages of Industrialization" nieder. Es folgten dann zahlreiche

(9)

13 Beiträge zu finanziellen Aspekten des industriellen Wachstums sowohl in mikroökonomi- scher als auch in makroökonomischer Perspektive. Zu nennen sind hier u.a.

1973: Zeitreihen zum Geldumlauf in Deutschland 1870-1913 (Jahrbücher f. Nat. u. Stat.) 1976: German Banks, German Growth and Economic History, (Journ. of Ec. Hist.)

1978: Capital Formation in Germany in the Nineteenth Century (Cambridge Econ. Hist. of Europe, vol. VII)

1978: Kapital und Kapitalisten des Schaaffhausenschen Bankvereins 1895-1899 (Festschrift für Hermann Kellenbenz)

1980: Banken und Industrialisierung in Deutschland. Quantifizierungsversuche (Berlin)

1984: Zur Finanzierung des Wirtschaftswachstums in Deutschland und Großbritannien 1880-1913 (Gedenkschrift für Walther G. Hoffmann)

1986: German Banking 1850-1914: Development Assistance for the Strong (Journ. of European Ec. Hist.)

1989: Banking Institutions in Historical and Comporative Perspective: German, Great Britain and the United States in the Nineteenth and Early Twentieth Century (JITE)

1992: Some Comments on German Foreign Investment, 1870-1930 (Cambridge)

Bis heute ist Richard Tilly mit großem Engagement der Erforschung der Industriefmanzie- rung und des Bankwesens verbunden geblieben, u.a. durch seine Mitarbeit im Arbeitskreis

"Bankengeschichte" der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Außerdem bereitet er ein Lehrbuch zum Thema Geld und Banken in der Geschichte vor.

Natürlich begrenzte sich seine lange Forschertätigkeit nicht ausschließlich auf die hier knapp skizzierten beiden Schwerpunkte. Bereits 1974 hatte er auf dem internationalen Wirt- schaftshistorikerkongress in Kopenhagen einen wichtigen Beitrag mit dem Titel "The Growth of Large-Scale Enterprise in Germany since the Middle of the Nineteenth Century"

(Löwen 1974) geleistet und damit die Geschichte der industriellen Großunternehmen als ei- nen weiteren Forschungsbereich erschlossen. 1978 folgte "Das Wachstum industrieller Großunternehmen in Deutschland, 1870-1913" (Stuttgart). 1982 publizierte er "Mergers, External Growth and Finance in the Development of Large-Scale Enterprise in Germany, 1880-1913" im Journ. of Ec. Hist., der übrigens von dieser renommierten Zeitschrift mit einem Preis für den besten Beitrag des Jahrganges honoriert wurde. Eine wichtige Anregung für weitere Forschungen zur Unternehmensgeschichte stellte eine Publikation dar, die als Ergebnis einer von Richard Tilly veranstalteten Konferenz unter dem Titel "Beiträge zur quantitativen vergleichenden Unternehmensgeschichte" (Stuttgart 1985) gedruckt wurde.

1986 folgte in diesem Forschungsbereich u.a. noch "Financing Industrial Enterprise in Great Britain and Germany in the Nineteenth Century" (Cambridge).

Aber nicht nur im Bereich der Wirtschaftsgeschichte, auch im engeren Felde der Sozial- geschichte hat sich Richard Tilly durch bemerkenswerte Arbeiten hervorgetan. Hierzu ge- hört sicherlich an erster Stelle das in Gemeinschaftsarbeit mit seinem Bruder Charles und seiner Schwägerin Louise entstandene Buch "The Rebellious Century" (Harvard Univ.

Press, 1975), in dem es um eine vergleichende Betrachtung des Protestverhaltens der Unter- schichten in Frankreich, Italien und Deutschland ging. Im Rahmen dieser Studie ist eine Reihe weiterer Beiträge erschienen, u.a. der gemeinsam mit Gerd Hohorst verfaßte Aufsatz

"Sozialer Protest in Deutschland. Skizze eines Forschungsansatzes" (Düsseldorf 1976).

Auch der Untersuchung der kommunalen Wirtschaftspolitik im 19. Jahrhundert hat sich

(10)

14

Richard Tilly zugewandt und u.a. mit Thomas Wellenreuther 1985 den Aufsatz "Bevöl- kerungswanderung und Wohnungsbauzyklen in deutschen Großstädten im 19. Jahrhundert"

(Münster 1985) und selbst "Wohnungsbauinvestitionen während des Industrialisierungs- prozesses im 19. Jahrhundert" (Berlin 1986) publiziert. Dabei geriet ein Thema erneut ins Blickfeld, dem er sich auch früher schon gewidmet hatte, nämlich der Zyklizität der wirt- schaftlichen Entwicklung, der Konjunktur. Dazu hatte er bereits 1980 in den Beiträgen

"Konjunkturgeschichte und Wirtschaftsgeschichte" und "Renaissance der Konjunkturge- schichte?" (GG 1980) einiges Grundlegende gesagt.

Neben den Verdiensten um wirtschafts- und sozialhistorische Forschungen von Richard Tilly sind seine großen Verdienste in der Lehre nicht gering zu schätzen. Diese schlagen sich naturgemäß nur in minderer Weise in eigenen Publikationen lüeder, eher schon in denen seiner Schüler. Dennoch sind aus jüngerer Zeit zwei Veröffentlichungen zu nennen, die in der Lehre an deutschen Hochschulen weite Verbreitung gefunden haben, nämlich sein Taschenbuch (dtv) "Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwick- lung Deutschland 1834 bis 1914" aus dem Jahre 1990 und das von ihm und einigen Mit- arbeitern verfaßte Lehrbuch "Geschichte der Wirtschaftspolitik" (Oldenbourg-Verlag, 1993).

Doch schon früh hat sich Richard Tilly auch mit seinem Fach und dessen Forschungser- trägen für die deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte kritisch auseinandergesetzt. Insbe- sondere in einem vielbeachteten Aufsatz "Soll und Haben. Recent German Economic History and the Problem of Economic Development" (Journ. of Ec. Hist.) von 1969, dem er zwanzig Jahre später in einem Sammelband mit seinen wichtigsten Aufsätzen (Kapital, Staat und sozialer Protest in der deutschen Industrialisierung", Göttingen 1980) eine Fortsetzung

"Soll und Haben II" folgen ließ. Diese kritische Kommentierung der deutschen Wirtschafts- historiographie aus der Perspektive eines angelsächsisch geprägten Gelehrten auf der Basis einer neuen Forschungsrichtung der "New Economic History", um deren Verbreitung in Deutschland er sich zeitlebens bemühte (Cliometrics in Germany, in: J. Komlos u. S. Eddy, Selected Cliometric Studies on German Economic History, Stuttgart 1997, S. 17-33), hat ihm seinerzeit sicherlich nicht nur Freunde unter den traditionalistisch geprägten deutschen Kollegen gebracht. Für die wirtschaftshistorische Forschung hat sich diese Innovation aber als außerordentlich fruchtbar erwiesen, wie zahlreiche Arbeiten seiner Schüler zeigen. Zu nennen sind hier insbesondere die Führungssektoranalysen von Günter Kirchhain, Carl- Ludwig Holtfrerich und Rainer Fremdling, die ausgestattet mit dem Rüstzeug der modernen ökonomischen Theorie auf der Basis der New Economic History quantifizierende sektorale Studien zur deutschen Industriegeschichte vorgelegt haben. Weitere Schüler haben sich an- deren Aspekten zugewandt, z.B. Adolf Noll (Handwerk), Friedhelm Gehrmann (Konkurse), Toni Pierenkemper (Unternehmenserfolge), Hermann von Laer (Bildungsinvestitionen), Rudi Rettig (Unternehmensfinanzierung). Weitere wichtige Arbeiten ließen sich anfuhren.

Als Ausweis der Wirkung von Richard Tilly als akademischem Lehrer kaim möglicherweise auch dienen, daß bislang immerhin sieben seiner Schüler als Professoren, fünf an Universi- täten und zwei an Fachhochschulen, tätig sind.

An wichtigen Projekten im Rahmen der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte war Richard Tilly ebenfalls beteiligt. So in verschiedenen Schwerpunktprogrammen der DFG und auch als Mitarbeiter beim "Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte", wo er 1976 den Beitrag "Verkehr- und Nachrichtenwesen, Handel-, Geld-, Kredit- und Versicherungswesen, 1850-1914" beisteuerte.

(11)

15 Bis in die unmittelbare Gegenwart hinein hat sich Richard Tilly, wie schon in seinem frühen Beitrag "Soll und Haben", immer wieder auch um die Klärung der theoretisch-methodischen Grundlagen unseres Faches bemüht. Wichtige Beiträge sind "Wirtschaftsgeschichte und Ökonomie: Zat Problematik der Interdisziplinarität" (Jahrbuch für neue Politische Ökono- mie, Tübingen 1988) und einige Bemerkungen zur theoretischen Basis der Modernen Wirtschaftsgeschichte (Jahrbuch Wirtschaftsgeschichte 1994/1). Alle diese Arbeiten und Bemühungen fanden natürlich auch während eines mehr als dreißig Jahre währenden For- scherlebens gebührende Anerkennung. 1973/74 wurde Richard Tilly zum Dekan der Wirt- schaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster gewählt, 1969/70 war er Visiting Professor an der University of Wisconsin und 1974/75 ebensolcher an der University of Pittsburg. Zahlreiche Vortragsreisen brachten ihn immer wieder ins Ausland, wobei ihm natürlich seine Zweisprachigkeit sehr zustatten kam. Seit 1975, seit ihrer Gründung also, ist er auch Mitherausgeber von "Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft". Und noch unlängst hat er eine Schriftenreihe, die "Münsteraner Bei- träge zur Cliometrie und quantitativen Wirtschaftsgeschichte", (LIT-Verlag) aus der Taufe gehoben. Diese vielfältigen Aktivitäten lassen erwarten, daß unser Jubilar auch nach seiner Emeritierung im kommenden Wintersemester unserem Fach und den Kollegen in bewährter Weise erhalten bleibt. Darauf freuen wir uns nicht zuletzt deshalb, und dies soll neben seinen unbestreitbaren Verdiensten als Wissenschaftler in Forschung und Lehre an dieser Stelle ebenfalls hervorgehoben werden, weil Richard Tilly neben einem bemerkenswerten Gelehrten ein liebenswerter Mensch geblieben ist.

17. Oktober 1997 Toni Pierenkemper

(12)

16

Wesentliche Erkenntnisse in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sind bislang selten in Versform festgehalten worden. Eine rühmliche Ausnahme bildet ein bislang unveröffent- lichtes Epos, das hier dem geneigten Leser des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte erstmals zur Kenntnis und Erbauung dargebracht wird.

Bei der Verfasserin handelt es sich um eine, wie aus dem Werk leicht zu ersehen ist, intime Kennerin des wissenschaftlichen Arbeitens und seiner besten Ergebnisse. Diese tiefen Einblicke in unsere Disziplin konnte die Dichterin nur gewinnen, weil sie lange Jahre als Sekretärin in einem großen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Institut an einer westdeut- schen Hochschule, nämlich dem unseres Jubilars, tätig war.

Toni Pierenkemper

(13)

17

Der Wirtschaftshistoriker und seine Welt

Von Maria Höhn

In Wirtschafts- und Sozialgeschichte gibt es bisher kaum Gedichte.

Alle schreiben dicke Bände, viele Seiten ohne Ende.

Jeder schreibt vom andern ab, forscht dann, ob er recht wohl hat.

Findet dann was and'res raus und macht ein neues Buch daraus.

Die Meinung and'rer wird zitiert, die eig'ne dann dazugeführt.

Von N.N.*, diesem großen Mann klaut ein jeder was er kann.

Doch abzuschreiben ist verboten, drum bringt der Autor kleine Noten am Fuße dann vom Texte an, damit ein jeder sehen kann

aus welchem Werk er hat's bekommen.

Die Nümmerchen sind klitzeklein, das wird doch wohl kein Zufall sein.

Der Autor hofft, daß es geschieht.

Daß sie der Leser übersieht.

Ein Schaubild wird dann noch gemacht, egal ob's stimmt, vielleicht erdacht.

Die langen und die kurzen Wellen stanunen meist aus fremden Quellen.

Die Linien laufen rauf und runter.

Was karm man denn daraus erseh'n? - Die Hauptsache: das Bild ist schön!

Und dann gibt's an vielen Stellen fein gegliederte Tabellen.

Jahreszahlen stehn da drin wer, wann machte viel Gewinn.

Die Ein- und Ausfuhr allerorten, von Rindern und Kartoffelsorten.

Wann der Fleischextrakt erfunden, für Kranke und auch die Gesunden.

Anmerkung: Hier läßt sich beliebig ein Name einsetzen.

(14)

18

Bevölkerungswachstum Jahr für Jahr im Krieg und auch wenn Frieden war.

Und ob die Preise immer stiegen, oder ob sie gleich geblieben.

Wieviel Geld ein Vater hat, ob davon wird sein Kind auch satt.

Dies alles wird in vielen Spalten Jahr für Jahr dann festgehalten.

Und so macht der Autor klar, wie den alles einmal war.

Bis alles dies herausgefunden braucht der Computer viele Stunden.

Das kostet Zeit und auch viel Geld, bis die Tabelle ist erstellt.

Wie das leichter gehen kann, zeigt das folgende Beispiel an:

Man nimmt 'nen Bruchstrich sich zur Hand, Dank sei dem, der ihn erfand.

Man fängt an mit den Exporten von Fleischextrakt, Kartoffelsorten.

Und schreibt sie auf den Bruchstrich drauf, nun nimmt alles seinen Lauf.

Die Wachstumsrate konunt darunter, rechnet rauf und einmal runter.

Geteilt durch Vater und sein Kind.

Schon auf dem richt'gen Weg wir sind.

Wenn wir alles dann addieren, durch Suppenwürfel dividieren, erhält man Haushalt und Verbrauch, und Input-Output seh'n wir auch.

Und daiui nimmt man diese Zahl mit verkehrtem Nennwert mal.

Daim die Formel r mal pi, für die Ernährungsindustrie.

Bevölkerungswachstum dann dazu, und das Ergebnis kommt im Nu:

Nur rote Zahlen, alles Miese:

Das Resultat:

'ne Wirtschaftskrise (Fortsetzung folgt)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es ist ausdrücklich untersagt, das PDF, Ausdrucke des PDFs sowie daraus entstandene Objekte weiterzuverkaufen oder gewerblich zu

Mit an- deren Buchstaben oder mit Verfassernamen gezeichnete Veröffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht in jedem Fall die Meinung der

(d.h., auch Einkommen Erwerbstätigkeit geringer als dienwechsel kann für den oder, wenn Studierende aus selbständiger Erwerbstä- der Unterhalt sein, besteht die

Schon im Jahre 1995 wurden von Schmitz und Weiler [1] im Auftrag der Kommission für Qualitätssicherung und Daten- verarbeitung in der Anästhesiologie der DGAI Vorschläge

Arbeiten in Behältern, Silos und engen Räumen sind gefährliche Arbeiten nach § 8 der Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention" (BGV A1) und § 22

schwieriger wird die Erkennung für das System.. ` Schritt 1: Steigt die Lautstärke, beginnt die Aufnahme.. ` Schritt 2: Die Aufnahme

Die ET-1 Spiegel der Patienten mit Diabetes mellitus Typ I oder II, essentieller Hypertonie, Morbus Basedow, Thyreoiditis Hashimoto oder Ostitis deformans Paget unterscheiden

Wieviele Töchter muss eine Mutter im Durchschnitt haben, damit die Bevölkerung weder wächst noch fällt. • Wenn es keine Sterblichkeit vor