DER SONNENKULT IM MANICHÄISMUS
von Julien Ries, Louvain la Neuve
Die patristische Literatur bietet uns eine Reihe von Zeugnissen über die Sonnen¬
anbetung in der manichäischen Kirche. Hier wollen wir uns den koptischen mani¬
chäischen Texten zuwenden'.
1. DIE SONNE IM MYSTERIUM DES VATERS DER GRÖSSE
Die Sonne ist nach dem Bilde der ersten Größe gestaltet worden, damit sie Of-
fenbarerin des Lichtes sei (K. 65, 159, 16). Als göttliches Wesen und Erleuchterin
ist sie das Tor der Offenbarung des Reiches des Lichtes und auch das Tor des Her¬
ausgehens der Seelen aus der Welt der Finsternis (K. 65,159,3—7). In diesem My¬
sterium des Vaters der Größe das durch die Sonne geoffenbart ist, werden den
Jüngern drei SinnbUder gezeigt. Das erste Sinnbüd, nämhch die Füllung der Scheibe ihres Schiffes, zeigt das Mysterium des Vaters, aus dem alle Mächte hervorgekom¬
men sind (K. 65, 162, 23-28). Das zweite, ihr Licht, übertrifft dasXicht aller
Sterne und aller Lichter (K. 65,162, 30-33). Drittens ist die Sonne hoch über dem
All, weü der Vater höher ist als alle Bewohner seines Lichtlandes (K. 65,163,1 —8).
So erscheint die Sonne als Offenbarerin der drei Geheimnisse des Vaters der Größe,
nämlich des Vaters als Urheber aller Mächte, als Vollkommenheit des Lichtes und
als Vollkommenheit in seiner Gestalt. Eine ähnliche Offenbamngstheorie fmden wir
im Logion 67 des Evangelium nach Philippos^.
2. DIE SONNE IM MYSTERIUM DES URMENSCHEN
Wie der Urmensch aus dem Vater der Größe herauskam, um am Anfang den
Kampf gegen die Finsternis zu beginnen, so kommt jeden Morgen die Sonne als
Sinnbild des täglichen Kampfes gegen die dunklen Mächte. Der Urmensch kämpfte
mit semen fünf Söhnen gegen die fünf Archonten des Reiches der Finsternis. Dieser
Kampf wiederholt sich tagtäglich. In der Sonne fmdet Mani fünf Sinnbilder: üir
Licht, das die Welt und alle Geschöpfe erleuchtet; üue Schönheit, die sie über .alle Dinge ausbreitet; Üir Frieden, den sie unter die Menschen bringt; das Leben'der lebendigen Seele, die sie erlöst, und die Kraft des Kreuzes des Lichtes (K. 65,162,
1—12). Diese fünf Symbole der Söhne des Urmenschen sind auch die fünf gnosti¬
schen Siegel der Welt des Lichtes, Siegel auf den Menschen und Siegel auf den
übrigen Geschöpfen.
1 C. Schmidt, Kephalaia I, Stuttgart 1940. A. Böhlig, Kephalaia II, Stuttgart, 1966. C. R. C.
Allber/1 Manichaean Psalm-Book, II, Stuttgart 1938. H. J. Polotsky, Manichäischer Home- Wen, Stuttgart 1934.
2 W. C. Tül, Das Evangelium nach Philippos, Berlin 1963, S. 35.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
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3. SONNE vm MISSIO GNOSTICA
Der Sonnenaufgang erinnert an den Kampf der Urzeit. Für die Gnostiker, Söhne
des Lichtes, bedeutet er den täglichen Auftrag zur Rettung des Lichtkreuzes. Der
Sonnenuntergang ist das Sinnbild der Endzeit: Reinigung und Läutemng des Lich¬
tes, Sammlung der letzten Säule und ihr Aufstieg zum Äon des Lichtes (K. 66,164,
11-13; 165, 4-5). Als Gesandtin des Vaters und als Erleuchtende Macht bringt die
Sonne täglich der Welt die Botschaft der Gnosis. Zu dieser Botschaft gehört die
Missio gnostica. Vom Tagesanbruch bis zur Abenddämmemng soll jeder Gnostiker
ein Erlöser des Lichtes sein (K. 66,165,18—20).
Indem die Sonne die ganze Schöpfung erleuchtet, bringt sie jeden Tag sieben
Guttaten in die Welt. Die erste Guttat ist das Licht, das hinweg nimmt die Blindheit der Nacht. Die zweite Guttat ist Ruhe und Frieden, weü die Sonne die Finsternis
vertreibt. Die dritte Guttat ist die Wache. Die vierte hat als Namen Kraft, Ge¬
schmack, Geruch der Bäume und der Früchte. Die fünfte ist die Entfernung der bö¬
sen Tiere; die sechste ist das Zerschmelzen der Zauberkünste und die siebente ist die Offenbarung des Lichtes (K. 65,159,18-33; 160,1-13).
Das Kommen des Propheten und sein Erscheinen im Büde des Fleisches sind dem
Sonnenaufgang und dem Sonnenuntergang gleich. Wie die Sonne, so hat Mani das
Licht m die Welt gebracht. Sein Licht lebt in den Electi, die als Aufgabe haben, es
weiterzutragen. Von besonderer Bedeutung ist doch nicht die Anwesenheit der
Electi in dieser Welt, sondern üu Herauskommen. Wie beim Untergang die Sonne
üire Strahlen zurückzieht, so zieht Mani seine Gerechten aus der Welt zurück und
versammelt sie ün Lande des Lichtes (K. 67,165,26-33 u. 166,1—16).
4. SONNE UND LITURGIE BEI DEN MANICHÄERN
Das koptische Psalmbuch aus Mädinet Mädi schildert die Sonne als Sinnbüd der
göttlichen Wesen. Ihre zwölf Stunden sind des Vaters Äone und bedeuten die Voll¬
kommenheit (Ps. M., S. 133, 5-10). Jesus, der Sohn des Lebendigen Gottes ist im
Vater und der Vater ist in ihm: er ist „der Vollkommene Tag des Lichtes, nämlich des Lichtes der Sonne, die nie stehen bleibt" (Ps. M. S. 193,13-14). Die Manichäer stellen die Auferstehung Christi in Vergleich mit dem Lichtkreuz. Jesus ist in drei
Tagen auferstanden. Das Lichtkreuz geht in drei Mächten auf: Sonne, Mond und
Vollkommener Mensch, drei Zeichen des Lichtreiches und der kosmischen Kirche.
Im Menschen ist das Lichtkreuz Jesus, Jungfrau und foü?, drei Zeichen des Licht¬
reiches als HeUskraft und Erlösung (Ps. M. S. 160,16-22).
In der Bßmaliturgie die das Leiden Manis, die Vergebung der Sünden und den
Sieg der Gnosis am gleichen Tage feiert, finden wir mehrmals den Ausdruck „Mani, die neue Sonne" (Ps. M. 227, 20, 19-23; 21, 26...). „Lob sei dh, neue Sonne, die
gekommen ist mit üirem Lichte, Lob sei dir. Heiliger Geist, der heute kommt, um
uns zu erlösen (Ps. M. 241,42,7-10).
Im Manichäismus bedeutet Erlösung die Befreiung des Lichtes von den Fesseln
der Materie. So wüd die Sonne als Soter angerufen. Als Siegel und Sinnbüd des
Vaters bringt sie zur Höhe das gereinigte Licht (Ps. M. 219,2,21-23). Damm wird
sie verherrlicht: ,JDie Sonne gibt üir Licht, verherrliche sie" (Ps. M. 236,35, 23).
Im ganzen genommen zeigen uns die Kephalaia und das Psalmbuch die Sonne als
ein göttliches Wesen, nach dem Büde des Vaters der Größe gestaltet, Tor der Offen-
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barung des Lichtreiches, Erleuchterin und Offenbarerin der Geheimnisse. Als Stell¬
vertreterin des Urmenschen greift sie im Kampfe gegen die Mächte der Finsternis ein. Für die Missio gnostica der Kirche bedeuten Sonnenaufgang und Sonnenunter¬
gang, die Urzeit und die Endzeit, und so ist die Sonne täglich ein Rappell der drei Zeiten, Anfang, Mitte, Ende. Sie erinnert auch an Mani, den Erleuchter, und sie ist wirklich das Tor des Herausgehens der Seelen aus der Welt der Finsternis. Die Sonne ist Symbol der drei manichäischen Jesusfiguren: des mythischen Jesus, Splendite-
nens, Erleuchter Adams und Licht des menschlichen Herzens; des historischen
Jesus, Sender des Parakleten; des Jesus patibilis, Seele der Welt und gefangenes Licht, das täglich befreit und zur Höhe geleitet wird.
QUELQUES OBSERVATIONS A PROPOS DE LA MUSIQUE CHALDßENNE
par J. Sanders,Heemstede (Niederlande)
Par musique chaldäenne nous entendons la musique de I'eglise syrienne Orientale
toute entiöre avec ses deux branches, done de ceux qui sont des Assyriens et de
ceux qui apräs leur union avec Rome s'appellent Chaldöens. Leur pays natale
s'ätend du Golfe Persique jusqu'au Nord dans les montagnes du Kurdistan; leur
villes principales 6taient Kasjkar, Säleucie-Ktösiphon', et plus tard Djulamerk et Baghdad. A partir du commencement du Vme siäcle on les appelle l'Eglise de Perse.
Iis ont väcu dans une ambiance hellenistique, souvent ä cöt6 des Juifs qui en de- venant chrätiens ont importe dans le Christianisme leur heritage culturel. Celui qui veut ätudier la musique chaldäenne doit partir de cette triple hypothäse: influence grecque, juive et persane. Pour reconnaitre l'influence grecque on peut mettre les mälodies syriennes ä cotä des mälodies de I'eglise byzantine telles qu'on trouve par
exemple dans cette fameuse collection des huit tons appeläe OKTOICHOS. Pour
voir s'il y a une influence juive on pourrait comparer la musique chaldäenne avec
quelques 3500 chants ramassäs dans les synagogues du monde entier^. En ce qui
conceme l'influence persane: on dispose des collections de musique persane', faites sur place, qui peuvent verifier ce qu'il y a de vrai dans les titres persans que portent plusieurs mälodies chaldeeimes.
Mr. Husmann a äditä le chant chaldäen du bräviaire, done des heures canoniques, aidä par Mgr. E. Beddä, professeur de chant au seminaire de Mossoul". II arrive ä
arranger ces mälodies dans un systäme de huit tons semblable ä I'OKTOICHOS;
pour ce travail il lui a fallu quelques modifications dans les melodies, dont seuls Ies musieologues peuvent dire si elles sont legitimes ou non'.
Mais il y a quand-meme quelques observations ä faire.
Husmann ätudie seulement les huit tons tels qu'il les trouve dans le bräviaire, mais il y a encore d'autres mälodies*, p. e. les chants populaires. De ceux-ci il faut
1 Concilium Seleuciae et Ctesiphonti habitum Anno 410, ed. T. J. Lamy, Lovanü 1868.
Jalons pour une histoire de l'Eglise en Iraq, par Jean Fiey, dans Corpus Scriptorum Christia¬
norum Orientalium, vol. 310, subsidia tomus 36, Louvain 1970.
2 Communication de Mme E. Gerson-Kiwi faite ä l'ecole biblique des Peres Dominicains ä Jerusalem.
3 UNESCO collection «Musical Sourees» BerUn/Venice, ed. A. Danielou VI-1 Iranian Dast- gah 6747 031.'
4 Die Melodien des chaldäischen Breviers Commune, dans Orientalia Christiane Analecta 178 Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, Roma 1967.
5 Orientalia Christiana Periodica, vol. XXXV, Roma 1969, p. 213-248.
6 Pour la Messe nous avons; Cantus Missae SS. Apostolorum iuxta ritum Chaldaeorum trans- cripsit Petrus Youssef, sacerdos chäldaeus, Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, Roma 1961. L'UNESCO n'a pas (encore? ) edite Ie chant des Chaldeens dans sa serie des
xx. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen