Die Studie „Sprichst du Politik?“ wurde 2011/12 im Zeitraum von acht Monaten von einem Team aus Studierenden (acht Studierende der Marke- tingkommunikation, eine Studentin der Gender Studies/Germanistische Linguistik) sowie der Autorin erstellt. Anhand der Forschungsfrage:
„Wie muss die Sprache von Politikerinnen und Politikern und politischen Institutionen sein, die jungen Bürger_innen ein Verstehen des Inhalts ermöglicht und den Austausch über politische Themen zwischen allen Beteiligten fördert?“
wurden Jugendliche qualitativ und bundesweit quantitativ befragt. Als wissenschaftliche Me- thode diente die Grounded Theory. Um auch im Projektmanagement ergebnisoffen zu arbeiten, nutzte das Team Scrum.
Warum Scrum?
Scrum kommt aus der Softwareentwicklung.
Hier wurde Mitte der 1990er Jahre deutlich, dass klar definierte Anforderungen und eine stabile Projektplanung zunehmend nicht mehr leistbar waren. Die ergebnisoffenen Projekte waren mit der sonst üblichen Wasserfallmetho- de nur unzureichend bewältigbar. 2001 wurde daher das „Agile Manifest“ (agilemanifesto.org) verfasst:
Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen.
Funktionsfähige Produkte haben Vorrang vor ausgedehnter Dokumentation.
Zusammenarbeit mit dem Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen.
Das Eingehen auf Änderungen hat Vorrang vor strikter Planverfolgung.
Die Verfasser sagten außerdem: „Wir erken- nen dabei sehr wohl den Wert der Dinge auf der rechten Seite (Anm. d. Red.: unten) an, wertschätzen jedoch die auf der linken Seite (Anm. d. Red.: oben) noch mehr.“
Wissenschaftliche Forschung ist keine Soft- wareentwicklung, dennoch gab es Parallelen bei „Sprichst du Politik?“:
Forschendes Lernen fand hier im Team statt. Konflikte – auch durch die Nutzung bestimmter Methoden, Prozesse und Werkzeuge – blieben nicht aus und es war rückblickend richtig, der Klärung dieser Konflikte immer den Vorrang einzuräu- men. Scrum bietet zudem ein einfaches Feedback-Format, den „daily scrum“, der jedoch in einen „weekly scrum“
abgewandelt wurde. Eine Herausforde- rung dieses Projekts war es, trotz einer per se hierarchisch angelegten Projekt- situation (notenvergebende Professorin fast aller Studierenden als Projektleiterin) ein Höchstmaß an Beteiligung und Motivation der jungen Forscher_innen zu erzielen. Denn nur sie führten die Interviews mit den Befragten und sie sollten auch maßgeblich – es ging ja um Wahrnehmung und Sprache, beides Forschungsgegenstände, in denen Nähe zum Forschungssubjekt Vorteile ver- sprach – nach Anleitung die erhobenen Daten auswerten und interpretieren.
In der wissenschaftlichen Forschung werden keine klassischen Produkte erstellt.
Für angewandte Forschung gilt jedoch, dass sie neben allen anderen Kriterien guter Wissenschaft relevant, verständlich und somit anschlussfähig sein sollte – in gewisser Hinsicht also „funktionsfähig“.
Theoriebildung zu dokumentieren, ist in der Wissenschaft unverzichtbar.
Bei diesem Projekt stellte dies auch kein Problem dar, da alle Interviews trans- kribiert in eine Auswertungssoftware geladen wurden, aus der alle Codes und Kategorien abrufbar sind. Auch die SPSS-Datensätze sind einsehbar.
Ebenso bietet der Berichtsband einen recht tiefen Einblick in die Datenlage, da viel mit Originalzitaten gearbeitet wurde.
Wissenschaftliche Forschung wird mehr und mehr durch Drittmittel finanziert:
Auch der Umgang mit Geldgebern kann Projekte positiv oder negativ beeinflussen.
Im Fall von „Sprichst du Politik?“ wurde dies sowohl durch ein stetes Update der das Projekt unterstützenden Friedrich- Ebert-Stiftung geleistet als auch durch ihre inhaltliche Einbindung, z.B. bei der Formulierung der Forschungsfrage.
Die weitreichendste Parallele ist die inhaltliche, aber auch formale Ergebnis- offenheit. Es braucht viel Vertrauen in die Methode und alle Beteiligten, sich mit einem unbekannten Team auf eine durch Drittmittel finanzierte Studie mit einem gewissen Ergebnisdruck einzu- lassen. Andererseits bietet Scrum durch die intelligente Nutzung sozialen Drucks und ritualisiertes Feedback (ersteres durch die Planung durch das Team und die motivierende, gemeinsame Auswertung des bisherigen Weges, beides durch den „daily scrum“) dennoch gute Möglich- keiten der Projektsteuerung. Notwendig ist allerdings Abgabe von Einfluss und Kontrolle seitens der Projektleitung (in Scrum „Product Owner“). Dafür entlastet der das Team beratende „Scrum Master“
das Projektmanagement, vor allem im Fall von Konflikten.
Reflexion der Erfahrungen
Scrum als Methode an sich wurde schnell im Team akzeptiert. Probleme gab es zu Beginn eher mit dem Verständnis der Software, die entsprechend des klassischen Scrum-Marktes auf Softwareentwicklung ausgerichtet ist. Eini- ges ließ sich jedoch anpassen. Durch die zuneh-
Scrum: Forschendes Lernen als Projekt managen
„Sprichst du Politik?– Jugendliche Wahrnehmung politischer Sprache
mende Komplexität des Projekts und das größ- tenteils virtuell zusammen arbeitende Team schwanden die Zweifel auch rasch.
Scrum erfordert und fördert Selbstorganisati- on – was auch bedeutete, dass Teammitglieder, die nicht das notwendige Maß an Selbstorga- nisation mitbrachten, das Team verließen bzw.
aus dem Team ausgeschlossen wurden. Diese Prozesse waren unter dem Gebot der Fairness sehr anstrengend, aber auch sehr lehrreich für alle Beteiligten. Beim besten Vorhaben, die Nachwuchs-Forscher_innen so gut als möglich einzubeziehen, gibt es auch bei Scrum das Mo- ment der Führung im Sinne der Repräsentanz des Projekts nach innen und außen. Je klarer die innere und äußere Position der Projektlei- tung zur Führung ist, desto einfacher für alle Beteiligten.
Fazit und Empfehlung
Scrum kann ergebnisoffene Team-Projekte beim forschenden Lernen sehr stark unterstüt- zen. Auf einen pragmatischen, für Neues offe- nen „Scrum Master“ sollte man nicht verzich- ten. Diese/r unterstützt das Team u.a., zu Beginn die Methode kennenzulernen und für die eigenen Belange anzupassen. Denn es ist möglich, für die jeweilige Situation maximalen Nutzen zu erwirken ohne Scrum im Kern zu verfälschen.
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