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24. Oktober 2014STUDIEN IM FOKUS
Fenofibrat wird seit den 1970er Jahren zur Senkung erhöhter Tri- glycerid- und LDL-Cholesterin- spiegel eingesetzt. Allerdings wur- den 2010 Ergebnisse der Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes (ACCORD) Lipid-Studie publiziert, nach denen Fenofibrat bei Frauen möglicherweise keinen Nutzen hat. Dies warf Fragen zur Rolle von Fenofibrat bei diabe - tischen Frauen auf, die zu einer Sicherheitswarnung der Food and Drug Administration (FDA) im Jahr 2011 führten. Nun wurden in einer vordefinierten Analyse der 2005 publizierten FIELD-Studie (Fenofi- brate Intervention and Event Lowe- ring in Diabetes) Wirksamkeit und Verträglichkeit des Lipidsenkers in Abhängigkeit vom Geschlecht un- tersucht.
In die doppelblinde, Placebo- kontrollierte FIELD-Studie waren 9 795 Patienten, davon 3 657 Frau- en, mit Diabetes mellitus Typ 2 eingeschlossen worden, die rando- misiert über fünf Jahre täglich 200 mg Fenofibrat oder Placebo erhielten. Fenofibrat hatte keinen Einfluss auf den primären End- punkt der Studie, nämlich die Rate kardiovaskulärer Ereignisse (nicht tödliche Herzinfarkte und kardio- vaskulär bedingte Todesfälle).
Aufgrund der hohen Zahl an Frau- en, die in die Studie eingeschlos- sen worden war, konnten Wirk- samkeit und Verträglichkeit des Lipidsenkers in Abhängigkeit vom Geschlecht genauer untersucht werden.
Die aktuelle Analyse zeigte nun, dass Fenofibrat die Spiegel von Gesamt-Cholesterin, LDL-Choles- terin, Non-HDL-Cholesterin und Apolipoprotein B bei Frauen stär- ker senkte als bei Männern, und zwar unabhängig vom Menopau- senstatus und unabhängig von der Einnahme von Statinen. Am Ende der Studie hatte sich die Zahl der
Frauen mit Dyslipidämie in der Fenofibrat-Gruppe nahezu halbiert, von 42,7 auf 23,9 % (p < 0,001), in der Männergruppe sank sie von 34,0 auf 20,2 % (p < 0,001). Damit wirkte Fenofibrat bei Frauen signi- fikant besser auf die Fettstoffwech- selstörung (p = 0,04). Die für Kova- riablen adjustierte Zahl kardiovas- kulärer Ereignisse war bei den Frauen der Fenofibrat-Gruppe um 30 %, bei den Männern um 13 % geringer als unter Placebo. Die un- erwünschten Wirkungen von Feno- fibrat unterschieden sich bei Män- nern und Frauen nicht.
Fazit: Fenofibrat wirkt bei Frauen mit Diabetes mellitus Typ 2 ver- gleichbar gut auf die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse wie bei diabetischen Männern. Der Lipid- stoffwechsel besserte sich bei Frau- en mit dem Lipidsenker stärker als bei Männern. Diese Daten bestäti-
gen die Wirksamkeit und Verträg- lichkeit von Fenofibrat bei Patien- ten mit Diabetes mellitus Typ 2. Bei Frauen und Männern kann deshalb sein Einsatz zur Kardioprotektion in Erwägung gezogen werden.
Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
d’Emden MC, et al.: Favourable effects of fe- nofibrate on lipids and cardiovascular disease in women with type 2 diabetes: results from the Fenofibrate Intervention and Event Lowe- ring in Diabetes (FIELD) study. Diabetologia 2014; 57: 2296–303.
GRAFIK
Kumulative Rate kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten unter Fenofibrat oder Placebo.
DIABETES MELLITUS
Fenofibrat bei Frauen ebenfalls kardioprotektiv
Die altersabhängige Makuladege- neration (AMD) ist die häufigste Ursache von Sehverlust und Erblin- dung bei Menschen jenseits des 65. Lebensjahres. Die feuchte (ex- sudative, neovaskuläre) Variante der Krankheit wird seit einigen Jah- ren mit Injektionen von VEGF-In- hibitoren in den Glaskörper des er- krankten Auges behandelt, gegen die trockene (geografische, atrophi- sche) Form gibt es bislang keine ef- fektive Therapie.
Bei der Auswertung der Daten von 1 024 AMD-Patienten aus den Comparison of Age-related Macu- lar Degeneration Treatments Trials (CATT), in denen die Betroffenen intravitreale Injektionen des für die Therapie zugelassenen Ranibizu-
mab (Lucentis®) oder des off-label eingesetzten Bevacizumab (Avas- tin®) erhalten hatten, zeigte sich jetzt, dass fast ein Fünftel der Pa- tienten im Laufe von zwei Jahren einen Übergang der feuchten in ei- ne geografische AMD erleiden:
Nach einem Jahr lag bei 10,6 %, nach zwei Jahren bei 18,3 % eine Atrophie der Makula nach – im morphologischen Sinne – erfolgrei- cher Behandlung der für die feuchte Form charakteristischen Neovasku- larisationen vor. Die Autoren iden- tifizierten mehrere Risikofaktoren für diese unerwünschte Konversi- on. Ein initial sehr schlechter Visus (zwischen 20/100 und 20/320) war mit einem Risikofaktor 2,65 im Vergleich zu jenen Patienten assozi- ALTERSABHÄNGIGE MAKULADEGENERATION
VEGF-Inhibition: aus feuchter wird trockene AMD
A B
C D
kumulatives Risiko (in %)
Jahre seit Randomisierung A: Männer, Placebo
B: Männer, Fenofibrat C: Frauen, Placebo D: Frauen, Fenofibrat 20
15
10
5
0
0 1 2 3 4 5
modifiziert nach: Diabetologia 2014; 57: 2296–303
M E D I Z I N R E P O R T
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24. Oktober 2014 iert, bei denen die Anti-VEGF-The-rapie mit einer Sehschärfe zwischen 20/25 und 20/40 begonnen wurde – da eine schlechte Funktion das Aus- maß des bereits erfolgten Unter- gangs von Photorezeptoren und deren Stützgewebe widerspiegelt, überrascht die häufige Atrophie bei diesen schwer geschädigten Augen nicht. In erhöhtem Maße zur Aus- bildung der trockenen AMD nach intravitrealer Therapie neigen fer- ner Patienten mit trockener AMD im Partnerauge (RR 2,07) und mit intraretinaler Flüssigkeit in der Fo- vea (RR 2,10). Deutlich seltener trat die Konversion in eine Atrophie bei Patienten mit subretinaler Flüs- sigkeit (RR 0,51) und subretinaler Gewebeverdickung (RR 0,32) so- wie bei einer Blockade der Fluores- zenz in der Angiographie (RR 0,49) auf. Und: jene mit häufigen intra-
vitrealen Injektionen (monatlich) bekamen häufiger (RR: 1,59) eine trockene AMD als Pro-re-nata-Be- handelte.
Fazit: Die Studie macht deutlich, dass für einen Teil der AMD-Pa- tienten die Gefahr einer Konversion in die Atrophie besteht und dass dieses Risiko auch mit der Injekti- onshäufigkeit assoziiert ist. Die Er- gebnisse könnten die Diskussion um die bestmögliche Behandlungs- frequenz unter dem neuen Gesichts- punkt des offenbar nicht seltenen Übergangs der AMD in die nicht (weiter) behandelbare trockene AMD wiederbeleben
Dr. med. Ronald D. Gerste
Grunwald JE, et al.: Risk of geographic atrophy in the comparison of age-related macular degeneration Treatments Trials.
Ophthalmology 2014; 121: 150–61.
Langzeitüberlebende kindlicher Krebserkrankungen weisen höhere Morbidität und Mortalität und schlechtere Lebensqualität auf als Gleichaltrige, die keine Krebser- krankung hinter sich haben. Kinder-
onkologen konnten nun zeigen, dass das offenbar auf vorzeitiger Alterung beruht.
Der Phänotyp Gebrechlichkeit – normalerweise vor allem bei Älte- ren beobachtet – ist durch eine Gruppe von fünf körperlichen De- fiziten charakterisiert: Geringe Muskelmasse, selbstberichtete Er- schöpfungssymptomatik, geringer Energieverbrauch, niedrige Geh- geschwindigkeit und Schwäche.
Liegen zwei dieser Symptome vor, spricht man von grenzwertiger („prefrailty“), bei mindestens drei- en von manifester Gebrechlich- keit. Kollegen vom St. Jude Chil- dren´s Research Hospital in Mem- phis, Tennessee, überblicken mit nahezu 3 000 seit 1962 behandelten Patienten eine der größten Kohor- ten von Überlebenden kindlicher Krebserkrankungen weltweit, die regelmäßig nachuntersucht wird.
1 922 von ihnen im Alter von min- destens 18 Jahren hatten ihre The- rapie bis 2003 abgeschlossen, ha- ben also ihre Krebserkrankung mittlerweile mindestens zehn Jah- re überlebt.
ÜBERLEBENDE KINDLICHER KREBSERKRANKUNGEN
Gebrechlich wie Senioren
31,5 % der Frauen in dieser Ko- horte und 12,9 % der Männer lei- den an „prefrailty“, 13,1 % bzw.
2,7 % an manifester Gebrechlich- keit. In einer Vergleichskohorte von 341 Individuen ohne Krebs - anamnese, die allerdings im Mittel viereinhalb Jahre jünger waren, fand sich bei 7,8 % der Frauen und bei 4,6 % der Männer „prefrailty“, manifeste Gebrechlichkeit über- haupt nicht. Am häufigsten mit
„prefrailty“ und Gebrechlichkeit assoziiert waren Hirntumoren (41,2 %), Weichteilsarkome (39,4 %) und andere solide Tumoren (38,7 %), bei Leukämien, Lympho- men und Knochentumoren lag der Anteil bei etwa 30 %. Bei Männern waren neben der Krebserkrankung selbst eine Chemoradiotherapie, ei- ne Bestrahlung insbesondere von Abdomen oder Becken, Rauchen und ein Body-Mass-Index von un- ter 18,5 kg/m2 oder über 30 kg/m2 mit dem Phänotyp assoziiert, bei den Frauen lediglich zunehmendes Alter und eine Chemoradiothe - rapie.
Gebrechliche Krebsüberlebende hatten häufiger chronische gesund- heitliche Probleme als nicht ge- brechliche (82,1 % vs. 73,8 %) so- wie in multivariaten Analysen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (Hazard Ratio [HR]: 2,6; 95-%-Konfidenz- intervall [KI]: 1,2–6,2) und ein hö- heres Risiko für das Auftreten neuer chronischer Zustände (HR: 2,2;
95-%-KI: 1,2–4,2).
Fazit: Erwachsene Überlebende von Krebserkrankungen in Kind- heit und Jugendzeit sind im Durch- schnitt so gebrechlich wie normale Erwachsene im Alter von 65 Jahren oder mehr. Offenbar, so die Auto- ren, bewirken die überstandene Krebserkrankung und mit Sicher- heit auch die teilweise hochaggres- siven Therapien eine Beschleuni- gung des Alterungsprozesses. Das hat weitreichende Auswirkungen bis hin zu einer erhöhten Mortalität.
Josef Gulden
Ness KK, et al.: Physiologic frailty as a sign of accelerated aging among adult survivors of childhood cancer: A report from the St Jude Lifetime cohort study. J Clin Oncol 2013; 31:
4496–503.
GRAFIK
Prozentsatz der Überlebenden mit Gebrechlichkeit (drei oder mehrere Komponenten) oder grenzwertiger Gebrechlichkeit („prefrailty“, zwei Kompoenten)
100 %
80 % 60 %
40 % 20 %
0 %
ZNS-Tumoren Weich
gew ebssark
ome
andere solide Tumore
Hod gkin-L
ymphom e
Leu kämien
Non-Hod gkin-Lympho
me
Kno che
ntumore Wilms
tumore Neuroblastom
e
Retino blastom
e
■ < 2 Komponenten ■2 Komponenten (prefrailty)
■ ≥ 3 Komponenten
modifiziert nach: J Clin Oncol 2013; 31: 4496–503