GALLERIA COLONNA
Christina Strunck
Auftraggeber. Lorenzo Onofrio Colonna, Prin
cipe di Paliano,GranContestabiledel Regno di Napoli (1637-1689);nachseinem TodWeiter
führung der Arbeiten durch seinen Sohn Filip
po II. Colonna (1663-1714).
Kemdaten zur Baugeschichte: 1661-1665 Er- richtung des Rohbaus durch AntoniodelGran
de.Der Mittelsaal der Galerie besaß damals auf jeder Seite 21 Fenster (drei Reihen zujesieben Fenstern), doch wurde die über dem Gebälk liegende Fensterreihebereits vorBeginn der Ausmalung (1665) wieder vermauert. 1674 Neukonzeption durch Gianlorenzo Bernini:
Erst damals wurden die angrenzendenRäume zurGaleriehin mittels großersäulengestütz
ter Durchgängegeöffnet (Abb. 1, A und C). Da durchentstandeine in derGeschichte des Ga leriebaus völlig neuartige dreiteilige Raumse
quenz.
Von der stuckierten Wanddekoration, die 1686-1689 unter Leitung Carlo Fontanas aus geführtwurde,habensichheutenur die gro ßen vertikalen Trophäengehänge im Mittelsaal erhalten. Die stuckierten Pilaster wurden
1696-1698 gegen Marmorpilaster ausge tauscht. Gleichzeitigließ der leitende Architekt Girolamo Fontana auch diePeperinschäfte der Kolossalsäulen durch marmorverkleidete Säu
len ersetzen. Indem 1697zweiFensterachsen an jeder Langseite vermauert wurden,gewann man Hängungsfläche für Gemälde; zudem wurde die unregelmäßige Distribution der Fensterachsen, die aufGegebenheiten des Vor
gängerbaus zurückzuführen ist, endlichwir
kungsvoll kaschiert (Abb. 2): Da die Langseiten
1 Galleria Colon
na, Grundriss.
A westlicher Anraum, B Mittelsaal, C östlicher An
raum, D Brücke zum Garten
nicht als Ganzes visuellerfasst werden kön
nen, nimmt der Betrachter die unterschiedli che Breite der beiden großen Wandflächen nicht wahr.
Die verbliebenen Fenster wurden mit schwar zen Marmorrahmungen aus affricano verse
hen. Der Fußboden erhielt damals nur im Mit telsaal ein marmornes Paviment; der Ziegel
fußbodenderbeiden quadratischen Salons an denStirnseiten der Galerie machte erst 1964 ei nemmarmornenBodenbelag Platz.
DieBrücke zwischen dem östlichenAnraum der Galerie und dem Gartenauf dem Quirinais
hügel entstand 1699-1700 (Abb. 1, D). Ander gegenüberliegendenwestlichen Schmalseite wurde 1699 ein präexistentes Fenster vergrö ßert undmit einem Balkon versehen. Die Ter
rasse, die sich heute an dieser Stelle anden Ga leriebauanschließt, verdankt sich Umbauten der Jahre1731/32.
Im Jahr 1700 wardie Galerie nachknapp vier zigjähriger Bauzeit erstmals voll benutzbar.
Das sogenannte casino, eine Art Lusthaus,das vom östlichen Anraumder Galerie aus erreicht werdenkonnte, musste 1878 derVia Naziona- le / Viadel 4 Novembre weichen.Dadie Süd
fassade der Galerie durch denBau derneuen Hauptverkehrsstraße in bisher ungekannter Weise zur Geltungkam, wurde ihr 1879-1881 durch Giovanni Riggieine imposantere histo risierende Gliederung vorgeblendet.
Dekoration/Ausstattung: Das Deckenfresko im Mittelsaal von Johann PaulSchor, Giovanni Co liund Filippo Gherardi (1665-1685)verherr
licht den Anteil Marcantonio Colonnas an dem als epochal geltenden TürkensiegbeiLepanto.
Die fünf Gemälde in der Hauptachse desRau
mes stellen folgendeEreignisse dar: den Emp
fang Marcantonio Colonnas durch denDogen in der Sala del Collegio des venezianischen Do genpalastes(April 1571, Verhandlungen über die Bildung dersogenanntenHeiligenLiga von Kirchenstaat, Spanien undVenedig); die Ein setzung Colonnas zum Oberkommandeur der päpstlichen Flotte (11.6.1570); die Seeschlacht von Lepanto (7.10.1571); den triumphalen Ein zug Colonnas in Rom (4.12.1571); die Errich
tung einer Ehrenstatue für Marcantonio Co lonnaim Konservatorenpalastaufdem Kapi
tol (September 1595).
Die Deckenfresken derbeiden quadratischen Salons, dieden Mittelsaal einfassen, bilden ge wissermaßen Prologund Epilog der Haupt
handlung.In dem 1693-1695 von Sebastiano Riccigestaltetenwestlichen Anraum (Abb. 1, A) werden derHeldund die Problematik vor gestellt.An der Nordseite istdie „Tyrannei" der Türken im Mittelmeerraum allegorisch verbild
licht,während überdemDurchgang zum Mit telsaal der GalerieMarcantonioüberdie Mäch te des Bösentriumphiert. Die beidenrestlichen Szenenverweisen auf dieSeeschlacht von Ac hum als bedeutende antike „Präfiguration"des Lepantosiegs.
ImDeckenbild des östlichen, zum Gartenhin gelegenen quadratischenSalons (Abb.1, C) ver
gegenwärtigte Giuseppe Bartolomeo Chiari 1698-1700 den ewigen Ruhm, den Colonna mitseinen Taten verdient habe: Herkules führt Marcantonio zur weiblichen Personifikation der Ewigkeithinauf, die ihmeinenEhrenplatz in einererlauchtenRunde antiker Helden zu
weist. Aufdergegenüberliegenden Gewölbe seite wirdseinNamein das Buch der Geschich te eingeschrieben. Dieauf Wolken thronende
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2 Vergleich der in verschiedenen Bauphasen realisierten bzw. geplanten Wandgliederungen in der Galleria Colonna, a) Antonio del Grande, b) Mattia de' Rossi, c) Carlo Fontana, d) Girola
mo Fontana. Rekonstruktion Christina Strunck, Zeichnung Gilbert Diller
3 Galleria Colonna, Blick von Westen nach Osten
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Originalveröffentlichung in: Strunck, Christina (Hrsg.): Rom : Meisterwerke der Baukunst von der Antike bis heute; Festgabe für Elisabeth Kieven, Petersberg 2007, S. 420-423
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y-j. und 18.Jahrhundert
Personifikation der römischen Kirche schaut dankbarzu Colonna hinüber. Rechts von der Hauptszenewird seineFeldherrentüchtigkeit, ein nackter „Genio militare“,von den damals bekannten vier Erdteilen bestaunt.
Die dreiGalerieräume beherbergen eine erlese ne Sammlung vonantiken Skulpturen sowie Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts. Be
merkenswertsindferner die vier großen be
malten Spiegel im Mittelsaal unddie beiden Kunstschränke im westlichen Anraum. Das
„studiolo d'avorio“, dessen Entwurf wahr scheinlich auf Gianlorenzo Bernini zurückgeht, reproduziert in 28Elfenbeinminiaturen Haupt werke der italienischen Malerei,unter ande
rem (im Zentrum des Schranks) Michelangelos
„Jüngstes Gericht“ausderSixtinischen Kapel le. Die Schnitzereien wurden 1675-1680 von Franz undDominikStainhart aus Weilheim ausgeführt.
Kommentar: Die Galleria Colonna istzweifellos der prächtigste Galerieraum Roms. Man betritt sie heute gewissermaßen von der Rückseite (Abb. 1,C).Wie die Ausrichtung der Decken fresken im Mittelsaalanzeigt, befindet sich der ideale Betrachterstandpunkthingegenin dem quadratischen Salonam gegenüberliegenden Endeder Galerie (Abb. 1, A). Erst vondort er schließtsich die volle Raumwirkung (Abb. 3).
Derumeinige Stufen über das Bodenniveau der Galerie herausgehobeneöstlicheAnraum erscheint ausjener Perspektive als der trium
phale Abschluss der Raumfolge. Auf demer höhten Podium sollteeinst inmitten einer „ge
bauten Imprese" der PrincipeColonna thro
nen; seit dem 19. Jahrhundert vertrittihn die sogenannte Colonna bellica, eine reliefierte Por
phyrsäule, quasi als sein symbolischer Platz halter. DerUmstand,dass die von denKolos salsäulenumschriebeneÖffnungnachden Re geln des „Goldenen Schnitts" proportioniertist, trägt zu dem majestätischen Gesamteindruck desAudienzsaals ebenso beiwie die ruhige Schönheit der Marmorsäulen, die auf das jahr hundertealte Wappenzeichender Familie, eine gekrönte Säule(ital. „colonna“), verweisen.
Bei derGestaltungder „Bühne“ fürden Princi pe griff Bernini auf vielfältigeInspirationsquel
lenzurück.Die Ideeeines der Sphäre des Be trachtersentrückten, von Säuleneingefassten und geheimnisvoll beleuchtetenAktionsraums begegnet in zahlreichen von Bernini konzipier
ten Kapellen (etwain derCappellaRaymondi von San Pietro in Montorio oder in der Cappel
la Cornaroin Santa Maria della Vittoria); we
gen des Motivs derfreistehendenKolossalsäu
len mit gerademArchitravist insbesondere der Altarraum von Sant'Andrea al Quirinale gut
vergleichbar(Abb. S. 291). Berniniwendete die
se theatralischeRahmung jedoch nicht nur im religiösen Bereich an, sondernverlieh damit auch weltlichen Herrschernquasi sakrale Wür
de,etwa in seinemEntwurf fürdiePräsenta
tion einer Statue Philipps IV. in derVorhalle vonSanta Maria Maggiore oder in der Insze nierung seines „Konstantin", derebenfalls auf einem erhöhten Podestundvon Säulen einge rahmt erscheint, wenn man ihn von dem pri
märenBetrachterstandpunkt (der Vorhalle von SanktPeter) betrachtet (Abb. S 302).
Schon die mit 40,05x 10,67 Metern bei einer Scheitelhöhevon 13 Metern monumentalen Dimensionen des von Antonio del Grandekon
zipierten Rohbaus zeigtenan,dassdie Galleria Colonna vonAnfangan nicht alsrein„priva ter“ Raum gedacht war, sondern mit den prunkvollen GaleriebautenderPäpste und ih rerFamilienmithalten sollte, insbesondere mit denPamphilj-Galerien am Corso und an der PiazzaNavonasowiemit der Quirinaisgalerie Alexanders VII. Daherverwundert es nicht, dassBernini sich beider„Bespielung“desRoh
baus von Vorbildern aus dem öffentlichen Raum von höchstemAnspruchsniveau inspi rieren ließ. So magder Gedanke, einen langge streckten Rauman seinenbeiden Schmalseiten durchfrei in DurchgängeeingestellteKolossal
säulen zuartikulieren, von Michelangelos Por tikus des Konservatorenpalastes oder von Ma- dernos Sankt-Peter-Vorhalle angeregt worden sein.
Die dadurch entstandene, in derGeschichte des Galeriebaus ganzneuartige dreiteilige Raum struktur wurde vielfachimitiertund variiert, auch außerhalb Italiens (z. B. in der Galerievon ThomasHopes Haus inLondonoderim Spei
sesaal vonNewby Hall). Museumsarchitekten machten häufig von dem Einfall Gebrauch, langgestreckteRaumfluchtendurchSäulenpaa
re zu untergliedern, wobeidie Resultatealler
dings infolge langerFiliationen und„Kreuzun
gen“oftnur noch sehr entfernt mit der Galle
ria Colonna zu tun haben (vatikanische Gale rien, Grande Galerie desLouvre, Galerie des Ba- tailles in Versailles, Galleria dei Busti im Quiri naispalast,Galleria Cini desKonservatorenpa
lastes etc.). Noch beim Entwurf der Duveen Gallery, in der seit 1938 die Parthenon-Skulp turen des British Museum gezeigt werden, standaber letztlich die Galleria Colonna Pate.
Eine direktereRezeptionderGalleria Colonna, sowohl ihrer Architektur als auch ihrerAus
malung, lässt sich mit Blick auf die Galerien der königlichen Schlösser von Versailles, Stock
holmundBerlinkonstatieren. ImUnterschied zu diesen ist die Galleria Colonna jedoch weni
ger als Monumentherrscherlicher Repräsenta tion denn als gebauter Statusanspruch zu ver stehen. Durch den Prunk seines Thronsaals suchte Lorenzo Onofrio Colonna seinenicht allgemein akzeptierte Stellung als souveräner Herrscher zu bekräftigen und dadurch die
„neureichen" Papstfamilien in ihre Grenzen zu weisen, die den Vorrang des alten römischen Adels nur unwillig tolerierten.
Vor diesem Hintergrund erscheint auch die un gewöhnliche Entscheidung, die Galerie mit mo numentalen familiengeschichtlichen Fresken auszuschmücken,in einem speziellenLicht:
Den oft aus eher obskuren Verhältnissen stam menden Papstfamilienwurde der glorreiche Colonna-Ahne Marcantonio vor Augen gestellt, der im Kampf gegendieTürken den „wahren Glauben" unterEinsatz des eigenenLebens ver
teidigt hatte. Die Seeschlacht vonLepanto war, legte man etwa die von Torquato Tasso in sei nen Discorsi dell'arte poetica e del poema eroi- co formulierten Maßstäbe zugrunde,einidea les Thema für ein christlichesEpos, und ent sprechend bemühtesichJohann Paul Schor - wohlgemeinsammit dem Dichter CesareCo lonna - darum, einDeckensystemzukonzipie
ren, das in seiner Gesamtheit Strukturmerk
male eines Epos (insbesondere die „Ekphrasis- Episode“) imitierte.Auswahlund Gestaltung der einzelnenHistorienbilder zieltendarauf ab, ColonnasVerdienste durch subtileGeschichts
manipulationen zu überhöhen. Besonders auf fälligist diesim zentralenGemälde,der„See
schlachtvon Lepanto" (Abb. 4).
Während Seeschlachten üblicherweise als Überschaubildaus derVogelperspektive wie
dergegeben wurden, konzentrierten Giovanni Coli undFilippo Gherardi die Handlung inei ner dramatischen Nahaufnahme ganz aufzwei Hauptakteure, die einander in einem span nungsgeladenen Augenblick mustern. Dieser erzählerische Kunstgriff sucht den Moment der Peripetieeines Epos (die Wendung zum Guten)nachzubilden. Noch ist der Ausgang des Gefechts nicht entschieden, doch deuten zahl reiche Details bereits denSiegderChristen an -etwa die zuColonna herabschwebende Vik- torie, die dynamischvon links in die rechte („türkische") Bildhälfte vordringenden Bewe
gungsimpulse der Komposition und die dunk le „Negativaura",welchesich hinter Müezzin zäde Alis Kopf zusammenbraut. Diegelbe Fah ne, die Colonna hinterfängt, lässtdiesen hinge
gen als Lichtgestalt wirken.
Indem das Fresko Marcantonio als denzentra
len Protagonisten aufSeiten derChristen prä sentiert, suggeriert es, Colonna habebei der Schlacht noch den Oberbefehl über die Liga-
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4 Galleria Colonna, Mittelsaal, Deckenbild, Detail: „Die Seeschlacht von Lepanto“, Fresko von Giovanni Coli und Filippo Gherardi
1 Tg,.-
flotte innegehabt, derihm de facto 1571 entzo genworden war. Inden Wolken erscheinendie PersonifikationdesGlaubens (mit Kelch) und das Kreuz, eineAnspielungauf dieVision Kai
serKonstantins. So wie Konstantin im Zeichen des Kreuzes über denHeidenMaxentiussieg
te, so triumphiertColonna hier überdie Tür ken: Der mitkeinerlei langfristigemTerrainge winn verbundene Lepantosieg wird dadurch euphemistisch mit jener Schlachtparallelisiert, die letztenEndesdie Christianisierung des rö mischen Weltreichszur Folge hatte.
Die amplifizierende Bildspracheder Galleria Colonna, die nuran den großen Höfen Europas
problemlos rezipiert werden konnte, wirkte schon auf Betrachter des 18. Jahrhunderts „lä
cherlich“, wie Pierre-Adrien Paris vermerkte.
Nachdem Le Corbusier dieGalleria Colonna in seinem Buch Vers une architecture 1923 sogar unterderÜberschrift„La Romedes Horreurs"
präsentiert hatte,erlebte sie in den dreißiger Jahren des20. Jahrhunderts jedoch eine über raschendeRenaissance: DerBallsaal desLuxus kreuzersContedi Savoia wurde als getreue Ko
pie der Galleria Colonna eingerichtet. Weder die berühmten Säulen noch dieTrophäenge
hänge oder derMarmorfußbodenfehlten; so
gar das komplette Deckenbild des Mittelsaales
war von Carlo Coppede kopiert worden! So fei
ertendie Kreuzfahrerder Dekadenzunter den Augen des letzten echten Colonna-Kreuzfah rers.
Bibliographie (Auswahl): Christina Strunck, „Lorenzo Onofrio Colonna, derrömische Sonnenkönig.Neue Dokumentenfunde zuBerniniund seinemKreisim Archivio Colonna", Zeitschrift für Kunstgeschichte, 61(1998),568-577; Eduard A. Safarik, Pa
lazzo Colonna, Rom 1999; Natalia Gozzano, La quadreriadi Lo
renzoOnofrio Colonna. Prestigio nobiliareecollezionismo nella Romabarocca,Rom2004; Christina Strunck,„Berninizitiert sichselbst? Die Kunstmöbel derGalleria Colonna in Rom", Rö mischeHistorischeMitteilungen, 47 (2005), 227-278; Christina Strunck, Berninisunbekanntes Meisterwerk. Die GalleriaColon
na und dieKunstpatronagedes römischen Uradels,München 2007.
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