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Archiv "Harry Graf Kessler: Vom Hauptmann zum „roten Grafen“" (28.09.2007)

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A2670 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 39⏐⏐28. September 2007

K U LT U R

ROMAN

Elaborierte Fabulierlust

Sieben Jahre nach der Erstveröffent- lichung liegt die atemberaubende Lebensbeichte des Sebastián Urrutia Lacroix in der deutschen Überset- zung vor. In einer Fiebernacht schaut

der Literaturkritiker, Dichter und Priester zurück auf sein Leben.

Nacherzählen kann man diese mit höchst elaborierter Fabulierlust Sta- tionen und Begegnungen umkreisen- de Suada nur schwer. Da fügen sich an Details des Hauptsatzes atemlose, nicht enden wollende Nebensatzkas- kaden in einem flirrenden Erzähl- strom, den kein Absatz oder Kapitel- neubeginn unterbricht. Nur vorder- gründig, so scheint es, geht es um die Begegnung des Paters mit seinem Gönner Farewell, um Pablo Neruda und um Ernst Jünger. Nur vorder- gründig geht es um die Reise des Pa- ters nach Europa, wo er sich darüber informiert, wie man zwischen Straß- burg und Madrid die Verunreinigung der Kirchen durch Taubenkot in den Griff zu bekommen sucht. Wenn es brenzlig wird, schließt der Gottes- mann gern die Augen oder gibt sich ausufernder Lektüre der Klassiker hin. Die Lebensgeschichte jedes Papstes kennt er auswendig. 1973 lehrt Pater Sebastián die gegen Sal- vador Allende putschenden Generäle Grundzüge des Marxismus – sie wol- len Chiles Feinde verstehen. Am En- de bleibt ihm die Gewissheit, gegen sich selbst, den „vergreisten Grün- schnabel“, stets mit der Geschichte gegangen zu sein.

Dieses Nachtstück spiegelt ein halbes Jahrhundert chilenischer Ge- schichte in ihrer ganzen Wider-

sprüchlichkeit wider. Zugleich hat der Autor des Meisterwerks „Die wilden Detektive“ (2002) ein fulmi- nantes Buch über die Literatur ge- schrieben. Inmitten einer Welt aus Heuchelei, Unergründlichkeit und Gewalt behauptet sie stolz ihr Recht.

Anerkennung gebührt Heinrich von Berenberg für seine kongeniale Übertragung. Höchst bedauerlich, dass Roberto Bolaño 2003 im Alter von nur 50 Jahren gestorben ist.

Christof Goddemeier

Roberto Bolaño: Chilenisches Nachtstück. Ro- man. Carl Hanser Verlag, München, 2007, 160 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, 17,90 Euro

Später vertrat er Ideen der Wei- marer Republik und mutierte zum

„roten Grafen“. Bereits am 9. No- vember 1918 hatte er einen Passier- schein in der Tasche, der ihm in Ber- lin den Weg durch Absperrungen in den nächtlichen, von Matrosen be- setzten Reichstag öffnete. An seiner Seite befand sich der elsässische Schriftsteller René Schickelé, Re- dakteur der „Weißen Blätter“, den er in der Schweiz kennengelernt und an sich gebunden hatte. Schickelé sollte für deutsche Kriegsziele eintreten, jedoch sein Pazifismus und sehnli- cher Wunsch, zwischen Deutschland und Frankreich Frieden zu stiften, wurden missachtet. Schickelé suchte Geldgeber für seine neue Wochen- schrift, doch Kessler hielt ihn und seine Frau lieber frei bei Diners und Einladungen zum Frühstück in den vornehmsten Lokalen der Schweiz.

Man diskutierte viel und tiefgründig.

Doch Privatbriefe des Elsässers wur- den von deutschen Spionen entwen- det und gelesen. Bis zum bitteren En- de wurde der unglückliche Schickelé von Graf Kessler eingespannt für reichsdeutsche Interessen.

Historische Augenblicke schil- dert Graf Kessler kühl-überlegen.

So berichtet er im Tagebuch über ei- ne Geburtstagsfeier für den OHL- Befehlshaber Hindenburg im Zelt, bei der er neben Ludendorff Platz genommen hatte. Doch geheime Friedensverhandlungen mit den Franzosen einfädeln wollte er nicht.

Graf Kessler, „der Mann mit 10 000 Bekannten“, traf sich am 9. Novem- ber 1918 in Berlin mit dem in deut- scher Festungshaft sitzenden polni- schen General Pilsudski, den er in einen Zug nach Warschau setzte, da- mit er in Polen Staatschef werde.

Parallelen zu Lenin 1917 sind un- verkennbar. Im neuen polnischen Staat wurde Harry Graf Kessler ers- ter deutscher Botschafter. Schrift- steller Schickelé blieb nach 1918 in Deutschland. Mit Kessler hatte er erwogen, deutsche „rote Matrosen“

ins Elsass einmarschieren zu lassen, um eine autonome Republik zu gründen. Richard E. Schneider

Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880–1937.

Band 6: 1916 –1918.Hrsg. von Günther Riederer, bearbeitet von Christoph Hilse. Klett-Cotta, Stutt- gart, 2006, 963 Seiten, Leinen, 58 Euro HARRY GRAF KESSLER

Vom Hauptmann zum

„roten Grafen“

Der beachtenswerte sechste Band der auf neun Bände angelegten Edi- tion der Tagebücher von Harry Graf Kessler (*23. Mai 1868 in Paris,

†30. November 1937 in Lyon) be- handelt den Zeitraum von 1916 bis 1918 und beschreibt seine Zeit an der Deutschen Botschaft in der Schweiz. Harry Graf Kessler, kunst- sinniger Sohn eines Hamburger Bankiers und einer irischen Adli- gen, war bei Kriegsausbruch 1914 aus Paris über London nach Deutschland zurückgereist, um als Hauptmann eines kaiserlichen Re- giments am Ersten Weltkrieg teil- zunehmen. Nach Bern schickte ihn der damalige Außenamtsstaats- sekretär von Jagow mit einer Mil- lion Reichsmark im September 1916, um deutsche Positionen in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Kessler schlug „Musik, Theater, Kunst, selbst Va- riété“ vor. Durch seine Ver- mittlung gastierten der Ber- liner Theaterregisseur Max Reinhardt und der bayeri- sche Komponist Richard Strauss in der Schweiz.

Doch gelang es Graf Kess- ler nicht, Schweizer Zei- tungen „anzukaufen“ und für deutsche Kriegsziel- Propaganda nutzbar zu ma- chen.

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