DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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Welcher Schrittmacher für welchen Patienten?
nie Schrittmachertherapie ist Lieine symptomatische. Be-
handelt wird eine medikamen- tös therapierefraktäre brady- karde (seltener tachykarde) Rhythmusstörung als Sym- ptom oder Komplikation einer kardialen Grunderkrankung.
Der Herzschrittmacher steht somit als therapeutisches Prin- zip neben der kausalen, allge- meinen und medikamentösen Behandlung von Herzrhyth- musstörungen.
Heutiger Entwicklungsstand Seit der ersten Implantation ei- nes kompletten Schrittmacher- systems am 8. Oktober 1958 (1) hat sich auf diesem Gebiet eine geradezu dramatische Entwicklung vollzogen. Der Weg führte von starrfrequen- ten über einfache frequenzpro- grammierbare Herzschrittma- cher zu komplizierten multi- programmierbaren Geräten, deren Funktionsweise und Sti- mulationscharakteristik nach der Implantation variabel sind.
Die erreichten Fortschritte be- ziehen sich gleichermaßen auf Elektroden, Lebensdauer ver- schiedener Batterietypen, Sti- mulationselektronik und tech- nischen Gesamtaufbau elektri- scher Schrittmacher (6).
Als weiterer Meilenstein ist die Entwicklung sogenannter phy- siologischer Schrittmacher zu nennen, die als 2-Kammer-Ag- gregate die Erhaltung bezie- hungsweise Wiederherstellung der Vorhof-Kammer-Koordina- tion ermöglichen. Die Realisa- tion erfolgt vorzugsweise
durch Schrittmacher mit Vor- hof- und Ventrikelelektroden, die über eine Detektionsfunk- tion spontaner Herzaktionen und eine Stimulationsfunktion in beiden Herzkammern verfü- gen (DDD-Modus) (3, 10). Eine neue therapeutische Perspekti- ve wurde eröffnet, als Mirow- ski und Mitarbeiter 1980 den automatischen implantierbaren Defibrillator für Patienten mit malignen Kammertachyar-, rhythmien beschrieb (9). Inzwi- schen ist das weiterentwickel- te System weltweit im Einsatz zur Kardioversion und Defibril- lation, neuerdings auch kom- biniert mit antitachykarder Sti- mulation (8).
Ohne die Schrittmachertech- nik wäre ferner die His-Bün- del-Ablation nicht denkbar, die heute zum festen Bestandteil elektrotherapeutischer Mög- lichkeiten gehört (2, 11): Es handelt sich hierbei um ein nichtoperatives Verfahren zur Unterbrechung der atrioventri- kulären Überleitung bei be- drohlichen therapierefraktären supraventrikulären Tachykar- dien. Nach Ablation, das heißt Herbeiführung eines totalen AV-Blocks aus antitachykarder Indikation, bedarf es der Schrittmacherstimulation zur Aufrechterhaltung einer nor- mofrequenten Herzschlagfol- ge. Die jüngste Entwicklung auf dem Schrittmachersektor betrifft die frequenzadaptiven oder „biologischen" Herz- schrittmacher, über die in die- sem Heft berichtet wird (Seite 3279 ff.). Diese Aggregate, die bislang nur als Ein-Kammer- Schrittmacher verfügbar sind,
nutzen Biosignale, das heißt physiologische Parameter, zur Frequenzsteuerung: Muskelak- tivität, QT-Intervall (katechol- aminabhängige intrakardiale EKG-Veränderungen), Atemfre- quenz, Temperatur, pH-Wert, Sauerstoffsättigung, Druck, Schlagvolumen.
Kommerziell verfügbare und damit für die Langzeittherapie geeignete Systeme umfassen derzeit atemgesteuerte, QT-ab- hängige und muskelaktivitäts- gesteuerte Schrittmacher (4).
Es stehen also heute auf dem Schrittmachergebiet zahlrei- che elektrotherapeutische Möglichkeiten zur Verfügung, um den individuellen Bedürf- nissen des Patienten zu ent- sprechen.
Indikationsbezogene Anwendung
Naturgemäß kann es nicht ei- nen idealen Schrittmacher für bestimmte Erkrankungen ge- ben, wohl aber optimale Schrittmacher für beziehungs- weise gegen die jeweiligen Rhythmusstörungen als Grundlage der behandlungs- bedürftigen klinischen Sym- ptomatik.
So ist denn auch grundsätz- lich das klinische Bild für den Entschluß zur Schrittmacher- implantation ausschlagge- bend: Adams-Stokes-Anfälle, Schwindelzustände in Ruhe und bei Belastung auf der Ba- sis partieller oder totaler atrio- ventrikulärer und sinuatrialer Blockierungen, Leistungsmin- derung unter Frequenzen um oder unter 40/Minute, brady- kardiebedingte Herzinsuffienz, Bradyarrhythmia absoluta, Ca- rotissinussyndrom sowie Si- nusknotensyndrom mit Brady- kardie von Krankheitswert. I>
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Kontraindikationen bestehen gegenüber der temporären oder permanenten antibrady- karden Stimulationstherapie praktisch nicht. Insbesondere ist hohes Alter nicht als Ge- genanzeige zu werten. — Anti- tachykarde Systeme stehen bei medikamentös therapieresi- stenten supraventrikulären und ventrikulären Tachyar- rhythmien zur Verfügung (7).
Auf der Grundlage des heuti- gen Entwicklungsstandes er- geben sich folgende verschie- dene Anwendungsformen der Herzschrittmachertherapie:
Unterschiedliche Schrittmachersysteme
a) Kammerbedarfsschritt- macher
Die größte Verbreitung haben die Kammerbedarfsschrittma- cher vom VVI-Typ gefunden (Stimulation: rechter Ventrikel
= V; Detektion von Kammerei- genaktionen im rechten Ventri- kel = V; Betriebsart: inhibiert
= I). Diese Systeme sind indi- ziert bei absoluter Bradyar- rhythmie infolge Vorhofflim- merns oder -flatterns, beim Carotissinussyndrom und — mit Einschränkungen — bei den übrigen Bradykardien. Die Vorteile liegen in der sicheren Stimulationsart bei sehr niedri- ger Komplikationsrate. In hä- modynamischer Hinsicht sind Pacemaker mit ausschließ- licher Ventrikelstimulation je- doch ungünstig. Bei erhaltener Vorhoftätigkeit stellen die phy- siologischen (AV-sequentiel- len) Schrittmachersysteme ei- ne vorteilhafte alternative Sti- mulationsform dar.
Eine gewisse Adaptation an die individuellen Patientenver- hältnisse bietet die Program- mierbarkeit post implantatio-
nem. Der multiprogrammierba- re Ein-Kammer-Schrittmacher ist auch der derzeit häufigste in der Bundesrepublik Deutschland implantierte Schrittmachertyp. Die Verbrei- tung derartiger Systeme hat sich hierzulande zwischen 1982 und 1985 mehr als ver- doppelt (5). Die Programmier- möglichkeiten beziehen sich unter anderem auf Frequenz, Amplitude, Impulsdauer, Emp- findlichkeit, Hysterese, Refrak- tärzeit und Betriebsart.
Die Vorteile der Frequenzpro- grammierung sind unbestrit- ten, denn die früher allgemein übliche Stimulationsfrequenz von 70 bis 72/Minute ist kei- neswegs in allen Fällen opti- mal. Beispielsweise lassen sich durch Frequenzanhebung extrasystolische Arrhythmien beherrschen; andererseits kann bei Koronarkranken eine Frequenzsenkung dem Auftre- ten pektanginöser Beschwer- den entgegenwirken. Vor al- lem begünstigt die Frequenz- programmierung die eigene Herzschlagfolge bei Patienten mit nur intermittierendem Sti- mulationsbedarf.
Die Programmierung von Am- plitude und Impulsdauer dient nach Überwindung des initia- len Reizschwellenanstiegs der individuellen Einstellung der notwendigen Ausgangslei- stung. Hierdurch kann eine längere Funktionszeit des Ag- gregats erreicht werden. Bei Muskelmiterregung sowie bei Stimulationsinsuffizienz auf- grund veränderter Reizschwel- le erspart die Programmierung häufig eine Revisionsopera- tion. Die Mehrzahl von Dys- funktionen aufgrund von Im- pulserkennungsstörungen kann gleichfalls durch Um- programmierung korrigiert werden.
b) Physiologische Schrittmacherstimulation Eine physiologische Schrittma- cherstimulation im Sinne einer synchronisierten Vorhof-Kam- mertätigkeit ist aus hämodyna- mischer Sicht prinzipiell vor- teilhaft. Diese etablierte, gut untersuchte und sichere Sti- mulationsform sollte daher, wann immer nötig und mög- lich, angewendet werden. Hier- zu bedarf es aber keineswegs immer des finanziell und tech- nisch aufwendigen — und da- mit auch komplikationsträchti- gen — DDD-Schrittmachers mit Sonden im rechten Vorhof und Ventrikel zu Stimulation (= D:
Dual) und Detektion (= D) bei unterschiedlicher Betriebsart (getriggert, inhibiert D]).
Indikationsbezogen kann das Therapieziel häufig genug mit einem 1-Kammer-System (AAI) erreicht werden, das gleicher- maßen (bei intakter AV-Über- leitung) den physiologischen Erregungsablauf gewährleistet.
Bei dieser Stimulationsform erfolgt die Stimulation im rechten Vorhof (A), die Detek- tion im rechten Vorhof (A), die Betriebsart ist bedarfsgesteu- ert inhibiert (I).
Hierbei wird die retrograde Vorhoferregung vermieden und damit einem sogenannten Schrittmachersyndrom entge- gengewirkt.
Ist die AV-Überleitung gestört oder liegt die nachgewiesene oder erwartete Kombination verschiedener (schrittmacher- pflichtiger) Reizbildungs- und Erregungsleitungsstörungen vor, so ist ein flexibles DDD- System erforderlich. Darüber darf allerdings nicht vergessen werden, daß der bei weitem größte Anteil der Schrittma- cherpatienten mit einem
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1-Kammer-System gut behan- delt ist. Nur bei folgenden In- dikationen ist die aufwendige AV-sequentielle Stimulation im strengen Sinne indiziert:
• AV-Block mit intakter Si- nusknotengeneratorfunktion zur physiologischen Frequenz- anpassung.
> Schrittmachersyndrom (Kammerstimulation mit re- trograder Vorhoferregung mit zeitsynchroner Vorhofkontrak- tion gegen die geschlossenen Atrioventrikularklappen).
Symptomatik: Palpitationen, Dyspnoe, thorakales Druckge- fühl, Schwindel, Synkopen.
Schrittmacherpflichtige Herzinsuffizienz zur Ausschöp- fung der Vorhofkontribution und sinusknotengesteuerten Frequenzregulation.
c) Frequenzadaptive Systeme Von frequenzadaptiven Syste- men (siehe dieses Heft, Seite 3279 ff.) werden günstige hä- modynamische Auswirkungen, vor allem bei Patienten mit Bradyarrhythmia absoluta zu erwarten sein, da eine Steige- rung des Herzzeitvolumens durch die biologische Fre- quenzvariation möglich ist. Es bleibt jedoch zu betonen, daß die Indikationskonkretisierung für frequenzadaptive oder
„biologische" Schrittmacher noch nicht abgeschlossen ist.
d) Antitachykarde Systeme Bei einem relativ kleinen Pa- tientengut mit medikamentös therapierefraktären Tachyar- rhythmien kommt die Implan- tation antitachykarder Schritt- machersysteme für die Lang- zeittherapie supraventrikulärer
und ventrikulärer Rhythmus- störungen in Frage:
I> Das sogenannte Overdrive Pacing mit einer Stimulations- frequenz oberhalb der Tachy- kardiefrequenz bietet sich zur Prävention und Terminierung automatischer Reizbildung und kreisender Erregung an.
I> Die kompetitive (program- mierte) Stimulation dient zur Unterbrechung von Tachykar- dien durch Einzel- beziehungs- weise Mehrfachimpulse und wird vorzugsweise zur Termi- nierung supraventrikulärer und ventrikulärer Kreiserregungen eingesetzt.
> Die atriale Hochfrequenzsti- mulation ist Mittel der Wahl bei der paroxysmalen atrialen Tachykardie im Gefolge einer Digitalisintoxikation. Darüber hinaus kommt diese Stimula- tionsform bei medikamentös refraktärem Vorhofflattern so- wie atrialen und junktionalen Tachykardien in Frage. Die ventrikuläre Hochfrequenz- (Burst-)Stimulation zur Termi- nierung von Kammertachykar- dien wird wegen der Gefahr der Tachykardiebeschleuni- gung nur extrem selten anzu- wenden sein.
Als Fazit ist festzuhalten, daß die indikationsbezogene Schrittmachertherapie eine nicht wegzudenkende Berei- cherung unseres therapeuti- schen Armamentariums ist.
Die rasante Entwicklung auf diesem Gebiet rechtfertigt gro- ße Erwartungen für die Zu- kunft bis hin zur Verfügbarkeit eines universellen Schrittma- chersystems mit antibradykar- der und antitachykarder Sti- mulationsfunktion einschließ- lich der automatischen Defi- brillation bei Kamnnerflattern-/
flimmern in einem einzigen
Gerät. Angesichts der häufig relativ gut tolerierten Arrhyth- mien und der nicht zu ver- nachlässigenden Nebenwir- kungsrate elektrotherapeuti- scher Maßnahmen erscheint andererseits eine kritische, den Einzelfall abwägende Hal- tung vor jeder Schrittmacher- implantation geboten.
Literatur
(1) Elmquist R.; Senning, A.: An implant- able pacemaker for the heart. Medical Electronics 2nd International Conference, Paris (1959) — (2) Gallagher, J. J.; Sven- son, R. H., et al.: Catheter technique for closed-chest ablation of the atrioventri- cular conduction system: A therapeutic alternative for the treatment of refractory supraventricular tachycardia. N. Engl. J.
Med. 306 (1982) 194 — (3) Gerckens, U.;
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Ges. Inn. Med., J. F. Bergmann, München (1985) S. 303 — (4) Gerckens, U.; Manz, M.; Lüderitz, B.: „Biologische" Herz- schrittmacher-Möglichkeiten und Gren- zen frequenzadaptiver Schrittmachersy- steme. Dtsch. Arztebl. 83 (1986) 3279-3283 — (5) Irnich, W.; Batz, L: Jah- resbericht 1985 des Zentralregisters Herzschrittmacher. Herzschrittmacher 6 (1986) 115 — (6) Lüderitz, B.: Klinische Bedeutung der Programmierung von Herzschrittmachern. Dtsch. Med. Wo- chenschr. 110 (1985) 1519 — (7) Lüderitz, B.: Herzschrittmacher, Therapie und Dia- gnostik kardialer Rhythmusstörungen.
Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo (1986)— (8) Manz, M.; Gerckens, U.; Funke, H. D.; Kirchhoff, P. G.; Lüde- ritz, B. (1986): Combination of antitachy- cardia pacemaker and automatic implant- able cardioverter/defibrillator for ventri- cular tachycardia. PACE 9 (1986) — (9) Mi- rowski, M.; Reid, P. R., et al.: Termination of malignant ventricular arrhythmias with an implanted automatic defibrillation in human beings. N. Engl. J. Med. 303 (1980) 322 — (10) Parsonnet, V.; Furman, S.; Smyth, N. P. D.: A revised code for pacemaker identification. PACE 4 (1981) 400 — (11) Scheinman, M.; Morady, F.;
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Am. J. Cardiol. 49 (1982) 1013
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med.
Berndt Lüderitz Medizinische Universitätsklinik
Innere Medizin — Kardiologie Sigmund-Freud-Straße 25 5300 Bonn 1
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