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Archiv "(Medizin)Geschichte: Zeugen zweier Geschichten" (13.04.2012)

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A 754 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 15

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13. April 2012

(MEDIZIN)GESCHICHTE

Zeugen zweier Geschichten

Die Charité gab Schädel aus der Kolonialzeit an Namibia zurück.

E

nde September 2011 übergab die Berliner Charité in einer feierlichen Zeremonie 20 Schädel an Vertreter der Herero und Nama aus Namibia. Die Universität Frei- burg kündigte an, in nächster Zeit ebenfalls 14 Schädel an Namibia zurückzugeben. All diese Schädel stammen aus anthropologischen Sammlungen, die zu einem sehr großen Teil in der Kolonialzeit zusammengetragen wurden. Beide Institutionen prüfen außerdem weitere Rückgaben aus diesen Sammlungsbeständen.

Eine Wissenschaftlergruppe der Charité begann Ende 2010, sich in einem von der Deutschen For- schungsgemeinschaft geförderten Forschungsvorhaben, dem „Charité Human Remains Project“, erstmals kritisch mit den eigenen Sammlun- gen und den zugehörigen Sammlern auseinanderzusetzen. Dazu muss zu- nächst in akribischer Detailarbeit die Herkunft von Teilen der großen Sammlungsbestände geklärt werden, um sich dann dem historischen Kon- text dieser Herkunft zu widmen.

Die Rückgabe von 20 Schädeln aus dem heutigen Namibia basierte auf den ersten – vorläufigen – Er-

gebnissen dieses Projekts. Diese Schädel stammen nach unserem Forschungsstand mit großer Sicher- heit von Menschen, die im damali- gen Deutsch-Südwestafrika in dem kolonialen Krieg starben, den die Deutschen in den Jahren 1904 bis 1908 gegen die Herero und Nama führten. Schädel oder sogar ganze, in Formalin fixierte Köpfe wurden damals nach Berlin geschickt, um daraus menschliche Präparate zu erstellen und um daran anthropo - logisch zu forschen.

Verdrängte deutsche Kolonialgeschichte

Die jetzigen Rückgaben können nur der Beginn eines Prozesses sein, der sicher noch länger andauern wird. Dies hat zwei Gründe:

Erstens muss in Deutschland das Bewusstsein für die dunklen Sei- ten der relativ kurzen deutschen Ko- lonialgeschichte offensichtlich noch wachsen. Wer weiß schon, dass die deutschen Kolonialtruppen in „Süd- west“ 1904 mit einem Vernichtungs- befehl ihres Anführers, General von Trotha, gegen die Herero und Nama vorgingen (die Nama wurden ver- ächtlich „Hottentotten“ genannt)?

Wer weiß, dass bei der Schlacht am Waterberg 1904 und der anschließen- den Vertreibung in die Omaheke- Wüste Zehntausende Herero starben und dass die Deutschen anschließend Gefangenenlager anlegten, die sie Konzentrationslager nannten und in denen etwa die Hälfte der internier- ten Herero und Nama nicht überleb- ten? Während die Erinnerung daran in Namibia noch sehr lebendig ist, haben in Deutschland zwei Weltkrie- ge und das „Dritte Reich“ die Erinne- rung an frühere, im Namen Deutsch- lands begangene Untaten verschüttet und die Kaiserzeit zur „guten alten Zeit“ werden lassen. Die nun überge- benen Schädel sind physische Zeu- gen dieser Kolonialgeschichte. Sie erinnern auch daran, dass die Deut- schen diesen Teil ihrer Geschichte weitgehend verdrängt haben.

Der zweite Grund dafür, dass wir erst am Anfang eines Prozesses stehen, ist die durchaus schwierige Identifikation und Zuordnung von human remains (sterblichen Über- resten) aus der Kolonialzeit. Lange Zeit hat sich kaum jemand ernsthaft um die bestehenden Sammlungen gekümmert, was sich in Deutschland vor allem aus der tiefen Erschütte- Die Köpfe von

Opfern des Kolonialkriegs in Deutsch-Südwest-

afrika wurden zu Forschungszwecken nach Berlin gesandt.

In einer feierlichen Zeremonie wurden nun einige von ihnen zurück gegeben.

Fotos: DFG-Forschungsprojekt

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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13. April 2012 A 755 rung und Verunsicherung erklärt, die

die physische Anthropologie infolge ihrer Vereinnahmung durch die Ras- senideologie der Nationalsozialisten mit dem Ende des Zweiten Welt- kriegs erlebte.

Außerdem ist die Katalogisie- rung und Dokumentation der ein- zelnen Sammlungsstücke oft er- staunlich schlecht. Das liegt im Berliner Fall vor allem an diversen Umzügen der Sammlungen auf- grund von Krieg und deutscher Tei- lung mit entsprechenden Verlusten an Sammlungsbeständen und Do- kumenten. Soweit wir das bisher beurteilen können, waren aber auch viele Sammler seinerzeit offenbar der Meinung, man müsse erst ein- mal möglichst viel „Material“ nach Europa schaffen und könne dieses, auch bei lückenhafter Dokumenta- tion, später durch wissenschaftliche Bearbeitung erschließen.

Ein individueller Nachweis von Name und Herkunft der Person, von der der jeweilige Schädel stammte, lag dabei außerhalb des Dokumenta- tionsinteresses – sehr zum Leidwe- sen derjenigen, die jetzt die Gebeine ihrer Vorfahren übergeben bekom- men und die diese gern mit individu- ellen Schicksalen verknüpfen wür- den. Es ist aber nicht einfach mög- lich, einem vorliegenden Schädel seine Herkunft „anzusehen“. Man kann mit heutigen anthropologi- schen Methoden durchaus Aussagen machen, etwa zum Geschlecht, zum Alter und zu Krankheiten des zu - gehörigen Individuums. Die Unter- suchung eines Schädels kann auch Hinweise darauf geben, was nach dem Tod mit dem Körper geschah – zum Beispiel längere Lagerung in der Erde, wenn der Betroffene schon bestattet war, bevor man seine To- tenruhe störte. Was man allerdings nicht feststellen kann, ist eine ethni- sche Zugehörigkeit. Das liegt nicht nur daran, dass sich die damals be- absichtigte „Rassenforschung“ als ein wissenschaftlicher Irrweg er- wies, sondern vor allem daran, dass ethnische Zugehörigkeit keine biolo- gische, sondern eine soziokulturelle Zuschreibung ist. Wenn man also heute sagt, ein bestimmter Schädel aus der vorhandenen Sammlung ge- höre zu einem Herero oder Nama, so

beruht das vor allem auf überliefer- ten Beschriftungen und Nummerie- rungen sowie auf der historischen Forschung zu der Frage, unter wel- chen Umständen dieser Schädel in die Sammlung gelangt ist.

Zeugen der

Wissenschaftsgeschichte Für die meisten der jetzt restituier- ten Schädel ließ sich nachweisen, dass sie von Herero und Nama stammen, die im berüchtigten deutschen Gefangenenlager auf der Haifischinsel vor Lüderitz starben.

Deutsche Kolonialärzte obduzier- ten dort routinemäßig Verstorbene.

In einigen Fällen trennten sie dann den Kopf vom Rumpf und fixierten ihn in Gänze in Formalin, weil bei Berliner Anthropologen Interesse bestand, die mimische Muskulatur

zu präparieren und „nachzuwei- sen“, dass diese bei Afrikanern

„primitiver“ sei als bei Europäern.

Nach Abschluss dieser Untersu- chungen wurden die Schädel maze- riert und in die sogenannte Rasse- schädelsammlung aufgenommen.

Der Bezug zum Irrweg der „Ras- senforschung“ zeigt, dass die unter- suchten Schädel nicht nur Teil der Kolonialgeschichte, sondern auch Teil der Wissenschaftsgeschichte sind, dem wir uns als Wissenschaft- ler stellen müssen. Diese Schädel sind damit auch physische Zeugen der Vorstellung, man könne die Menschheit objektiv anhand anato- mischer Merkmale in „Rassen“ un- terteilen und zwischen diesen sogar wissenschaftlich eine Hierarchie be- gründen. Diese Vorstellungen sind inzwischen nicht nur durch die Ver- bindung zum Rassenwahn des Natio- nalsozialismus obsolet, sondern sind auch wissenschaftlich völlig über- holt. Insbesondere die Genetik hat

gezeigt, dass die sichtbaren Unter- schiede zwischen den Menschen nur einen kleinen und eher unbedeuten- den Teil der genetischen Variabilität unter den Menschen ausmachen.

Ohne den Beitrag der damaligen Anthropologen zur Entwicklung ei- ner Rassenideologie herunterspie- len zu wollen, scheinen die gesam- melten Schädel aber auch Zeugen einer noch tieferen Strömung der „westlichen“ Wissenschaftsge- schichte zu sein – der Hinwendung der Naturwissenschaften und der Medizin zum Materiellen des menschlichen Körpers, zu einer mechanistischen Betrachtungswei- se des Menschen, die charakteris- tisch für das späte 19. Jahrhundert ist. Diese Entwicklung hat offenbar damals „Körperexperten“ hervorge- bracht, die nichts dabei fanden, sich für wissenschaftliche Untersuchun- gen ganze Köpfe, in Formalin ein- gelegt, aus fernen Ländern nach Berlin schicken zu lassen, um sie hier zu untersuchen. Die darin ent- haltene Demütigung haben sie ver- mutlich nicht wahrgenommen – oder sie hielten sie für genauso not- wendig wie die Demütigung, die es für mittellose Berliner ihrer Zeit vermutlich bedeutete, nach dem Tod auf den Seziertischen der Ana- tomie zu landen. Für diese Körper- experten war das Sammeln und Untersuchen von Schädeln Teil eines großen fortschrittsgläubigen Projekts, an dessen Ende das voll- kommene mechanistische Verständ- nis des Menschen stehen würde.

Auch wenn dieses Projekt einen Anteil am Aufschwung der wissen- schaftlichen Medizin im 19. Jahr- hundert hatte, muss es sicher eben- falls kritisch hinterfragt werden.

Es ist daher zu hoffen, dass die zurückgegebenen Schädel nun auch Zeugen einer dritten Geschichte werden können, einer Geschichte von gemeinsamer und offener Aus- einandersetzung mit der deutsch- namibischen Kolonialgeschichte, aber auch mit den dunkleren Seiten unserer eigenen Wissenschaftsge-

schichte.

Dr. med. Andreas Winkelmann MSc.

Institut für vegetative Anatomie Charité – Universitätsmedizin Berlin andreas.winkelmann@charite.de Diese Schädel

sind auch physi- sche Zeugen der Vorstellung, man könne die Mensch- heit objektiv anhand anatomischer Merk- male in „Rassen“

unterteilen.

Der Autor leitet ge- meinsam mit Prof. Dr.

med. Thomas Schnalke vom Berliner Medizin-

historischen Museum das Charité Human Remains Project.

T H E M E N D E R Z E I T

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