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Professionell Beziehungsarbeit Trauma

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Professionell – Beziehungsarbeit – Trauma

Professionelle Beziehungsgestaltung als Grundlage des professionellen, sozialpädagogischen Handelns mit traumatisierten Kindern

Isabel Hofmann

Bachelor-Arbeit der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit

Abbildung 1: Titelbild (gefunden unter: https://bmoreart.com/2018/05/beautiful-imperfection-sally-manns-a-thousand-crossings.html)

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Bachelor-Arbeit Sozialpädagogik

VZ 16-01

Isabel Hofmann

Professionell – Beziehungsarbeit – Trauma

Professionelle Beziehungsgestaltung als Grundlage des professionellen, sozialpäda- gogischen Handelns mit traumatisierten Kindern

Diese Bachelor-Arbeit wurde im Juni 2020 eingereicht zur Erlangung des vom Fachhochschul- rat der Hochschule Luzern ausgestellten Diploms für Sozialpädagogik.

_____________________________________________________________________________

Diese Arbeit ist Eigentum der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Sie enthält die persönliche Stellungnahme des Autors/der Autorin bzw. der Autorinnen und Autoren.

_____________________________________________________________________________

Veröffentlichungen – auch auszugsweise – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch die Leitung Bachelor.

_____________________________________________________________________________

Reg. Nr.:

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Originaldokument gespeichert auf LARA – Lucerne Open Access Repository and Archive der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern

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Vorwort der Schulleitung

Die Bachelor-Arbeit ist Bestandteil und Abschluss der beruflichen Ausbildung an der Hochschule Luzern, Soziale Arbeit. Mit dieser Arbeit zeigen die Studierenden, dass sie fähig sind, einer berufs- relevanten Fragestellung systematisch nachzugehen, Antworten zu dieser Fragestellung zu erarbeiten und die eigenen Einsichten klar darzulegen. Das während der Ausbildung erworbene Wissen setzen sie so in Konsequenzen und Schlussfolgerungen für die eigene berufliche Praxis um.

Die Bachelor-Arbeit wird in Einzel- oder Gruppenarbeit parallel zum Unterricht im Zeitraum von zehn Monaten geschrieben. Gruppendynamische Aspekte, Eigenverantwortung, Auseinandersetzung mit formalen und konkret-subjektiven Ansprüchen und Standpunkten sowie die Behauptung in stark belasteten Situationen gehören also zum Kontext der Arbeit.

Von einer gefestigten Berufsidentität aus sind die neuen Fachleute fähig, soziale Probleme als ihren Gegenstand zu beurteilen und zu bewerten. Sozialpädagogisches Denken und Handeln ist vernetztes, ganzheitliches Denken und präzises, konkretes Handeln. Es ist daher nahe liegend, dass die Diplo- mandinnen und Diplomanden ihre Themen von verschiedenen Seiten beleuchten und betrachten, den eigenen Standpunkt klären und Stellung beziehen sowie auf der Handlungsebene Lösungsvorschläge oder Postulate formulieren.

Ihre Bachelor-Arbeit ist somit ein wichtiger Fachbeitrag an die breite thematische Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit im Spannungsfeld von Praxis und Wissenschaft. In diesem Sinne wünschen wir, dass die zukünftigen Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit ihrem Beitrag auf fachliches Echo stossen und ihre Anregungen und Impulse von den Fachleuten aufgenommen wer- den

Luzern, im Juni 2020

Hochschule Luzern, Soziale Arbeit Leitung Bachelor

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Abstract

Eine Traumatisierung ist ein biopsychosoziales Geschehen. Traumatisierung bedeutet, dass das bedrohliche Ereignis die Bewältigungsmöglichkeit der betroffenen Person übersteigt und durch langanhaltende, aussergewöhnliche Belastungen zu einschneidenden Veränderungen des Selbst- und Weltbildes führt. Infolgedessen kann das Denken, Fühlen und Handeln dauerhaft verändert werden. Kinder befinden sich in ihrer Entwicklung und benötigen besondere Unterstützung und Beziehungsangebote, um diese optimal zu durchlaufen. Neben der Veränderung des Selbst- und Weltbildes sowie des Denkens, Fühlens und Handelns haben traumatische Erlebnisse bei Kindern zusätzlich einschränkende Wirkungen auf deren Entwicklung. In sozialpädagogischen Settings ar- beiten Fachkräfte oftmals mit traumatisierten Kindern. Umso deutlicher wird die Relevanz der Sensibilisierung in der sozialpädagogischen Arbeit mit traumatisierten Kindern. Der Fokus dieser Arbeit liegt in der Grundlage und Bedeutung von «Professionalität», «Beziehungsgestaltung» und

«Trauma». Anschliessend befasst sich diese Arbeit mit deren Verknüpfung zur professionellen Beziehungsgestaltung als Grundlage des professionellen und sozialpädagogischen Handelns mit traumatisierten Kindern. Diese Bachelorarbeit wurde von Isabel Hofmann verfasst.

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Dank

An dieser Stelle bedanke ich mich bei allen, die mir eine Unterstützung bei der Erarbeitung und des Verfassens dieser Bachelorarbeit waren. Ich bedanke mich herzlich bei Frau Claudia Meier Magistretti für den Austausch und die Inputs. Gleichermassen möchte ich mich bei Rita Kessler bedanken. Gregor Husi danke ich für die Hilfestellung in einem schwierigen Moment. Ein beson- derer Dank geht an Carla Holenstein. Sie war mir eine Hilfe in allen Bereichen, von der Rücken- stärkung über das methodische Vorgehen bis zum wissenschaftlichen und thematischen Vorge- hen und Schreiben. Ausserdem bin ich Sahra El-Ali enorm dankbar für die Hilfe in der Endspurt- Phase. Franziska Bernhard danke ich für den Arbeitsplatz, die Verpflegung, den Austausch und ihre Geduld. Ein grosses Dankeschön an meine Familie, die mich stets bei allem sehr unterstütz- ten und an meine Freundinnen und Freunde, welche für eine gute Psychohygiene sorgten. Vielen herzlichen Dank an euch alle!

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Inhaltsverzeichnis

Abstract ... I Dank ... II Inhaltsverzeichnis ... III Abbildungsverzeichnis ... VI

1. Einleitung ... 1

1.1 Fragestellung ... 2

1.2 Berufsrelevanz und Aufbau der Arbeit ... 2

1.3 Zielsetzung und Adressatenschaft... 4

1.4 Abgrenzung der Arbeit ... 4

2. Professionalität in der Sozialpädagogik ... 5

2.1 Zur Definition von Sozialpädagogik und Abgrenzung der Sozialen Arbeit ... 5

2.1.1 Entstehung der Sozialen Arbeit mit ihren drei Berufsfeldern ... 6

2.1.2 Ausbildung, Theorie- und Methodenvielfalt der Sozialpädagogik in der Schweiz .... 7

2.1.3 Internationale Definition Soziale Arbeit 2014 ... 8

2.2 Professionelles Handeln in der Sozialpädagogik als Berufsfeld der Sozialen Arbeit ... 9

2.3 Fazit ... 12

3. Professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialpädagogik ... 13

3.1 Soziale Beziehungen ... 13

3.1.1 Persönliche Beziehung ... 14

3.1.2 Rollenbeziehung ... 15

3.1.3 Professionelle Beziehung ... 15

3.2 Herausforderungen innerhalb der professionellen Beziehungsgestaltung ... 16

3.2.1 Spannungsfeld Nähe und Distanz in professionellen Beziehungen ... 17

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3.3.1 Zur Bedeutung der Haltung von Professionellen ... 20

3.4 Fazit ... 21

4. Grundlagen der psychischen Traumatisierung ... 22

4.1 Begriff Traumatisierung ... 22

4.2 Unterschiede traumatischer Erlebnisse und Traumatisierungen ... 23

4.2.1 Typ-1- und Typ-2-Traumatisierung ... 23

4.2.2 Akzidentelle und interpersonelle Traumata ... 24

4.2.3 Weitere Unterscheidungen von traumatischen Erlebnissen und Traumatisierung 25 4.3 Verlauf der psychischen Traumatisierung ... 26

4.3.1 Erste Phase – traumatische Situation ... 26

4.3.2 Zweite Phase – traumatische Reaktion ... 27

4.3.3 Dritte Phase – traumatischer Prozess ... 28

4.4 Fazit ... 29

5. Traumatisierung bei Kindern ... 30

5.1 Besonderheiten von Traumatisierungen im Kindesalter ... 30

5.1.1 Bindung ... 31

5.2 Klassifikation von Traumafolgestörungen ... 33

5.2.1 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ... 33

5.2.2 Akute Belastungsstörung ... 35

5.2.3 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) ... 35

5.2.4 Dissoziative Störungen ... 36

5.3 Entwicklungs- oder Bindungstraumatisierung und ihre Formen ... 36

5.3.1 Vernachlässigung ... 37

5.3.2 Psychische und physische Misshandlung ... 38

5.3.3 Sexueller Missbrauch ... 38

5.3.4 Häufige Bindungsabbrüche ... 39

5.3.5 Migration und Flucht ... 40

(9)

5.3.6 Häusliche Gewalt ... 40

5.3.7 Kinder psychisch kranker Eltern ... 41

5.4 Merkmale der Äusserungsmöglichkeiten von kindlicher Traumatisierung ... 42

5.5 Risiko- und Schutz-/Resilienzfaktoren ... 42

5.6 Fazit ... 43

6. Traumasensible Sozialpädagogik mit Kindern ... 44

6.1 Fachrichtung Traumapädagogik ... 45

6.2 Traumabearbeitung ... 46

6.3 Traumasensible, sozialpädagogische Handlungsansätze ... 46

6.3.1 Bindungskonzept – korrigierende Bindungserfahrung ... 47

6.3.2 Pädagogik des Sichereren Ortes ... 48

6.3.3 Pädagogik der Selbstbemächtigung ... 49

6.4 Traumasensible Grundhaltung ... 50

6.5 Grenzen der (traumasensiblen) Sozialpädagogik ... 52

6.6 Fazit ... 53

7. Schlussfolgerungen ... 54

7.1 Beantwortung der Hauptfrage ... 54

7.2 Persönliches Fazit ... 56

7.3 Ausblick ... 57

8. Glossar ... 59

9. Literaturverzeichnis ... 60

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Titelbild (gefunden unter: https://bmoreart.com/2018/05/beautiful-imperfection-

sally-manns-a-thousand-crossings.html) ... 1

Abbildung 2: Unterscheidungen in den Lebensbereichen Soziale Arbeit, Bildung und Wissenschaft (Husi & Villiger, 2012, S. 31) ... 5

Abbildung 3: Darstellung IFSW/IASSW-Definition 2014 (Beat Schmocker, 2019, S. 10) ... 10

Abbildung 4: Soziale Beziehungen mit Beispielen (eigene Darstellung) ... 14

Abbildung 5: Einteilung traumatischer Ereignisse (eigene Darstellung) ... 24

Abbildung 6: Phasen der traumatischen Reaktion (eigene Darstellung auf Basis von Fischer & Riedesser, 2009, S. 97-99 und Schweizerisches Rotes Kreuz, 2016, S. 12) ... 27

Abbildung 7: Zusammenstellung von Risiko und Schutzfaktoren (leicht modifiziert nach Maercker, 2017, S. 57) ... 43

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1. Einleitung

In ihrer beruflichen Tätigkeit als Sozialpädagogin arbeitete die Autorin mit Kindern. Darunter wa- ren einzelne Kinder, bei denen ein oder mehrere Traumata bekannt waren, sowie Kinder, bei denen die Vermutung da war, dass sie traumatische Erfahrungen gemacht haben. Der Umgang damit, sowie die Reaktionen der Fachpersonen darauf, zeigten sich sehr unterschiedlich. Viele Fachpersonen agierten unsicher. Es wirkte, als getraute sich niemand richtig auf die Traumathe- matik einzugehen, um bereits vorhandene Schwierigkeiten nicht zu verschlimmern. Gleichwohl wurde denjenigen Kindern besondere Rücksichtnahme geschenkt, bei welchen die Fachpersonen wussten, dass sie traumatische Erfahrungen mitbrachten. Sie konnten die Grenzen und Regeln innerhalb der Institution ausloten, ohne dabei grössere Konsequenzen zu tragen. Gleichzeitig er- lebte die Autorin eine besondere Strenge bei denjenigen Kindern, bei welchen sich eine Trauma- tisierung von Fachkräften lediglich vermuten liess. Die Verhaltensweisen der Kinder äusserten sich ähnlich, ob die Traumatisierung bekannt war oder nicht. Dabei stellten sich der Autorin ver- schiedene Fragen:

- Soll ein Unterschied zwischen der Arbeitsweise und dem Umgang von Fachpersonen mit traumatisierten Kindern und der Arbeitsweise und dem Umgang zu Kindern ohne trau- matischen Hintergrund bestehen?

- Wie sollen Fachpersonen in sozialpädagogischen Settings optimal mit Kindern mit Trau- matisierung umgehen?

- Gibt es Unterschiede in der Arbeitsweise mit Kindern, bei welchen eine Traumatisierung vermutet wird im Gegensatz zu Kindern die offiziell eine Traumatisierung erlebten?

Zusätzlich begleitete die Autorin einen Jungen, bei welchem mehrere traumatische Erlebnisse bekannt waren. Durch die enge Begleitung entstand mit der Zeit eine intensive Beziehung. Nach einem Jahr musste der Junge die Schule wechseln und konnte aufgrund seiner kognitiven Ent- wicklung nicht vollumfänglich darauf vorbereitet werden. Unter der Vorbereitung wird einerseits der allgemeine Schulwechsel verstanden, aber auch das plötzlich auflösende Beziehungsverhält- nis. So stellte sich der Autorin eine weitere Frage:

- War die enge Beziehungsarbeit schliesslich gewinnbringend für den Jungen oder erlitt er durch den Beziehungsabbruch eine Verschlimmerung seines biopsychosozialen Zustan- des?

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1.1 Fragestellung

Aus den beschriebenen Fragen kristallisierte sich folgende Fragestellung für die Bachelorarbeit heraus:

Was bedeutet professionelles Handeln und professionelle Beziehungsgestaltung innerhalb der sozialpädagogischen Arbeit mit traumatisierten Kindern?

Um diese umfängliche Frage beantworten zu können, werden in dieser Bachelorarbeit zunächst die folgenden Teilfragen bearbeitet:

1. Was wird im Allgemeinen unter professionellem Handeln in der Sozialpädagogik als Teil der Sozialen Arbeit verstanden?

2. Wie kann professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialpädagogik gelingen und wel- che Herausforderungen müssen berücksichtigt werden?

3. Was sind die Grundlagen einer Traumatisierung bei Kindern und welcher Umgang kann in der sozialpädagogischen Tätigkeit mit traumatisierten Kindern von Professionellen erwar- tet werden?

Die einzelnen Hauptkapitel befassen sich jeweils mit einer Teilfrage. Die Teilfragen werden bei jedem Hauptkapitel unter Fazit beantwortet. Die Bearbeitung der Teilfragen führt dazu, dass die Hauptfrage dieser Bachelorarbeit beantwortet werden kann.

1.2 Berufsrelevanz und Aufbau der Arbeit

«Die Frage, was Professionalität in der Sozialen Arbeit bedeutet, wird innerhalb des gegenwärti- gen professionstheoretischen Diskurses nicht einheitlich beantwortet» (Roland Becker-Lenz, Ste- fan Busse, Gudrun Ehlert & Silke Müller, 2009, S. 9). Aufgrund dessen befasst sich das Kapitel 2 mit der Definition von Professionalität und professionellem Handeln im Allgemeinen im Berufs- feld der Sozialen Arbeit.

Eine wesentliche Grundlage in der sozialpädagogischen Arbeit ist die Beziehungsgestaltung. Nach Silke Birgitta Gahleitner (2017) wird Soziale Arbeit als Beziehungsprofession bezeichnet (S. 12).

Deshalb widmet sich das Kapitel 3 der professionellen Beziehungsgestaltung in der Sozialpädago- gik.

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Die Thematik Trauma wurde lange aus dem pädagogischen Arbeitsfeld ausgeschlossen. Noch im- mer wird die psychotherapeutische Behandlung der (sozial-)pädagogischen vorgezogen (Weiss, 2016b, S. 85). Traumatische Erlebnisse gehören jedoch zu Lebensgeschichten von Kindern (Co- rinna Scherwath & Sibylle Friedrich, 2012, S. 10-11). Heutzutage ist eine traumasensible (Sozial- )Pädagogik erforderlich, weil traumatisierte Kinder aufgrund ihrer entwickelten Überlebensstra- tegien den Zugang zu Gleichaltrigen, zu Erwachsenen und insbesondere den Zugang zu sozialer Teilhabe sowie zum Leben generell erschwert ist (Wilma Weiss, Tanja Kessler & Silke Birgitta Gah- leitner, 2016, S. 20). Durch die Kenntnis dieser Strategien können Professionelle in allen Erzie- hungs- und Bildungseinrichtungen die unterstützende Begleitung der betroffenen Kinder bei der Traumaarbeit erleichtern (ebd.). Die Sozialpädagogik bietet deshalb Chancen zur Unterstützung der Traumabearbeitung: Hilfe zur kognitiven Neuordnung ihrer Geschichte, Möglichkeit zur Un- terstützung bei der Korrektur behindernder Selbstbilder und Verhaltensweisen, Orientierungs- hilfe für eine relativ selbstbestimmte Zukunft, Förderung der Eigeninitiative, Aufhebung der Iso- lation, Zugang zu Bildung, Spielräume zur Selbstfindung (Weiss, 2016b, S. 86-89). Im Berufskodex von AvenirSocial (2010) wird Integration und soziale und gesellschaftliche Teilhabe als Ziel und Verpflichtung der Sozialen Arbeit beschrieben, Selbstbestimmung wird als Grundsatz benennt und die Entwicklung von Menschen zu fördern, zu sichern und/oder zu stabilisieren wird als Auf- trag aufgeführt (S. 6-8). Um dem gerecht zu werden benötigt die Sozialpädagogik eine Auseinan- dersetzung mit traumatisierten Kindern, damit Professionelle die betroffenen Kinder in ihrem Prozess und Alltag bestmöglich unterstützen können. Erschreckend ist umso mehr, dass 75 Pro- zent der Kinder, die in stationären Institutionen leben, traumatisiert sind (Weiss, 2016b, S. 86).

Um einen Überblick über die Thematik Trauma zu erlangen, befasst sich das Kapitel 4 mit den allgemeinen Grundlagen einer psychischen Traumatisierung, das Kapitel 5 betrachtet Traumati- sierungen bei Kindern genauer und Kapitel 6 beschreibt eine traumasensible Sozialpädagogik mit Kindern. Anschliessend werden die Inhalte und Erkenntnisse verknüpft und im Kapitel 7 erläutert und zum Schluss folgt das Glossar.

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1.3 Zielsetzung und Adressatenschaft

Wie bereits ersichtlich wurde, wird in der vorliegenden Bachelorarbeit eine Verknüpfung zwi- schen den Begriffen professionelles Handeln und professioneller Beziehungsgestaltung sowie Traumatisierung von Kindern hergestellt. Gemäss Kurt Frey (2014) wurde in den letzten Jahren die Bedeutsamkeit mit traumatisierten Kindern pädagogisch zu arbeiten klar (S. 12). Dieser Be- deutsamkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf den Grund gegangen. Dabei wird das Ziel ver- folgt, die Relevanz der traumasensiblen Beziehungsarbeit und des traumasensiblen, professionel- len Handelns mit Kindern im sozialpädagogischen Bereich aufzuzeigen. Gleichzeitig soll auf die Chancen und Risiken hingewiesen werden. Dazu soll diese Bachelorarbeit Aufschluss über die als wichtig erachteten Begriffe und Theorien sowie den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen für die Praxis geben, um so professionelles Handeln zu gewährleisten.

Diese Arbeit richtet sich vorwiegend an Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen, die in ihrer sozialpädagogischen Tätigkeit traumatisierte Kinder begleiten und unterstützen. Gleichwohl kann sie von Interesse für andere Berufe sein, die mit traumatisierten Kindern zu tun haben, insbeson- dere für Therapeuten und Therapeutinnen.

1.4 Abgrenzung der Arbeit

Die vorliegende Bachelorarbeit befasst sich mit Professionalität in der Sozialpädagogik und be- zieht sich dabei auf die Schweiz. Das Wissen über psychische Traumatisierung bezieht sich vor- wiegend aus der Psychotraumatologie. Die Aspekte der traumasensiblen Sozialpädagogik mit Kin- dern werden im Allgemeinen verfasst und es wird nicht spezifisch auf ein Berufsfeld eingegangen.

Gleichwohl geht es generell um Kinder mit einer Traumatisierung und nicht um traumatisierte Kinder mit (weiteren) besonderen Bedürfnissen. Ebenfalls werden weder Jugendliche noch er- wachsene Personen in dieser Arbeit berücksichtigt.

Die in dieser Arbeit behandelte Thematik der traumasensiblen Sozialpädagogik setzt sich fast aus- schliesslich mit der direkten sozialpädagogischen Begleitung auseinander. Dadurch werden grup- penspezifische und interdisziplinäre Aspekte angeschnitten, jedoch nicht weiter vertieft.

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2. Professionalität in der Sozialpädagogik

Wann ist das Handeln einer Sozialpädagogin oder eines Sozialpädagogen professionell? Bedeutet professionell lediglich von einer Profession abstammend? Und was für eine Rolle spielt das Zwi- schenmenschliche im professionellen Rahmen? Dieses Kapitel widmet sich der Komplexität des (Un-/Miss-)Verständnisses rund um die Begriffe der Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Profession und professionellen Handelns. Die Beziehungsgestaltung, welche mit dem professionellen Han- deln einhergeht, wird anschliessend erläutert.

2.1 Zur Definition von Sozialpädagogik und Abgrenzung der Sozialen Arbeit

In ihrer Studie zur Differenzierung Sozialer Arbeit veranschaulichen Gregor Husi und Simone Vil- liger (2012), dass für die Begrifflichkeiten Soziale Arbeit, Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozio- kulturelle Animation Unterscheidungen in den Lebensbereichen Soziale Arbeit, Bildung und Wis- senschaft (siehe Abbildung 2) gemacht werden (S. 31).

Soziale Arbeit (Profession)

Bildung (Lehre)

Wissenschaft (Disziplin)

Differenziert Sozialarbeit Sozialarbeit Sozialarbeitswissenschaft Sozialpädagogik Sozialpädagogik Sozialpädagogik

Soziokulturelle Anima- tion

Soziokultur -

Indifferent Soziale Arbeit Soziale Arbeit Sozialpädagogik

Sozialarbeitswissenschaft Soziale Arbeit

Abbildung 2: Unterscheidungen in den Lebensbereichen Soziale Arbeit, Bildung und Wissenschaft (Husi & Villiger, 2012, S. 31)

Soziale Arbeit ist ein Ober- und Sammelbegriff (Beat Schmocker, 2014, S. 1). In der Abbildung 2 wird ersichtlich, dass Soziale Arbeit einerseits selbst als Profession, andererseits als Berufsfelder übergreifende Disziplin sowie als eine entsprechende Lehre genutzt wird (Husi & Villiger, 2012, S. 31). Innerhalb der Sozialen Arbeit existieren drei Berufsfelder; Sozialarbeit, Sozialpädagogik so- wie Soziokulturelle Animation (Husi & Villiger, 2012, S. 31). Gemäss Ulrike Deller und Roland Brake (2014) wird dieser Begriff der Sozialen Arbeit erst seit den 90er Jahren als solcher verwendet (S.

15). Als Profession hat die Soziale Arbeit subsidiär mit sozialen Problemen zu tun und hat die

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Funktion, in Bezug auf entsprechende Handlungsfähigkeiten und -möglichkeiten von Personen, Gruppen und sozialen Systemen Verwirklichungschancen zu realisieren oder behindernde Folgen von beschränkter Handlung- und Wirkungsfähigkeit zu lindern (Schmocker, 2014, S .1). Unter Be- rufsfelder übergreifende Disziplin wird angewandte Wissenschaft (praktizierte Sozialpolitik) bzw.

eine Handlungswissenschaft verstanden, welche die Entstehungs- und Veränderungsbedingun- gen von sozialen Problemen und Folgen untersucht. Das Vermitteln von wissenschaftlichem Wis- sen aus der Forschung und dem professionellen Erfahrungswissen aus der Praxis wird als Lehre bezeichnet (ebd.).

Nach Husi und Villiger (2012) werden in der Fachliteratur viele Aussagen über die Differenzierung Sozialer Arbeit verwendet, deren Bezug nicht klar wird (S. 31). Das Wort Sozialpädagogik stiftet die meiste Verwirrung, da es an Stelle von Praxis, Profession Soziale Arbeit, der Studienrichtung und einer wissenschaftlichen Disziplin gebraucht wird (ebd.) Zudem erschweren gemäss Walter Lorenz (2011) die unsystematische Vielfalt an Titeln, Methoden und Organisationsformen der So- zialen Arbeit in Europa die Übersetzungen der Berufstitel in andere Sprachen (S. 1327). Die Viel- zahl von Berufstiteln innerhalb eines jeden europäischen Land macht die präzise Abgrenzung und einheitliche Definition für Soziale Arbeit kritisch und komplex (ebd.). Dass ständig neue Überle- gungen zum Begriff, zu den Aufgaben, Strukturen, Bezugspunkten oder zusammengefasst zum Gegenstand der Sozialpädagogik aufkommen, verschärft die Komplexität des Begriffes (Werner Thole, 2012, S. 31).

2.1.1 Entstehung der Sozialen Arbeit mit ihren drei Berufsfeldern

Die Anfänge der Sozialen Arbeit lassen sich gemäss Roland Becker-Lenz und Edgar Baumgartner (2017) durch die zwei Entwicklungslinien, der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit, im 19. Jahr- hundert festhalten (S. 855). Schmocker (2014) bekräftigt, dass der Beginn der Profession Soziale Arbeit in der Literatur meist auf die Aufklärung, Philosophie der Moderne aber besonders auf die industrielle Revolution mit dem folgenden Pauperismus und der aufkommenden «sociale Frage»

datiert wird (S. 2). Die Lösung der Armutsfrage und deren Diskussion wurde in der Armutsbewäl- tigung durch das Bekämpfen der Armut gefunden. Diese Idee der Bewältigung führt nach Schmo- ckers Hypothese zum Scheideweg, einerseits verwalten (Sozialarbeit) und andererseits erziehen (Sozialpädagogik). Er fügt hierbei an, dass sich die erste Gabelung im 17. Jahrhundert zwischen Individuum (Sozialpädagogik und Sozialarbeit) und Gemeinschaft (Soziokulturelle Animation) zeigt, welche auf Grund der Spaltung von katholisch und protestantischen Gebieten entstand. Die Armutsbewältigung im katholischen Raum durch Integration von Armut und im protestantischen

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Raum durch Bekämpfung der Armut, welche sich in der deutschsprachigen Schweiz etablierte (Schmocker, 2014, S. 2-3). In der heutigen Zeit treffen sich in der Schweiz diese beiden Entwick- lungslinien wieder, da die gegenstandstheoretischen, werttheoretischen und handlungstheoreti- schen Gemeinsamkeiten als Grundlage der Sozialen Arbeit betrachtet werden (S. 5).

2.1.2 Ausbildung, Theorie- und Methodenvielfalt der Sozialpädagogik in der Schweiz

Die sozialpädagogische Entwicklungslinie beginnt mit der Gründung von Anstalten für die Erzie- hung von Armen und Waisenkindern anfangs 19. Jahrhundert (Becker-Lenz & Baumgartner, 2017, S. 855). Die berufliche Aufgabe bestand aus der Tätigkeit in Heimen sowie der Gestaltung des Heimalltags. Diese entwickelte sich zum zentralen Merkmal sozialpädagogischen Tuns in der Schweiz (ebd.). Gemäss Schmocker (2014) gewährleisteten die Unterbringungen die Versorgung mit dem Nötigsten bis hin zu individuell differenzierten erzieherischen Hilfestellungen (S. 8). So startete die Methodenentwicklung der Sozialpädagogik in der Schweiz. Dennoch wurden Heim- helferinnen in praktischen Dingen des Heimalltags aufgrund der Gedanken und Theorien Pestalozzis und Paul Natrops erst Mitte 20. Jahrhunderts ausgebildet (ebd.). Die Pionierphase der Ausbildung startete nach Daniel Gredig und Daniel Goldberg (2012) mit kürzeren Kursen für Frauen in Jugendfürsorge und Kinderfürsorge ab 1908 (S. 407). Der Zürcher Kurs in Kinderfürsorge wurde stetig ausgebaut und bildet die Ausgangsebene zur späteren Gründung der sozialen Frau- enschule. Zwischen 1920 und 1960, der Expansionsphase, wurden weitere sieben Ausbildungs- stätten gegründet und verfestigt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden gemäss Becker-Lenz und Baumgartner (2017) Prinzipien, Methoden und Orientierungen der US-amerikanischen Social Work in die Schweiz gestreut (S. 855). Die klassischen Methoden (Einzelfallarbeit, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit) wurden manifestiert und finden auch in der Sozialpädagogik eine fun- damentale Bedeutung (ebd.).

Um 1970 wurden im Kontext der Heimkampagne unzumutbare und aus heutiger Perspektive kaum vertretbare Praxen beleuchtet und veröffentlicht (Agogis, 2018, S. 3). Als alternative Werte und Handlungsmethoden die deutsche Schweiz ein Jahrzehnt später erreichten, wurde Heimer- ziehung neu definiert und durch den Begriff Sozialpädagogik ersetzt (Schmocker, 2014, S. 9). Der Sozialpädagogik wurde ab diesem Zeitpunkt die gesellschaftliche Funktion als drittes und spezifi- sches Sozialisationsfeld neben der Familienerziehung und der Volksschulbildung zugeschrieben.

Etwa zeitgleich entwickelten sich (höhere Fach-)Schulen für Sozialpädagogik mit Bezugsdiszipli- nen aller Sozialwissenschaften (ebd.).

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Aktuell gibt es drei Unterteilungen in der Ausbildungslandschaft: Berufliche Grundbildung, hö- here Berufsbildung und Hochschulen (Becker-Lenz & Baumgartner, 2017, S. 858).

Gemäss Ingrid Miethe und Armin Schneider (2010) taucht die Forschung in der Sozialen Arbeit erst in den letzten 30 Jahren als neue Entwicklung auf (S. 61). Da viele Forschungsmethoden aus Nachbardisziplinen wie der Soziologie erscheinen, ist es für die Stärkung des Selbstbewusstseins der Sozialen Arbeit umso wichtiger eigene Traditionen weiterzuentwickeln. Weiter ist eine be- griffliche Schärfung und Systematisierung für einen produktiven Diskurs nötig (ebd.)

2.1.3 Internationale Definition Soziale Arbeit 2014

Die internationale Föderation der Berufsverbände (International Federation of Social Workers, IFSW) und die universale Assoziation der Bildungsinstitutionen und wissenschaftlichen Gesell- schaften (International Association of Schools of Social Work, IASSW) haben 2014 Soziale Arbeit und ihre Sicht auf Profession und Disziplin definiert. In der Sozialen Arbeit verfügt diese Definition über die grösste Legitimationskraft (Schmocker, 2019, S. 3). Die Definition wurde von Schmocker (2019), schweizerischen Berufsverband «AvenirSocial – Soziale Arbeit Schweiz», 2014 übersetzt und im November 2018 erstmals revidiert und publiziert:

Soziale Arbeit fördert als Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftli- che Veränderungen und Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt und die Er- mächtigung und Befreiung von Menschen. Dabei sind die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte, der gemeinschaftlichen Verantwortung und die Anerkennung der Verschiedenheit richtungweisend.

Soziale Arbeit wirkt auf Sozialstrukturen und befähigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens angehen und Wohlbefinden erreichen können. Da- bei stützt sie sich auf Theorien der eigenen Disziplin, der Human‐ und Sozialwis‐

senschaften sowie auf wissenschaftlich reflektiertes indigenes Wissen. (S. 3)

In den Erläuterungen der vorgeschlagenen Übersetzungs-Version werden der Sozialen Arbeit Merkmale einer Profession wie Aufgaben, Ziele und Mittelwahl zugeschrieben (Schmocker, 2014, S. 5). Anders als in anderen Berufen sind diese strukturell offen. Für die Professionellen bedeutet dies ein Mehr an Verantwortung sowie an ethischen Kompetenzen. Ebenfalls verpflichten sie sich moralisch für kollegiale Beratungen und Ausüben des Fach-Diskurses. Soziale Arbeit hat neben der praktisch-tätigen auch eine forschend-reflexive Aufgabe. Somit gibt es Soziale Arbeit weder

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allein theoretisch noch allein praktisch. Das bedeutet, Soziale Arbeit gibt es nur als professionell- methodische, Wissen basierte Handlung (Schmocker, 2014, S. 5.).

2.2 Professionelles Handeln in der Sozialpädagogik als Berufsfeld der Sozi- alen Arbeit

Deller und Brake (2014) beschreiben in der Geschichte der Sozialen Arbeit zwei Entwicklungsli- nien (S. 76). Einerseits wird die Entwicklung von Hilfeleistungen für Bedürftige im historisch-ge- sellschaftlichen Kontext, die Fürsorge, und andererseits wird die Entwicklung der Ausbildung be- schrieben. Denn erst wenn praktische Hilfe in den Feldern Sozialer Arbeit theoretisch begründet wird, wird Soziale Arbeit professionell (ebd.). Ähnlich betont Nicole Wehner (2010), dass zur Pro- fessionalisierung einerseits der historische Prozess der Entstehung und Anerkennung eines Be- rufs als Profession und andererseits der Verlauf der individuellen Ausbildung und Sozialisierung dieses Berufes gehören (S. 31). Zur individuellen Ausbildung und Sozialisierung der Profession wird in der Literatur vielfach in Anlehnung an Bourdieu und Oevermann der professionelle Habi- tus erwähnt (Husi & Villiger, 2012, S. 23). Habitus meint nach Becker-Lenz und Müller (2009) die Gesamtheit der verinnerlichten psychischen Struktur, welche auf der Ebene des Unbewussten zentrale Persönlichkeitsmerkmale enthält. Diese bestimmen als generative Grammatik, Wahr- nehmen, Denken und Handeln. Hierbei ist der professionelle Habitus im Gesamthabitus einge- gliedert (S.22). Gemäss Peter Schallberger (2009) hat die Bildung des professionellen, sozialpäda- gogischen Habitus drei Ziele; die Reflexion der Ziele der sozialpädagogischen Praxis, die Einübung einer rekonstruktionslogischen Grundhaltung beim Fallverstehen und die Sensibilisierung für ty- pische Entgleisungen im Arbeitsbündnis (S. 276). Sehr ähnlich führen Becker-Lenz und Müller (2009) auf, dass ein spezifisches Berufsethos, die Fähigkeit zur Gestaltung eines Arbeitsbündnis- ses und die Fähigkeit des Fallverstehens unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse we- sentliche Kompetenzen für einen professionellen Habitus und somit für professionelles Handeln darstellen (S. 22).

Maja Heiner (2012) bemüht sich um die Antwort der Frage nach Wissen und Können, um profes- sionell zu handeln. Sie kommt zum Ergebnis, dass die Frage aufgrund der ausgesprochen ausdif- ferenzierten Angebotsstruktur mit ihren enorm unterschiedlichen Fokusgruppe und Problemla- gen, welche nach heterogenen Settings und Handlungsanforderungen verlangen, nicht allgemein und klar zu beantworten ist (S. 621).

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Deswegen fokussieren sich die empirischen Forschungszugängen der professionstheoretischen Studien laut Stefan Köngeter (2017) in letzter Zeit auf die performative Hervorbringung professi- onellen Handelns in den verschiedenen Handlungsfeldern innerhalb der drei Berufsfelder (S. 98).

Gemäss Michael Galuske und C. Wolfgang Müller (2012) hat die Entwicklung und das Einsetzen von Methoden für berufliches Handeln zwei Ziele (S. 289). Einerseits soll die Komplexität der Handlungsanforderungen reduziert werden, in dem ein erprobtes und bewährtes Handlungs- möglichkeiten-Instrumentarium zur Verfügung gestellt wird. Es dient zur Hilfestellung, intuitives Handeln zu planvollem und kalkulierbarem Vorgehen zu transformieren. Der zweite Grund ist ein professionspolitischer Aspekt. Es geht um eine Verfahrensweise, welche die Tätigkeit als erfor- derlich legitimiert (ebd.).

Die untenstehende Abbildung 3 zeigt die IFSW/IASSW-Definition. Diese ist die stärkste Legitima- tionskraft in der Sozialen Arbeit (Schmocker, 2019, S. 1).

Abbildung 3: Darstellung IFSW/IASSW-Definition 2014 (Beat Schmocker, 2019, S. 10)

Gemäss Schmocker (2019) kann aus der IFSW/IASSW-Definition nicht klar und allgemein ver- ständlich herausgelesen werden, was die Grundlage für professionelles Handeln ist und wie die wissensbasierte Praxis umgesetzt werden kann (S. 27). Aus der IFSW/IASSW-Definition der Sozia- len Arbeit wird professionelles Handeln von Schmocker (2019) abgeleitet (S. 17). Die Abbildung 3 fasst die Gegenstandbestimmungen (Gegenstand-Wissen), die Prinzipien (Werte-Wissen), die

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Methoden (Methoden-Wissen) und Theorien (Methodologisches-Wissen) zusammen. Diese Wis- sensformen sind nach Schmocker (2019) die Stütze der Sozialen Arbeit und begründen die Aus- sage, dass das methodische Handeln auf wissenschaftlichem Wissen basiert (S. 27). Dieses wis- senschaftliche Wissen ist mehrheitlich das eigene disziplinäre Wissen. Die Herausforderung liegt darin, dass drei Schritte benötigt werden, um Wissen in Handeln umzusetzen. Zuerst braucht es eine Wissens-Erschliessung. Anschliessend wird das wissenschaftliche Wissen integriert. Zuletzt wird es in bewusstes, zielgerichtetes und wertebasiertes Handeln, dem methodischen Handeln, transformiert (ebd.). Diese Verbindung von wissenschaftlichem Wissen und prozeduralem Kön- nen ist die Voraussetzung für professionelles Handeln (Schmocker, 2014, S. 227).

Neben Theorie-Praxis-Transformation beschreibt Roland Merten (2017) professionelles Handeln als Entwicklung einer Handlungsalternative für ihre jeweilige Problemlage und die Entscheidungs- möglichkeit liegt bei der jeweiligen Klientel, ausser in Ausnahmefällen (S. 783). Er fügt an, dass durch die wissenschaftlich legitimierten und andererseits fallangemessenen Begründungen Pro- fessionalität ausgewiesen werden kann (ebd.). Bern Dewe und Hans-Uwe Otte (2012) schliessen sich mehrheitlich dieser Erklärung an, ergänzen diese jedoch mit der Wichtigkeit der reflexiven Haltung des/der Professionellen (S. 213). Professionelles Handeln steht demnach im Zusammen- spiel zwischen habitualisiertem und reflektiertem Handeln (Husi & Villiger, 2012, S. 23). Die Wich- tigkeit der Reflexionsbereitschaft betont auch Ulrike Urban (2004, S. 192). Sie beschreibt, dass die Aufgaben der Professionellen einerseits den Beziehungsaufbau mit den betroffenen Men- schen darstellen und gemeinsam Problemlösestrategien finden und andererseits die Entwicklung von fachlicher Einschätzung der Situation und geeigneter Interventionen sowie das Abwägen von verschiedenen Zugängen und Entscheidungsmöglichkeiten. Es bestehen meistens mehrere Ent- scheidungsoptionen, welche alle Folgen mit sich tragen. Somit ist die Auswahl nicht beliebig.

Fachlich qualifiziert zu agieren, professionell zu handeln, verlangt demnach den Arbeitsalltag und das Handeln reflexiv zu gestalten (ebd.).

Aus den Erklärungen und Definitionen lassen sich Grundwerte und Handlungsprinzipien der Sozi- alen Arbeit herauslesen wie beispielsweise Partizipation, Ermächtigung sowie wertebasierendes Handeln, welche auch im Berufskodex zu finden sind.

Der Berufskodex von AvenirSocial (2010) dient als Leitfaden der ethischen Richtlinien für das mo- ralische Handeln in der Sozialen Arbeit in der Schweiz und eignet sich als Orientierungshilfe bei der Entwicklung von professionsethischen Begründungen (S. 4). Er basiert auf den internationa- len Übereinkommen der UNO und folgt den internationalen ethischen Prinzipien für die Soziale Arbeit des IFSW/IASSW. Im Berufskodex steht auch die Verpflichtung der Sozialen Arbeit an das

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dreifache Mandat (AvenirSocial, 2010, S. 5-7). Die Soziale Arbeit steht einerseits im Dilemma zwi- schen Hilfe und Kontrolle, als Trägerin des gesellschaftlichen Auftrags die Verantwortung der In- stitution zu tragen. Andererseits sind Professionelle der Sozialen Arbeit gleichzeitig dem Begeh- ren der Menschen, welche Soziale Arbeit nutzen, verpflichtet. Mit dem dritten Mandat wird die Interessenvertretung seitens der Sozialen Arbeit, dem eigenen Professionswissen, der Berufs- ethik und den Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit beauftragt. Das dritte Mandat ist wegweisend für die Professionellen durch mögliche Konflikte zwischen dem ers- ten und zweiten Mandat professionell zu handeln (ebd.).

Carsten Schröder (2017) fügt einen weiteren Aspekt für professionelles Handeln hinzu (S. 17). Das professionelle Handeln findet im Rahmen der intersubjektiven Bezugsnahme zwischen Professi- onellen und Klientel statt. Professionelles Handeln charakterisiert sich demnach, dass in der in- tersubjektiven Verbindung ein gemeinsames Drittes herausgearbeitet wird und als ein koopera- tives, dialogisches und koproduktives Verhältnis bestimmbar werden kann (S. 17-22). Ein zentra- ler Bestandteil des professionellen, pädagogischen Handelns und des pädagogischen Selbstver- ständnisses im Allgemeinen stellt nach Gahleitner (2017) die Frage nach professioneller Bezie- hung dar (S. 37). Dies wird untenstehend, im Kapitel 3.1.3 genauer beleuchtet.

2.3 Fazit

Was wird im Allgemeinen unter professionellem Handeln in der Sozialpädagogik als Teil der Sozi- alen Arbeit verstanden?

Gemäss Thole (2012) ist die Sozialpädagogik als Teil der Sozialen Arbeit ein komplexer und kon- fuser Gegenstand (S. 19). Eine scharfe Trennung zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik ist kaum festzulegen, denn die wissenschaftlichen Theoriebezüge, die Praxisfelder, sowie die Berufs- gruppen und Ausbildungswege fliessen ineinander über (S. 20). Ebenfalls sind gemäss Heiner (2016) die verschiedenen Ziele der Sozialen Arbeit oftmals in ihrer Bedeutung sehr ähnlich oder gleich und doch unterscheiden sie sich konzeptionell und begrifflich. Dies verwundert nicht gross, da das Arbeitsfeld Soziale Arbeit unter anderem auch die Sozialpädagogik in diversen bestehen- den Systemen wie dem Gesundheits-, Bildungs- oder Wirtschaftssystem unterliegt (S. 34). Und doch wird eine Trennung von Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Sozialpädagogik gemacht. Wichtig anzumerken ist, dass die Zeit niemals still steht und somit auch die Definitionen, Erklärungen, Methoden und vieles mehr sich wieder verändern soll (Schmocker, 2019, S. 29).

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Da Theoriebezüge, Praxisfelder und Adressaten sehr heterogen sind, fallen die Erklärungen für professionelles Handeln verschieden aus. Aspekte von professionellem Handeln sind:

- Wissenserschliessung, Wissensintegration, Wissenstransformation (vgl. S. 10)

- Oszillieren zwischen habitualisiertem Handeln (vgl. S. 9) und reflektiertem Handeln (vgl.

S. 11-12)

- Fallabhängig (vgl. S. 11)

- In Relation mit Beziehung zwischen Professionellen und Klientel (vgl. S. 12)

Der letzte aufgelisteten Punkt wird im folgenden Kapitel genauer beschrieben und beleuchtet, um die Fragestellung beantworten zu können.

3. Professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialpädagogik

Gemäss Gahleitner (2017) beansprucht das professionelle Handeln in öffentlich-institutionalisier- ten Kontexten eine reflektierte, theoretisch begründbare und nur tendenziell lehrbare Beziehung mit den Klienten und Klientinnen (S. 36). Deshalb wird in diesem Kapitel beschrieben was unter (professioneller) Beziehung verstanden wird. Hierbei werden die Herausforderungen, Span- nungsfelder von Nähe und Distanz und Voraussetzungen für eine gelingende Beziehungsgestal- tung in der Sozialpädagogik genauer beleuchtet.

Es gibt nach Cornelia Schäfter (2010) zu dieser Thematik eine grosse Bandbreite an unterschied- lichen theoretischen Zugängen, die entweder aus der eigenen Disziplin oder aus verschiedenen Bezugswissenschaften stammen (S. 23). In diesem Kapitel wird fast ausschliesslich die (sozial-)pä- dagogische Sicht ergründet.

3.1 Soziale Beziehungen

Es gibt unterschiedliche Arten von sozialen Beziehungen, deren Verschiedenheit in den Kriterien von Dauer, Häufigkeit und emotionalen Intensität der Kontakte liegen (Schäfter, 2010, S. 23).

Nach Schäfter wird Beziehung im engeren Sinn von Kontakt, Begegnung und Bindung unterschie- den. Beziehung weist eine Dauerhaftigkeit auf bei sehr unterschiedlicher Intensität und Nähe.

Kontakt wird mit kurzer Dauer und geringer emotionaler Intensität beschrieben, Begegnung als ebenfalls kurz, dennoch intensiv und Bindung als gesteigerte Dauer und Nähe, welche von ethi- schen Verpflichtungen begleitet werden (ebd.).

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Nach Karl Lenz (2011) wird der Begriff soziale Beziehung als Überbegriff verwendet, welcher per- sönliche Beziehungen und Rollenbeziehungen beinhaltet (S. 149). Die Beziehungsebene in der Sozialen Arbeit zwischen der professionellen Fachkraft und der jeweiligen Klientel kann gemäss Schröder (2017) in zwei Teile zerlegt werden. Einerseits in die professionelle und andererseits in die persönliche Beziehung (S. 23). Nachfolgend werden die, bis jetzt aufgezählten Beziehungsbe- griffe erläutert.

Die Abbildung 4 stellt die drei beschriebenen sozialen Beziehungen mit situativen Beispielen dar.

Darauffolgend werden die drei Beziehungsarten genauer erläutert.

Abbildung 4: Soziale Beziehungen mit Beispielen (eigene Darstellung)

3.1.1 Persönliche Beziehung

Persönliche Beziehungen implizieren nach Lenz (2011) ein hohes Mass an Kontinuität, welches ein Anknüpfen an vorherige Erfahrungen zwischen den Personen ermöglicht (S. 148). Zusätzlich zeichnet sich die persönliche Beziehung durch die vielen positiven und negativen Emotionen, die wechselseitige Abhängigkeit und das Vorhandensein persönlichen Wissens aus. In der persönli- chen Beziehung überwiegt die persönliche Identität. Gemeint ist damit an die Einzigartigkeit der Person gebundenen Wissens. Das Ende einer solchen Beziehung setzt eine Trennung oder den Tod einer dieser Personen voraus (S. 148-149).

Die Gestaltung der persönlichen Beziehung in sozialen Interaktionsprozessen zeigt sich beispiels- weise im gefühlsmässigen Einlassen, Vertrauen herstellen, Trost spenden sowie Mitgefühl zum Ausdruck bringen (Schröder, 2017, S. 23.). Das Verhältnis wird zu einem empathischen Verhältnis,

Soziale Beziehungen

Rollenbeziehung

Verkäufer*in / Kund*in

Postbeamt*in / Kund*in

Kontrolleur*in / Passagier

professionelle Beziehung

Lehrperson / Kind

Sozialpädagog*in / Kind

Therapeut*in / Klient*in

persönliche Beziehung

Freund*in / Freund*in

Vater / Tochter

Liebespartner*in / Liebespartner*in

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mittels Hineinversetzten in die Situation der anderen Person und durch das Nachvollziehen deren Bedürfnisse und Sichtweise auf sich selbst und auf die soziale Umwelt (Krassimir Stojanov, 2016, S. 217). Die persönliche Beziehung ist nach Schröder (2017) die Voraussetzung für eine professi- onelle Beziehung (S. 24).

3.1.2 Rollenbeziehung

Unter Rollenbeziehungen verstehen Jens B. Asendorpf, Rainer Banse und Franz. J. Neyer (2017) soziale Beziehungen, die durch die sozialen Rollen der beiden Bezugspersonen definiert werden (S. 19). Im Gegensatz zur persönlichen Beziehung sind Rollenbeziehungen nach Lenz (2011) an spezifische, kulturell geprägte Wissenskomplexe gekoppelt und erschliessen ein Wissen, welches sich auf die spezifische Thematik fokussiert, demnach ein Wissen über die jeweilige Rolle (S. 149).

Im Extremfall sind Rollenbeziehungen völlig unpersönliche Beziehungen (Asendorpf, Banse &

Neyer, 2017, S. 19). Meistens reagieren die Bezugspersonen mit der Zeit auf persönliche Eigen- schaften der anderen Person und Ereignisse, welche nicht der Rolle zugeschriebenen werden, wodurch die Beziehung persönlicher wird (ebd.).

3.1.3 Professionelle Beziehung

Gemäss Achim Schröder (2013) sind professionelle Beziehungen immer ein Gemisch aus diffusen (persönlichen) und spezifischen (rollförmigen) Beziehungsanteilen, was bedeutet, dass diese Be- ziehungen einerseits durch fachliche Absprachen und andererseits durch die Person als Ganzes mit der Persönlichkeit, den Wünschen, Erwartungen etc. geformt werden (S. 430). Die Heraus- forderung für die Professionellen liegt nach Schröder (2017) darin, dass sie sich als Professionelle in ihrer Rückgebundenheit an institutionelles sowie wissenschaftliches Wissen und reflektiertes Erfahrungswissen präsentieren und nicht als Freund oder Familienmitglied und dennoch als Per- son mit eigener Persönlichkeit auftreten (S. 24.). In anderen Worten agiert die professionelle Fachperson immerzu in der Doppelstruktur beruflicher und privater Rolle (Gahleitner, 2014, S.

63).

Martin Grosse (2014) beschreibt weitere Charakterisierungen von professionellen und persönli- chen Beziehungen (S. 22). Die Tätigkeit der Professionellen wird in der professionellen Beziehung bezahlt. Zudem ist das Verhältnis zwischen Fachkraft und Klientel zeitlich begrenzt. Ein weiterer Aspekt der professionellen Beziehung stellt das Erfordernis einer gewissen Distanz dar, da meist eine unverschlossene Anzahl von Klientinnen und Klienten existiert. Ausserdem ist die professio- nelle Beziehung an einen spezifischen Zweck gebunden und zielt somit auf die Auflösung dieser

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Beziehung ab (Grosse, 2014, S. 22). Zudem macht Urban (2004) darauf aufmerksam, dass anders als in persönlichen oder privaten Beziehungen nicht die Befriedigung eigener emotionaler Be- dürfnisse das Ziel ist, sondern der Kontakt und die auf gewünschte Veränderung gerichtete Arbeit mit der Klientel (S. 196). Sie versichert, dass sowohl die Empirie wie auch die theoretische Analyse zeigt, dass die Beziehungsgestaltung in der Sozialen Arbeit eine Voraussetzung und ein zentrales Medium von Veränderung ist. Dies bezieht eine spezifische Anforderungsstruktur an sozialpäda- gogische Professionalität ein, da die oder der Professionelle selbst zum Arbeitsmittel wird. Die Voraussetzung für professionelle Qualität einer solchen Beziehung stellt die bewusste Gestaltung, die kritische Beleuchtung der eigenen Rolle und das Erkennen der eigenen emotionalen Anteile dar. Professionelle Beziehung bedingt Selbstreflexion (ebd.). Schröder (2017) fasst zwei weitere Bedingungen der professionellen Beziehung zusammen: Einerseits die Kooperationsbereitschaft auf beiden Seiten und andererseits die Notwendigkeit von Nähe und gleichzeitig Distanz, um pro- fessionelle Hilfe leisten zu können (S. 24).

3.2 Herausforderungen innerhalb der professionellen Beziehungsgestal- tung

Eine Herausforderung in der professionellen Beziehung wurde bereits ersichtlich. Margret Dörr (2007) beschreibt, dass es der professionellen Fachkraft gelingen muss, einerseits die formale Berufsrolle kompetent auszufüllen und sich andererseits als ganze Person zeigen. Dementspre- chend muss sie sich auf eine persönliche, emotional geprägte und nur begrenzt steuerbare Be- ziehung einlassen können (S. 137). Ähnlich erläutern Detlef Gaus und Elmar Drieschner (2011) das Paradox, dass pädagogische Professionalität nicht nur auf fachspezifischen Handlungskom- petenzen basiert, sondern auch auf dem personalen Fundament von emotionaler Zuwendung.

Diese kann niemals vollständig, und völlig widerspruchsfrei mit professionstheoretischen Konzep- tualisierungen erfasst werden (S. 7). Die Frage um Liebe oder Nähe als Erziehungsmittel hat eine sehr lange Geschichte und die Blütenzeit des Begriffs Liebe in der Pädagogik liegt im späten 18.

Jahrhundert (Gahleitner, 2017, S. 39). Gerade im (sozial-)pädagogischen Bereich schwebt im Hin- blick auf die Nähe und Intimität der Beziehungen die Gefahr unterschiedler Dimensionen von Missbrauch, welcher in den vergangenen Jahren deutlich sichtbar wurde (Gaus & Drieschner, 2011, S. 9). Anstelle des Begriffs Liebe wird stattdessen Wohlwollen, Wertschätzung, Respekt, Beziehungsarbeit und immer mehr auch Bindung gebraucht, um den Fachbegriff Beziehung in seinem Arbeitscharakter zu verdeutlichen (Gahleitner, 2017, S. 38). Beizusteuern ist nach Gahlei- tner (2017), dass missbräuchliche Übergriffe in pädagogischen Einrichtungen nicht erst in den

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letzten Jahren aufkamen, jedoch aufgrund der massenmedialen Verbreitung einzelner Skandale zum ersten Mal unübersehbar wurden (S. 37-38). Gemäss Norbert Ricken (2012) lassen sich Macht und Begehren nicht aus pädagogischen Beziehungen ausklammern, da sie Teil aller sozia- len und kommunikativen (Selbst-)Beziehungen sind (S. 108).

Angesichts der Tatsache, dass professionelle Beziehungsangebote zu grosser persönlicher Auto- nomie verhelfen, entgegengesetzt aber auch Entfaltungsmöglichkeiten einschränken können, wird nach Gahleitner (2017) die ethische Bedeutung der Bewusstheit über das bestehende Machtgefälle in professionellen Beziehungskonstellationen deutlich sichtbar, speziell in der Sozi- alen Arbeit mit dem doppelten Auftrag von Hilfe und Kontrolle (S. 276).

Neben dem doppelten Auftrag zwischen Hilfe und Kontrolle beschreibt Klaus Mayer (2019) den Zwangskontext in welchem sich viele Klienten und Klientinnen befinden als besonders herausfor- dernd (S. 62). Dieser kann zu grossem Widerstand führen und zur Verfolgung unterschiedlicher Ziele. Zusätzlich spielt hierbei die bereits (schwierig) erlebte Beziehungserfahrung eine erhebliche Rolle. Dem gegenüber steht die Ökonomisierung, die besagt, dass alles schneller gehen muss (ebd.). Eine besonders ausführlich diskutierte Herausforderung stellt die Balance zwischen Nähe und Distanz in professionellen Beziehungen dar. Aufgrund derer wird diesem Spannungsfeld das nächste Unterkapitel gewidmet.

3.2.1 Spannungsfeld Nähe und Distanz in professionellen Beziehungen

Das Thema Nähe und Distanz ist in der Praxis der Sozialen Arbeit alltäglich (Hans Thiersch, 2019, S. 42). Die einen setzen eher auf die professionelle Nähe, da eine gute Beziehungsarbeit bedeu- tet: Sich einlassen, das Vertrauen aufbauen, Beziehung und Empowerment stärken. Die andern sehen die Professionalität der Sozialen Arbeit in der Distanz, um nicht zu viel auf der persönlichen Beziehungsebene zu agieren (ebd.). So wird vielfach von zwei unvereinbaren Polen gesprochen.

Professionell und unprofessionell anstelle von einem Kontinuum, auf welchem sich die Professi- onellen gleitend bewegen (Regina Abeld, 2017, S. 189-190). Margret Dörr und Burkhard Müller (2019) bekräftigen, dass es um das als richtig empfundenes Mass an Nähe und Distanz geht und nicht um Nähe und/oder Distanz an sich (S. 14). Das Begriffspaar Nähe und Distanz weist eine paradoxe Struktur auf, die sich in alltäglichen Beziehungserfahrungen zeigt. Das Hin und Her von Nähe und Distanz, von Intimität und Abgrenzung sowie von Abhängigkeitswünschen und Auto- nomiebestrebung muss bereits als Kind gelernt werden und es gilt dieses immer wieder neu zu ordnen und zu vermitteln. Dies ist abhängig von Reifungsprozessen, Entwicklungsaufgaben aber

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auch gesellschaftlichen Erwartungen (Dörr & Müller, 2019, S. 15). Der Unterschied von professi- onellem Handeln und Alltagshandeln sollte sich dadurch zeigen, dass Professionelle Nähe und Distanz zu ihren Adressaten und deren Probleme auf kunstvolle Weise verknüpfen und vermitteln können. Dabei ist zu beachten, dass professionelles Handeln nicht nur hinsichtlich Rollen und Er- wartungen, sondern auch bezüglich der Gestaltung wechselseitiger Beziehung eine asymmetri- sche und komplementäre Struktur aufweist. Aus diesem Grund kann professionelles Handeln in diesem Sinne nicht mittels einer technisch verfügbaren Wissens- und Handlungsorganisation be- wältigt werden, sondern nur mit der Bedingung der Akzeptanz von Ungewissheit (S. 16.) Diese Argumente von Gaus und Driescher verweisen auf das Ineinanderfliessen von Nähe und Distanz und die Wichtigkeit einer gelingenden Beziehungsgestaltung.

3.3 Bedingungen für eine gelingende Beziehungsgestaltung

In der Literatur gibt es kaum klar definierte Aspekte wie die Beziehungsgestaltung gelingen kann.

Deswegen werden verschiedene Schlussfolgerungen von verschiedenen Autoren und Autorinnen aufgezeigt. Auf die Frage, ob Beziehungsgestaltung lernbar ist, beschreibt Christoph Schneider (2019) drei Ausgangspunkte (S. 213). Erstens verdeutlicht er, dass gelingende Beziehungsgestal- tung Arbeit an und mit der eigenen Person bedeutet. Da Beziehungsgestaltung ein Interaktions- geschehen ist, geht es um Kontakte, Begegnungen, Verbindungen, um das Verhältnis und teil- weise auch um die Chemie zwischen zwei Menschen (oder mehrere). In professionellen Bezie- hungen sollen die Professionellen die Verantwortung für die Qualität der Beziehung übernehmen.

Zweitens soll die individuelle Art der Beziehungsgestaltung immer wieder reflektiert und weiter- entwickelt werden unter Berücksichtig der Kongruenz und Stimmigkeit. Individuell heisst nicht beliebig, deswegen sind Austauschmöglichkeiten wie beispielsweise das kollegiale Feedback sehr wichtig. Drittens wird die Wichtigkeit der Haltung beschrieben (S. 213-214). Genauer darauf ein- gegangen wird im Kapitel 3.3.1. Schneider fokussiert sich bei diesen drei Ausgangspunkten auf die Beziehung zwischen Kinder und Lehrperson. Da er von der pädagogischen Beziehung spricht wird dies in dieser Arbeit auf die sozialpädagogische Arbeit adaptiert.

Einen anderen Blickwinkel beleuchtet Gahleitner. Gahleitner (2017) hebt hervor, dass die Ent- wicklung eines tragfähiges und adäquaten Beziehungsangebot in dieser Komplexität nur auf der Basis einer bindungssensiblen lebens-, subjekt- und situationsnahen Diagnostik möglich wird (S.

288). Die Verwendung von Modellen, die biopsychosoziale Überlegungen zur Grundlage haben,

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partizipativ-dialogisch vorgehen und die Biografie und Lebenswelt ausreichend ausleuchten ver- mögen, machen eine Herangehensweise an die Diagnostik möglich. Ebenfalls müssen sie sich an der Theorie und dem Fall orientieren. Beispiele für solche Methoden stellen beispielsweise die narrative Gesprächsführung und Intervention dar, verschiedenste Verfahrensformen des Fallver- stehens, aber auch die integrative Beratung (Gahleitner, 2017, S. 288-289).

Für den Umgang mit den Antinomien bezüglich Nähe und Distanz fassen Gaus und Driescher (2011) folgende Argumente zusammen (S. 24). Erstens müssen Professionelle zu ihrer Fokus- gruppe Nähe zeigen und ihnen klarmachen, dass deren Wohlergehen wichtig ist, um für die Ko- operation eine vertrauensvolle Basis zu schaffen. Gleichzeitig ist die Signalisation von Distanz wichtig. So wird die Bindung nicht zu stark und es wird keine Eltern-Kind-Liebe wiederspiegelt, damit die «Liebe» nicht übergriffig beziehungsweise manipulativ wird. Zweitens muss auf die un- überwindbare Spannung zwischen dem emotionalen direkten Zugang und der professionellen In- szenierung berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass die Professionellen einerseits ihr Handeln aus einer Metaperspektive beobachten und dieses kritisch reflektieren, um mit dieser Distanzie- rung ein professioneller Sicherungsfaktor herzustellen. Andererseits muss ein Zugewandtsein, In- teresse am Gegenüber und an dessen Wohlergehen vorliegen, um das Bildungsziel gelingender Liebe oder auch Beziehung zu erreichen. Drittens ist professionelles Handeln immer in einer Spannung zwischen Anthropologie und Kultur zu betrachten. Damit ist gemeint, dass sich profes- sionelles Handeln immer in der Spannung zwischen Grundkonstanten, wie beispielsweise das Be- dürfnis nach Bindung, und historisch-kulturell Wandelbarem befindet. Deshalb ist die immer wie- derkehrende Diskussion und die erneute Bewertung der Um- und Zustände von besonderer Be- deutung (S. 24-25.).

Gahleitner (2017) hat fünf Voraussetzungen für eine professionelle Beziehungsgestaltung in psy- chosozialen Arbeitsfeldern erarbeitet und zusammengefasst (S. 286-287). Erstens basieren gelin- gende psychosoziale Hilfeprozesse auf einer authentischen, emotional tragfähigen, persönlich geprägten und gleichzeitig reflexiv und fachlich erfüllten Beziehungsgestaltung. Was bedeutet, dass Problemlagen wie Ressourcen auf der Basis von Bindungs- und Beziehungs- und Netz- werkstrukturen diagnostisch zu verstehen sind und Interventionsplanungen unter dessen Berück- sichtigung erarbeitet werden. Zweitens muss in einem ersten Schritt, meist über viel Misstrauen hinweg, Vertrauen möglich gemacht werden durch fachkompetente und bindungssensible Nähe- Distanz-Regulierung. Denn die Wirkung der professionellen Beziehungsgestaltung zeigt sich mehrheitlich im persönlichen Anteil der helfenden Beziehung (S. 287). Drittens spielt neben der tiefgründigen Kommunikation, welche meist in gezielten Settings stattfindet, die Kommunikation

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über Banalitäten eine wichtige verbindende und stabilisierende Rolle (Gahleitner, 2017, S. 275).

Es entwickeln sich zunehmend Chanen auf Veränderungsprozesse im primären aber auch im se- kundären und tertiären Netzwerkgefüge, dabei zählt jede entstandene persönlich geprägte Ver- bindung, welche sich entweder als Weiterentwicklungsmöglichkeit entfaltet oder aber als Ver- nichtung der Vertrauensprozesse entlarvt. Viertens muss im Ergebnis des Beziehungsgestaltungs- prozesses der gesamte Alltag vom Beziehungsgeschehen durchdrungen werden Das bedeutet die umfassende Hilfe muss auf struktureller sowie psychosozialer Ebene Vertrauen und neue tragfä- hige Beziehungen schaffen. Dies bewirkt ein Einfliessen der bindungsstarken Ausgangsbeziehun- gen in das Umgebungs- und Institutionsnetzwerk. Gelingt diese Verknüpfung und das Entwickeln von einem vertrauensvollen, professionellen Umgebungsmilieu, welches fünftens ein umfassen- des Wirkungsspektrum führt. Dieses wirkt auf das Individuum zurück und ist die tragfähige und zukunftsstabile Basis für das spätere Leben. Dann lässt sich die Abschiedssequenz adäquat gestal- ten (S. 287).

3.3.1 Zur Bedeutung der Haltung von Professionellen

Gelingende Beziehungsgestaltung benötigt gemäss Schneider (2019) eine klare, stimmige Hal- tung (S. 214). Haltung ergibt sich durch individuelle wertebasierter Grundüberzeugungen, aus dem sich eigene Einstellungen, Ansichten und Standpunkte herleiten lassen (ebd.). Wenn Hal- tungsfragen auftauchen, wird in der Literatur häufig auf Carl Rogers mit der personenzentrierten Haltung verwiesen. Die Grundhaltungen der Echtheit (Kongruenz), Wertschätzung (Akzeptanz) und Einfühlung (Empathie) des personenzentrierten Ansatzes erweisen sich als bedeutende Wirk- faktoren für eine gelingende Beziehung (Wolfgang Widulle, 2012, S. 56). Mit Kongruenz oder Echtheit meint Carl Rogers (2012) in der Beziehung echt mit sich selber und dem Gegenüber sein (S. 67). Es bedeutet, sich der betroffenen Person transparent zu machen und sich nicht hinter einer persönlichen Fassade zu präsentieren. Durch Akzeptieren und Wertschätzung wird ein Klima geschaffen, welches Veränderung fördert. Durch Empathie oder dem einfühlsamen Verste- hen versucht die professionelle Fachkraft die Gefühle, Gedanken und das Erleben des Gegen- übers zu verstehen (S. 67-68).

Gahleitner (2017) beschreibt diese Aspekte als grundlegende Elemente einer gelingenden pro- fessionellen Beziehungsgestaltung (S. 302). Laut Widulle (2012) bildet sich die Haltung durch Menschenbildannahmen und Handlungstheorien heraus (S. 55). Das Menschbild entwickelt sich im Laufe der Biografie. Das eigene Menschenbild nähert sich durch die Ausbildung, Wissensbil-

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dung, kritische Reflexion sowie Anpassungen Modellvorstellungen und ethischen Regeln der So- zialen Arbeit (Widulle, 2012, S. 51). Ein Zweck des Berufskodexes ist die Orientierungshilfe für die Entwicklung einer professionsethischen und begründeten Berufshaltung (AvenirSocial, 2010, S 4). Zu dieser gehören die menschenrechtsbezogenen Prinzipien wie Gleichbehandlung, Selbstbe- stimmung, Partizipation, Integrität und Ermächtigung sowie gerechtigkeitsbezogene Prinzipien wie Zurückweisung jeglicher Diskriminierung, Anerkennung von Verschiedenheit, gerechte Ver- teilung der Ressourcen, verurteilende Aufdeckung ungerechter Praktiken und Einlösung von So- lidarität (S. 8-10). Der Umgang mit persönlichen, institutionellen und professionsbezogenen Men- schenbildern bedarf die Fähigkeit zwischen diesen trennen zu können (Widulle, 2012, S. 52-53).

Im Berufskodex werden gleichermassen auch Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit benannt:

Professionelle sollen begründet und reflektiert handeln, aufklärend und zur aktiven Einfluss- nahme motivierend, schützend, Rechte einfordernd, wertschätzend, transparent, fachlich, selbst- bewusst, selbstkontrollierend und selbstentwickelnd sein (Rahel Portmann, 2019, S. 101). Zusätz- lich zählt Gahleitner (2017) Konsistenz, Kontinuität und Verlässlichkeit, Diskretion und gleichzeitig Offenheit sowie stetige Ansprechbarkeit in schwierigen Situationen zu weiteren bedeutsamen Haltungsvoraussetzungen (S. 302). Diese Aspekte bewirken eine Förderung des Mentalisierungs- prozesses (vgl. Glossar) und eine gezielte Koregulation affektiver Zustände (ebd.).

3.4 Fazit

Wie kann professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialpädagogik gelingen und welche Her- ausforderungen müssen berücksichtigt werden?

Unter professioneller Beziehungsgestaltung wird ein Gemisch zwischen persönlicher Beziehung und der Rollenbeziehung verstanden (vgl. Kapitel 3.1.3). Dies erklärt auch die Aussage von Gah- leitner (2017), dass professionelles Handeln in öffentlich-institutionalisierten Kontexten eine re- flektierte, theoretisch begründbare und nur tendenziell lehrbare Beziehung mit den Klienten und Klientinnen beansprucht (vgl. Kapitel 2) (S. 36). Die professionelle Haltung, wie sie im Kapitel 3.3.1 beschrieben wird, stärkt den herausfordernden Balanceakt zwischen der kompetent auszufüllen- den formalen Berufsrolle und sich gleichzeitig als ganze und individuelle Person zu zeigen, zu meistern. Nähe und Distanz stellen ein Spannungsfeld in der Sozialpädagogik dar. Dörr und Müller (2019) betonen, dass der Unterschied von professionellem Handeln und Alltagshandeln im Ver- netzen und Vermitteln von Nähe und Distanz liegt (S. 16). Zu einer Beziehung gehören immer

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zwei Personen. Das hebt die Wichtigkeit der Arbeit an und mit der eigenen Person hervor. Daraus lässt sich schliessen, dass in anspruchsvollen Beziehungsverhältnissen oder schwierigen Situatio- nen nicht (nur) beim Gegenüber angesetzt werden kann. Beziehungsgestaltung bildet gleichzeitig Teil des professionellen Handelns und die Grundlage dafür.

4. Grundlagen der psychischen Traumatisierung

Aus dem Fachwissen der Psychotraumatologie wird in diesem Kapitel die Begrifflichkeit von Trau- matisierung geklärt und der Verlauf einer Traumatisierung beschrieben.

4.1 Begriff Traumatisierung

Der Begriff Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde (Andreas Maercker, 2017, S. 11). Die körperliche Verwundung, Wunde, soll den seelischen Vorgang eines Traumas verbildlichen. Die Traumawirkung beeinflusst neben der psychischen Verwundung auch vitale Le- bensfunktionen (S. 11-12). Nach Barbara Kreiner, Marlene Schrimpf, Silke Birgitta Gahleitner und Christoph Pieh (2015) entstehen traumatische Belastungen aus Bewältigungsversuchen von Er- eignissen, die erheblich über den bekannten Erwartungsrahmen hinausgehen (S. 80). Die meisten Menschen haben bereits traumatische Ereignisse erlebt, aber nicht alle erkranken daran. Die ak- tuelle Resilienzforschung setzt sogar gewisse widrige Ereignisse für eine gesunde Entwicklung vo- raus (ebd.). Nach Maercker (2017) ist die Unterscheidung von Traumata und andere Widrigkeiten des Lebens wichtig (S. 13). Im Alltag werden manchmal Liebesentzug oder ein nicht erfüllter sehn- licher Wunsch als persönliches Trauma betitelt, doch meistens stellen diese einschneidende Le- bensereignisse oder Belastungen dar, die durchaus wichtig sind, jedoch nicht die typischen Reak- tionsmuster auslösen, wie die der definierten Traumata (ebd.). Luise Reddemann und Cornelia Dehner-Rau (2008) machen darauf aufmerksam, dass durch die begriffliche Zweckentfremdung die wirklichen Probleme banalisiert und gleichzeitig das Entsetzliche und Tragische von Traumata verharmlost werden (S. 25.).

Maercker (2017) definiert Trauma als bestimmte Konsequenz, die einerseits durch individuelle Todesbedrohung oder andererseits durch die Verletzungen der körperlich-sexuellen Integrität ei- nes Menschen ausgelöst werden. Die Erlebnisse lösen Extremstress und somit ein enormes Mass an Stressreaktionen aus (S. 10).

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In der Literatur wird vielfach auf die Definition von Gottfried Fischer und Peter Riedesser (2009) verwiesen oder Bezug genommen, die Trauma folgendermassen erläutert: «Vitales Diskrepanzer- lebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt» (Fischer & Riedesser, 2009, S. 84). Das Ausmass der Traumatisierung hängt von der Art, den Umständen und der Dauer des Ereignisses sowie dem Entwicklungsstand der betroffenen Person ab (Silke Birgitta Gahleitner, Carina Kampt- ner & Ute Ziegenhain, 2016, S. 116)

Gemäss Martin Baierl (2016a) ist Trauma nicht eine feste, gleichbleibende Einheit, sondern be- schreibt Dynamik und Prozesshaftigkeit, weshalb er den Begriff Traumatisierung präferiert (S. 22).

Traumatisierung entsteht durch Situationen oder Geschehnisse extremer oder lang an- haltender, meist aussergewöhnlicher Belastung, welche die Bewältigungsmöglichkeiten des / der Betroffenen übersteigt und dadurch zu anhaltenden tiefgreifenden Verände- rungen des Selbst- und Welterlebens führen sowie dauerhafte Veränderung von Denken, Fühlen und Handeln hervorrufen. (Baierl, 2016a, S. 23-24)

Erst mit der der Beschreibung der Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) im DSM-3 (vgl.

Glossar) konnte eine Traumafolgestörung diagnostiziert werden, ohne damit eine bereits vor dem Trauma vorhandene psychische Störung zu implizieren (Kreiner et al., 2015, S. 81). PTBS wird im Kapitel 5.2.1 noch genauer beschrieben.

4.2 Unterschiede traumatischer Erlebnisse und Traumatisierungen

Traumatisierungen werden in zwei Dimensionen eingeteilt: Typ-1- und Typ-2-Traumatisierung so- wie akzidentelle und interpersonelle Traumata, diese werden in den nächsten zwei Unterkapitel beschrieben. Neben dieser Unterteilung gibt es noch weitere Differenzierungen innerhalb des Begriffes Traumata, welche darauffolgend aufgeführt werden.

4.2.1 Typ-1- und Typ-2-Traumatisierung

Aufgrund der verschiedenen Traumatisierungshintergründen wurde die Unterscheidung von Traumatyp 1, Monotraumatisierung oder Schocktraumata, und Traumatyp 2, Komplextraumati- sierung eingeführt (Elke Garbe, 2015, S. 29). Traumatyp 1 beschreibt Folgen von Traumatisierun- gen, die einmal geschehen sind und einen Anfang und ein Ende innerhalb eines Lebens haben wie beispielsweise Unfälle, Vergewaltigungen, Überfälle oder Naturkatastrophen (Elke Garbe,

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2015, S. 29). Bei Monotraumatisierungen kann das bisherige Gefühl von Sicherheit schlagartig unterbrechen, jedoch lässt sich dieses bei guten inneren und äusseren Ressourcen und einer frühzeitgien einsetzenden Traumatherapie wiederherstellen. Komplextraumatisierungen bein- haltet viele traumatische Erfahrungen häufiger verschiedener Art. Beim Traumatyp 2 lässt sich kein eindeutiger Anfang sowie eindeutiges Ende festlegen (S. 29-30).

4.2.2 Akzidentelle und interpersonelle Traumata

Eine weitere Unterscheidung von Traumata wird durch akzidentelle oder interpersonelle Trau- mata gemacht, was so viel bedeutet wie zufällige oder menschlich verursachte/intendierte Trau- mata (Maercker, 2017, S. 12-13). Ein Unfall, der ohne Absicht verursacht wurde oder Naturkata- strophen sind Beispiele für ein akzidentelles Trauma und ein sexueller Übergriff ist eines für ein interpersonelles Trauma (ebd.). Bei anderen Autoren und Autorinnen wird akzidentiell durch apersonal ersetzt und anstatt von einem interpersonellen Trauma wird vom personalen oder menschlich verursachten Trauma gesprochen (vgl. Ulrike Beckrath-Wilking, Marlene Biberacher, Volker Dittmar und Regina Wolf-Schmid, 2013, S. 38-39). Markus J. Pausch und Sven J. Matten (2018) fügen an, dass akzidentielle Traumata besser zu verarbeiten sind als die willentlich verur- sachten (S. 5). Das scheint deshalb verständlich, da bei einem absichtlich von Menschen verur- sachten Trauma, alle zwischenmenschlichen Bereiche sowie das Selbst-, Menschen- und Weltbild betroffen sind (ebd.).

Die untenstehende Abbildung 5 veranschaulicht die beschriebenen Einteilungen mit Beispielen.

Traumatyp 1 Traumatyp 2

Akzidentielle Traumata - Schwere Verkehrsunfälle - Kurzdauernde Naturkata-

strophen

- Langandauernde Na- turkatastrophen

Interpersonelle Traumata - Sexueller Übergriff - Kriminelle Gewalt

- Sexuelle Gewalt - Missbrauch - Kriegserleben Abbildung 5: Einteilung traumatischer Ereignisse (eigene Darstellung)

Zusätzlich kann nach Pausch und Matten (2018) eine Einteilung nach Alter gemacht werden, in welchem das traumatische Ereignis stattgefunden hat (S. 6). Diese Differenzierung wird im Kapitel 5 genauer beschrieben.

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