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Entziehung der Fahrerlaubnis wegen paranoider Schizophrenie

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Academic year: 2022

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VG München, Urteil v. 12.09.2019 – M 26 K 19.2371 Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen paranoider Schizophrenie Normenketten:

StVG § 3 Abs. 1 S. 1

FeV § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anl. 4 Nr. 7.6 Leitsatz:

Eine Fahreignung ist nicht gegeben bei jemandem, der an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt war, bei dem aber durch einen Facharzt psychiatrische Auffälligkeiten und eine verminderte psychische

Belastbarkeit festgestellt wurden und der keinerlei Krankheitseinsicht zeigt. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Entziehung der Fahrerlaubnis, Psychische Erkrankung, Kraftfahreignung, Paranoide Schizophrenie, Psychose

Fundstelle:

BeckRS 2019, 36610  

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand 1

Der 1981 geborene Kläger wendet sich mittels Anfechtungsklage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.

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Aufgrund einer polizeilichen Mitteilung vom … März 2015 und weiterer daraufhin durchgeführter

Ermittlungen erlangte die Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten Kenntnis davon, dass der Kläger seit 2014 mehrfach psychiatrisch untergebracht worden sei, zuletzt im Zeitraum von … März bis … April 2015, und dass bei ihm in der Vergangenheit eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden sei.

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Mit Schreiben vom 7. Januar 2016 ordnete die Beklagte, gestützt auf § 11 Abs. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV), die Vorlage eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens an, das unter anderem die Frage klären sollte, ob beim Kläger eine psychische Erkrankung oder Beeinträchtigung vorliegt, die nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt, und ob der Kläger in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden.

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Da zunächst kein Gutachten vorgelegt wurde, entzog die Beklagte dem Kläger mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 20. Februar 2017 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung abzugeben. Dem kam der Kläger nach.

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Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein und legte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens das erstellte Gutachten der A … … vom … Oktober 2016 vor, welches zu dem Ergebnis gekommen war,

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dass die Fahreignung des Klägers derzeit nach Nr. 7.6.3 der Anlage 4 FeV in Verbindung mit den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ausgeschlossen sei und derzeit auch nicht durch Auflagen oder Beschränkungen hergestellt werden könne. Es hätten zwei ausführliche Begutachtungstermine am … August und … September 2016 stattgefunden. Aufgrund der umfangreichen ärztlichen Vorbefunde und der wiederholten Diagnosestellung sei von einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie nach Nr. 7.6.3 der Anlage 4 FeV auszugehen. Hinweise auf eine floride psychotische Phase oder Suizidalität,

Wahnvorstellungen, inhaltliche oder formale Denkstörungen oder erhöhte Aggressivität seien nicht feststellbar gewesen; psychische Auffälligkeiten hätten sich aber dennoch gezeigt und es sei eine verminderte psychische Belastbarkeit gegeben. Zumindest in besonderen Situationen bestehe daher die Gefahr fehlender Impulskontrolle, der Fehleinschätzung von Situationen bis hin zu Realitätsverkennungen sowie der Dekompensation, was auch im Straßenverkehr relevant werden könne. Bei der Überprüfung der psychophysischen Leistungsfähigkeit habe der Kläger im ersten Durchgang die erforderlichen Mindest- Prozentränge von 16 in allen sieben Testverfahren erheblich unterschritten. Im zweiten Durchgang habe er unter Testung zweier Verfahren für die Gruppe 1 im ersten Verfahren einen überdurchschnittlich guten Wert von 66 erzielt, im zweiten Verfahren den Mindestwert von 16 aber nicht erreicht. In der Gesamtschau der Ergebnisse bestehe daher eine erhöhte Gefahr, verkehrsrelevante Informationen zu übersehen bzw. zu verkennen. Ursache hierfür könne sowohl eine herabgesetzte psychische Belastbarkeit, aber auch kognitive Einschränkungen bedingt durch die lange Krankheitsdauer sein. Es bestehe keine Krankheitseinsicht und eine Behandlung werde nicht für erforderlich erachtet. Aufgrund der mangelhaften und nur sporadischen antipsychotischen Behandlung durch die Mutter sei keine ausreichende psychische Stabilität bei der Verkehrsteilnahme zu erwarten. Die im Klinikbericht empfohlenen und nach den Begutachtungsleitlinien erforderlichen regelmäßigen ärztlichen Kontrollen erfolgten nicht.

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Vorgelegt wurden des Weiteren fachpsychiatrische Atteste des Neurozentrums A … vom … März und … Mai 2017, denen zufolge sich der Kläger in dortiger regelmäßiger Behandlung befinde. Derzeit verneine er Frühwarnzeichen und während der Explorationen hätten sich keine Hinweise auf Wahn, Ich-Störungen oder Sinnestäuschungen ergeben. Rückfallprophylaxe lehne er ab.

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Darüber hinaus wurde ein psychiatrisches Attest von Frau Dr. A … vom … Mai 2017 vorgelegt, dem zufolge sich der Kläger im Zeitraum Januar bis Mai 2017 dort viermal vorgestellt hatte. In den Sprechstunden sei er nicht akut psychotisch gewesen, die in den vorliegenden Vorberichten beschriebene Psychopathologie habe sich aber bestätigt. Die Durchführung differentialdiagnostischer Verfahren wie die Testung der Intelligenz habe der Kläger abgelehnt, weil er sich gesund fühle.

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Mit Schreiben vom 9. Juni 2017 forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb von drei Monaten ein weiteres ärztliches Gutachten vorzulegen. Das Gutachten der A … … sei aus Sicht der Beklagten zwar schlüssig und nachvollziehbar; der Kläger erhalte aber die Gelegenheit, ein neues Gutachten vorzulegen.

Durch das neue Gutachten sei der erfolgreiche Behandlungsverlauf der Erkrankung aufzuklären.

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Mit Schreiben vom 18. Januar 2018 bat der damalige Bevollmächtigte des Klägers um Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens, da ein Gutachten zwar erstellt worden, dieses aber ergänzungsbedürftig sei.

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In der Folge wurde kein Gutachten vorgelegt. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2019 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück.

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Hiergegen erhob der Kläger am 16. Mai 2019 Klage; er hat zuletzt beantragt, 12

den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2019 aufzuheben.

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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei im Straßenverkehr nie auffällig geworden, obwohl er jährlich mehrere 1000 km fahre, so dass es keinen Grund gebe, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dem in

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der polizeilichen Mitteilung vom … März 2015 dargestellten Sachverhalt, der zur Anordnung der Vorlage eines ärztlichen Gutachtens durch die Fahrerlaubnisbehörde geführt habe, habe eine Fehleinschätzung seitens der Polizei zugrunde gelegen. Bei der ärztlichen Begutachtung selbst sei kein Facharzt für Psychiatrie hinzugezogen worden. Die Annahme einer verminderten psychischen Belastbarkeit entbehre jeder Grundlage, sei im Gutachten nicht nachvollziehbar begründet worden und könne im Übrigen für sich genommen nicht die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen.

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Die Beklagte beantragt, 15

die Klage abzuweisen.

16

Die Verwaltungsstreitsache wurde durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Am 4. September 2019 fand mündliche Verhandlung statt. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, die Fahrerlaubnisakten der Beklagten und der Widerspruchsbehörde sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4.

September 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe 17

Die Klage hat keinen Erfolg.

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Soweit sie sich gegen die Zwangsgeldandrohung richtet, ist die Klage bereits unzulässig, da sich die Zwangsgeldandrohung mit der Erfüllung der zwangsgeldbewehrten Verpflichtung, i.e. der Ablieferung des Führerscheins, erledigt hat.

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Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.

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Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. April 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids.

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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-

Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV).

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Vorliegend wurde durch das ärztliche Gutachten der A* … vom … Oktober 2016 die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen festgestellt. Ein weiteres Gutachten hat der Kläger im

Widerspruchsverfahren nicht vorgelegt. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids wiedererlangt haben oder die gutachterlichen Feststellungen sonst überholt und daher unrichtig sein könnten, bestehen nicht.

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1. Das Gutachten, vor dessen Erstellung sich die Gutachterin ausführlich mit dem Kläger befasst hat, legt insgesamt schlüssig und nachvollziehbar dar, dass der Kläger im Zeitpunkt der Begutachtung nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war.

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In nachvollziehbarer und nicht zu beanstandender Weise geht die Gutachterin von der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie aus. Grundlage waren sowohl (aufgrund lediglich zweier persönlicher Vorstellungen notwendigerweise begrenzte) eigene Beobachtungen psychischer Auffälligkeiten

(Gesichtsausdruck, Mimik und Gestik, Minussymptomatik), vor allem aber wiederholte Diagnosestellungen psychiatrischer Fachkliniken. Sowohl das A* …Klinikum B* … als auch die Klinik für Psychiatrie der B* … … (vgl. das in den Akten befindliche ärztliche Gutachten zur Anregung einer rechtlichen Betreuung vom

…7.2014) hatten die Diagnose einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie gestellt. Es ist davon auszugehen, dass beide Fachkrankenhäuser über einen hohen Grad an Spezialisierung auf psychiatrische Erkrankungen verfügen. Attestiert eine hierauf spezialisierte Fachklinik einer Person, die sich dort für längere Zeit (im Falle des A* …Klinikums mehrfach für mehrere Wochen) stationär aufgehalten hat und behandelt wurde, eine bestimmte psychiatrische Erkrankung, kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu, so dass sie bei der Fahreignungsbegutachtung zugrunde zu legen ist. Denn die Durchführung verschiedener Therapieversuche und Behandlungen, die Beobachtung im

Behandlungsverlauf und die (teils wiederholte) Befassung mit dem Patienten über einen längeren Zeitraum verschaffen den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seiner Persönlichkeit, seinen Lebensgewohnheiten, Lebenseinstellungen und seiner psychischen Verfassung und damit von Faktoren, die für die Diagnosestellung von Bedeutung sind (BayVGH, B.v. 27.7.2012 - 11 CS 12.1511 - juris Rn. 27 ff.; B.v. 16.11.2016 - 11 CS 16.1957 Rn. 11). Vor dem Hintergrund dieser bei der Begutachtung vorliegenden Fremdbefunde (vgl. Nr. 6 Anlage 4a FeV) war die Hinzuziehung eines Facharztes - trotz der in Nr. 3.12.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit Heft M 115) ausgesprochenen Empfehlung, die ihrem Wortlaut nach aber ohnehin nur für erforderliche psychiatrische Nachuntersuchungen gilt - nicht zwingend und führt deren Unterlassen im vorliegenden Einzelfall nicht zur Unverwertbarkeit oder fehlenden Nachvollziehbarkeit des Gutachtens.

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In Nr. 7.6 der Anlage 4 zur FeV wird ausgeführt, dass nach Ablauf der akuten Erkrankung einer

schizophrenen Psychose die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gegeben ist, wenn keine Störungen nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen (z. B. Wahn, Halluzination, schwere kognitive Störung; vgl. Nr. 7.6.2 Anlage 4 FeV und Nr. 3.12.5 der

Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Stand: Mai 2018, Berichte der Bundesanstalt für

Straßenwesen, Mensch und Sicherheit Heft M 115). Sind mehrere psychotische Episoden aufgetreten, sind im Hinblick auf mögliche Wiedererkrankungen regelmäßige Kontrollen durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie durchzuführen, damit Fahreignung angenommen werden kann (Nr. 7.6.3 Anlage 4 FeV). Mit Hilfe dieser Kontrollen soll sichergestellt werden, dass in der Folge keine akuten Psychosen mehr auftreten, die die Fahreignung gemäß Nr. 7.6.1 Anlage 4 FeV ausschließen, bzw. dass Frühwarnzeichen für deren mögliches Wiederauftreten erkannt werden. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung führen weiter aus, dass in jedem Einzelfall - auch abhängig von Krankheitsstadium - die Bedeutung aller einzelnen Symptome für die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beurteilt werden müssen, zumal unter Schizophrenien eine Gruppe von Psychosen mit unterschiedlichem Schweregrad, verschiedenartigen Syndromen und uneinheitlichen Verläufen zusammengefasst werden.

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Beim Kläger sind wiederholte psychotische Phasen aufgetreten, wobei die Rückfallgeschwindigkeit in der Vergangenheit teils durchaus hoch war. Der Kläger befand sich seit Juli 2005 wiederholt in stationärer psychiatrischer Behandlung, wobei die teils längeren stationären Aufenthalte im Zeitraum Dezember 2013 bis März 2015 in zeitlich besonders dichter Folge stattfanden (Unterbringungen am … Dezember 2013, … April 2014, … Juni 2014 sowie am … März und … März 2015).

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Zwar waren im Zeitpunkt der Begutachtung weder Wahnvorstellungen noch inhaltliche oder formale Denkstörungen feststellbar, die das Realitätsempfinden erheblich beeinträchtigen. Dennoch waren psychiatrische Auffälligkeiten feststellbar in Gestalt einer verminderten Schwingungsfähigkeit, stereotyper Wippbewegungen und herabgesetzter, teils starrer Mimik. Weiterhin führt die Gutachterin eine verminderte psychische Belastbarkeit an, was für das Gericht sowohl aus der durchgeführten Leistungstestung als auch dem Begutachtungsgespräch nachvollziehbar ist. Hieraus wird deutlich, dass die durchlaufenen

psychotischen Episoden nicht vollständig ausgeheilt, sondern in eine Teilremission bzw. einen Residualzustand übergegangen sind.

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Nachvollziehbar legt das Gutachten dar, dass der Kläger trotz des chronischen Verlaufs der psychischen Erkrankung keine Krankheitseinsicht zeigt. Im Begutachtungsgespräch gab der Kläger ausweislich des Gutachtens an, es stimme nicht, dass er eine psychische Erkrankung habe; trotz ausführlicher Aufklärung darüber, dass eine psychische Erkrankung die Fahreignung keineswegs zwangsläufig ausschließe, verneinte er das Bestehen einer solchen wiederholt und nachdrücklich. Auf einzelne der Vorfälle angesprochen, konnte er diese folglich auch in der gegenwärtig nicht-psychotischen Verfassung nicht erklären oder reflektieren. Das Gericht ist aufgrund der gutachterlichen Feststellungen daher auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger -als Experte seiner eigenen Erkrankung - unabhängig von regelmäßigen psychiatrischen Untersuchungen, erforderlichenfalls einhergehend mit einer medikamentösen Prophylaxe, selbst in der Lage ist, Frühwarnzeichen einer erneuten psychotischen Phase zu erkennen. Erkennbar ist beim Kläger allgemein eine verminderte Fähigkeit der Selbsteinschätzung, so beispielsweise hinsichtlich der Performance bei der psychophysischen Leistungstestung („habe alle Aufgaben gut geschafft“).

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Schlüssig und nachvollziehbar wird im Gutachten weiter dargelegt, dass vor diesem Hintergrund zumindest in für den Kläger besonderen Situationen weiterhin die Gefahr der Fehleinschätzung bis hin zu

Realitätsverkennungen sowie der Dekompensation besteht, was auch im Straßenverkehr relevant werden kann. Da nach alldem mit einem Wiederauftreten der Erkrankung in Form von Realitätsverkennungen gerechnet werden muss, sind regelmäßige psychiatrische Kontrollen und eine Behandlung für die Annahme von Fahreignung unabdingbar. Aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht fanden solche entgegen der Empfehlungen der Fachkliniken im Zeitpunkt der Begutachtung aber nicht statt. Vor diesem Hintergrund war auch die Annahme der Fahreignung unter der Auflage regelmäßiger psychiatrischer Kontrollen nicht möglich, weil eine solche Beauflagung im Ansatz eine gewisse Einsicht in den Behandlungs- und Untersuchungsbedarf und die Fähigkeit zur Compliance voraussetzt.

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2. Der Kläger war auch im für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Zum einen hatte ihm die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nochmals die Gelegenheit gegeben, eine erneute fachärztliche Begutachtung durchzuführen. Ein positives Gutachten konnte der Kläger jedoch nicht vorlegen. Zum anderen drängte es sich für das Gericht aufgrund etwaiger veränderter Umstände nicht auf, ein gerichtliches Sachverständigengutachten über die Fahreignung des Klägers einzuholen. Aus den vorgelegten fachärztlichen Attesten des Neurozentrums A* … und der Frau Dr. A* … ergibt sich nicht, dass die vormalige Diagnosestellung unzutreffend wäre oder keine Rückfallgefahr mehr bestünde. Aus den Attesten geht lediglich hervor, dass im Zeitraum Januar bis Mai 2017 psychiatrische Verlaufskontrollen stattgefunden haben, wobei sich kein Anhalt für das Auftreten einer erneuten akuten psychotischen Episode ergeben hatte, der Kläger allerdings sowohl eine Rückfallprophylaxe als auch eine Differentialdiagnostik abgelehnt hatte. Andere Therapien wurden ebenfalls nicht durchgeführt. Auch in der mündlichen

Verhandlung wurde deutlich, dass keine Krankheitseinsicht besteht und dass derzeit weder medikamentöse Rückfallprophylaxe noch psychiatrische Verlaufskontrollen stattfinden, die das Erkennen von

Frühwarnzeichen gewährleisten würden. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Sachverhalt im Vergleich zur durchgeführten Begutachtung weitgehend unverändert dar und war die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht veranlasst.

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3. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheids) findet ihre Rechtsgrundlage in

§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Kostenentscheidungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

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4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

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