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Abzählbare Ordinalzahlen und ω 1

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Academic year: 2022

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Die bei Erstkontakt unangenehme Gleichung G(x) = F(G|Wx) heißt einfach:

Wir definieren G(x), indem wir auf den Verlauf der bisherigen Definition zu- rückgreifen, d. h. G(y) liegt vor für alle y <x. Wie genau wir diesen Verlauf aus- werten und G(x) berechnen, beschreibt gerade die Funktion F.

Die Existenz und Eindeutigkeit von G wird durch Induktion über W bewie- sen. „Hinreichend großer Definitionsbereich“ heißt, dass G|WxPdom(F) ist für alle xPW. Für beliebige Funktionen F lässt sich dies etwa durch Nullsetzen von F außerhalb des originalen Definitionsbereiches erreichen. (F kann eine echte Klasse sein, etwa die Funktion, die jedes x aufP(x) abbildet.)

Die eindeutige Funktion G auf W des Satzes heißt diedurch Rekursion über W mit Hilfe von F definierte Funktion oder auch die Lösung der Rekursionsglei- chung G(x) = F(G|Wx).

Abzählbare Ordinalzahlen undω1

Ordinalzahlen sind der traditionellen Intuition zufolge „das Gemeinsame“ al- ler Wohlordnungen gleicher Länge. Die Ordinalzahlen, die zu den unendlichen Wohlordnungen gehören, adelt man dann romantisch mystifizierend als „trans- finite Zahlen“. Wir stehen hier vor ähnlichen Problemen wie bei der Definition einer Kardinalzahlκ. Die gröbste Methode wäre, die Elemente einer beliebigen, aber fixierten überabzählbaren wohlgeordneten Menge als Ordinalzahlen zu be- zeichnen, was für ein Segment der transfiniten Theorie im Prinzip ausreichen würde. Neben einiger Willkür würde hier durch den Rückgriff auf den Wohlord- nungssatz aber das Auswahlaxiom in die Definition der Ordinalzahlen einflie- ßen, und dies verschleiert dann insbesondere das Phänomen der pathologischen Mengen: Nicht die Existenz gewisser langer Wohlordnungen ist es, die patholo- gische Mengen im Schlepptau nach sich zieht, sondern erst die Existenz von Wohlordnungen auf beliebigen Mengen, wie etwaR, erzeugt diejenigen Men- gen, die so ganz anders sind als alles, was man sonst kennt.

Wir führen deswegen und aus sachlich-ästhetischen Gründen die Ordinalzah- len bisω1mit einer auswahlfreien Methode ein, die zudem in der Mengenlehre eine unabhängige Bedeutung hat. Unser Objektω1ist, wie oben erwähnt, nicht das üblicheω1, aber es ist alles andere als willkürlich.

Definition (abzählbare Ordinalzahlen undω1nach der „Hartogsmethode“) Sei*= {〈N,<〉|〈N,<〉ist eine Wohlordnung und N⊆N}.

Dann ist „gleichlang“ eine Äquivalenzrelation auf*und wir setzen ω1 = */;.

JedesαPω1heißt eineabzählbare Ordinalzahl. EinαPω1heißt zudem eine(abzählbare) transfinite Zahl,falls die Elemente vonαunendlich sind.

ω1selbst heißtdie erste überabzählbare Ordinalzahl.

Auf der Mengeω1können wir sehr einfach eine Ordnung definieren:

(2)

Definition (die natürliche Ordnung auf den abzählbaren Ordinalzahlen, W(α)) Fürα,βPω1setzen wir:

α < β falls jedes Element vonαist kürzer als jedes Element vonβ.

Diese Relation<heißt dienatürliche Ordnung aufω1. FürαPω1setzen wir:

W(α) = (ω1)α = {βPω1|β < α}.

Wir schreiben weiter auchα < ω1fürαPω1. Es gilt nun der folgende Satz:

Satz (überω1=*/;)

〈ω1,<〉ist eine überabzählbare Wohlordnung.

Für alleαPω1gilt:

(+) 〈W(α),<〉 ; 〈N,<〉 für alle〈N,<〉Pα.

Insbesondere ist W(α) abzählbar für alleαPω1.

Wir schreiben Elemente vonω1im Folgenden oft kurz als N/;statt〈N,<〉/;. Dies dient lediglich der Vereinfachung der Notation.

Beweis

〈ω1,<〉ist eine lineare Ordnung:

Dies folgt sofort aus dem Vergleichbarkeitssatz.

〈ω1,<〉ist eine Wohlordnung:

Sei A⊆ ω1nichtleer, und sei N/;PA beliebig. Wir setzen M = { xPN | Nx/;PA }.

Ist M =∅, so ist N/;das kleinste Element von A inω1. Andernfalls sei x das kleinste Element von M in N.

Dann ist Nx/;das kleinste Element von A inω1. Beweis von (+):

SeiαPω1und sei〈N,<〉Pα(alsoα= N/;). Dann gilt:

W(α) = (ω1)α = { M/;Pω1| M/;<N/;} = { Nx/;| xPN } ; N, wobei der letzte Ordnungsisomorphismus gegeben wird durch g(Nx/;) = x für alle xPN.

Der Zusatz gilt, da N abzählbar ist für alleαPω1und〈N,<〉Pα.

ω1ist überabzählbar:

Andernfallsist〈ω1,<〉;〈N,<*〉für eine Wohlordnung<* auf N (betrachte die induzierte Wohlordnung eines bijektiven g :ω1 →N).

Dann istα=〈N,<*〉/;Pω1, nach (+) also

〈W(α),<〉 ; 〈N,<*〉 ; 〈ω1,<〉,

also istω1gleichlang zu einem Anfangsstück von sich selbst,Widerspruch.

(3)

Korollar (ordinale Minimalität vonω1)

〈ω1,<〉ist eine kürzeste überabzählbare Wohlordnung:

Ist〈W,<〉eine überabzählbare Wohlordnung, so ist〈ω1,<〉;〈W,<〉oder

〈ω1,<〉a〈W,<〉.

Beweis

Ist〈W,<〉a〈ω1,<〉, so existiert einαPω1mit

〈W,<〉 ; 〈(ω1)α,<〉 = 〈W(α),<〉,

und dann ist insbesondere |W| = |W(α)|, also W abzählbar.

Ziehen wir den Wohlordnungssatz hinzu, so erhalten wir den folgenden für die Theorie der Kardinalzahlen fundamentalen Satz:

Korollar (kardinale Minimalität vonω1)

Sei M eine überabzählbare Menge. Dann ist |ω1|≤|M|.

Beweis

Sei< eine Wohlordnung von M nach dem Wohlordnungssatz.

Nach dem Korollar ist〈ω1,<〉;〈M,<〉oder〈ω1,<〉a〈M,<〉.

In beiden Fällen ist dann insbesondere |ω1|≤|M|.

So wie wir alle nPNundNselbst als Kardinalzahlen betrachtet haben, können wir nun auchω1als Kardinalzahl auffassen (indem wirω1als Zeichen für alle mit der Mengeω1

gleichmächtigen Mengen einführen, vgl. Kapitel 2 in Abschnitt 1).

Die Ordinalzahlen sind durch< wohlgeordnet, und es ist gefahrlos, die er- sten Ordinalzahlen mit den natürlichen Zahlen zu identifizieren, wobei wir dann streng genommen Repräsentanten von Äquivalenzklassen mit Äquiva- lenzklassen verwechseln. Weiter schreiben wir ω für die kleinste unendliche Ordinalzahl. Nach unserer Definition gilt dannω=〈N,<〉/;mit der üblichen Ordnung aufN, und wir könnenωmitNidentifizieren, wenn wir möchten.

Allgemein sei dem Leser geraten, sich unter einer abzählbaren Ordinalzahl die

„Länge“ oder den „Ordnungstyp“ einer aus natürlichen Zahlen bestehenden Wohlordnung vorzustellen, und nicht eine komplexe Äquivalenzklasse von gleichlangen Wohlordnungen auf Teilmengen vonN(vgl. etwa die Konstruk- tion von Rüber Äquivalenzklassen von Fundamentalfolgen in Q). Diese An- schauung will die hier vorgestellte Konstruktion gerade vermitteln:

Die endlichen Ordinalzahlen sind die natürlichen Zahlen. Die abzählbar unendlichen Ordinalzahlen sind alle Zahlen (im Sinne von „Typen“, „Längen“), die man erhält, wenn man die natürlichen Zahlen anders anordnet, aber ihre Wohlordnungseigenschaft beibehält. Weiter istω1die kleinste Zahl, die größer als alle abzählbaren Zahlen ist, d.h.

ω1ist das Supremum aller abzählbaren Zahlen.

So kann man etwaNneu wohlordnen, indem man zuerst alle geraden Zahlen und dann alle ungeraden Zahlen aufzählt. Man erhält so eine Ordinalzahl, die man alsω+ωbezeichnen würde. Formal istω+ωdie Äquivalenzklasse modulo

(4)

„gleichlang“ der Wohlordnung〈N,<*〉mit<* = { (n, m)PN2 | n ist gerade und m ist ungerade oder n und m haben gleiche Parität und es gilt n<m inN}.

Die Ordinalzahlreihe bis einschließlichω1verläuft dann schematisch etwa so:

0, 1, 2, 3, …,ω,ω+ 1, …,ω+ω,ω+ω+ 1, …,α,α+ 1, …, …, …,ω1. Die dreimal wiederholten Pünktchen inα,α+ 1, …, …, …,ω1bezeichnen in der Tat einen weiten Weg:

Übung

Sei A⊆ ω1abzählbar. Dann ist sup(A)< ω1(bzgl. der Ordnung〈ω1,<〉).

ω1kann also nicht in abzählbar vielen Schritten „von unten“ erreicht werden.

Umgekehrt gilt:

Übung

Seiλ < ω1ein Limeselement. Dann gibt es eine Folge〈αn| nPN〉inω1mit:

(i) αn < αn + 1 < ω1 für alle nPN, (ii) λ = supnPNαn.

[ Sei g : N →W(λ) bijektiv. Setzeβn= max({ g(k) | k≤n }) für nPN. Ausdünnung von〈βn| nPN〉liefert eine Folge wie gewünscht. ]

Wir diskutieren noch kurz, wie man weitere Ordinalzahlen konstruieren kann.

Der nächste Schritt wäre die Konstruktion von〈ω2,<〉, einer kürzesten Wohlord- nung mit der Eigenschaft |ω1|<|ω2|. Wir setzen hierzuω2=*(ω1)/;, wobei jetzt*(ω1) = {〈A,<〉|〈A,<〉ist eine Wohlordnung und A⊆ ω1 }. Ansonsten bleibt alles gleich.ω2können wir wieder als das Supremum der Zahlen (Längen, Typen) verstehen, die wir durch eine wohlgeordnete Umordnung vonω1erhal- ten. Iteriert man die Idee, so sind die Indizes der Reiheω123, … wieder wohlgeordnet. Eine Definition, die alle Ordinalzahlen auf einen Schlag einfängt, erscheint nun wünschenswert. Als kanonische Definition entpuppte sich (vgl.

[von Neumann 1923] ): x heißt einevon-Neumann-Zermelo-Ordinalzahl, falls gilt:

(i) x ist transitiv, d. h. für alle yPx ist y⊆x,

(ii) 〈x,P〉ist eine Wohlordnung (mit〈x,P〉=〈x, { (a, b)Px2 | aPb }〉).

Die Elementrelation übernimmt also für alle Ordinalzahlen uniform die Auf- gabe der Wohlordnung. Unter dieser Definition gilt dannα < βgenau dann, wennαPβ, und wir erhalten W(α) = {β|β < α} = {β|βPα} =α. Alles in allem ergibt sich ein sehr geschmeidiger Kalkül. Diese Definition zu motivie- ren und zu entwickeln ist etwas aufwendiger als die hier vorgestellte und für unsere Zwecke vielleicht sogar besser geeignete Hartogsmethode. Die Har- togsmethode bleibt auch unter der allgemeinen Definition nach von Neumann und Zermelo wichtig als eine Methode zur Konstruktion langer Wohlordnun- gen, die das Auswahlaxiom nicht heranzieht. Die Vorstellung einer abzählbaren transfiniten Zahl als einer wohlgeordneten Umordnung vonNfördert darüber hinaus das Verständnis des Begriffs.

(5)

Nachfolgerordinalzahlen und Limesordinalzahlen Definition (Nachfolgerordinalzahlen und Limesordinalzahlen)

Die Nachfolgerelemente der Wohlordnung〈ω1,<〉heißen

Nachfolgerordinalzahlen,die Limeselemente heißenLimesordinalzahlen oder kurzLimiten.

Die Unterscheidung in Nachfolger- und Limeselemente ist Wohlordnungen so eigentümlich, dass die Induktion und Rekursion über eine Wohlordnung sich in den meisten Fällen dieser Unterscheidung anpasst. Fürω1lautet eine Form der Induktion etwa:

Sei A⊆ ω1, und es gelte:

(i) 0PA. (Induktionsanfang)

(ii) Für alleα < ω1gilt: IstαPA, so ist auchα+ 1PA. (Induktionsschritt) (iii) Für alle Limitenλgilt: Ist W(λ)⊆A, so ist auchλPA. (Limesschritt) Dann gilt A =ω1.

Eine analoge dreiteilige Form gilt für die Rekursion. Speziell für Rekursionen überω1definiert man in zahllosen Fällen:

(i) G(0),

(ii) G(α+ 1) mit Rückgriff auf G(α) für alleα < ω1,

(iii) G(λ) mit Rückgriff auf G|W(λ) für alle Limitenλ < ω1.

Ein Beispiel für eine solche dreiteilige Rekursion wollen wir nun genauer be- trachten, und es ist in der Tat mehr als nur irgendein Beispiel. Es ist der Amboss, auf dem die Ordinalzahlen geschmiedet wurden, und zusammen mit der Entdek- kung der Überabzählbarkeit vonRbrachte es die moderne Mathematik ins Rol- len.

Iterierte Ableitungen

Als erstes Beispiel für die Verwendung vonω1studieren wir die iterierte Ablei- tung einer abgeschlossenen Punktmenge eines polnischen Raumes.

Definition (iterierte Ableitung für abgeschlossene Mengen)

Sei-=〈X,<〉ein topologischer Raum, und sei P⊆X abgeschlossen.

Wir definieren durch Rekursion überω1: P(0) = P,

P+ 1) = P(α)′ = { xPP(α)| x ist Häufungspunkt von P(α)} fürα < ω1, P(λ) =

>

α < λP(α) für Limesordinalzahlenλ < ω1.

Dann ist〈P(α)|α < ω1〉eine⊆-absteigende Folge von abgeschlossenen Teil- mengen von X, d. h. es gilt: Istβ < α, so ist P(α)⊆P(β). (Dies zeigt der Skeptiker durch Induktion überα > β, bei festemβ < ω1.)

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