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COP 26. Sozialismus.deHeft EUR 8,00 C UN CLIMATE CHANGE CONFERENCE. Forum Gewerkschaften

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Sozialismus .de Heft 11-2021 | EUR 8,00 | C 12232 Monatlich Hintergründe, Analysen und Kommentare | täglich im Netz

Julika Bürgin: Bildung und Eigensinn in Sprockhövel Jörg Köhlinger u.a.:

Conti – jetzt gibts Contra!

Beiträge u.a. von

Klaus Dörre, Micha Brumlik, Michael Brie, Hartmut Reiners, Michael Wendl, Joachim Bischoff, Gerd Siebecke, Björn Radke, Hinrich Kuhls, Bernhard Müller

Gewerkschaften Forum

UN CLIMATE CHANGE

CONFERENCE

COP 26 Dies ist ein Artikel aus der Monatszeitschrift Sozialismus.de.

        Informationen

 über den  weiteren  Inhalt  finden  Sie unter  

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Heft Nr. 11 | November 2021 | 48. Jahrgang | Heft Nr. 466

Umgepflügte Parteienlandschaft

Joachim Bischoff/Gerd Siebecke:

»Fortschrittskoalition« – eine Ampel mit starkem Gelblicht . . . .2 Joachim Bischoff/Bernhard Müller:

Aufwind für die sozialpatriotische AfD . . . .6

Modernisierungsfelder

Björn Radke: 1,5 Grad-Ziel kaum zu halten

Vor dem Klima-Gipfel in Glasgow . . . .10 Bernhard Müller:

Schlüsselthema Mindestlohn . . . .16 Hartmut Reiners: Was können wir erwarten, was steht an?

Gesundheitspolitik einer Ampelkoalition . . . .22

Interregnum

Klaus Dörre: Nach der Wahl –

Bonapartismus, Nachhaltigkeit und die Zukunft der Linken . . . 26 Joachim Bischoff: 2020 – Krisenjahr des Neoliberalismus

Kein Kipppunkt oder Ende des Interregnums (zu Adam Tooze neuem Buch) . . . 32

Europäische Sozialdemokratie im Aufwind?

Michael Wendl: Der stille Aufstieg einer Partei

Erfindet sich die Sozialdemokratie neu? .. . . 39 Hinrich Kuhls: Die Labour Party im Umbruch

Ein Parteitag als Prisma . . . 43

Otto König: Kampf um die Köpfe

50 Jahre IG Metall Bildungszentraum Sprockhövel . . . 49 Julika Bürgin: Bildung und Eigensinn

Unabgegoltene Aufgaben der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit . . . 51 Jörg Köhlinger/Matthias Ebenau/Sebastian Fay/Uwe Zabel:

Conti – jetzt gibt’s Contra | Massenentlassungen und Sozialtarifbewegungen im Continental- und Vitesco-Konzern . . . 56 Philippe Haller/Sascha Küfner: Am Scheideweg? – Eine Befragung der

Leser:innen des »Forum Gewerkschaften« | Ausgewählte Ergebnisse . . . 60

Würdigungen

Micha Brumlik: Rassismus und Antisemitismus – Anmerkungen zum geschichts- politischen »Kurswechsel« des isrealischen Außenministers Jair Lapid . . . 66 Michael Brie: »Ist das nicht der, der genau weiß, dass es nicht geht,

und es trotzdem tut?« – Dieter Klein zum 90. Geburtstag . . . 69

Impressum | Tipps | Film

Impressum . . . 67 Tipps zum Hingehen und Anhören . . . 72 Jan Dreier: The French Dispatch (Filmkritik) . . . .73

Gewerkschaften Forum

Aktuelle Analysen ohne

Paywall

veröffentlicht die Redaktion zwischen den monatlichen Printausgaben im Netz auf

www.Sozialismus.de Suche nach Erneuerung

DIE LINKE steckt nach dem Absturz bei der Bundestagswahl (die 5% Hür- de mit 4,9% gerissen und nur dank dreier Direktmandate im Parlament) in einer existentiellen Krise. Die Par- tei führe einen »Überlebenskampf«, so die Co-Partei-Chefin Susanne Hennig-Wellsow.

Akkumulation nach der Pandemie

Eine Gruppe deutscher Institute hat ihre gemeinsame Prognose für Deutschland für 2021 gesenkt. Die Wirtschaftsforschungsinstitute ge- hen von einem Anstieg des Brutto- inlandsprodukts (BIP) um 2,4% in diesem Jahr aus – nach prognosti- zierten 3,7% im Frühjahr.

Erholung der USA-Ökonomie mit Stolpersteinen

In den USA hat sich die wirtschaftli- che Erholung auch in den ersten Mo- naten der zweiten Jahreshälfte fort- gesetzt. Im zweiten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Quartalsvergleich um 1,6% zu und übertraf damit erstmals den Vorpan- demiestand.

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Wie Abonnent:innen und Leser:innen das konkret machen könnten, steht ebenfalls unter

www.Sozialismus.de

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Gewerkschaften Forum

Beirat: Heinz Bierbaum, Ulrich Brinkmann, Günter Busch, Frank Deppe, Richard Detje, Christoph Ehlscheid, Michael Erhardt, Klaus Peter Kisker, Dieter Knauß, Jörg Köhlinger, Otto König, Klaus Pickshaus, Lilo Rade - ma cher, Sabine Reiner, Bernd Riexinger, Heidi Scharf, Manfred Scher- baum, Michael Schlecht, Gabriele Schmidt, Horst Schmitthenner, Sybille Stamm, Hans-Jürgen Urban, Gerhard Wick, Jörg Wiedemuth

Kampf um die Köpfe

50 Jahre IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel von n Otto König

»Der bildungspolitische Auftrag, der sich aus der unmittelbaren Interessen- lage unserer Mitglieder im Produktions- prozess ergibt, kann und darf nicht zur Anpassung oder zur Vermittlung von Befriedungstechniken aufgefasst wer- den. Es geht nicht darum, sich immer und stets anzupassen, sondern es geht letztlich um die Aneignung eines grö- ßeren Freiheitsspielraumes, um mehr Rechte, um weniger Bevormundung und um mehr Demokratie«, so umriss der IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner bei der Einweihung des Bildungszentrums

Sprockhövel am 3. September 1971 den Bildungsauftrag der Gewerkschaften.

50 Jahre später stellt Julika Bürgin in ihrer Festrede in Sprockhövel fest: »Als aus der Zeit gefallen gilt vielen heute die Vorstellung, mit gewerkschaftlicher Bil- dung die Gesellschaft verändern zu kön- nen. Aber um nicht weniger ging es. Den Gewerkschaften wurde zugetraut, einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, die Gesellschaft grundsätzlich zu reformie- ren oder sogar zu revolutionieren. […]

Vor einem halben Jahrhundert ging es auch um einen originären Bildungsbe-

griff der Arbeiterbewegung. Die Eman- zipation der Klasse sollte schließlich die Klassengesellschaft aufheben.«

Fakt ist: Die Bildungsarbeit der IG Metall definiert sich seit den 1970er Jahren als »Zweckbildung« für die so- zialen Auseinandersetzungen. Ihr Ziel ist es, die Teilnehmer:innen zum gesell- schaftspolitischen Engagement zu befä-

Otto König ist Mitherausgeber von Sozialis- mus.de. Er arbeitete von 1971 bis 1980 als pä- dagogischer Mitarbeiter im Bildungszentrum, bevor er zum Ersten Bevollmächtigten in Hat- tingen gewählt wurde.

IG Metaller:innen vor dem Bildungszentrum (Foto: Thomas Range/IG Metall Herford)

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higen. Dieser programma- tische An- spruch geht davon aus, dass die Bildungsarbeit die konkreten Erfahrungen in der betriebli- chen und gesellschaftlichen Realität auf- greift, Eckpunkte einer Kapitalismuskri- tik vermittelt und daraus abgeleitet, die Teilnehmer:innen zu kollektiver Hand- lungsfähigkeit ermächtigt.

Ein Blick zurück: Im Jahr 1965 hatte die IG Metall auf dem 8. ordentlichen Gewerkschaftstag in Bremen den Bau einer weiteren Bildungsstätte beschlos- sen. Die Kapazitäten an den zentralen Bildungsstätten Lohr am Main, Heide- hof/Heidekrug (Dortmund) und der Ju- gendbildungsstätte Pichelsee (Berlin) reichten nicht mehr aus. Am 1. August 1968 war es so weit: Im westfälischen Sprockhövel wurde der Grundstein für das größte Bildungszentrum gelegt.

Dass das am Rande des Ruhrgebiets ge- schehen ist und nicht wie ursprünglich vorgesehen in der »heimlichen Landes- hauptstadt von NRW«, Dortmund ist der geschickten Strategie der beiden ge- schäftsführenden Vorstandsmitglie- der Willi Michels und Heinz Dürrbeck zu verdanken. Willi Michels, zustän- dig für das Stahlbüro, stellte den Kon- takt zur Gemeinde her. »Amtsdirek- tor und Bürgermeister von Sprockhövel standen zum Empfang bereit und ge- leiteten die Gewerkschafter zum alten Kauerhof. Das waldreiche, für Bildung und Erholung wie geschaffene Gelände

tall-Seminaren zwischen 1962 und 1972 von etwa 2.700 auf knapp 14.000 ver- fünffacht, sind es heute pro Jahr rund 40.000 Teilnehmer:innen in allen Bil- dungszentren, zusammen mit der regi- onalen Bildungsarbeit ca. 100.000. Da- mit entwickelte sich die Gewerkschaft zu einem der größten Anbieter politischer Bildung und das IG Metall Bildungszen- trum Sprockhövel zur »politischen Ka- derschmiede für ganze Generationen«

(Jörg Hofmann).

Tatsächlich kommt der politischen Bildungsarbeit heute eine gewachsene Bedeutung für die Zukunft der Gewerk- schaft zu. Zurecht führt Julika Bürgin aus: »Die IG Metall Bildungsarbeit hat immer wieder Anstöße gegeben, ›Utopie [zu] denken [um] Realität [zu] verän- dern‹. (…) Nur die Aussicht auf eine an- dere Praxis und eigene Handlungsfähig- keit motiviert zur Anstrengung, die Welt und sich selbst neu zu betrachten.« In- soweit ist gewerkschaftliche Bildungsar- beit ein fortwährender »Kampf um die Köpfe«.

1 Frank Bünte: Willi Michels – Ein Leben für den Neuanfang, Dortmund 2008.

2 Zur politischen Biografie des später in das Visier des Inlandsgeheimdienstes gerate- nen Dürrbeck: Edith Grosspietsch/Georg Benz (Hrsg.), »Wissen um zu handeln«, Ein Buch der Solidarität mit Heinz Dürrbeck, Steidl Verlag Göttingen 1998.

3 Im September 2011 wurde auf dem gleichen Gelände ein Neubau mit fünf variabel belegba- ren Seminarräumen und 24 Arbeitsgruppen- räumen auf einer Grundfläche von 256.000 m² eingeweiht.

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Das neue Buch von Frank Deppe

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368 Seiten |

29.80 | erscheint im Oktober ISBN 978-3-96488-116-8

Frank Deppe untersucht die mögliche Wieder- belebung des Sozialismus in drei großen Abschnitten: Zunächst im Rückblick auf die Geschichte des modernen Sozialismusbegriffs seit der Erklärung der Menschenrechte im 19. Jahrhundert, anschließend mit Blick auf das Verhältnis Klasse – Partei – Staat, insbesonde- re im realen Sozialismus des 20. Jahrhunderts, und schließlich als Perspektive in einer »Welt des Aufruhrs«.

Im Buchhandel oder direkt bei:

VSA: Verlag, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg, info@vsa-verlag.de www.vsa-verlag.de

dicht am Rande des Reviers mit 26 Ver- waltungsstellen und 750.000 Mitglie- dern im Umkreis von 50 Kilometern ge- fiel den Metallern (um Otto Brenner) auf Anhieb.«1

Mit großem Engagement trieb Heinz Dürrbeck,2 von 1962 bis 1972 für die ge- werkschaftliche Bildungsarbeit der IG Metall zuständig, den Aufbau des Zen- trums voran. Für ihn war der Wider- spruch zwischen Demokratie im Staat und fehlender Wirtschaftsdemokratie offensichtlich: Menschen in der Arbeits- welt, so Dürrbeck, sollten nicht mehr als »stumme Befehlsempfänger« be- handelt werden, sie sollten »mitdenken und mitbestimmen«. Durch die gewerk- schaftliche Bildungsarbeit sollten sie be- fähigt werden, »sich als aktive, kritische Demokraten mit einer eigenen Meinung und einem eigenen Urteil zu bewähren«.

Mit der Eröffnung des Bildungs- zentrums mit acht Lehreinheiten,3 da- rin integriert zum ersten Mal zwei Jugendeinheiten, konnte die IG Me- tall ihr Seminarangebot für Betriebs- ratsmitglieder, Vertrauensleute und Jugendvertreter:innen deutlich aus- weiten. Der Zeitpunkt war klug ge- wählt: Ende 1971 wurde das novellierte Betriebsverfassungsgesetz im Bun- destag in Bonn verabschiedet. Mit In- krafttreten des Gesetzes wurde die lang- jährige gewerkschaftliche Forderung nach bezahltem Bildungsurlaub für Be- triebsratsmitglieder und Jugendver- treter realisiert. Hatte sich die Zahl der Teilnehmer:innen an zentralen IG Me-

Gewerkschaften Forum

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Bildung und Eigensinn

Unabgegoltene Aufgaben der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit von n Julika Bürgin

Wäre es gekommen, wie bei der Grün- dung des IG Metall Bildungszentrums Sprockhövel beabsichtigt, stünde hier wohl eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler einer Hochschule oder Universität, die substanziell zur Bil- dungsarbeit der Gewerkschaften arbei- tet. In fünf Jahrzehnten wären bedeut- same wissenschaftliche Erkenntnisse produziert worden, in einem intensi- ven Austausch mit der Bildungspra- xis. Wir wüssten viel – Theoretisches und Empirisches – über Inhalte und pädagogische Konzepte sowie über die Wechselwirkungen von Bildungsarbeit und gewerkschaftlicher Praxis auf be- trieblicher und gesellschaftlicher Ebene.

Die gewerkschaftliche und die wissen- schaftliche Logik hätten sich aneinander gerieben, und die notwendigen Konflik-

ren Architektur verwirklichte: Es sollte aufklären »über gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge«. Das sei »keine Fra- ge des bloßen Lernens mehr, sondern eine Frage der Erziehung zu politischem und soziologischem Denken«. Die Er- füllung dieser »Erziehungsziele« setze

»eine enge Zusammenarbeit mit Institu- ten und Hochschulen voraus«, heißt es in den Dokumenten.1 Das Bildungszen- trum sollte die Isolierung der gewerk- schaftlichen Bildungsarbeit von den te wären selbst als Quellen der Erkennt-

nis genutzt worden. Das Wissen wäre zurückgeflossen in die Bildungsarbeit und damit der gewerkschaftlichen Pra- xis zu Gute gekommen, die Bildungs- arbeit als zentrale Organisationsauf- gabe versteht. Wäre es so gekommen, könnten heute die spezifischen Leistun- gen des IG Metall Bildungszentrums Sprockhövel im letzten halben Jahrhun- dert auch wissenschaftlich bilanziert und gewürdigt werden.

Der Auftrag: »Erziehung zu politischem und soziologischem Denken«

Das Bildungszentrum Sprockhövel er- hielt einen anspruchsvollen Auftrag, der sich schließlich auch in einer besonde-

Julika Bürgin ist Professorin an der Hoch- schule Darmstadt, Fachbereich Soziale Arbeit.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um die ge- ringfügig gekürzte Festrede zu 50 Jahre IG Me- tall Bildungszentrum Sprockhövel am 3. Sep- tember 2021.

1 Wettbewerbsunterlage für die Errichtung eines Bildungszentrums in Sprockhövel, 3.

März 1966. In: IG Metall o.J., S. 68f.

Vertrauenleute-Klausur der IG Metall Herford Foto: Thomas Range/IG Metall Herford)

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Hochschu- len, wie sie in Deutschland vorherrsch- ten, überwinden. »Eine produktive Zu- sammenarbeit mit einzelnen pädago- gischen und sozialwissenschaftlichen Instituten ist erforderlich.«

Es ist – nach einer kurzen Blütezeit – anders gekommen. Forschungsinstitute, die sich im Zentrum der gewerkschaftli- chen Bildung bzw. der Arbeiterbildung widmeten, wurden abgewickelt. Die Dis- kurse wurden seltener, die Veröffentli- chungen auch. Forschungsbasierte wis- senschaftliche Erkenntnisse über die Bildungsarbeit der Gewerkschaften sind heute Mangelware. Bildungswissen- schaft und -politik interessieren sich kaum noch für die Bildungsarbeit der Gewerkschaften, die als ein Träger un- ter vielen gelten. Gewerkschaftliche Bil- dungsarbeit wird im Bildungsdiskurs auch kaum noch als politische Bildung zur Kenntnis genommen, wozu auch die gewerkschaftlichen Stiftungen beigetra- gen haben. Im aktuellen Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung er- scheint die gewerkschaftliche Jugend- bildung als Unterpunkt beruflicher Bil- dung.

Außenstehende und Nachgeborene verwundert heute vielmehr, dass ge- werkschaftliche Bildungsarbeit vor ei- nem halben Jahrhundert ein sol- ches Gewicht hatte – nicht nur für die Gewerkschaften selbst –, dass sich Wissenschaftler:innen und Intellektu- elle für die gewerkschaftliche Bildungs- arbeit interessierten – und umgekehrt.

Als aus der Zeit gefallen gilt vielen heute die Vorstellung, mit gewerkschaftlicher Bildung die Gesellschaft verändern zu können. Aber um nicht weniger ging es.

Den Gewerkschaften wurde zugetraut, einen wesentlichen Beitrag dazu zu leis- ten, die Gesellschaft grundsätzlich zu re- formieren oder sogar zu revolutionieren.

Dass es eben andere Zeiten wa- ren, Ende der 1960er Jahre, als das Bil- dungszentrum beschlossen und ge- plant wurde, könnte man aus heutiger Sicht knapp feststellen, die Dokumente den Historiker:innen übergeben, den Zeitzeug:innen noch etwas Nostalgie gestatten und sich wieder den aktuel- len Themen zuwenden. Das kann tun,

gegen auf den Mars, dessen Polkappen er mit Wasserstoffbomben schmelzen will, sodass er warm genug zum Leben wird. Ganz offensichtlich besteht der Vorteil darin, dass sich Menschen ohne Ticket nicht mit Schlauchboten dorthin auf den Weg machen können. Wer weiß schon, ob die Menschen ihre Regierun- gen weiter mandatieren werden, Gren- zen vor anderen Menschen zu sichern.

Andererseits ist völlig offen, ob wir dann weiter in Demokratien leben oder in au- tokratischen Staaten, die vielleicht noch Demokratien heißen, aber in denen die Sicherheitspolitik das Ruder vollständig übernommen hat.

Sind die britischen Forscher:innen, der Industrielle und die Strateg:innen der Sicherheitsordnung »gebildet«, weil sie die Zusammenhänge verstehen?

Oder ist Bildung unverträglich mit ei- ner Praxis, die ruiniert, was anzueignen wäre? Wenn aber Bildung als Aneig- nung von Welt das Bewahren der Welt voraussetzt, wo beginnt und wo endet dann Bildungsarbeit?

Für die Gewerkschaften ist die Frage einerseits schnell zu beantworten: Für sie ist Bildung immer Zweckbildung für eine Verbesserung der Arbeits- und Le- bensverhältnisse (vgl. Bürgin 2013).

Andererseits führt sie die Frage in ein Konfliktfeld, denn in Gewerkschaf- ten organisieren sich Menschen, um ei- nen höheren Anteil aus der Verwer- tung der lebendigen und der in Kapital verwandelten Arbeitskraft zu erlangen.

Sie organisieren sich wegen und gegen die Verwertungslogik, aber zunächst sind sie in diese Logik verwickelt – die noch aus der Zerstörung ein Investment macht, das sie sich aus Steuergeldern subventionieren lässt.

Klasse, Klassenbewusstsein und Klassenbildung

Was diese spezifische Position von Menschen im Kapitalverwertungspro- zess bedeutet, war ein Dreh- und An- gelpunkt der Diskussionen um gewerk- schaftliche Bildung als Arbeiterbildung.

Denn nicht nur verkaufen viele Einzel- ne ihre Arbeitskraft als Ware, sondern sie konstituieren kollektiv die Klasse der Arbeiter:innen. Sie können durch Ver- weigerung der Arbeitskraft gemeinsam

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wer als erledigt ansieht, wofür das Bil- dungszentrum angetreten ist oder als nicht mehr relevant für die Gegenwart.

Ich teile weder die eine noch die an- dere Auffassung. Ich möchte im Folgen- den vielmehr die These begründen, dass alle grundlegenden Ziele darauf warten, noch erfüllt zu werden.

Von der Utopie zur Dystopie

Stellen wir uns für einen Moment vor, die Aufgaben hätten sich erledigt, Ge- werkschaften und ihre Bildungsarbeit wären überflüssig geworden. Es gäbe keinen Grund mehr, sich als Lohnab- hängige zu organisieren, oder noch weiter gedacht: Niemand wäre mehr abhängig vom Verkauf der eigenen Ar- beitskraft als Ware. Niemand müsste das eigene Arbeitsvermögen gegen phy- sische und psychische Angriffe verteidi- gen. Das Tätigsein wäre nicht mehr ent- fremdet, also keine Lohnarbeit mehr.

Alle könnten in freier Assoziation ihre schöpferischen Kräfte auf den Ge- brauchswert ihrer Produkte richten. Die Produktivkräfte würden eingesetzt, um die Welt menschlich einzurichten und solidarisch die Schäden zu reparieren, die das »Kapitalozän« angerichtet hat, das Erdzeitalter des Kapitals.

Was ist in einem halben Jahrhun- dert passiert, dass diese Vorstellung völ- lig entrückt zu sein scheint? Damals wie heute befand sich der Kapitalismus in einer Krise, aber: Zur Zeit der Pla- nung des Bildungszentrums Sprockhö- vel stand die Utopie im Raum, heute die Dystopie. Das ist der fundamentale Un- terschied – für die Gewerkschaften und für ihre Bildungsarbeit.

Britische Forscher*innen untersu- chen derzeit, wo die Menschen einen Kollaps der Erde am ehesten überleben können. Unter den Top Ten sind Neu- seeland, Irland und Island. Angesichts der Naturkatastrophen wird – wir wis- sen nicht wann – ein dauerhaftes Über- leben nur noch an wenigen Orten mög- lich sein, die sich weitsichtige Menschen mit dem entsprechenden Kapital be- reits sichern. Inseln sind besonders be- gehrt, weil man sie abschotten kann – oder glaubt, dies zu können – gegenüber den Milliarden, deren zu Hause unbe- wohnbar sein wird.2 Elon Musk zielt da-

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den Prozess punktuell oder in Gänze unterbrechen. Klassenbewusstsein be- deutet, so Oskar Negt, »nicht mehr und nicht weniger als die Angemessenheit der Vorstellungen der Menschen an die geschichtlich bedingten objektiven Mög- lichkeiten« (Negt 1981, S. 87). Interes- senlage und Machtressourcen zu erken- nen, verankerte die IG Metall 1972 in einer von 17 Thesen zur Bildungsarbeit.

Vor einem halben Jahrhundert ging es auch um einen originären Bildungs- begriff der Arbeiterbewegung. Die Emanzipation der Klasse sollte schließ- lich die Klassengesellschaft aufheben.

Diese Diskussionen verebbten. Der Ar- beiterbildungsforscher Paul Röhrig re- sümierte im Jahr des 25-jährigen Jubi- läums von Sprockhövel: »Die geistigen und politischen Schlachten zur Arbei- terbildung sind geschlagen, die Ak- ten gleichsam geschlossen und den Ar- chiven zur historischen Erforschung übergeben.« (Röhrig 1996, S. 54) Ge- werkschaften vermeiden es heute, von Klasse, Klassenbewusstsein und Klas- senbildung zu sprechen. Soziologisch zu

che hat Ge- walt über den Menschen und nicht der

Mensch Gewalt über die Sache.« (Brock u.a. 1968, S. 27f.)

Was bedeutet die Arbeit also als Gravitationszentrum für die Gewerk- schaften und ihre Bildungsarbeit, als Gewalterfahrung und Machtpo- tenzial zugleich? Vielleicht denkt die eine oder der andere an das theore- tische Hauptwerk der Zusammenar- beit von Alexander Kluge und Oskar Negt: Geschichte und Eigensinn. Ver- öffentlicht 1981, entwickelten sie eine

»politische Ökonomie der Arbeitskraft«

(Negt/Kluge 1981, S. 270, 1231ff.).

Negt und Kluge »interessiert[e], was in einer Welt, in der es offenkundig ist, dass Katastrophen eintreten, die stoffverändernde Arbeit leistet. Das sind die geschichtlichen Arbeitsvermögen:

Entstanden aus Trennungsprozessen

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denken würde aber bedeuten, die Struk- turkategorien in ihrer heutigen Form zu verstehen und dafür auch weiterent- wickelte Klassentheorien fruchtbar zu machen, die natürlich Geschlecht und transnationale Zusammensetzung be- rücksichtigen und den Personalisierun- gen jeglicher Art entgegenwirken.

Während das Bildungszentrum ge- plant wurde (1967), brachten die Bil- dungsabteilungen der IG Metall und der IG Chemie, Papier, Keramik sowie Ar- beit und Leben Niedersachsen Arbeits- materialien für ihre Bildungsarbeit ent- sprechend dem Entwurf »Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen«

von Oskar Negt und der Sozialwissen- schaftlichen Vereinigung auf den Weg.

Eines der »Hefte« für die Bildungsar- beit widmete sich »Industriearbeit und Herrschaft«. Darin heißt es: »Die Arbeit ist für den Menschen nicht freiwillige Tätigkeit, sondern unerbittlicher Zwang. Er kann der Entfremdung in der Produktion nicht ausweichen, er muss sie hinnehmen. In einem ganz allge- meinen Sinn kann man sagen: Die Sa-

2 Barbara Barkhausen: Die besten Chancen bei der Apokalypse. In: Frankfurter Rundschau 3.8.2021.

VSA: Zwischenrufe – 50 Jahre BildungszentrumSprockhövel

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Petra Wolfram (Hrsg.) Menschen für

Veränderungen gewinnen!

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Richard Rohnert Petra Wolfram (Hrsg.) Jetzt erst Recht!

Spurensuche für eine menschliche Gesellschaft trotz Corona

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Petra Wolfram (Hrsg.) Vorwärts und nichts vergessen!

Aus der Geschichte lernen ZWISCHENRUFE 4 64 Seiten | € 7.00 ISBN 978-3-96488-131-1 Die anlässlich 50 Jah-

re IG Metall Bildungsstät- te Sprockhövel herausgege- benen Bände der Reihe ZWI- SCHENRUFE sollen Impulse für die Gewerkschaftsar- beit geben, richten sich an Praktiker:innen der Bildungs- arbeit und Aktive, sind ge- dacht als Hintergrundlektü- re und für den Einsatz in der konkreten Bildungsarbeit.

Die Herausgeber:innen:

Richard Rohnert leitet das IG Metall Bildungszentrum in Sprockhövel, Petra Wolfram arbeitet als Bildungreferentin im Bildungszentrum, Malte Müller ist Projektmit- arbeiter dort.

Malte Müller/Richard Rohnert/

Petra Wolfram (Hrsg.)

VSA: Spurensuche für eine menschliche Gesellschaft trotz Corona

Jetzt erst recht!

ZWISCHENRUFE 1 Impulse für die Gewerkschafts- arbeit

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VSA:

Herausforderung in unsicheren Zeiten

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Bildungarbeit

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ZWISCHENRUFE 3 Impulse für die Gewerkschafts- arbeit

Malte Müller/Richard Rohnert/

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Vorwärts und nichts vergessen!

ZWISCHENRUFE 4

VSA:

Impulse für die Gewerkschafts- arbeit

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und bewaffnet mit Eigensinn, der sich gegen die Trennungen wehrt.« (Ebd., Vorwort)

Das Individuum sehen Kluge und Negt »einem Zusammenhang gegen- über, den es mit seinen kognitiven, af- fektiven und praktischen Organen und Möglichkeiten nicht wirklich erfah- ren und erfassen kann; es erfährt ledig- lich die Unangemessenheit, die Ohn- macht seiner individuell verfügbaren Mittel gegenüber der Totalität.« Die Ar- beiterbewegung ist der Versuch, »diesen Widerspruch zu beantworten durch so- lidarische Assoziation«. Praktisch aber ist der Gegner »mit dem gesellschaftli- chen Gesamtverhältnis nicht identisch«.

Aus heutiger Sicht bestätigt sich die von Negt und Kluge betonte Schwierigkeit, wie »stabile gemeinsame Bewegungen zum Zwecke der Aneignung des gesell- schaftlichen Gesamtverhältnisses zu- standekommen« können (ebd., S. 103).

Aber der Eigensinn blieb und er bleibt, als Ausgangspunkt aller indi- viduellen und gesellschaftlichen Pro- zesse und als Antwort auf alle Zumutun- gen; was noch nichts darüber aussagt, wie die Antworten ausfallen. »Nach mir die Sintflut« ist auch Eigensinn. Weil aus dem Gesamtzusammenhang von selbst gerade kein Verständnis des Zu- sammenhangs, kein Zusammenhang- wissen und auch keine Vernunft resul- tieren, ist die Analyse bei Oskar Negt so eng verbunden mit dem Engagement für Bildung, bei Alexander Kluge für die Kunst.

Die heutige Lage der Welt zeigt uns, wie relevant die Fragen waren, die vor einem halben Jahrhundert gestellt wur- den, wie wichtig die theoretische An- strengung und natürlich alle Prakti- ken der Aneignung und Humanisierung.

Die Kritik der politischen Ökonomie, der Ökonomie der Arbeitskraft, Gesell- schafts- und Kulturtheorie sollten Wege eröffnen, die Verhältnisse zu verstehen, um sie zu verändern. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, außer eben, dass konkrete Utopien abhanden gekommen sind, die den gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen angemessen sind.

Für Bildungsarbeit ist das ein Un-

Bildung überwindet den Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit nicht, sondern Bildung verarbeitet ihn.

So verstandene Bildung ist kein Hebel für eine Veränderung der Verhältnisse, sondern »fortschreitende Befreiung des Menschen zu sich selbst« (Heydorn 2004, S. 273). Anders als der deutsche Bildungsidealismus meinte Heydorn da- mit aber keinen rein innerlichen Pro- zess. Im Gegenteil: Es stellt sich »die Frage nach neuen Formen der Ausein- andersetzung, die den Bedingungen an- gemessen sind«. (Ebd., S. 265)

Wenn die Verhältnisse anders ge- dacht werden können, als sie sind, kön- nen sie gesehen werden, wie sie sind.

Das ist der innere Zusammenhang zwi- schen Utopie und Kritik. Die IG Me- tall Bildungsarbeit hat immer wieder Anstöße gegeben, »Utopie [zu] denken [um] Realität [zu] verändern«, wie etwa der Titel eines von Klaus Ahlheim und Horst Mathes herausgegebenen Sam- melbandes lautet. In den zehn Jahren seit Erscheinen des Buches haben sich abermals Verhältnisse verändert, nun für die politische Bildungsarbeit selbst – auch die gewerkschaftliche, wie ich be- haupte.

Dass die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften und ihrer Bildungs- arbeit von politischen Rahmenbedin- gungen abhängen, muss hier nicht wei- ter erläutert werden. Gewerkschaften haben deshalb für Demokratisierung ge- kämpft, für Koalitionsfreiheit, Tarifau- tonomie und umfassende Grundrechte.

Mit guten Gründen engagierte sich der DGB, konsequenter aber insbesondere die IG Metall in den 1960er Jahren, ge- gen die Notstandsgesetze. Der IG Me- tall-Gewerkschaftstag beschloss im Oktober 1960, allen Plänen einer Not- standsgesetzgebung »notfalls mit al- len gesetzlichen Mitteln, einschließ- lich des Streiks entgegenzutreten« (zit.

n. Schneider 1986, S. 485). Der Gene- ralstreik wurde erwogen. Die verfas- sungsändernde Notstandsgesetzge- bung wurde dennoch, mit Änderungen, 1968 durch die Große Koalition be- schlossen. 1972 folgte der Radikalen- erlass mit Berufsverboten für tausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst, insbesondere linke Lehrer:innen und Wissenschaftler:innen – einige von ih- terschied ums Ganze, denn warum soll

man das Grundlegende verstehen, wenn man ihm ohnmächtig gegenübersteht?

Der eigensinnige Widerstand gegen Bil- dung zeigt die Grenzen der Bildungs- arbeit auf. Nur die Aussicht auf eine andere Praxis und eigene Handlungsfä- higkeit motiviert zur Anstrengung, die Welt und sich selbst neu zu betrachten.

Die Aufgabe: Demokratisierung der Gesellschaft

Wirklich etwas verändern zu können, hat vor einem halben Jahrhundert al- les befeuert, die Seminare ebenso wie die Debatte um Konzepte. Die Bildungs- konzeptionen waren hochumstritten, weil es die gesellschafts- und gewerk- schaftspolitischen Perspektiven waren:

Arbeiterselbstorganisation oder Zentra- lismus, um es etwas grobschlächtig ge- genüberzustellen, beide allerdings auf eine vorstellbare Veränderung der wirt- schaftlichen und sozialen Wirklichkeit gerichtet. Ob die Bedeutung von Bil- dungsarbeit überschätzt wurde, wird sich nie mehr ermitteln lassen, aber ihr Eigensinn wurde so hoch eingeschätzt, dass die Thesen zur Bildungsarbeit ein Jahr nach Eröffnung des Bildungszent- rums Organisationsdisziplin verordne- ten.

Was kann man heute damit anfan- gen?

Drei Jahre nach Eröffnung des IG Metall Bildungszentrums Sprockhövel schrieb der kritische Bildungstheoreti- ker Heinz-Joachim Heydorn seinen letz- ten Text unter dem Titel »Überleben durch Bildung. Umriss einer Aussicht«.

Inmitten einer politischen Reformphase also, allerdings schon verhärtet, nach Notstandsgesetzen und Radikalener- lass. Heydorn schätzte die Verhältnisse der Gesellschaft wie der Bildung über- aus skeptisch ein: Er diagnostizierte eine Revolutionierung der Produktiv- kräfte und gleichzeitig eine auch psychi- sche Verelendung der Gesellschaft und ihres menschlichen Gehaltes, Überfluss bei gleichzeitigem Hunger, eine Unfä- higkeit, die Ressourcen und technischen Möglichkeiten für ein humanes Leben zu nutzen. Gerade aus diesem Wider- spruch ergab sich für ihn jedoch die Be- deutung von Bildung.

Gewerkschaften Forum

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nen konnten später bei der IG Metall ar- beiten, die auch die noch immer ausste- hende Rehabilitierung der Betroffenen fordert.

Aber dies sollte nicht das Ende der Aushöhlungen von Demokratie sein.

Seit 2001 wird in Deutschland eine um- fassende Sicherheitsarchitektur er- richtet, die in der letzten Dekade auch die politische Bildungsarbeit integriert hat. Dies reicht vom Einsatz des Ver- fassungsschutzes gegen Bildungsträ- ger und ihre Mitarbeiter:innen, über die staatliche Kontrolle von Bildungsin- halten im Rahmen von Demokratieför- derprogrammen bis zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Bildungsträ- gern. Der Bundesfinanzhof entzog At- tac die Gemeinnützigkeit, weil die po- litische Bildungsarbeit des Vereins auf die politische Willensbildung Einfluss nehme. Mit diesem Argument könnte die Gemeinnützigkeit aller gewerk- schaftlichen Bildungsträger aberkannt werden. Laute Proteste blieben bisher aus. Vielleicht denken die Gewerkschaf- ten, dass es sie nicht treffen kann. Das könnte sich nicht nur als Irrtum heraus- stellen, sondern schon jetzt wird ein ge- sellschaftlicher Preis bezahlt: Was dür- fen wir noch sagen? Mit wem können wir kooperieren, ohne uns selbst einem Verdacht auszusetzen? Wen können wir einstellen?

Vielleicht werden die Angriffe gegen eine kritische politische Bildungsarbeit auch deshalb nicht ernst genommen, weil sie absurd erscheinen. Schließlich steht keinerlei Revolution vor der Tür – wie auch immer man das bewerten will.

Man ist geneigt, die Sicherheitsbehör- den und -politiker:innen für paranoid zu halten. Das mögen sie sein, aber eben nicht nur. Sie bereiten sich vielmehr auf einen Zustand vor, in dem sich Krisen und Katastrophen zuspitzen, und etablieren eine Ordnung, um diesen zu beherrschen. Präventionslandschaften werden etabliert und repressiv abgesichert. Die zentralen Konzepte – allen voran das Extremismusmodell – werden über die Zivilgesellschaft einge- speist, auch durch Förderprogramme für politische Bildung. Behauptet wird, Demokratie zu verteidigen, aber was hier durchgesetzt werden soll, ist ein de- zimiertes Demokratieverständnis. Wie

muss in po- litischen Bil- dungsprozes- sen gefunden

und in der Praxis verwirklicht werden.

Dass die Gewerkschaften bedeutend sein können, das gilt nicht nur im Rück- blick, sondern unter veränderten Be- dingungen heute, vielleicht sogar mehr denn je.

Ich wünsche dem IG Metall Bildungs- zentrum Sprockhövel für die nächsten 50 Jahre, dass sein Auftrag neu entdeckt wird, um sich allen offen gebliebenen und allen neu entstandenen Fragen zu- wenden zu können, um die hilfreichen theoretischen Fäden wieder aufzuneh- men. Ich wünsche Freiraum, damit sich weiterhin Eigensinn entfalten kann – durchdacht und mit kollektiver Ver- nunft ausgestattet. Vielleicht könnte so- gar Wissenschaft etwas dazu beitragen.

Literatur

Bürgin, Julika (2013): Gewerkschaftliche Bil- dung unter Bedingungen indirekter Ar- beitssteuerung – Zweckbildung ohne Ge- währ. Münster.

Bürgin, Julika (2021): Extremismuspräven- tion als polizeiliche Ordnung. Zur Politik der Demokratiebildung. Weinheim.

Brock, Adolf/Hindrichs, Wolfgang/Hoff- mann, Reinhard/Negt, Oskar/Pöh- ler, Willi/Sund, Olaf/Welteke, Reinhard (1968): Industriearbeit und Herrschaft.

Hrsg. von der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen e.V., o.O.

Heydorn, Heinz-Joachim (2004): Überle- ben durch Bildung. Umriss einer Aussicht.

Werke, Band 4. Wetzlar, S. 254-273.

IG Metall (o.J.): Arbeitsheft 714. 25 Jahre Bildungsarbeit der IG Metall 1951-1976.

Frankfurt a.M.

Negt, Oskar (1981): Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie und Praxis der Arbeiterbildung. 7. Auflage, 3. Auflage der überarbeiteten Neuausgabe 1975. Frankfurt a.M./Köln.

Negt, Oskar/Kluge, Alexander (1981): Ge- schichte und Eigensinn. Frankfurt a.M.

Röhrig, Paul (1996): Reminiszenzen zur Ar- beiterbildung anlässlich einer historischen Exkursion. In: Arbeit und Politik. Mit- teilungsblätter der Akademie für Arbeit und Politik an der Universität Bremen Nr.

17/18, 1996. Bremen, S. 54-59.

Schneider, Michael (1986): Der Konflikt um die Notstandsgesetze. In: Gewerkschaftli- che Monatshefte, H. 8, S. 482-494.

Gewerkschaften Forum

schon beim Radikalenerlass greift die sogenannte wehrhafte Demokratie auch heute den Kern der Demokratie an, der im Recht der politischen Minderhei- ten besteht. Dass sie sich als »streitbar«

bezeichnet, kann nur als glatte Lüge durchgehen, denn sie will ja gerade den substanziellen Streit verhindern, der Po- litik ausmacht. Mit Jacques Rancière bezeichne ich diese Ordnung als »poli- zeiliche Ordnung« (vgl. Bürgin 2021).

Der Auftrag der IG Metall an das Bil- dungszentrum Sprockhövel, zu sozio- logischem und politischem Denken zu befähigen, könnte heute den Verfas- sungsschutz auf den Plan rufen, der die Auseinandersetzung mit der Marx’schen Gesellschaftstheorie als extremistisch kategorisiert. Deshalb haben jüngst zwei Bildungsträger ihre Gemeinnützigkeit verloren und wird eine Zeitung offiziell durch den Verfassungsschutz beobach- tet. Ein Angriff auf die Pressefreiheit, natürlich.

Das IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel wurde auch mit der

»erhöhte[n] Verantwortung der Ar- beitnehmer für die wirtschaftliche und politische Demokratisierung der Ge- sellschaft« begründet.3 Gegenüber floskelhaften Bezugnahmen auf De- mokratie, die noch den Demokratieab- bau unter dem Banner der Demokra- tie verkaufen, muss heute festgestellt werden: Der Auftrag ist aktueller, als es Demokrat:innen lieb sein kann. Es geht um die Voraussetzungen für poli- tisches Handeln und für politische Bil- dungsarbeit als Kritik der Verhältnisse in Gesellschaft und Arbeitswelt. Diese Voraussetzungen sind angegriffen, ver- teidigt werden können sie nicht päda- gogisch, sondern politisch. Politische Organisationen – ebenso wie im Übri- gen Wissenschaftler:innen – müssen entscheiden, ob sie hier eine Aufgabe für sich sehen. Bildung als Organisati- onsaufgabe würde bedeuten, dass die Entscheidungsträger:innen auf allen Ebenen auch diesbezüglich zunächst ur- teilsfähig würden.

Menschen haben das Vermögen, sich zu organisieren und solidarisch zu han- deln. Wie die Verhältnisse mensch- lich umgestaltet werden können, diese Antwort existiert nicht. Sie kann daher auch nicht geschult werden, sondern

3 Wettbewerbsunterlage für die Errichtung eines Bildungszentrums in Sprockhövel, 3.

März 1966. In: IG Metall o.J., S. 68f.

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