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Ausländische Studenten in der Bundesrepublik

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(1)

Arun Kotenkar

Ausländische Studenten in der Bundesrepublik

am Beispiel der Universität Frankfurt

Mit einem Vorwort von Prof. Hans Bosse

Einleitung

Waltraud Heidenreich und Dieter Heesemann

Verlag für wissenschaftliche Publikationen

World University Service

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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Kotenkar, Arun:

Ausländische Studenten in der BRD / Arun Kotenkar.

Mit e, Vorw, von H. Bosse, — Darmstadt, Verlag für wissenschaftliche Publikationen 1986

ISBN 3-922981-30-5

© World University Service und

Verlag für wissenschaftliche, Publikationen 1986

ISBN 3-92298 1-30-5

2. Auflage, Übernahme vom Alektor-Verlag Stutgart

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Var nen 4

Einleitung «us seesaserennennnnennanener nennen 5

Teil 1: Sozialisation ausländischer Studenten

Problemstellung . - - = + + Kerrerseeraeerre rer eeree 7

Der Begriff der Identität und Interaktionsprozesse.. . +. ---- 10

Was heißt Sozialisation von ausländischen Studenten... - - - - - - 24 Was bedeutet es, in der Universität ein Ausländer zu sein. ... 50 Teil II: Studium ausländischer Studenten

an der Universität Frankfurt

Ausländische Studenten an der Universität Frankfurt. .-... 60

Befragung der Ausländer an der Universität Frankfurt „...,. 65

Akademische Auslandsstelle ...--uusseresensnrennn- rı

Stwdienkolleg. css error en 76

Aue ie: 87

Stimdienmotiie uunersseenen rer rennen 93

Aufenthalt in der BRD... .-..----»---sussre rss rener 96 Besuch der Universität im Heimatland. ....- css cenren 0. 101 Organisation des Studiums . . “cr esre ernennen ERBE 105 Swdienfachwechzel....+:ı-=.rer ernennen 112 Probleme... 4.2.u.r4 a Te een FERNEN Wohnsitualion ... - 2-2 messer nenn en rennen 120

Finanzierung «sr nereee en N E rs 128

Soziale Kontakte und Diskriminierung. . .- „us serennnn er 129 Rückkehr nach dem Studium. ..---ssss seen en nun 134 Funktion des Ausländersudiums . . -. ----ussersersne ne 139 Einige Bemerkungen zur Untersuchung . » 1. HH #H HH Hr 145 Fragenkatalog... . ir saesrme sure ren nn 146

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Vorwort

Ich halte die Arbeit A. Kontenkars für sehr veräffentlichungswert.

Zwar gibt es zumeist ältere, empirische Erhebungen zur Studiensitua- tion an einigen Universitäten in der Bundesrepublik. Diese Arbeiten leiden aber alle daran, daß sie dem Leser, der in ihnen Informationen sucht, um praktisch an der Behebung der vielen gravierenden Proble- me vor allem von Studenten aus der Dritten Welt besser arbeiten zu können, keine Hilfe bieten.

Kotenkar gibt einmal präzise Informationen zu den wichtigsten neu- ralgischen Punkten des Studiums ausländischer Studenten am Bei- spiel der Universität Frankfurt. Darüber hinaus gibt er aber in einem ausführlichen theoretischen Teil Hilfen zum Verständnis der Situation der ausländischen Studenten. Er untersucht hier das Studium als einen Soxialisationsprozeß, d.h. als einen Prozeß, in dem ausländi- sche Studenten mit den gesellschaftlichen Normen der Bundesrepublik und ihrer akademischen Welt vertraut gemacht werden, in der sie mit diesen Normen in Konflikt geraten und sich unterschiedlich anpassen.

Erst vor dem Hintergrund dieser Aufarbeitung der täglichen Lernpro- zesse (die oft demütigenden Charakter haben) werden die Informa- tionen zur Studien- und Sozialsituation der Studenten deutlich und verständlich. Nicht zuletzt hat Kotenkar einen interessanten wissen- schaftlichen Ansatz aus der gegenwärtigen Diskussion über Sozüali- sationsprozesse gewählt, der auch akademisch interessierte Leser be- schäftigen wird.

Durch diese Verbindung von wissenschaftlicher Durchdringung und sehr konkreter, praktischer Information ist diese Arbeit geeignet für sämtliche Einrichtungen, die sich in der Bundesrepublik in irgend einer Weise mit Ausbildung und Ausbildungsfärderung befassen. Die Veröffentlichung der Arbeit gerade im Alektor-Verlag halte ich wegen dessen Empfänger-Radius für besonders geeignet.

Prof, Hans Bosse Universität Frankfurt

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Ausländerstudium in der Bundesrepublik Deutschland — für die Be- troffenen und für die damit-Befaßten ein Signalwort, das an zwei Jahr- zehnte politischer Auseinandersetzungen, an nicht realisierte, abge- wehrte und gescheiterte Reformversuche erinnert, kurz: ein dunkles Kapitel deutscher Entwicklungs- und Hochschulpolitik.

Ausländerstudium meint vor allem Ausbildung von Studenten aus Ländern der Dritten Welt. Was veranlaßt sie, zu Tausenden ihre Hei- matländer und -kontinente zu verlassen und für Jahre in einer ihnen fremden Umgebung und Sprache ein Studium zu absolvieren?

Hauptgründe sind der Mangel an Ausbildungsplätzen im tertiären Be- reich ihrer Heimatländer und die politische und ökonomische Lage zu- hause, die sie vielfach zu einer Emigration (auf Zeit?) zwingen. Dane- ben verheißen akademische Zeugnisse aus Industrieländern’ leider im- mer noch viel zu oft mehr Prestige und bessere Berufschancen als ein- heimische Zertifikate. Auch verführt der beispiellose Wohlstand eines Landes wie der Bundesrepublik häufig zu der irrigen Annahme, als mittelloser Student könne man sich hier einigermaßen mühelos seinen Lebensunterhalt neben der Ausbildung erarbeiten.

Welche Motive und Zwänge im einzelnen auch immer zum Verlassen der Heimat und zum Kampf um einen der begehrten, knappen Stu- dienplätze führen, sie alle haben eines gemeinsam; sie spiegeln die Ab- hängigkeit der Herkunftsländer van. den Industriestaaten auch in post- kolonialer Zeit.

Diese Strukturen der Abhängigkeit gilt es vor Augen zu haben, wenn man mit dem Autor der vorliegenden Arbeit — selbst Inder und Be- troffener — prüft, wie sich unter diesen Umständen die geforderten Anp ngsleistn dend auf den einzel ausländischen Studenten 2 auwirkn; wie ein Studium unter den denkbar schlechte- sten materiellen Bedingungen die Wahrnehmung unserer politischen Ordnung prägt und welche entwicklungspolitische Relevanz Ausbil- dungen haben, die nahezu ausschließlich auf die Bedürfnisse der Indu- strieländer zugeschnitten sind.

Die vorliegende Arbeit geht in ihrem empirischen Teil von der tatsäch- lichen Situation ausländischer Studenten an der Universität Frankfurt in den Jahren 1977/78 aus, In ihrem weiter ausgreifenden theoreti- schen Teil kann sie — gestützt auf zahlreiche Diskussionen mit Grup- pen ausländischer Studenten und auf ein dreisemestriges Seminar mit Professor Hans Bosse zu Ausbildungsproblemen der Dritten Welt am

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Fachbereich Soziologie in Frankfurt — Allgemeingültigkeit für die Analyse bestimmter Aspekte des Ausländerstudiums in der Bundesre-

Wir — hauptamtlich befaßt mit der Verwaltung des Mangels und der Linderung des Elends — keinesfalls nur materiell zu verstehen — erhof- fen uns von dieser Arbeit neue Anstöße zur Diskussion des Ausländer- studiums:

— bei den Verantwortlichen in Politik und Hochschule mehr entwick- lungspolitisches Bewußtsein und eine stärkere Orientierung an den Bedürf: der Herkunftsländer, außerdem Maßnah zu einer besseren materiellen Absicherung ausländischer Studenten als we- sentliche Voraussetzung eines erfolgreichen, konzentrierten Stu- diums;

— bei den betroffenen Ausländern einen Abbau von Illusionen über die Bundesrepublik, eine realitätsgerechtere Information der Lands- leute, die nachdrängen und auf lange Sicht einen Beitrag der Rück- kehrer zu gesellschaftspolitischen Bedingungen in der Dritten Welt, die ein Studium im Ausland nicht mehr als Ausdruck der Abhängig- keit notwendig, sondern als gegenseitig befruchtenden Austausch erst wieder sinnvoll machen.

Frankfurt/Main, im Januar 1980

Waltraut Heidenreich Diether Heesemann

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SOZIALISATION AUSLÄNDISCHER STUDENTEN

Problemstellung

In every country of the world there are climbers, "the ones who forget who they are", and, in contrast to them, 'the ones who remember where they came from’,

Fanon, Frantz:

Black Skin — White Masks Die mei ausländischen Stud, h als Erwachsene in die BRD. Sie haben unter völlig anderen Sozialisationsbedingungen ihre primäre und sekundäre Sozialisation und auch zum Teil tertiäre Aus-

bildung im Heimatland hinter sich. Sie bleiben einige Jahre in der

BRD. Eine Umstellung auf neue Verhältnisse vollzieht sich allmählich, Nach einigen Jahren kehren die meisten in ihr Heimatland zurück und müssen erneut einen Wechsel durchstehen.

Die Prozesse, in denen der ausländische Student (gemeint sind hiermit auch die ausländischen Studentinnen) als erwachsener Mensch in einer für ihn fremden sozio-kulturellen Umwelt jene Fähigkeit erwirbt, die Voraussetzungen für die Teilnahme an Kommunikation und Interak- tion bilden, sind in der BRD bislang kaum untersucht. Die Sozialisa- tionsmodelle haben bisher keine befriedigenden sozial-psycholggi- schen Strukturen aufgezeichnet, die beschreiben könnten, wie diese Prozesse verlaufen.

Die Umstellung auf neue Verhältnisse vollzieht sich in einem Rahmen, in dem der Ausländer mit einem hohen Maß an Sensibilität und Unsi- cherheit elementare Vorgänge und Verhaltensweisen wahrnehmen muß, um sie vergleichend und versuchend nachzuvollziehen — also neu zu interpretieren. Die Interpretationsfähigkeit und Flexibilität werden unter den neuen Verhältnissen viel intensiver als sonst beansprucht, Er

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muß sich sorgfältig und ständig bemühen, diejenigen — auch die ele- mentarsten — strukturellen Bedingungen zu erfassen, die mit mögli- chen Auswirkungen dieser ständigen Leistung korrelieren. Dieses be- wußte feedback ist ein wichtiges Instrument, um die Erwartungen in der fremden Umwelt zu berücksichtigen. Es ist aber zugleich auch eine ungeheuere Belastung — besonders in der Anfangsphase seines Aufent- halts.

Probleme studentischer Sozialisation beanspruchen in der deutsch- sprachigen Sozialisationsforschung einen schr schmalen Raum. Proble- me der Sozialisation ausländischer Studenten haben so gut wie keinen Platz in diesem schmalen Raum. Im überwiegenden Teil der Literatur über die Hochschulstud n sind die Probl hließlich deut- scher Studenten behandelt. Ausländische Studenten werden entweder nur teils oder überhaupt nicht berücksichtigt. Es wird so über die Stu- denten gesprochen und geschrieben, als existierten ausländische Stu- denten gar nicht oder sie seien in der Universität so integriert, daß es nicht nötig sei, ihre Situation ausdrücklich zu betonen, Das Sympasi- on über Psychische Störungen hei Studenten" in Berlin (Ziolko 1969) enthält keinen einzigen Beitrag über psychische Probleme bei aus- ländischen Studenten an den Hochschulen der BRD.

Es ist deshalb notwendig, den Zusammenhang zwischen den struktu- Felt Bedingungen i in der ‘sekundären sozialen Umwelt’ (BRD), dem

ystem und den Sozialisati gen zu untersuchen. Analysen der strukturellen Bedingungen, die. die Interpretationsleistungen erschweren oder erleichtern und Analysen der Chancen des Ausländers, sich an dem hochschulbedingten Inter- aktionssystem zu beteiligen, sind erforderlich

Je mehr die Wissenschaft als Produktivkraft und die Hochschule als vorproduktive gesellschaftliche Institution an Bedeutung gewinnen, um so wichtiger werden die strukturellen Bedingungen (Hochschul- rahmengesetze, Studien- und Prüfungsordnungen etc.) in der Hoch- schule, an deren Kontrolle außeruniversitäre Instanzen außerordent- lich stark interessiert sind. Überhaupt scheint es, daß der Kategorie

‘Kontrolle’ im universitären und außeruniversitären Bereich eine wich- tige Funktion zugeschrieben werden muß — nämlich die der Verhin- derung kritischer Reflexion sowie Einschüchterung. Der Weg von

“Kontrolle zu ‘Sanktionen’ ist kurz. Von der familiären und der schulischen Sozialisationsforschung ist ja bekannt, daß durch Sank- tionen die Orientierung des Verhaltens an den Normen ständig ge- sichert wird.

8

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Demgegenüber muß der Ausländer eine derartige subjektive Kompo- nente entwickeln, die ihm ermöglicht, sich (alten und neuen} Normen gegenüber reflektierend und kritisch zu verhalten, Die Auseinander- setzung mit den Normen findet aber unter erschwerten Bedingungen statt (Deutsche Universität, Ausländergesetze, mangelnde soziale Kon- takte, familiäre und soziale Bindungen im Heimatland usw.).

Der Prozeß der Sozialisation ist deshalb eine in diesem Interaktions- zwammenhang geschehende ständige Nenarientierung unter ‚Aus

eines Spiel für k nen

gegenüber den Normen. Damit ist dem Ausländer ermöglicht, sich in der Auseinandersetzung eine gewisse Handlungsfähigkeit zu si- chern.

Die Hochschule als Kristallisationskern (Familie oder andere Gesell-

schaftsgruppen entfallen in der Regel beim Ausländer in der BRD)

müßte in ihrer Struktur Kommunikation und Interaktion als wesent- liche El inhal Der I k pielraum, der den Stu- denten und im besonderen wegen objektiv schwierigeren sozialen Bedingungen den ausländischen Studenten gewährt werden müßte, dürfte entscheidend für die Stabilität der Institution und für die Orientierung des Auslinders innerhalb dieser Institution sein. Die Hochschule ist eine Institution zur Vermittlung sozio-kultureller Normen. Die fachliche Ausbildung in ihr gewährleistet die spezifi- schen Kontrollen zur Einhaltung und Vollstreckung dieser Normen (als Arzt, Jurist, Soziologe beim Staat, in der Industrie, als Lehrer usw.}. Der Rahmen wird durch außeruniversitäre Instanzen bestimmt, in diesem Rahmen sind die Interpretationsspielräume für die Stu- denten jedoch bewußt eng gehalten.

Für den Ausländer bedeutet die fachliche Vollstreckung der Normen dieses sozio-kulturellen Milicus zugleich auch Modifikation oder Neu- ung oder Werdrä oder Aufgab ‚prünglicher sozio- kul ler N: Dieser Z nhang ist von Bedeutung, und zwar deshalb, weil hier die Strukturen seiner Identitätsbildung deut- lich werden, die sich zwischen folgenden beiden Fragen erstrecken:

— Welche Identitäten vermochte er für sich in der ‚primären sozialen Umwelt* (Heimatland) zu definieren, bevor er in die BRD kam?

— Welche Identitäten vermag er nun in der ‚sekundären sozialen Um- welt‘ (BRD) für seine ‚primäre soziale Umwelt‘ zu definieren?

(10)

Die Diskussion über die Strukturen der Identitätsbildung beim auslän- dischen Studenten in der BRD wird in dieser Arbeit durch ein theore- tisches Konzept, das auf dem interaktionistischen Ansatz der Soziali- sation basiert, entwickelt, Dieser Ansatz des symbolischen interaktio- nismus, welcher der Identität auch die soziologische Dimension ver- leiht, geht auf die von George H. Mead (1934) entwickelten Gedanken zur dualen Straktur der Identtät zurück. Erving Goffman (1963) bereicherte diese Gedanken durch interessante Analysen ‚beschädig- ter Identitäten‘. Lothar Krappmann [1971) entwickelte in. diesem Rahmen das Konzept der Identitätsbalance, das eine allgemeinere Ebene der Erklärung von Handlungsrollen und Entwicklung zu er- reichen versucht.

Angelehnt an dieses K pt des symbolischen Interakti soll untersucht werden, ob der ausländische Student an der subjek- tiven Interpretationsleistung (Aufrechterhaltung der Identität) schei- tern kann oder nicht, und wieweit dies durch die strukturellen Bedin- gungen an der Hochschule bedingt ist. Die Analysen werden in erster Linie unter sozial-psychologischen Gesichtspunkten vorgenommen.

Unter ‚ausländischen Studenten" sind in dieser Arbeit in erster Linie die nicht-weißen Ausländer gemeint, Dennoch gibt es eine Reihe von Beobachtungen, die auch die weißen (europäischen oder amerikani- schen) Studenten einschließen. Dort, wo sozial-psychische Zusammen- hänge grundsätzlich Differenzen aufweisen, ist entsprechend auf die

Der Begriff der Identität und Interaktionsprozesse

Ein Gefühl der Identität (wird)

‚niemals ein für allemal gewonnen noch behauptet, Wie ein gutes Gewissen wird es ständig verloren und wiedergewonnen ...*

Strauss, Anselm:

Spiegel und Masken

10

(11)

Jede Interaktion* zwischen Individuen hat zwei wesentliche Kompo- nenten:

— Erwartungen, die unter den beteiligten Personen vorausgesetzt oder eingeschätzt werden und

— individuelle Besonderheiten, mit denen sich jeder in die Interaktion

einbringt.

Das Verhältnis beider zueinander ist von der Situation abhängig. Die Situation ihrerseits hat stets einen sozlal-strukturellen Rahmen, Das bedeutet: In der Interaktion versucht das Individuum gegenüber allgemein geteilten Meinungen, Normen, Erwartungen in entsprechen- dem Verhältnis seine eigenen Bedürfnisse, Erwartungen, Besondertiei- ten verständlich zu machen. Ist in der Interaktion der normative Anteil groß, dann sind die Spielräume für individuelle Besonderheiten klein und umgekehrt. Das Individuum ist deshalb bestrebt, eine eigene Balance zwischen verschiedenen Erwartungen der anderen und eigenen Besonderheiten zu erreichen.

Diese von ihm „für die Beteiligung an Kommunikation und gemeinsa- mem Handeln zu erbringende Leistung soll hier mit der Kategorie der Identität bezeichnet werden” (Krappmann 1971, 5.8). Sie ist kein erstarrtes Selbstbild des Individuums, sondern eine in dem System sozialer Interaktion zu leistende Verknüpfung der Erfahrungen frühe- rer Interaktionsbeteiligungen mit Erwartungen und Bedürfnissen in der aktuellen Situation. Die neu gewonnenen Erfahrungen bilden wiederum zussrumen mit a alten Pimmakt re Lebenserfahrung‘)

das Werknüpfi ktionen. Diese ständige

Einordnung formt sich zu einer Kligrbkie, die zunehmend ein höheres Maß an Konsistenz zeigt und für verschiedene Handlungs- situationen einen beständigeren Rahmen schafft. Das Individuum entwickelt als soziales Wesen zugleich ein sich selbst abgrenzendes System.

Die Identität zeigt damit auf, wieweit das Individuum zwischen verschiedenen Anforderungen der anderen und eigenen Bedürfnissen, bei den Bemühungen, Anerkennung anderer zu erhalten und dennoch eigene Besonderheiten nicht aufzugeben, eine Balance gehalten hat.

*Immer ‚wenn bei zwei oder mehr Individuen wechselseitiger Einfluß durch eine

Beziehung ( so da zie als ge-

aan: Funktion angesehen werden kann, liegt Interaktion vor.

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Eigene Besonderheiten haben jedoch ihre Ausprägung stets in der so-

zialen Biographie des Individuums. Es muß deshalb betont werden,

„daß die Bedingungen der Möglichkeit der Identität eines Individu-

ums und damit seiner Fähigkeit zu sozialer Interaktion auf der Ebe- ne soriokultureller Faktoren zu suchen sind, und Identität nicht zureichend als ein subjektives, im Belieben des Individuums ste- hendes Bestreben, sich in einer Welt angeblich zunehmender Kon- formität als ein einmaliges festzuhalten, beschrieben werden kann, (Krappmann 1971, 5.11). Faktoren, die also das soziale System be- stimmen, gehen stets in die Identitätsbildung ein.

Die Behauptung der Identität in der Situation ist damit ein Prozeß, der durch den Rückgriff auf frühere Interaktionserfahrungen die Auf-

arbeitung der Lebensgeschichte auf eine Weise enmöglicht, daß sich

damit für das Individuum Möglichkeiten der Neuinterpretationen er- öffnen können; einschließlich der Möglichkeit, Einfluß auf den sozial- strukturellen Rahmen auszuüben.

Von diesen Überlegungen zum Identitätsbegriff unterscheiden sich die Definitionen der in der wissenstoziologisch und in der rollentheo- retisch stehend Traditi Die iologische Tratition (Berger 1966) geht davon aus, daß die Identität in dr primären $o- zialisation festgelegt wird. Sie weist dem Individuum aufgrund der in der primären Sozialisation einen festeren Platz im sozialen System zu.

Die konventionelle rollentheoretische Richtung (Parsons 1973) führt die Besonderheit einer Persönlichkeit auf die für sie in Frage kommen- de begrenzte Auswahl von gesellschaftlichen Rollen zurück. Diese Richtung erklärt sehr unzureichend die von der Rolle erheblich abwei- chenden Verhaltensweisen. Außerdem bietet sie für individuelle Flexi- bilität oder Neuei lungen auf völlig fremde Situati kaum den Raum, Denn das Individuum tendiert hier grundsätzlich zur Konfor- mität gegenüber den normativen Erwartungen, um Sarıktionen zu ent- gehen. Es strebt zwischen sich und den gesellschaftlichen Normen eine Harmonie an.

Auch im psychoanalytischen Entwicklungensmodell (z.B.Erikson 1965, 1966) arbeitet man mit dem Identitätsbegriff, Allerdings gibt es, wie L.Krappmann meint, hier keine Übereinstimmung in der Be-

griffsbildung. „Einige Autoren verstehen unter Identität nur die Tren-

nung des Individuums von anderen (z.B. Beres u.a. 1960), während andere betonen, daß Identität ausschließlich im Rahmen von Bezie- hungen zu anderen, deren Anerkennung sie bedarf, begriffen werden 12

(13)

kann (zum Beispiel Erikson 1965, 1966; Lichtenstein 1961). (Krappmann 1971, S.18). In Anlehnung an Bere anai eh

schen Phasen der Kindhei hlebt nach Erik Kind phasenspezifische Krisen. In der Bewältigung dieser Krisen a wickelt es sich zu einer Persönlichkeit, die sich zum Abschluß der Adoleszenz zur Ich-Identität intergriert. Diese Identität wird von ihm an festen Identifikationen (z.B. an Vorbildern) festgemacht. Man übersicht aber hier, daß das Individuum unabhängig von phasenspezi- fischen Mustern ein gewisses Eigen-Potential zur Bewältigung der Kri- sen besitzen kann, um sich gegen die Anforderungen der sozialen Lim- welt zur Wehr zu setzen, aber auch zum Teil gegen die Identifikatio- nen selbst.

Demgegenüber bietet der symbolische Interaktionismus (G.H.Mead 1994) bessere methodische und inhaltliche Grundlagen zum Ver- ständnis des Identitätsbegriffs, Er eignet sich auch wesentlich bes- ser, um die Sozialisationsprozesse bei Erwachsenen - also’die Verän- derungen der Persönlichkeiten im Erwachsenenalter - einigermaßen sinnvoll zu beschreiben. Deshalb ist dieser Ansatz auch zur Beschrei- bung der Sozialisation der ausländischen Studenten in der BRD ge- wählt. Der Interaktionismus beruht auf folgenden zusammengefaß- ten Punkten (Krappmann 1971, 5.20 f}:

— „Der Interaktionismus. geht von der Analyse von Alltagserfahrun- gen aus, die jedermann zugänglich sind.“

— „Der Interaktionismus ist der Auffassung, daß das. Individuum auf soziale Bezichungen zu anderen angewiesen ist, weil es nur in diesen Beziehungen ein 'Selbst' aufbauen beziehungsweise Identität” gewinnen kann. Diese Beziehungen zwischenmensch- licher Kommunikation und gemeinsamer Aktion werden jedoch als stets prekär betrachtet. Das Individuum benötigt Strategien, um sie zu erhalten.

— „Im Sozialisationsprozeß werden dem Kind (dem Individuum -A.K.) die Fähigkeiten vermittelt, sich erfolgreich an Interaktion zu beteiligen, und zwar in einer Weise, die nicht nur passive An- passung, sondern aktive Einflußnahme ist."

— „Der Interaktionismus betrachtet das soziale Geschehen als einen offenen, dynamischen Prozeß. Jedes Interaktionssystem muß folglich immer wieder neu Integration suchen, Jedes Individuum muß sich ständig bemühen, seine Beteiligungen an Interaktionen und somit zugleich auch sein ‚Selbst‘ beziehungsweise seine Identität neu

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stabilisieren." Bei jedem Wechsel der Situation muß es stets versu- chen, seine Interpretationen mit dem neuen Kategariensystem zur Deckung zu bringen.

— Der Interaktionismus weist nach, „daß der Mensch in einer symboli- schen Umwelt lebt. Alle Gegenstände, Strukturen, Personen und Verhaltensweisen erhalten durch gemeinsame Interpretationen so- ziale Bedeutungen (‚meanings’). Auf dieser Grundlage begreift der Interaktionismus soziales Handeln -z.B. Rollenhandeln- stets als in- tentional, nämlich als Bemühung, einen Sinngehalt zu verwirkli- chen."

Bemühungen gemeinsamer Interpretationen sind notwendig, denn die symbolische Umwelt erhält entsprechend den Plänen der Individuen

verschiedene Bedeutungen. „So hat das Wort ‚Polizist’ für die betagte

Frau, die im dichten Verkehr von einem solchen sicher über die Straße ß wird, offensichtlich eine ganz andere Bed 'g als für den de- monstrierenden Studenten, der von einem Polizisten mit dem Gummi- kmüppel traktiert wird. Die alte Frau erlebt den Polizisten in seiner Ei- genschaft als ‚Freund und Helfer", der Student hingegen muß ihn erfah- ren: als Repräsentanten eines repremiven, ee Systems. Eben- so hat die Aussage des Nachri bei der W Prognose:

‚Das Wetter bleibt im ganzen Land schön und warm’ für Kinder, die morgen einen schulfreien Tag haben und sich aufs Baden freuen, eine völlig andere Bedeutung als für den Gemüsegärtner, dessen Kulturen dringend Regen nötig hätten „(Beck 1975, 5.59). Für soziale Hand-

lungspläne müssen also diese Bedeutungen auf allgemeiner Überein- stimmung beruhen.

In einer Interaktion gibt es ein ganzes Bündel von Bedeutungen, die eine allgemeine Übereinstimmung unter den Beteiligten besitzen und die auch selbverständlich vorausgesetzt werden. Aber es werden auch eine Reihe von weiteren Bedeutungen erst in der Interaktde mitein-

ander in Übereinsti G Hand-

lungen beruhen ja darauf, ‚ daß nicht jedesmal erst abgestimmt werden muß, welche gemeinsamen Bedeutungen bestimmte Gegenstände, Ver- haltensweisen oder Gesten besitzen. Wenn man einer fremden Person begegnet und mit ihr ins Gespräch kommt, so wird es zunächst auf der Grundlage gewisser Gemeinsamkeit geführt. Auch der Ausländer, der in die Fremde kommt, vollzieht eine Reihe von Handlungen auf der Grundlage, die sowohl in der primären als auch in der sekundären so- zialen Umwelt gemeinsame Bedeutung bietet. Darüber hinaus gibt es

14

(15)

Bedeutungen, die für die primäre soziale Umwelt spezifisch sind und in der sekundären ialen Umwelt entweder unbe} sind oder eine andere Bedeutung haben. Umgekehrt muß auch er eine Reihe von erst verstehen lernen, die ihm in der primären sozialen Umwelt entweder unbekannt waren oder andere Interpretationen er- laubten. Dazu ein einfaches Beispiel: Wenn die Menschen hier etwas bejahen wollen, so tun sie dies außer durch eine verbale Äußerung auch durch das Kopfnicken. Wenn in Indien die Menschen etwas be- jahen, so unterstützen sie ihre verbale Äußerung durch eine derartige Kopfbewegung, die hier eher der Kopfbewegung zur Verneinung äh-

nelt.

Um aber eine Interaktion unter den Beteiligten überhaupt zustande zu bringen, werden die Erwartungen zunächst grundsätzlich anhand verbaler Äußerungen, zahlreicher Zeichen oder der Erscheinung (appearance’) (Kleidung, Auftreten, Aussehen, Hautfarbe, Sprech- weise etc.) — also durch Identifikationssymbole — eingeschätzt und mit Hilfe subjektiver Bedeutungen kategorisiert, Suchen die Beteilig- ten anhand (eines) dieser Identifikationssymbole zielstrebig die Inter- aktion mit dem Individuum, 'so kann sie schnell zustandekommen,

Sucht beispielsweise einer eine Verbindung zu Ausländern, so bringt

er eine größere Bereitschaft mit, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Wenn aber die Situation offen ist, d.h., wenn die Beteiligten von- einander nichts oder wenig wissen, “kann es für das Individuum ge- rade von Schaden sein, seine Identitäten und Erwartungen mit ein- deutigen Symbolen aufzuzeigen, Die anderen scheiden den Betref- fenden in di Falle vielleicht sehr sch Il aus dem Kreis möglicher Interaktionspartner aus, obwohl er bereit gewesen wäre, auf die Inter- aktion einzugehen, Präzise’ Identifikatianssymbole der genannten Art sind offenbar immer dann für mögliche Interaktion von Nachteil, wenn Individuen mit besonderer Erscheinungsweise von vornherein stereotypen Kategorien zugeordnet werden, sich in ihren interaktions- wünschen jedoch von den üblicherweise diesen Kategorien unterstell- ten Verhal ii i heiden" (Krap 1971, 5. 36 ff}.

Wenn einer zum Beispiel als ein ehemaliger Patient einer psychiatri- schen Klinik entdeckt wird, so kann er möglicherweise mit Hilfe ver- schiedener Techniken aus der Interaktion verstoßen werden. Wird einer als Ausländer in bestimmte stereotypische Kategorien einge- zwängt, so wird die Interaktion gerade an der Diskrepanz zwischen diesem äußeren Zwang und dem Nichtentsprechen dieser Vorstellun- gen seitens des Ausländers scheitern. Denn ein Individuum wird in $i- tuationen, „in denen sich Auftreten unter charakterisierenden Sym- bolen und subjektive Intentionen nicht decken oder nicht zu voller

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Übereinstimmung bringen lassen, stets versuchen müssen, den begrenz- ten Rahmen von Erwartungen, in dem es voraussichtlich beurteilt wird, zu sprengen und sich 'präzis’ in anderer Art darzustellen. Es muß über die im Grunde immer b ktionssymbole hi verdeutlichen, mit welchen Erwartungen und Bedürfnissen, mit wel- chem Spielraum und welchen Rücksichtnahmen es sich an Interaktio- nen beteiligen möchte” (Krappmann 1971, 5. 37}. Der Ausländer muß anhand anderer Identifikationssymbole, die sich von seinem Auslän- der-Sein deutlich unterscheiden, demonstrieren, daß er den begrenzten Erwartungen der anderen nicht entspricht. Als Ausländer besitzt er wenig Kredit, als Arzt, Sänger, Wissenschaftler .... wird er unter Um- ständen cher akzeptiert.

Sowie für seine Erscheinung die anderen Beteiligten stereotypische Kategorien benutzen, verwendet aber auch das Individuum seinerseits bestimmte Kategorien. Auch es ist vorrangig bestrebt, die allgemein benutzten Symbole für seine I i zu interpreti lst es. aber an einer Interaktion interessiert, so muß es als erstes sich selbst und seine Einschätzungen möglichst weit zurückstellen, um aufnehmen zu können, was der Partner aussagen will. Sind die Beteiligten überein- ander informiert und wissen, in welcher Situation der andere sich befindet, so kann das Individuum gezielter das Bild, das der andere von ihm gemacht har, erfassen und seine Erwartungen einschätzen,

„Der nächste Schritt besteht dann darin, daß das Individuum die Erwartungen, die es aus der möglichst adäquat erkannten Identität des Interaktionspartners ableitet, als der eigenen Identität nicht voll entsprechend darstellt. Das bedeutet, daß es nun die Kategorien, die an es herangetragen werden, auf der Grundlage seiner eigenen Inter- aktionsverpflichtungen interpretiert — das heißt, teilweise negiert — und diese Interpretation in den Interaktionsprozeß wieder einzu- bringen versucht" (Krappmann 1971, S. 37). Das Bild, das der an- Jere von ihm gemacht hat, interpretiert nun das Individuum und ver- sucht, es — zumindest teilweise korrigiert — in die Interaktion wieder einzubringen. Gelingt es ihm nicht, sich von den herangetragenen Erwartungen genügend zu distanzieren, so kann es sich ihnen stark an- passen und ermöglicht somit keine ausreichende Bedingung zur Ent- wicklung der Identität.

George H. Mead (1934) definierte diesen doppelten Aspekt des

‚Selbst‘ in ‚me' — die von den anderen übernommenen Einstellun- gen — und in ‚I" — die individuelle Antwort auf die Erwartungen der anderen — einschließlich auf ‚me’. (Von manchen Leuten werden die- se Begriffe als Korrelate zu den von Freud eingeführten Begriffe 16

(17)

‚Über-Ich' und ‚Es’ begriffen.) In ‚me' sind die Erwartungen der ande- ren antizipiert, während ‚I den subjektiven Anteil diesen Erwartungen gegenüber bildet.

Nach der Analyse von G. H. Mead versuchen die Beteiligten zunächst die Erwartungen der anderen zu erkennen. Sie nehmen sie in die Pla- nung ihres Verhaltens auf, um eine gemeinsame Interaktionsbasis zu

schaffen. Dies geschieht dadurch, daß sich das Individuum an die Stel-

le des anderen versetzt. Damit betrachtet es sich selbst und die Situ- ation aus der Perspektive des anderen.

G. H. Mead bezeichnete diesen Prozeß als ‚Rollenübernahme' (role- taking oder taking the role of the other). Damit kann das Individuum sich auf sich selbst besinnen und so seinen eigenen Kommunikations- prozeß lenken. Role-taking bildet nach seiner Meinung eine wichtige Voraussetzung für soziales Handeln. „Diese Übernahme der Rolle an- derer... ist nicht nur zeitweilig von Bedeutung; sie ist nicht mur das zufällige Ergebnis der Geste, sondern für die Entwicklung der koope- rativen Gesellschaft wichtig. Die unmittelbare Wirkung dieser Über- nahme einer Rolle liegt in der Kontrolle, die der einzelne über seine

eigenen Reaktionen ausüben kann” (Mead 1968, 8. 300 £.).

Für erfolgreiches role-taking ist von Bedeutung, daß unter den Inter- aktionspartnern über ein System von Symbolen („signifikante Gesten"

vor allem die vokale Geste — die Sprache) eine ausreichende Überein- stimmung — aber auch Bereitschaft herrscht, um die Erwartungen der anderen einzuschätzen.

Diese Beobachtung von G.H. Mead beschreibt zwar die wichtige Grundlage der sozialen Interaktion, daß jeder Interaktionsbeteilig- te die antizipierten Erwartungen des anderen in den eigenen Antwor- ten berücksichtigt, Damit stellt er zurück, was er vorher war und übernimmt in role-taking die Erwartungen des anderen. Sie beschreibt aber nicht, daß in vielen Interakti die Individuen stets b b

sind, unabhängig von den Erwartungen des anderen eigene Besonder- heiten einzubringen, sie in der Interaktion zu bewahren und die Inter- aktion nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten (role-making). Denn trotz role-toking lehnt das Individuum die Erwartungen des anderen zur Artikulierung eigener Bedürfni gleich als ichend ab und ist immer bemüht, in jeder Situation immer wieder ncu seine Bedürfnisse als besondere darzustellen.

G. Hoffmann stellte diese wichtige Tatsache anhand seiner Beobach-

(18)

tungen bei den ‚Insassen' in den ‚totalen Institutionen’ (Psychia- trischer Kliniken, Klöster, Gefängnisse, militärische Ausbildungs- stätte etc.) gut heraus. In diesen Institutionen unterliegen alle Le- bensbereiche des Insassen der Kontrolle der Institution. Ihre Er- wartungen sind ausdrücklich definiert und dem Insassen bekannt.

Hier werden seine Fähigkeiten stark eingeschränkt, Er muß den Er- wartungen der Institutionen entsprechen, so daß keine echte Aus- einandersetzung mehr stattfindet. Die Grundlage für eine Interaktion wird hier praktisch entzogen und die Identitäten können nur sehr schwer gesichert werden. Dennoch, so beobachtete E. Goffman, wehrt sich der Insasse, seine Besonderheiten aufzugeben. Er unternimmt ständig Versuche, diese den anderen — Institutionsagenten — mitzu- teilen. Er sucht sich immer wieder Spielräume, die er für sich aus- nutzen kann. „Auch in asymmetrischen Beziehungen besitzt der Unterprivilegierte noch Möglichkeiten, seine Definition der Situ- ation zu signalisieren, wenn auch oft in verkleideter und verzerrter Form, Allerdings muß er dabei ein größeres Risiko tragen als das der Fall ist, wenn sich gleichberechtigte Partner auseinandersetzen”

(Krappmann 1971, S. 35). Sind die Erwartungen der Institutionen zu rigide und ihre Kontrolle fast total, dann entwickelt das Individuum

„ein Leben unterhalb des Zugriffs der Institutionen („‚underlife')."

Das Bestreben zu subjekti I ii unter Ä vorhandener Spielräume ist auch in normalen Situationen außerhalb totaler Institutionen gültig, Nur sind hier die Erwartungen oft nicht ausdrücklich definiert, die gegenseitigen Kontrollen geringer und die Bedürfnisse zu Interaktionen offener. Es muß deshalb nochmal klar- gestellt werden: Für die Teilnahme an Interaktion ist die Einschätzung von Erwartungen der anderen nötig. Zugleich aber berücksichtigt die Handlungsweise des Individuums nicht nur dies, sie enthält auch subjektive — seine besondere Situation darstellende — Interpretation als eine wichtige Bedingung und muß von anderen anerkannt werden, Sonst kommt die Interaktion als Voraussetzung zur Idenditätsbildung kaum zustande. Jede Kommunikation entfaltet sich auf der „Grund- lage reziproker Anerkennung von Subjekten, die einander unter der

Kategorie der Ichheit identifizieren und sich zugleich in ihrer Nicht-

Identität festhalten. Der Begriff des individuellen Ich schließt eine dia- lektische Beziehung des Allgemeinen und des Besonderen ein..."

(Habermas 1968, 5. 177 f).

Die Identifikation unter der Kategorie Ichheit wird'in der Klärung der Erwartungsstrukturen vorgenommen. Während des Klärungsprozesses die 'PEUHBN glichen Er u sich verändern. Deshalb ist

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für die Interaktion eine gewisse Flexibilität gegenüber den Verände- rungen erforderlich. Sie ermöglicht, aufgrund veränderter Situation die Identität neu zu entwerfen und die Interaktion fortzusetzen, um wiederum neue Veränderungen herbeizuführen, also eine ‚Entwick- kung’ in der Interaktion stattfinden zu lassen, („Solange man weiter- lernt, geht auch die Revision von Auffassungen weiter: und solange eine Revision stattfindet, Findet Neuorganisation von Verhalten statt"

(Strauss 1968, $. 23). Die Erarbeitung von einer übereinstimmenden stabilen Interaktionsgrundlage ist ein überaus problematischer Akt, Sie bleibt in manchen Situationen trotz intensiver Bemühungen sehr un- stabil.

Das bedeutet jedoch nicht, daß in der Interaktion die Erwartungen sich total verändern, so daß das Individuum jedesmal die Identität vollständig neu entwirft. Das ist weder möglich noch erforderlich, denn frühere Erfahrungen fließen in dem Maße in die neuen Sitwatio- nen ein, wie dies für den notwendig gewordenen Neuentwurf seiner Identität erforderlich ist. A. Straus' Beschreibung der Entwicklung des Begriffsystems bei Kindern macht deutlich, was mit der neuen Identität gemeint ist, „Wenn Kinder anfangen, eine klassifikatorische Terminologie zu erlernen — sagen wir Unterscheidungen, die mit Zah- len oder Geld zu tun haben —, sind ihre anfänglichen Begriffe roh und ungenau; da .aber Klassifikationen immer auf andere Klassifikationen bezogen sind, niemals isoliert stehen, hängen selbst die Klassifikatio- nen eines sehr. kleinen Kindes zusammen. Wenn es sich ‚entwickelt', werden seine früheren Begriffe systematisch durch zunehmend kom- piexere ersetzt. Die früheren sind notwendig für die späteren; jeder Entwicklungsschritt ist abhängig davon, daß das Kind eine Reihe vor- ausgeseizter Begriffe versteht. Indem es die neuen Klassifikationen begreift, werden.die alten revidiert oder qualifiziert oder verschwinden sogar ganz aus dem Gedächtnis. Diese Wandlungen auf der begriffli- chen Ebene implizieren natürlich Wandlungen im Verhalten, da Be- nehmen sich vom Klassifizieren trennen läßt, Verschiebungen im Be-

griff bedeuten zugleich Verl beim Wahreh Exi

und Werten — kurz, radikale Wandlungen des Handelns und der Per- son” (Strauss 1968, 5. 98). Das Individuum unterliegt in den Verände- rungen einer Identitätstransformation. Sie ist irreversibel. Es kann sei- ne ‚alte! Identität nicht wieder gewinnen; es kann nur im nachhinein von neuen „St kt' aus sich was es war, und wie nun die anderen ihn sehen.

Damit ergeben sich in der Identitätsbildung zwei Ebenen:

In der horizontalen Ebene ist das Individuum bestrebt, die Erwartun-

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gen änderer in der aktuellen Situation zu erfahren. Er übernimmt die Rollen der anderen und ist bemüht, diese in seine Antworten {Reak- tionen oder Verhaltensweisen) einzubeziehen.

In der vertikalen Ebene seiner Biographie werden alte Erwartungen zu- gunsten von neuen revidiert, seine alte Identität in der aktuellen Situa- tion durch eine andere ersetzt. Dabei dient die alte ständig als Basis.

Indem er seine neue Identität entwickelt, wird also die alte revidiert.

Das Individuum entwickelt so seine einzigartige Biographie in Abstim- mung mit den Erwartungen anderer.

E. Goffmann (1967) bezeichnet die horizontale Ebene als ‚social iden- tity” (Soziale Identität} — also die Ebene, in der die in der Situation aktualisierbaren Rollen vereinigt sind — und die vertikale Ebene als

‚personal identity’ (Persönliche Identität) — also die Ebene, in der die Entwicklungen in der Biographie des Individuums zusammengefaßt werden. Beides sind — da auf die Erwartungen anderer ausgerichtet — von den anderen entworfene Identitäten.

Auf den Ausländer übertragen bedeutet dies:

Er wird in der sozialen Identität als Ausländer definiert, in manchen Situationen vielleicht auch als Ausländer bestimmter Nationalität.

In der persönlichen Identität wird er als ein Individuum mit dem Na- men — zum Beispiel Arın — und seiner bestimmten Identität defi- niert, so wie die I partner seine Entwicklung } und

einschätzen.

In der Interaktion muß nun das Individuum zwischen diesen beiden Ebenen seine individuellen Besonderheiten zu wahren versuchen (‚role-making*). Es befindet sich in einem Spannungsverhältnis zwi- schen ihnen. Einerseits versucht es, durch die Übernahme der Rollen anderer sich in der ‚social identity' mit den Normen zur Deckung zu bringen — es versucht zu sein, wie alle anderen —, und andererseits muß es in seiner biographischen Dimension der ‚personal identity"

einzigartig erscheinen — es muß versuchen zu sein, wie kein anderer.

„Zwischen ihnen zu balanci ist die Leistung des Individı die als ‚Ich-Identi bezeich d soll. Eine get gene Identi-

ttsbalance bewirkt, daß das Individuum einerseits trotz der ihm an- gesonnenen Einzigartigkeit sich nicht durch Isolierung aus der Kom- munikation und Interaktion mit anderen ausschließen läßt, und ande- rerseits sich nicht unter die für es bereitgchaltenen sozialen Erwartun- gen in einer Weise subsummieren läßt, die ihm unmöglich macht, seine eigenen Bedürfnisdispositionen in die Interaktionen einzubringen. Das

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Individuum verhält sich daher einerseits, ‚als ob’ es einzigartig, und

ERS a re E. Goffmann spricht in

diesem Zu ih "und ‚pl uni-

queness’, Re er

tungen unterordnen könne, die man ihm entgegentrage” (Krappmann

1971a, 8. 30).

In der Balance seiner Ich-Identität sichert sich also das Individuum die Teilnahme an der Interaktion, Versucht es die sozialen Erwartun- gen anderer, die durchaus widersprüchlich sein können, voll zu ent- sprechen, paßt es sich auf eine Weise an, daß es nicht mehr fähig isı, sich eigenständig in die Interaktion einzubringen und sich zu behaup- ten. Wenn es aber andererseits durch seine Einzigartigkeit ‚stigmati- siert wird, dann entspricht es den sozialen Erwartungen anderer in keiner Weise. Die Interaktion scheitert in diesen Fällen an der An- pässung oder an Stigma, Meistens aber versucht es, da es an mehreren Interaktionssystemen gleichzeitig beteiligt ist, einen Ausweg zwischen ihnen zu finden,

Die Sicherung der Teilnahme an der Interaktion ist — wie bereits oben erwähnt — im hohen Maße von der Übereinstimmung von Symbolen unter den Interaktionspartnern abhängig. Unter den möglichen Sym- bolen spielt die Sprache — vokale Geste — eine zentrale Rolle, Sie er- möglicht, daß jedes einzelne Objekt und jede Interaktionssituation auf verschiedener Weise — vom Kontext abhängig — benannt und damit eingeordnet werden können. Die Art der Einordnung verdeutlicht die Perspektive des Klassifizierenden und weckt damit cine Reihe von spe- zifischen Erwartungen. Für die Entwicklung von Ich-Identität in den sozialen Interaktionen ist deshalb das individuelle Sprachvermögen entscheidend ( das heißt aber nicht, daß hohes Sprachvermögen grund- sätzlich die Bildung der Ich-Identität bedeutet), weil sie reflexive Kommunikationsprozesse erlaubt.

Die Sicherung der Interaktion vor 7 allem mit Hilfe der Sprache ala ein

offenes Median: ic 1, P

im Leben des Individuums. ER zerfällt stets in sehr unter- schiedliche -zum Teil offene- Interaktionssituationen. Die eigenen In- terpretationen sind den Situationen entsprechend natürlich auch un- terschiedlich. In zwei verschiedenen Interaktionen kann das Indivi- duum durchaus widersprüchliche soziale Identitäten besitzen, wenn dies zur Sicherung der Interaktion notwendig ist. Deshalb kann die Ich-Identität nicht als etwas Einheitliches im gesamten Leben des Individ den. Die I ation neuer Situation

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vollzieht sich so, daß frühere Interpretationen von Ereignissen und Ob- jekten in neue Klassifikationssysteme in unterschiedlicherweise aufge- nommen werden, also ermeuert werden. „Die durch Ich-Identität zu- sammengehaltene Lebensgeschichte eines Individuums ist das Muster für das kategoriale Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen, aus dem dann die Kategorie der Bedeutung gewonnen wird. Jener Sinn, auf den hermeneutisches Verstehen sich richtet . ... ergibt sich allein aus dem Stellenwert von Momenten in einem Zusammenhang, dessen Identi- tät ebenso den beständigen Zerfall der Identität wie auch die beharr- liche Überwindung dieser Korruption einschließt. Sie muß darım dürch kontinuierlich erneuerte, berichtigte und kumulativ erweiter- te reirospektive Deutungen der Lebensgeschichte immer wieder her-

gestellt werden“ (Habermas 1968, 5.195).

Die geg tige Handlungsorientierung des Individ! kann also ohne Berücksichtigung der im Verlauf seines Lebens stattgefundenen Interaktionsbeziehungen nicht vollständig verstanden werden. Den- noch muß aber der Ausländer immer wieder feststellen, daf in vielen Situationen gerade dieser wichtige Aspekt bedrückenderweise von sei- nen Interaktionspartnern mißachtet wird.

Nun ist aber nicht immer möglich -auch wenn die Interaktion auf ge- gegenseitiger Anerkennung beruht-, daß das Individuum in jeder neuen Interaktionssituation zuerst seine Biographie erläutern kann. Erliu- tert es sie möglichst umfangreich, dann dient sie der Bildung der er- forderlichen Interaktionsgrundiage besser. Es müssen nicht alle rele- vanten Erfahrungen verbal ausgeführt werden. Es stehen ihm verschie- dene Techniken zur Verfügung, um sich dem anderen gegenüber trans- parenter zu machen, damit in der Interaktion seine Besonderheiten möglichst umfangreich die Berücksichtigung finden, auch wenn gewis- se Lebensabschnitte zunächst widersprüchlich erscheinen oder nicht auf den ersten Blick dem Handlungskontext entsprechen, Es gibt eine ganze Menge vergangener Handlungen, mit denen es sich nicht mehr voll identifizieren kann und deshalb nicht oder nicht eindeutig in die Interaktion einbringen kann. Es braucht Spielräume für notwendige Umdeutungen. Ferner setzt es ein und dieselbe Handlung aus der Ver- gangenheit in verschiedenen Situationen verschieden ein. „Ein vergan- genes Ereignis wird einmal als Argument dafür benutzt, daß das Indi- viduum tatsächlich nur so handeln kann, wie es jetzt auftritt: ein an- deres Mal wird aber dasselbe Ereignis als unwesentlich abgetan, um die Interaktion mit dem Gegenüber zu sichern. Zwischen diesen Selbstin- terpretationen eine Balance zu halten und dem Interaktionspartner verständlich zu machen, ist das schwierigste Problem des Individuums.

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Es schließt ein, daß sich das Individuum bedrückenden Ereignissen stellen muß. Sich nicht mehr erklären zu können, wie etwas geschehen konnte, ist unangenehm, weil die Unmöglichkeit, Entscheidungspro- zesse zu rekonstruieren, an der Überlegenheit des eigenen Handelns überbaupt zweifeln läßt. Die Interaktionspartner wiederum könnte ein ambivalenter Lebenslauf mißtrauisch stimmen. Sie müssen somit über- zeugt werden, daß ihr Gegenüber diesen Ablauf von Ereignissen zwar nicht konsequent erklären kann, aber doch verantwortlich anerkennt und ihnen damit die Einschätzung der Situation erleichtert. Letztlich wird also von allen an Interaktion beteiligten verlangt, ein gewisses Maß an Ungewißheit und Belastung durch ambivalente Selbstpräsen- tationen zu tolerieren, denn die angebotene Kontunuität und Konsi- stenz erweist sich am Ende doch stets als cine Behauptung, die be- sıenfalls überzeugt, aber grundsätzlich immer anfechtbar ist.

Was verlangt wird, mutet widersprüchlich an: In der Identität, in der es sich darstellt, muß das Individuum sich auf der einen Seite mög- lichst viel Information über seine vergangenen oder anderweitig einge- nommenen Positionen bieten und auf der anderen Seite zugleich ausdrücken, daß all das es nicht hindern wird, in zukünftigen Inter- aktionen in wiederum veränderterweise aufzutreten" (Krappmann 1971,5.51fj.

Die Sicherung der Interaktion zur [dentitätsbildung isı also ein not- wendiges Bestreben des Individuums, auch wenn ihm dies zeitweilig oder in bestimmten Situationen mißlingt. Es muß im Sozialisations- prozeß lernen, in den divergierenden Erwartungen der Interaktions- partner die Fähigkeit zur Identitätsbalance zu entwickeln. Dies ist aber ein schwieriger Prozeß, denn nur in wenigen Interaktionen ha- ben alle Beteiligten über dieArtikulierung ihrer Bedürfnisse und über den Verlauf der Interaktion gleiches Stimmrecht. In den meisten Fällen gibt es dominante Partner, die in der Lage sind, ihre Interes- stärker durch als and. Eine der möglichen Mittel zur Demonstration dieser Macht in der Interaktion ist die soziale Stig- matisjerung des anderen.

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Was heißt Sozialisation von ausländischen Studenten Aber natürlich kann das, was für das Indviduum eine gute Anpassung ist, eine noch besse- re für die Gesellschaft sein.

Goffmann, Erving: Stigma Die Strukturen sozialer Interaktionsprozesse können deutlicher sicht- bar werden, IE BSR. ESDIMERtIaNE SIOnanicen Sup PER der Identitäten analysiert. In probl

befinden sich stets Menschen wie körperlich, geistig oder rassisch Be- nachteiligte, Prostituierte, ehemalige Gefangene, Obdachlose, Homo- sexuelle usw., die wegen physischer oder sozial diskreditierter Eigen- schaften mit erheblichen Schwierigkeiten mit anderen interagieren können. E.Goffmann (1967) nennt sie "stigmatisierte‘ Personen und definiert: „Ein Individuum, das leicht in gewöhnlichen sozialen Ver- kehr hätte aufgenommen werden können, besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, daß wir uns bei der Begegnung mit diesem Individuum von ihm abwenden, wodurch der Anspruch, den seine anderen Eigenschaften an uns stel-

len, gebrochen wird. Es hat ein Stigma, das heißt, es ist in unerwünsch-

ter Weise anders, als wir es antizipiert hatten. Uns und diejenigen, die von den jeweils in Frage stehenden Erwartungen nicht negativ abwei- chen, werde ich die ‘Normalen’ nennen” (Goffmann 1967, 5.13}.

Der sozialen Stigmatisierung einer Person in der Interaktion liegt fol- gender Prozeß, den E.Goffmann treffend charakterisiert, zugrunde:

„Wenn ein Fremder uns vor Augen tritt, dürfte uns der erste Anblick befähigen, seine Kategorie und seine Eigenschaften, seine 'soziale Identität" zu antizipieren--um einen Terminus zu gebrauchen, der bes- ser ist als 'sozialer Status’, weil persönliche Charak tereigenschaften wie z.B. "Ehrenhaftigkeit' ebenso einbezogen sind wie strukturelle Merkmale von der Arı des ‘Berufes'. Wir stützen uns auf diese Antizi- pationen, die wir haben, indem wir sie in normative Erwartungen um- wandeln, in rechtmäßig gestellte Anforderungen. . , Während der Fremde vor uns anwesend ist, kann es evident werden, daß er eine Ei- wenschaft besitzt, die ihn von anderen in der Personenkategorie, die für ihn zur Verfügung steht, unterscheidet; und diese Eigenschaft kann von weniger wünschenswerter Art sein -im Extrem handelt es sich um eine Person, die durch und durch schlecht ist oder geführlich oder schwach. In unserer Vorstellung wird sie so von einer ganzen und 24

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gewönlichen Person zu einer befleckten, beeinträchtigten herabgemin- dert. Ein solches Attribut ist ein Stigma, besonders dann, wenn seine diskreditierende Wirkung sehr extensiy ist; manchmal wird es auch ein Fehler genannt, eine Unzulänglichkeit, ein Handikap” (Goffmann

1967, 8.10f).

In der Sprache gehört zur Charakterisierang des Stigmatisierten die Emotionalisierung bestimmter Begriffe und die Wandlung dieser Be- griffe in Schimpfwörtern. Auf allgemein gesellschaftlicher Ebene fin- det eine gewisse Konventionalisierung dieser emotiven Bedeutungen statt, und zwar mit dem Resultat der Mobilisierung kollektiver Effek- te, Besonders in den Krisen oder Konflikten zeigen sie sich als standar- disierte Vorurteile. $o rufen Wörter wie Kommtenist, Ausländer, Neger usw. die unter bestimmten Umständen deskriptive Bedeutungen be- sitzen, bei vielen Normalen hier ablehnende Gefühle hervor oder ver- setzen sie in Furcht und Schrecken. Sie versuchen sich vor dem Schrek- ken. dieser Begriffe dadurch zu schlitzen, daß sie diese Begriffe in

y n wie K hwein, Busch-Mensch, Niger

usw. umwandeln. Es gibt ferner eine andere Kategorie von Wörtern, die die Stigmatisierung in anderer Art darstellen. En sind die spezifi- schen Stigm: ini wie Sch iger, Zige ‚U i

te usw., die der Normale in täglicher Unterhaltung in vielfältiger Weise benutzt.

Bei der Analyse der Sozialisation ausländischer Studenten in der BRD wird in dieser Arbeit von der Vorstellung ausgegangen, daß Ausländer in dieser Gesellschaft aufgrund ihrer Herkunft — diese schließt die Hautfarbe, sozio-kulturelle Verschiedenheit und sprachliche Unsicher- heit mit ein — in einer Weise diskrediert werden, daß es ihnen — wie den anderen diskreditierten und diskreditierbaren Gruppen — nicht

ohne weiteres möglich gemacht wird, Interaktionen in dieser sozialen Umgebung zustandezubringen. Unabhängig von den Motivationen zum Studienaufenthalt in der BRD und unabhängig von der Analyse der Funktion des Ausländerstudiums — sowohl für den Ausländer und sein Land als auch für die BRD und die Industrieländer — soll zunächst der Sazialisationsprozeß des Ausländers untersucht werden. Auch wenn seine Motivationen zum Studium in der BRD und seine zukünftigen Perspektiven — allgemein ausgedrückt — mit den Interessen des ‚Gast- landes* konform gehen sollten, erlebt der Afrikaner, Asiate oder La»

teinamerikaner stets soziale Diskriminierungen — trotz der Konformi- tät, mit der er allenfalls hier oder da einige Erleichterungen einhandeln kann. Nicht nur im Ausländergesetz sind der Entfaltung der Persön-

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lichkeit des Ausländers Grenzen gesetzt; sie sind in den sazial-psy- chischen Strukturen des Umgangs der Normalen mit ihm manife- stiert, und zwar in einer Weise, daß das Ausländer-Sein das Stigma bildet. Die $tigmatisierung wird nach außen durch die Hautfarbe oder Sprachunsicherheit oder Verhaltensweisen erkennbar. Für die Stigma- Analyse hier ist diese Differenzierung des Stigms irrelevant; es genügt, dies unter Ausländer zu sabsummieren, obwohl die Unterteilung ge- wisse Stigma-Gradation aufweist und Unterschiede im Verhalten ‚der Normalen ihnen gegenüber aufdeckt. Die Analyse in dieser Arbeit will den Schwerpunkt auf nicht-weiße-Studenten legen.

Die Analyse der Stigmatisierung ausländischer Studenten könnte wesentliche Impulse aus der Analyse der Stigmatisie- rung ausländischer Arbeiter in der BRD erhalten, wenn man solche Untersuchung in einem großen Rahmen vornehmen könnte.

Denn dies könnte einerseits die Stigmatisierung des ausländischen Stu- denten relativieren und andererseits spezifische Interaktionsstrategien als ausländischer Student deutlicher machen. Dies wird aber den Rah- men dieser Arbeit sprengen, deshalb wird hier darauf verzichtet.

Der Ansatz, die Ausländer zu den Stigmatisierten in der BRD zu zählen, um aus der Analyse der Interaktionssituationen und der Identitätsbildung bei Stigmatisierten spezifische Strukturen ‚die- ser bei ausländischen Studenten zu versichen, ist aus der Sicht der Ausländer — auch wenn Normale diese ablehnten — gereeht- fertigt, zumal 60,3% der ausländischen Studenten an der Uni- versität Frankfurt meinen, daß sie als Ausländer hier diskrimi- niert werden. Wie die von F. Fanon (1967) beschriebenen Er- wartungen des weißen Mannes gegenüber dem Schwarzen ist die Stigmatisierung des nicht-weißen Ausländer in der BRD ein fact’: „There is a fact: White men consider themselves superior to black men“ (Fanon 1967,58. 10).

Die Stigmatisierung des Ausländer läßt sich grob folgendermas- sen in Phasen darstellen:

1. Im besonderen in der Anfangsphase seines Aufenthalts erfährt der Ausländer, daß er hier in der sekundären sozialen Umwelt von den Normalen mit Hilfe verschiedener Mechanismen zum Stigmatisierten gemacht wird,

2. Als Folge empfindet er sich als Stigmatisierter: Er intermalisiert die Stigmatisierung. Damit entwickelt er eine Art Identitätsam- 26

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bivalenz; er versucht sich stark anzupassen und will ‚überleben‘; er rebeiliert in der Anpassung.

3. Die Schlußphase stellt den Ausländer vor die Entscheidung (Mög-

lichkeit}, entweder das Stigma aufgeben zu können (Rückkehr in die primäre soziale Umwelt) oder für den Aufenthalt unter den Normalen modifizierte Techniken zur ständigen Anpassung zu ent- wickeln (also zu ‚täuschen‘), um weiter mit der Stigmatisierung zu leben.

Die soziale Umwelt reagiert ambivalent auf die Personen der stigma- tisierten Gruppen. Sie lehnt einerseits sie nicht grundsätzlich ab („‚Aus- tänder sind schließlich auch Menschen . . . "). Sie verpflichtet sich sogar oft formell, sie nicht zu diskreditieren, zum Beispiel in Verfas- sung, in religionsethischen Schriften, bei Veranstaltungen wie dem

‚Tag des ausländischen Bürgers‘. Meist geben sie die Ablehnung nur indirekt zu verstehen. Bei der Wohnungssuche erlebt der Ausländer oft, daß viele Vermieter zuerst ausführlich und umständlich zu erklären versuchen, daß sie eigentlich nichts gegen Ausländer hätten, und gerade seine Nationalität aus diesem oder jenem Grund ihnen sympathisch sci usw.. um dann aber die Wohnung aus scheinbar neu- tralem Kriterium ihm doch nicht zu geben.

Grundsätzlich ist der Normale bestrebt zu zeigen, daß der Stigmati- sierte den an ihn herangetragenen Erwartungen nicht voll entspricht, obwohl die Erwartungen in der Regel selbst nicht widerspruchsfrei oder eindeutig sind, und obwohl sie von dem Normalen selbst nicht voll entsprochen werden können. Die Vorstellung, die er von dem Stigmatisierten macht, versucht er in vielfältiger Weise zu rationali- sieren. Dazu gehören sowohl Rechtfertigungsversuche als auch Differenzierungen auf subjektiver Ebene, 50 kann man beobachten, daß, wenn ein Ausländer mit einem Normalen über kontroverse Themen — wie ‚Ausländer in der BRD" — Gespräche führt und der Normale allgemein negative Erfahrungen über Ausländer mitteilen will, er dann dem Ausländer ofı beteuert — unabhängig davon, ob der Ausländer seiner Meinung ist oder nicht —, er — der Ausländer — sei persönlich aus der Kritik ausgenommen; er sei schließlich anders als die anderen Ausländer usw.

Es gibt auch noch suhul Differenzi die Stig ung charakterisieren, ohne daß der Normale die Stigmatisierung tatsäch- lich beabsichtigt, oder diese nur stark verhüllt zu verstehen geben will.

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Wenn ein ausländischer Student sich um ein Stipendium bemäht, so ver- langen die meisten Organisationen — auch die Universität Frankfurt — Gutachten von Professoren. Eine von den Professoren in den Gutachten häufig benutzte Formulierungen ist: ‚Als Ausländer (oder Unter Ausländern) zeigt sie/er eine überdurchschnittliche Leistung . . .. Dem Professor, der mit dem Gutachten dem Ausländer einen Gefallen tut, kann unter Umständen die Diskreditierung in der Formulierung nicht einmal bewußt werden. Er kann möglicherweise nicht meinen, daß seine Leistungserwartungen gegenüber dem Ausländer niedriger als bei Deutschen anzusetzen seien. Dennoch drücken seine Formulierungen eine charakteristische Stigmatisierung des Ausländers aus. Auch die überraschende Feststellung: ‚Wie lange sind Sie in Deutschland? Sie sprechen so gut deutsch‘ oder das naive Erstaunen, wenn dem Ausländer etwas gelingt, sind subtile Zeichen seiner Stigmatisierung.

Die stigmatisierte Person reagiert auf verschiedene Weise auf ihre Situ- ation; sie berücksichtigt die Stigmatisierung stets als einen konstanten Faktor in ihren Handlungen. Was F. Fanon über Schwarze als ‚fact' be- zeichnet, charakterisiert zugleich eine der wichtigsten Reaktionen des Stögmatisierten. „There is another fact: Black men want to prove to white men, at all costs, the richness of their thought, the equal value of their intellect‘* (Fanon 1967, 5. 10). In einigen Fällen versucht die stigmatisierte Person die nach ihrer Ansicht sozial diskriminierenden Merkmale an sich direkt zu korrigieren — zum Beispiel der körperlich Benachteiligte durch Operation oder der Homosexuelle durch Psycho- therapie usw. Der Ausländer kann seine Herkunft nur schwer korrigieren. Er kann zwar seine Verhaltensweisen soweit ändern, daß er glaubt, sich gut angepaßt zu haben, oder er kann die Sprache noch per- fekter lernen, aber er kann seine Hautfarbe beispielsweise nicht ändern. Manche versuchen die Eliminierung des Stigma durch eine Schein-Korrekiur, indem sie sich um die Staatsangehörigkeit der Normalen bemühen. Damit haben sie zwar keinen vollkommen nor- malen Status — das spüren sie sicherlich ständig, denn sie reagieren empfindlich, wenn ein Normaler ihnen — auch ohne Absicht — zu ver- stehen gibt, daß er ein Ausländer sei —, aber dennoch haben sie für sich das Gefühl, durch „die Transformation eines Ich mit einem bestimmten Makel zu einem Ich mit dem Kennzeichen, einen bestimmten Makel

korrigiert zu haben“ (Goffman 1967,58. 18).

Es werden aber auch indirekte Wege zur Korrektur des Stigma gesucht, Der Stigmatisierte kann versuchen, gerade in den Bereichen Erfolge zu erzielen, die nach allgemeiner Ansicht ihm wegen seines Handikaps ver-

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schlossen sind. Es kann ihm enorme Mühe kosten und Belastungen ver- ursachen, um diese Erfolge zu erzielen und sie bewußt den anderen zu demonstrieren. Vielen Ausländern ist das sicherlich eine enorme Be- lastung, in der Interaktion mit Normalen zu zeigen, daß sie die Sprache der anderen besser beherrschen, als man dies ihnen unter-

stellt.

Die Stigmatisierung bedeutet auch, daß Normale gewöhnlich eine Interaktion mit den stigmatisierten Menschen meiden. In seltenen Fällen glaubt er, auf eine Interaktion mit dem Stigmatisierten ange- wiesen zu sein. Und wenn er sie einmal benötigt, hat er geringere Schwierigkeiten, sie herzustellen. Anders sicht es für den Stigmati- sierten aus. Er ist in den meisten Fällen auf eine Interaktion mit dem Normalen angewiesen und muß größere Barrieren überwinden, um eine Interaktion herzustellen, Es dürfte sicherlich interessant sein, zu wissen, wieviele Deutsche es überhaupt für notwendig halten, mit Aus- ländern Kontakt zu haben und warum. Der Ausländer ist aber im hohen Maße auf den Kontakt mit Deutschen angewiesen.

Anders ist es, wenn die Stigmatisierten innerhalb der Umgebung der Normalen eine relativ große ‚Insel' bilden können. Beispiele dafür sind etwa türkische oder chinesische Stadtviertel in einer fremden Stadt oder ein Behinderten-Dorf oder das Bordell usw. Dort unterhalten

einige der stigmatisierten Mitglieder soziale Kontakte ausschließlich

mit ihresgleichen innerhalb der Insel; sie treten nach außen kaum in Erscheinung. Sie greifen auf die soziale Infrastruktur zurück, die inner- halb dieser Insel entwickelt ist. Nur wenige unter ihnen besorgen not- wendige soziale Kontakte nach außen. Sie arbeiten draußen oder gehen draußen zur Schule; sie treten als Sprecher der Insel-Mitglieder auf oder sie verwalten die Insel.

Bei den ausländischen Studenten ist die Situation anders. Ihre Zahl ist relativ gering. In ihren jeweiligen Nationalitäten aufgeteilt wird sie noch geringer und ermöglicht deshalb keine derartige kollektive Insel- Bildung. Der ausländische Student ist fast ausschließlich auf die so- ziale Infrastruktur der Normalen angewiesen. Da ihm aber der Zugang in der Regel erschwert ist, ist er in den meisten Fällen gezwungen,

eine individuelle Insel zu errichten.

Das führt wiederum dazu, daß er als Stigmatisierter in der Interaktionssituation mit Normalen sich in der Antizipation der Erwartungen meist schr unsicher fühlt, „Diese Unischerheit entsteht

Referenzen

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