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Ein Schuldenabbau ist heute schwieriger als in der Nachkriegszeit | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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VERSCHULDUNG

6 Die Volkswirtschaft  12 / 2016

nur noch knapp die Hälfte des BIP aus (siehe Ab- bildung).1

Geschichten wie diese machen jeder Regie- rung Hoffnung, die einen hohen Schuldenberg abtragen muss: Offenbar ist es möglich, sich aus der Schuldenfalle zu befreien und wieder Spiel- raum für die Finanzpolitik zurückzugewinnen.

Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung:

Viele Bedingungen, die damals entscheidend waren, existieren heute nicht mehr.2

So setzte kurz nach 1945 eine rund dreissig- jährige Wachstumsperiode ein, die historisch einzigartig war. Im Schnitt nahm das reale BIP Grossbritanniens pro Jahr um etwa 2,5 Pro- zent zu. Einen solchen Boom werden wir kaum mehr erleben. Wir können froh sein, wenn wir durchschnittlich noch ein Realwachstum von 1,5 Prozent aufrechterhalten können. Kriti- sche Stimmen gehen sogar davon aus, dass die durchschnittliche Wachstumsrate auf längere Sicht sogar sinken könnte.

Zweitens konnte die britische Regierung gleich zu Beginn der Wachstumsperiode die

D

ie Lage schien aussichtslos: 1945, am Ende des Zweiten Weltkriegs, betrugen die Schul- den Grossbritanniens 21 Milliarden Pfund, was ungefähr 250 Prozent des damaligen Bruttoin- landprodukts (BIP) entsprach. Das Land hatte einen enormen Preis für seinen Sieg gegen Nazi- deutschland bezahlt. Doch wie ein Wunder gelang es, die britischen Staatsschulden in den folgenden Jahrzehnten auf ein erträgliches Mass zurückzu- schrauben. Ende der Siebzigerjahre machten sie

Ein Schuldenabbau ist heute schwieriger als in der Nachkriegszeit

Auf den ersten Blick präsentiert sich die Situation vieler südeuropäischer Staaten ähnlich wie etwa die Lage Grossbritanniens nach dem Zweiten Weltkrieg: Der Schuldenstand ist historisch hoch. Im Gegensatz zu damals ist die Hoffnung auf einen reibungslosen Abbau aber gering.  Tobias Straumann

Abstract    Länder wie Griechenland und Portugal – aber auch Irland und die USA – sind stark verschuldet. Einzelne Staaten befinden sich somit in einer ähn- lichen Situation wie am Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Gegensatz zu damals, als Grossbritannien und andere Länder mit hohen Kriegsschulden ihre Schulden bis Anfang der Siebzigerjahre deutlich reduzieren konnten, dürfte heute eine rei- bungslose Schuldenreduktion schwieriger sein. Denn das Umfeld hat sich funda- mental verändert. So sind beispielsweise die Wachstumsraten kleiner als in den Boomjahren der Nachkriegszeit, und die Sozialausgaben sind grösser. Während die meisten mittel- und nordeuropäischen Staaten ihren Staatshaushalt mit her- kömmlichen Mitteln in den Griff bekommen dürften, bleiben den hoch verschul- deten Ländern Südeuropas nur zwei unangenehme Instrumente: Finanzrepres- sion und Schuldenschnitt.

1 IMF (2010).

2 Abbas et al. (2014).

Britische Schulden (in % des BIP)

UK TREASURY / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

250 200 150 100 50 0

1900 1924 1948

1972 1912

1960 1936

1984

1996

1904 1952

1928

1976 1916

1964

1940 1988

1908 1956 2000

1932

1980 1920

1968

1944 1992

2004 2008 2012 2016 2020

(2)

FOKUS

Die Volkswirtschaft  12 / 2016 7 Militär ausgaben deutlich zurückfahren, ohne

die vom Krieg ererbten hohen Steuern sofort sen- ken zu müssen. Dadurch ergab sich innerhalb weniger Jahre ein Überschuss in der Staatsrech- nung. Auch diese Option steht heute nicht mehr zur Verfügung, da sich die Verteidigungsausga- ben bereits auf einem tiefen Niveau befinden. Die Friedensdividende des beendigten Kalten Kriegs hat man im Westen in den Neunzigerjahren ein- gefahren. Drittens war der Sozialstaat damals kleiner als heute. Zwar wurde er im Zug des Wirt- schaftswunders aufgebaut und grosszügig aus- gestattet. Da jedoch bis Mitte der Siebzigerjahre die Arbeitslosigkeit klein war und das Verhält- nis zwischen Beitragszahlern und Rentnern stets günstig blieb, ergaben sich keine nennenswerten zusätzlichen staatlichen Ausgaben.

Heute ist die Situation ganz anders: Ein grosser Teil des Budgets ist für die Finanzie- rung des Sozialstaats reserviert, und es ist an- gesichts der demografischen Veränderungen kaum anzunehmen, dass diese Ausgaben bald abnehmen werden. Nur ein Aspekt ist ähnlich wie damals: die Finanzrepression.3 In der Nach- kriegszeit war es der britische Staat, der für niedrige Realzinsen sorgte, damit die jährli- chen Zahlungen erträglich blieben. Er erreichte dieses Ziel, indem er die nominalen Zinsen tief hielt, Inflation zuliess und die Kreditpolitik der Geschäftsbanken steuerte. Heute befinden wir uns ebenfalls in einer längeren Tiefzinsphase, auch wenn das Instrumentarium etwas anders zusammengesetzt ist. Während man damals starke Eingriffe ins Bankensystem vornahm

KEYSTONE

Der Präsident der Europäischen Zent- ralbank (EZB), Mario Draghi, setzt auf eine expansive Geldpoli- tik, die EZB-Ratsmit- glieder folgen ihm.

3 Reinhart (2012).

(3)

VERSCHULDUNG

8 Die Volkswirtschaft  12 / 2016

und Kapitalverkehrskontrollen einführte, ist es aktuell die aussergewöhnlich expansive Poli- tik der Zentralbanken, die den Realzins nach unten drückt.

Ausgangslage in den meisten europäischen Staaten gut

Obwohl sich die Bedingungen im Vergleich zur Nachkriegszeit verschlechtert haben, ist die Lage nicht ausweglos. Zunächst sollte man sich davor hüten, alle Länder als hoch verschuldet einzustufen. Deutschland, Grossbritannien so- wie die meisten Mittel- und Kleinstaaten Euro- pas, darunter die Schweiz, befinden sich in einer guten Lage. Einige von ihnen wie zum Beispiel Schweden haben es sogar geschafft, die Sozialversicherungen mit einem klugen Finan- zierungsmodell auf längere Sicht zu sichern.

Es besteht kein Grund zur Annahme, dass an- dere demokratische Länder nicht auch zu einer Sanierung fähig sind.

Selbst die USA, die zu Recht für ihren frivolen Schuldenaufbau kritisiert werden, haben durch-

aus die Mittel, den Staatshaushalt zu sanieren.

Erste Schritte wurden bereits nach der Finanz- krise unternommen, sowohl auf der Steuer- wie auf der Ausgabenseite, sodass sich die Schulden- quote bei rund 100 Prozent des BIP stabilisiert hat. Ferner sind Republikaner und Demokraten entschlossen, die Unternehmenssteuern zu sen- ken. Dadurch wollen sie verhindern, dass die US- Konzerne ihre Gewinne im Ausland versteuern.

Südeuropa muss über Schulden- schnitt nachdenken

Für einzelne Länder bietet sich ein Schulden- schnitt an. Da die Folgen kurzfristig äusserst ne- gativ sein können, versuchen die Politiker, dieses drastische Mittel zu vermeiden. Aber wenn eine Regierung mit dem Rücken zur Wand steht, hat sie keine andere Wahl mehr. Vor allem in Süd- europa gibt es ein paar Kandidaten, für die ein Schuldenschnitt nur noch eine Frage der Zeit ist.

So ist nebst Griechenland auch Portugal höchst gefährdet. Und Italien und Spanien sind keines- wegs über den Berg.

KEYSTONE

Kurzer Glücks- moment in Neapel:

Angesichts der Staatsverschuldung sind die Zukunfts- aussichten für junge Italiener düster.

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FOKUS

Die Volkswirtschaft  12 / 2016 9 Vorläufig scheint die Option des Schulden-

schnitts zwar noch in weiter Ferne zu liegen – weil die Europäische Zentralbank (EZB) die Zin- sen tief hält und die Staatsobligationen auf ihre Bilanz nimmt. Wie ein Blick auf die lateiname- rikanische Schuldenkrise der Achtzigerjahre zeigt, kann sich die Situation aber schnell än- dern. Auch damals versuchten die westlichen Politiker die Situation zu entschärfen, indem sie die Banken zu weiteren Kreditvergaben er- mutigten und den Schuldnern Strukturanpas- sungsprogramme auferlegten. Der Plan schei- terte jedoch, und es zeigte sich einmal mehr:

Insolvente Staaten können auf die Dauer nicht durch Liquiditätsspritzen vor dem Bankrott bewahrt werden. 1989, sieben Jahre nach Aus- bruch der Krise, waren die Gläubiger schliess- lich doch noch bereit, auf einen Teil der Schul- den zu verzichten. Die Situation in Südeuropa ist durchaus vergleichbar.

Ein Schuldenschnitt wird oft mit einer Wäh- rungsabwertung verknüpft4 – was auch in Süd- europa von Vorteil wäre. Dieses Szenario liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Denn: Die Währungsunion verliert immer mehr an poli- tischer Unterstützung. Besonders gefährdet ist Italien. Dort stagniert die Wirtschaft seit 15  Jahren, die Industrieproduktion ist seit der Finanzkrise um ein Viertel geschrumpft, die

Literatur

Abbas, S. M. Ali, Laura Blattner, Mark De Bro- eck, Asmaa A ElGanainy and Malin Hu (2014).

Sovereign Debt Composition in Advanced Eco- nomies; A Historical Perspective, IMF Working Papers 14/162, International Monetary Fund.

International Monetary Fund (2010). Govern- ment Debt Database, IMF Fiscal Affairs Depart- ment, Washington.

Reinhart, Carmen M. (2012). The Return of Finan- cial Repression, Financial Stability Review, Ban- que de France, Issue 16, Pages 37–48, April.

Reinhart, C. and K. Rogoff (2009). This Time Is Different: Eight Centuries of Financial Folly, Princeton, New Jersey.

Reinhart, C. and K. Rogoff (2009, 2010). This Time Is Different Chartbook: Country Histories on Debt, Default, and Financial Crises, NBER Working Paper No. 15815.

Tobias Straumann

Titularprofessor für Wirtschaftsgeschichte, Universität Basel und Universität Zürich

Banken sitzen auf Hunderten von Milliarden von faulen Krediten, und das Einkommen pro Kopf ist auf das Niveau der frühen Neunziger- jahre zurückgefallen. Bereits fordert die Fünf- Sterne- Bewegung, seit 2013 zweitstärkste Par- tei im italienischen Parlament, den Austritt aus dem Euro.

So scheint mir folgendes Szenario das wahr- scheinlichste: In den Ländern, die eine erträg- liche Schuldenlast haben, wird es die Politik schaffen, die Verschuldung durch Finanzre- pression und Reformen in Zaum zu halten. Län- der, die wenig Wachstumschancen haben und Schulden von deutlich über 100 Prozent des BIP auf ihren Schultern tragen müssen, werden frü- her oder später einen Schuldenschnitt durch- führen müssen, eventuell in Kombination mit

einer Währungsabwertung. 4 Reinhart und Rogoff (2009, 2010).

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