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1. Einleitung. Jungen sind unterschiedlich

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Jungen sind unterschiedlich

Jungen sind die neuen Problemkinder der Nation: Sie sind unkonzent- rierter und lauter, stören häufiger, fordern mehr Aufmerksamkeit, sind unkooperativer und aggressiver als Mädchen. Sie leiden drei- bis vier- mal so häufig an Hyperaktivität und unter Aufmerksamkeitsdefiziten, Stottern, Autismus, Bettnässen, Legasthenie und Verhaltensauffäl- ligkeiten wie Mädchen. Im Kindergarten verlangen sie mehr Zeit und Raum von Erzieherinnen, sind oft aber auch schneller abgelenkt und gelangweilt. In der Schule schreiben sie schlechtere Noten, bleiben häu- figer sitzen und beenden ihre Schul laufbahn öfter ohne Schulabschluss (vgl. Schultheis & Fuhr, 2006). Nach Jahren der Mädchenförderung rü- cken die Jungen in den Fokus der Aufmerk samkeit: Kindergärten, Schu- len, Jugendhilfeeinrichtun gen und Vereine suchen nach Konzepten der Jungenförderung. Aber sind Jungen wirklich so auffällig, wie es auf den ersten Blick scheint? Wie können wir ihre Entwicklung fördern? Und welche Rolle spielen Bewegung, Spiel und Sport dabei?

Das Buch beschreibt zunächst das Aufwachsen von Jungen aus einer jungenparteilichen Perspektive. Bilder von ‚traditioneller‘ und ‚moder- ner‘ Männlichkeit gehören eben so dazu wie Lebenswelten von Jungen, die männliche Identitätsentwicklung sowie das Bewegungsverhalten von Jungen (vgl. Kap. 2). Ohne die Probleme leugnen zu wollen, wird

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Einleitung

deutlich, dass Jungen sehr unterschiedlich sein können. So wie nicht alle Mäd chen zurückhaltend und ängstlich sind, sind nicht alle Jungen draufgänge risch und aggressiv – Pauschalurteile helfen also nicht wei- ter! Auf den zweiten Blick zeigen sich zudem Stärken von Jungen, die im pädagogischen Alltag oft gar nicht auffallen: Jungen können begeis- terungsfähig und konsequent, kreativ und ausdauernd, rücksichtsvoll und hilfsbereit sein – wenn man sie nur lässt! Hier scheint ein Grund- problem in der Erziehung von Jungen zu liegen: Die Erwartungen, die ihr soziales Umfeld an sie richtet, sind undeutlich und widersprüchlich.

Gerade kleinen Jungen bleibt oft gar nichts anders übrig, als sich an traditionellen Männlichkeitsbildern zu orientieren.

Eine Entwicklungsförderung von Jungen bedarf flexibler Vorstellungen vom Jungesein, ohne klare Zielvorstellungen zu vernachlässigen. In die- sem Sinne werden allgemeine und bewegungsbezogene Ansätze der Jun- genförderung vorgestellt. Im Mittelpunkt steht das so genannte Variab- lenmodell, das aktive, leistungsbezogene und passive, reflexive Anteile männlichen Handelns integriert (vgl. Kap. 3). Das Modell setzt weniger bei den Defiziten und Problemen von Jungen an, sondern greift ihre Be- dürfnisse und Interessen auf. Zentraler Ausgangspunkt ist das Feld von Bewegung, Spiel und Sport. Sich-Bewegen und Sporttreiben gehört nicht nur zu den häufigsten und wichtigsten Aktivitäten im Leben von Jun- gen, es bietet auch pädagogisch erfolgversprechende Voraussetzungen.

Sport ist unmittelbar und liefert direkte Rückmeldungen. Zudem kann man sich in Bewegungssituationen kaum verstellen. Allerdings ist der Leistungssport auch durch traditionelle Männlichkeitsvorstellungen ge- prägt. Hier muss in der Praxis sensibel vorgegangen werden.

Im Hauptteil des Buchs werden vielfältige Bewegungs- und Spielformen zur Jungenförderung durch Bewegung, Spiel und Sport vorgestellt (vgl.

Kap. 4). Die Praxisbeispiele eignen sich für vier- bis zwölfjährige Jungen in Kindergärten, Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen und Ver einen. Sie orientieren sich an acht Handlungsfeldern bewegungsbezogener Jun- genförderung: Gewinnen und Verlieren, Kooperation und Konkurrenz, Sensibilität und Kraft, Nähe und Distanz, Spannung und Entspannung, Wagnis und Risiko, Regeln anerkennen und Regeln überschreiten, Aus- druck und Präsentation. Gemeinsam ist allen Beispielen, dass sie mit unterschiedlichen Zielgruppen ohne großen Aufwand umgesetzt werden können. Zudem wird besonderer Wert auf männliche Inszenierungen ge- legt: Feuerwehrmänner, Monster, Indianer und Superhelden sind also reichlich vertreten. Nach einem kurzen Ausblick auf die Jungenförde- rung der Zukunft (Kap. 5) findet sich im Anhang ein Serviceteil mit Li- teraturangaben und Links, Spieleindex und Spieleübersicht (Kap. 6).

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Das Aufwachsen ist für Mädchen und Jungen in modernen Gesellschaf- ten nicht immer einfach. In Zeiten der ‚Multioptionsgesellschaft‘ fällt es schwer, die Chancen und Risiken der Moderne richtig einzuschätzen.

Jungen haben es in dieser Hinsicht doppelt schwer, weil nicht nur die Bedingungen des Erwachsenwerdens insgesamt komplexer geworden sind, sondern weil auch die Vorstellungen von dem, was heute unter Männlichkeit verstanden werden soll, widersprüchlich sind. Das Ziel ih- rer Entwicklung zum Mann ist oft nur schwer erkennbar. Als eine der letzten Domänen der Männlichkeit gilt darum nicht selten der Sport.

Im Folgenden wird zunächst die Veränderung des Männerbilds in unse- rer Gesellschaft skizziert (Kap. 2.1). Anschließend werden Lebenswelten von Jungen (Kap. 2.2) sowie die Entwicklung einer männlichen Identi- tät im Vor- und Grundschulalter vorgestellt (Kap. 2.3). Schließlich wer- den diese Überlegungen auf das Feld von Bewegung, Spiel und Sport bezogen, das für Jungen aller Altersstufen besondere Anziehungskraft besitzt (Kap. 2.4).

2.1 Männlichkeit im Umbruch

Die Vorstellungen von Männlichkeit sind sozial und kulturell bestimmt.

Männerbilder dienen als Zielvorstellung für das Verhalten von Jungen und Männern, das in der jeweiligen Gesellschaft als funktional und

‚richtig‘ angesehen wird. Traditionelle Aufgaben von Männern kreisen in den meisten Kulturen um drei Themen: Von Männern wird erwartet, dass sie potente Liebhaber sind und Kinder zeugen (Erzeugerrolle), dass sie Tapferkeit beweisen und Schwächere beschützen (Beschützerrolle) und dass sie erfolgreich arbeiten und dadurch ihre Familie ernähren (Versorgerrolle) (vgl. Gilmore, 1991). Das Erfüllen dieser Aufgaben ist in der Regel mit Mühen und Gefahren verbunden, und nicht selten ste- hen die Männer dabei in einem direkten Wettbewerb mit anderen Män- nern – wer die Aufgaben am besten erfüllt, gilt als besonders ‚männlich‘.

Dementsprechend erhält man Männ lichkeit nicht automatisch, sondern sie muss von Jungen in einem unsicheren und nicht selten leidvollen Prozess ‚erworben‘ werden.

Allerdings sichert das Erlangen von ‚Männlichkeit‘ zumeist auch einen besonderen Status, der sich in der Dominanz gegenüber Frauen aus- drückt. In der kritischen Männerforschung wurde dafür der Begriff der Hegemonialen Männlichkeit geprägt (Connell, 2000, S. 87-107). Dar- unter werden alle Handlungsweisen zusammengefasst, durch die sich Männer im Geschlechterverhältnis positionieren. Allerdings sind nicht alle Männer Anführer; wo es ‚Alpha-Männ chen‘ gibt, gibt es auch Unter- gebene und Unterdrückte. Jungen und Männer können also eben so wie

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Aufwachsen von Jungen

Männlichkeit im Umbruch?

Mädchen und Frauen untergeordnete Positionen in einer hierarchisch organisierten Gemeinschaft einnehmen, letztlich profitieren die meisten von ihnen nach dieser Theorie jedoch von der patriarchalen Dividende, dem männlichen Überschuss. Auch moderne Gesellschaften, wie unsere westliche Industriegesellschaft, basieren zu einem großen Teil auf die- sem Prinzip. Allerdings werden traditionelle Männerbilder im Zuge sozi- aler Modernisierungs prozesse zunehmend brüchig.

Klassisch männliche Eigenschaften, wie Härte, Durchsetzungsvermö- gen, Rationalität und emotionale Kontrolle, gelten heute vielfach als problematisch. Traditionell weibliche Fähigkeiten, wie Fürsorge, Ein- fühlungsvermögen, Intuition und soziale Kompetenz, sind dagegen ge- fragt (vgl. MGMF NRW, 1997). Dahinter stehen nicht zuletzt veränderte gesellschaftliche Erwartungen, die heute an Männer gerichtet werden.

So ist das Leitbild des Erzeugers, das in traditionellen Gesellschaften den Status bestimmte und den Lebensunterhalt im Alter sicherte, in modernen Gesellschaften nicht mehr angemessen. Kinderreichtum gilt nicht mehr als Beweis männlicher Potenz, sondern oft schon als sozia- ler Makel. Auch die Vorstellung vom sexuell aktiven, tatkräftigen Mann erscheint unzeitgemäß. An die Stelle des sexuellen Abenteurers ist das Bild des einfühlsamen Liebhabers getreten (Rohrmann, 2001, S. 63). Al-

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lerdings wird die Initiative zur Aufnahme intimer Kontakte nach wie vor zumeist von Männern erwartet.

Ähnlich widersprüchlich verhält es sich mit dem Leitbild des Beschüt- zers. Auch diese Vorstellung geht auf traditionelle Gesellschaften zurück, in denen das „schwache Geschlecht“ vor Übergriffen einer gewalttätigen Umwelt geschützt werden musste. Heute können Frauen sehr gut auf sich selbst aufpassen; der „starke Mann“ wird nicht mehr gebraucht. Al- lerdings gehört es zur Standardszene jedes Action-Films im Kino, „dass eine Frau sich verstört an die Schulter eines Mannes anlehnt und von diesem getröstet wird“ (Rohrmann, 2001, S. 64). Schließlich bröckelt auch das Leitbild des Versorgers. Nur noch in einem Drittel aller euro- päischen Haushalte sind Männer die Alleinverdiener; ein Fünftel der be- rufstätigen Frauen verdient mehr als ihre Ehemänner (vgl. Horx, 2000).

Zwar sprechen diese Zahlen nach wie vor für eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, zugleich bestätigen sie aber auch die zunehmende Auflösung traditioneller Rollenvorstellungen. Trotzdem wird von Män- nern in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit erwartet, „dass sie ihr Le- ben in erster Linie auf die Anforderungen der Arbeitswelt abstimmen“

(Rohrmann, 2001, S. 62).

Fasst man diese Überlegungen zusammen, so sind die gesellschaftlichen Vorstellungen davon, was heute unter Männlichkeit zu verstehen ist, vielfältig und widersprüchlich – es fehlen eindeutige Männerbilder. An die Stelle traditioneller Rollenmuster ist ein diffuser Mix von Anforde- rungen und Erwartungen getreten, der es Jungen und Männern schwer macht, eine männliche Identität zu entwickeln (vgl. Winter & Neubau- er, 2005). Inwiefern darum von einer Krise der Männlichkeit gesprochen werden muss, ist allerdings umstritten. Während die einen eine zuneh- mende Orientierungsnot von Männern feststellen, betonen die anderen, dass das ‚Gerede von der Krise‘ vor allem darauf zurückzuführen sei, dass die gesellschaftliche Machtposition der Männer untergraben werde.

Letztlich erscheinen beide Sichtweisen sinnvoll: Einerseits deutet die

‚Krise der Männlichkeit‘ auf eine emotionale Verunsicherung hin; irgend- etwas scheint nicht zu stimmen im Leben der Männer heute (vgl. Zuleh- ner, 2004). Andererseits fordert die ‚Krise‘ notwendige gesellschaftliche Veränderungen, die der Benachteiligung von Frauen und Männern in der Gesellschaft entgegenwirken.

2.2 Lebenswelten von Jungen

Gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen das Leben von Mädchen und Jungen in hohem Maße. Neue Familienstrukturen, soziale Un- gleichheit, Arbeitslosigkeit, multikulturelle Gruppen und Schulklassen, verändertes Freizeit- und Konsumverhalten und vieles mehr tragen zu

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einem rasanten Wandel kindlicher Lebenswelten bei. Vielfach erweisen sie sich dabei heute als widersprüchlich: Kindheit ist einerseits bedroht, z.B. durch ein Überangebot an Medien oder die Zunahme des Straßen- verkehrs. Anderseits ist sie geschützt wie nie zuvor, z.B. durch Vorsor- geuntersuchungen und hohe Sicherheitsstandards. Einerseits ist Kind- heit passiv, z.B. durch Computerspiele und die Verhäuslichung der Kin- derkultur. Andererseits ist sie dynamisch, z.B. durch eine Vielzahl an Freizeitangeboten. Einerseits ist Kindheit bewegungsarm, z.B. aufgrund fehlender Spielmöglichkeiten im Wohnumfeld. Andererseits ist sie hoch sportiv – noch nie waren die Bindungsraten von Kindern in Sportverei- nen so hoch wie heute. Zugespitzt führt das zu der Frage, ob Kindheit heute als Risiko oder als Chance empfunden wird (vgl. Stange, 2006).

Was für Kinder im Allgemeinen gilt, gilt für Jungen im Besonderen.

Jungen müssen sich nicht nur mit den ‚normalen‘ Widersprüchen mo- derner Gesellschaften auseinandersetzen, sondern sie müssen sich auch auf die unsichere Suche nach Männlichkeit begeben. Das wichtigste Be- zugsfeld in den ersten Lebensjahren ist für sie die Familie. Während die Kindererziehung früher fast ausschließlich Aufgabe der Mütter war, übernehmen heute zunehmend auch Väter pädagogische Verantwor- tung. Allerdings sind die Rollen nach wie vor unterschiedlich verteilt:

„Die Beziehungen der Mütter zu ihren Kindern sind durch ein höheres Maß an Wechselseitigkeit und Intimität gekennzeichnet (…). Väter er- teilen ihren Kindern häufiger Befehle, aber sie toben auch mit ihnen he- rum, necken, foppen sie“ (Maccoby, 2000, S. 371). Ob sich ein Junge an- genommen fühlt und in seiner Entwicklung gefördert wird, hängt ganz entscheidend von der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung ab. Müttern kommt dabei oft eine behütende, emotional begleitende Funktion zu, während Väter sich explorativ-fordernd verhalten.

Allerdings lassen sich moderne Väter nicht mehr auf die Rolle des ‚Spaß- Vaters‘ reduzieren. Auch sie können ihren Kindern „Wärme und Trost geben, können Selbständigkeit fördern, können sie in die Arme nehmen und küssen – genau wie Mütter“ (Rohrmann, 2001, S. 37). In Bezug auf ihre Söhne kommt ihnen damit eine wichtige Aufgabe als positi- ves männliches Vorbild zu. Von ihnen müssen sich die kleinen Jungen nicht abgrenzen, sondern mit ihnen können sie die Vielfalt moderner männlicher Verhaltensweisen erleben – wenn sie ein aufgeschlossenes Verständnis von Männlichkeit haben. Eine große Hürde für die gleich- berechtigte Betreuung von Kindern in der Familie stellt allerdings die Arbeitswelt dar. Auch wenn sich traditionelle Rollenvorstellungen lang- sam auflösen, kommt den Vätern oft immer noch die Rolle des Haupter- nährers zu. Zumindest die zeitliche Abwesenheit ihrer Väter ist darum für viele Jungen nach wie vor Realität (vgl. Schnack & Neutzling, 2001, S. 84-100).

Aufwachsen von Jungen

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Männer- und Frauenrollen gleichen sich an

Im Kleinkindalter orientieren sich Mädchen und Jungen vor allem an ihren Eltern. Das ändert sich mit dem Eintritt in den Kindergarten. Auf einmal sind die kleinen Jungen mit vielen anderen Jungen zusammen.

Die Orientierung an den Gleichaltrigen und Gleichgeschlechtlichen wird zunehmend wichtiger: „Jungen wie auch Mädchen suchen sich ihre bes- ten Freunde und Freundinnen zumeist unter dem eigenen Geschlecht“

(Maccoby, 2000, S. 353). Damit werden ‚männliche‘ Verhaltensweisen von einer Jungengeneration zur nächsten weitergegeben: Bewegen und Toben in größeren Gruppen, am liebsten im Freien, das Wetteifern und Kämpfen, auch um einen guten Platz in der Gruppe (vgl. Blank-Mathi- eu, 2008, S. 80-81). Das Spiel der Jungen beansprucht mehr Raum, ist oft lauter und störanfälliger. Jüngere Kinder und Mädchen werden da- durch oft verdrängt – oder suchen sich aus eigenem Antrieb eine ruhige Ecke. Die zunehmende Abgrenzung der Geschlechter voneinander hat allerdings weniger mit gegenseitiger Abneigung, als vielmehr mit unter- schiedlichen Interessen zu tun.

Jungen im Kindergarten- und Grundschulalter interessieren sich z.B.

oft für Konstruktionsspiele wie Bauklötze, Lego oder Playmobil. Dabei können sie sich oft stundenlang konzentrieren und arbeiten mit anderen Jungen zusammen, „geben sich gegenseitig Ratschläge und versuchen, ihre Raketen, Schiffe, Flugzeugträger und Ähnliches möglichst perfekt

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zu gestalten. Erzieherinnen (…) sind meistens mit den komplizierten Konstruktionen überfordert und können sich nicht in die anzuwendende Technik hineinversetzen“ (Blank-Mathieu, 2008, S. 81). Oder aber ihnen fehlt das Verständnis für diese Form des ‚Spezialistentums‘. Ähnlich re- serviert reagieren viele weib liche Betreuungskräfte auf Spielzeugwaffen:

Revolver, Pistolen, Gewehre, Pfeil und Bogen, Messer und Tomahawks werden mit Hinweis auf eine friedfertige Erziehung aus den Gruppen- räumen verbannt. Dabei liegt es auf der Hand, dass die Waffen von Cow- boys und Indianern, Geheimagenten und Soldaten männliche Status- symbole sind, mit denen man sich identifizieren kann, um auf mittlere Sicht – selbstverständlich! – ohne sie auskommen zu können. Immerhin werden auch nicht alle Mädchen, die in ihrer Kindheit mit Barbies spie- len, in ihrem späteren Leben magersüchtige Modells!

Aufwachsen von Jungen

Jungen im Kindergarten

Gleichwohl können Erzieherinnen mit dem rabiaten Verhalten der Jun- gen mitunter nicht viel anfangen. Die Elementarpädagogin Melitta Walter beschreibt die „mütterliche Kultur“ des Kindergartens folgen- dermaßen: Erzieherinnen wollen den Kindern ein Nest voller Harmonie schaffen. Die Lautstärke und Dynamik der Jungen passt nicht dazu:

„Abenteuerlust, Versteckspiele, Kräftemessen wird als ‚gefährlich‘ einge- stuft. Frauen halten an weiblichen Vermeidungsstrategien fest und be- stimmen, dass ihre weiblich definierten Regeln und Vorgaben ‚objektiv‘

sind. Aus übersteigertem Verantwortungsgefühl (…) wird verhindert,

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dass die Kinder sich ausprobieren können“ (Walter, 2006, S. 20). In der Folge rebellieren die Jungen gegen die gängelnde Bevormundung durch die Erzieherinnen. Nicht selten beginnt damit ein Teufelskreis, der für beide Seiten anstrengend ist – und der eine positive Identitätsentwick- lung der Jungen behindert (vgl. Kap. 2.3). Womöglich ist das auch ein Grund für den überraschenden Befund einer Studie von Margarete Blank-Mathieu (2001), wonach Erzieherinnen in der Wahrnehmung von Jungen im Kindergartenalltag kaum vorkommen.

Mit dem Eintritt in die Schule beginnt für die Jungen ein neuer Lebens- abschnitt. Ebenso wie viele Mädchen freuen sich die meisten Jungen auf diesen Schritt in die Welt der ‚Großen‘. Allerdings setzt sich hier die Dominanz der Frauen fort. Zu dem hohen Anteil weiblicher Lehrkräfte kommt die Strukturierung des

Schulalltags hinzu, die bei Klas- sengrößen von bis zu 30 Kindern kaum zu vermeiden ist. Viele Jungen tun sich jedoch schwer mit dem Einhalten von Regeln, zumal wenn sie von Lehrerinnen aufgestellt werden. In der Folge müssen Jungen „oft zurechtge- wiesen werden, raufen oder bal- gen sich, ‚schlägern‘, setzen sich eher über Regeln hinweg oder haben sie ‚vergessen‘, reagieren verzögert auf Ermahnungen“

(Strobel-Eisele & Noack, 2006, S. 99). Ganz offensichtlich fällt es Jungen schwerer, sich an die Strukturen der Schule anzupas- sen als Mädchen. Tatsächlich fühlen sich Mädchen in der Schu- le tendenziell wohler als Jungen.

Umgekehrt geben Jungen häufi- ger an, „sich zu langweilen, fin- den den Unterricht in Mathema-

tik und im Sachunterricht schwieriger und kritisieren den Unterricht mehr“ (Rohrmann, 2008, S. 112). Dazu kommen nicht selten Probleme mit dem Lesen und damit einhergehend mit der Lesemotivation.

Wie sieht es nun mit dem Schulerfolg von Jungen aus? In der Grund- schule sind die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen noch vergleichsweise gering. Die IGLU-Grundschulstudie hat gezeigt, dass die Mädchen etwas bessere Ergebnisse im Lesen erreichen, wäh-

Anpassung an Strukturen ist schwer

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Aufwachsen von Jungen

rend die Jungen in Naturwissenschaft und Mathematik leicht vorne liegen. Allerdings bleiben bereits in der Grundschule mehr Jungen als Mädchen sitzen. Zudem bekommen trotz vergleichbarer Leistungen mehr Mädchen als Jungen eine Gymnasialempfehlung. In der Sekun- darstufe I können die Jungen ihren leichten Vorsprung in Naturwis- senschaft und Mathematik behaupten, während die Mädchen ihre Le- sestärke deutlich ausbauen (vgl. Diefenbach, 2008). Mit zunehmendem Alter geht die Schere weiter auseinander: Jungen werden mit 64%

deutlich häufiger auf Förderschulen überwiesen, sie werden beim Über- gang zur Oberschule bei gleicher Leistung negativer eingeschätzt, sie scheitern eher in der Sekundarstufe, sie machen seltener Abitur, sie sind häufiger arbeitslos als Mädchen (Preuss-Lausitz, 2008, S. 123-124).

Insgesamt weisen die vorliegenden Forschungsergebnisse auf eine ein- deutige Benachteiligung von Jungen im Schulsystem hin. Dementspre- chend bilanziert auch die IGLU-Studie, dass schon die deutsche Grund- schule heute „eher ein Ort für Mädchen als für Jungen ist“ (Valtin u.a., 2005, S. 232).

Umso wichtiger ist vielen Jungen ihre Freizeit. Hier haben sie Gelegen- heit, ihren Interessen nachzugehen und ihre Bedürfnisse auszuleben.

Klassische Beschäftigungen im Haus, wie Malen, Basteln oder Karten- spielen, verlieren dabei zunehmend an Bedeutung und werden ersetzt durch Musikhören, Fernsehen und Computerspielen. Die Medienindus- trie hat die Jungen längst als Zielgruppe entdeckt: Lars der kleine Eis- bär, Jim Knopf und Wickie sind dabei genauso beliebt wie Super Mario, Pokemon und Yu-Gi-Oh. Ganz gleich, ob Kinderkanal oder Privatfern- sehen, Game-Boy oder Spielkonsole

– die Superhelden gehören zum All- tag vieler Jungen fest dazu. Die Me- diennutzung steigt weiter an: 67%

der 10-14 jährigen Jungen nutzen sehr oft einen Computer, 68% spie-

Umgang mit Medien

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len sehr oft Videospiele, 75% schauen sehr oft Fernsehen (vgl. Schmidt, 2006). Das bedeutet allerdings nicht, dass Jungen nicht mehr draußen spielen – im Gegenteil: Bei den Outdoor-Aktivitäten stehen Bewegungs- und Sportaktivitäten an allererster Stelle.

Die beliebtesten informellen Aktivitäten von Jungen im Grundschulal- ter sind Fußball spielen, Inlinern und Fahrrad fahren. Aber auch Ver- steckspielen, Budenbauen und Feuermachen gehören nach wie vor zu den ‚Klassikern‘ der Jungenfreizeit. Als zentrale Freizeitorte werden der Fußballplatz, „wildes Gelände“ und der Garten genannt. Auch bei den institutionellen Terminen liegt der Sport mit 70-80% deutlich an der Spitze, gefolgt von Musikschulen (12%) und religiösen Angeboten (6%) (vgl. Schmidt, 2006). Der Sport durchdringt damit das Freizeitverhalten

vieler Jungen und wirkt prägend auch im Hinblick auf den Erwerb sozi- aler Kompetenzen: „Bei den Jungen ist offensichtlich allesentscheidend, ob sie an der sportiven Kultur teilnehmen oder nicht. Sportive Hobbies sind mit einer Zunahme sozialer Bindungen aller Art assoziiert (…).

Jungen ohne Sporthobby haben weniger Möglichkeiten zu sozialen Kon- takten und dürften deshalb Nachteile beim Erwerb sozialen Kapitals“

haben (Strozda & Zinnecker, 1996, S. 76).

Outdoor Aktivitäten

Referenzen

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