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PJ5_S285-315_Wolff_Lotze’s Metaphysik

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Y on Prof. Dr. J o h a n n W o l f f . (Schluss.)

Ein Phänomen und ein Zustand — und natürlich auch ihr immanentes Gesetz — können nur sein und nicht sein, weil sie etwas Einfaches sind : sie können also nicht von aussen einen Eindruck er­

langen und s i c h ändern, sich nach diesem richten. Jeder Eindruck wird sie vernichten, aber niemals blos ä n d e r n . W ie der Begriff der Veränderung, so ist auch der Begriff des einfachen W irkens illu-/

sorisch. Denn wenn, wie L . sagt, eine W irkung in B vor sich geht, also wenn B Bi wird, sobald unter Einfluss der Bedingung C, A in A i sich verwandelt hat, so setzt eben dies voraus, dass das M s i c h in A i verwandelt hat, da dies aber bei Zuständen nicht möglich, so bliebe also nur übrig, gar kein W irken und keine Veränderung an­

zunehmen, sondern blosse Succession von Eigenschaften nach prästa- bilirter Harmonie.

Man würde aber einreden: Ja nun, das sogenannte „D in g“ be­

steht ja nicht aus e i n e m Zustand und dessen Entwicklungsgesetz, sondern aus einem ganzen Complex von Zuständen, die ein Gesetz befolgen. Nun besteht die Aenderung des Dinges eben darin, dass eben e i n e r von den Zuständen verschwindet, und ein anderer an seine Stelle in dem Complex tritt. Sich geändert und einen Einfluss em­

pfangen hat dann dieser Complex. — Ja, aber wie wird bei dieser H u m e - M i l l ’ schen Ansicht denn überhaupt der Complex fertig ge­

bracht, was macht denn diese Einheit ? Und hiermit heben wir den an­

dern Mangel der L .’ sehen Ansicht, bezüglich der Forderung der Einheit des Dinges in der Mehrheit der Eigenschaften hervor. Einfach von e i n e m Complex zu sprechen, ist ja leicht; ist aber der Complex blos gedachte Einheit, wie die sieben W eisen, was geht denn dann

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Philosophisches Jahrbuch 1892.

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der eine Zustand a des Complexes ahcd, die andern drei mehr an, als einen irgend welchen Zustand in einem andern oder in gar keinem System ? Sind sie aber eine reale Einheit, was macht diese denn ? Zustände an sich können gar nicht eine reale Einheit bilden. Sagt man, ja sie bilden eine Einheit durch causale Verknüpfung, so leitet uns das dahin, wohin wir die Discussion zurückführen wollten, nämlich eben auf den vorigen Nachweis, dass Zustände nicht in der Veränderung bleiben können, was sie aber bei Wechselwirken müssten. Also diese Art, unserm Argumente auszuweichen, führt auf eben dasselbe zurück.

L. findet also das W esen eines jeden Dinges, das, was Subject, Permanentes u. s. w. sein soll, in einem Gesetz, dem er das Prädicat

„individuell“ gibt. Nun weiss er selbst auch, dass es uns darauf ankommen muss, zu wissen, wie der gesetzliche Y erlanf — wie er meint, ■— der Z u s t ä n d e möglich gemacht w ird; oder mit anderen W orten, was in concreto das „Gesetz“ zu bedeuten habe; er merkt also selbst, dass die Lösung des Räthsels durch die Annahme eines individuellen Gesetzes gar keine Lösung, sondern nur eine andere, und zwar höchst undeutliche Eormulirung des Problems ist. Er be­

stimmt es daher, wie man weiss, als das Selbstbewusstsein; nur dann und dadurch sind wir Eins, dass wir um unsere Einheit wissen.

Nachdem nun schon im allgemeinen die Gesetzestheorie kritisirt ist, handelt es sich also jetzt um ihren letzten Ausdruck. Lassen wir beiseite die Frage, wie denn das Selbstbewusstsein Gesetz genannt werden könne, so fragt sich, ob denn das Selbstbewusstsein vielleicht besser als es der unglückliche Ausdruck Gesetz glauben macht, die Forde­

rungen erfüllt, die man, und L. mit, an ein W esen der Dinge stellt.

Erkennen wir zunächst an, dass das Bewusstsein und zwar die Thatsache der Einheit des Bewusstseins der Ausgang und die Gewähr für die Annahme von Substanzen überhaupt ist. Etwas anders aber ist der Satz: die Substanz b e s t e h e i n der Einheit des Bewusstseins oder gar in dem Bewusstsein unserer Einheit.

L. hat selbst für die Psychologie den Satz aufgestellt, Einheit des Bewusstseins könne da sein ohne Bewusstsein der Einheit; auf ersteres aber komme es an bei der bekannten psychischen Thatsache der Bewusstseinseinheit. Hier aber wirft L. beide Dinge durchein­

ander. Man weiss gar nicht, was L. eigentlich im Sinne hat: wenn er sagt, dadurch, dass wir uns als Eines in dem W echsel w ü s s t e n , seien wir Eines, so hat er die Beflexions-Einheit, das Bewusstsein der Einheit, im Sinne, nicht die Einheit des Bewusstseins oder die

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praktische Einheit (wie ich sie in meiner Schrift : „Das Bewusstsein und sein O bject“ nannte). Die praktische Einheit besteht eben in einem solchen Zusammenhang der psychischen Phänomene, der nicht durch diese selbst hervorgebracht wird, und der d a i s t , o h n e d a s s w i r s e i n e r a l s s o l c h e n ( Z u s a m m e n h a n g s ) b e w u s s t s i nd. — Diese letztere Einheit scheint er wieder im Auge gehabt zu haben, wenn er sich zum Zeugniss für seine Einheit auf die Möglichkeit der Erinne­

rung beruft. Denn damit ich mich an etwas Früheres erinnern kann, ist nicht nötliig, dass ich um meine Einheit w e i s s , sondern bloss dass ich es bin, der das frühere Phänomen gehabt hat und das jetzige hat; dass Phänomen a in Vergangenheit wie Phänomen b in der Gegenwart nicht zu einer (phänomenalen) Einheit g e h ö r e n (denn als blosse Phänomene können sie das gar nicht, wie ich gezeigt habe), sondern in einer a n d e r n gemeinsamen Einheit sind. — End wiederum hat derselbe L . gesagt, wenn wir nach traumlosem Schlafe wieder auftauchen, dann entstehen wir eigentlich aus dem Absoluten, das don Polgezustand consequent d. h. so also, dass Gewohnheiten und Erinnei’ungen zu dem früheren Zustand passen, an das Leben vor dem Traum anknüpft. W enn nun dem so ist, so beweisen ja die Erinne­

rungen und Gewohnheiten doch nichts für die Einheit, zum wenigsten nichts für die Einheit u n s e r e s W esens, und es bleibt dabei, dass nach L . u n s e r W esen nur in dem W i s s e n um die Einheit, in der reflectirenden That besteht. Und von diesem letztem unterhalten wir uns denn doch.

■Was ist nun mit diesem reflectirenden W issen um unsere Ein­

heit gewonnen für Erfüllung der Forderungen, die L. s e l b s t an das W esen der Dinge stellt? Merkwürdig ist an sich schon der paradoxe. Satz : Wissen um die Einheit sei Einheit, während jeder sonst im Leben meint, um sich als Einheit wissen zu können, müsse man Eines sein; merkwürdig ist der Satz auch deshalb, weil er selbst einen Unterschied kennt von Einheit und Bewusstsein der Einheit, den er aber in demselben Athem zu leugnen sucht. Aber vielleicht kann L. an die Enderlösung denken, die er uns zu Thcil worden lässt, und sagen, ja wirkliche Einheit sind wir nur im Absoluten.

Genug also, bis wir später auch darauf kom m en! jetzt bedarf es nur des kurzen Hinweises, dass der A ct der Deflexion, des W i s s e n s um die Einheit, doch gar nicht die Pflichten des W esens erfüllt. — Hat das Wissen um die Einheit ein Object, und zwar ist es ein „B ild “ der wirklichen Einheit, so wird wohl diese das W esen sein, nicht das Be-

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wusstsein derselben. Ist aber das Bewusstsein der Einbeit ein rein ideelles Sein ohne entsprechendes Object, was ist denn damit gewonnen?

An eine w i r k l i c h e E i n h e i t in d e r F o l g e der Zustände ist nicht zu denken,· denn auch der Reflexionszustand folgt mit den anderen Acten in einer Reihe von Gliedern, von denen keines mit dem andern in einem realen Zusammenhang stehen kann. Y on einer C o n t i n u i r - l i c h k e i t d e r F o l g e ist nicht einmal die Rede, da die RefÎexionsacte sehr sporadisch auftreten, und L. hat ja für manche Fälle unseres (Lotze muss sagen: s c h e i n b a r „unseres“ Lebens) dies zugegeben.

L . nimmt das "Wissen um die Einheit als Ersatz für die wirkliche Einheit, weil und insofern dahinter eine reale Einheit steckt, durch die allein nur das W issen um eine solche möglich ist. A ber er ver­

gisst dies gleichzeitig wieder und entzieht uns sogleich wieder den Grund, um desswillen man geneigt sein könnte, seiner Meinung zu folgen, indem er die Probe der Einheit für das ausgibt, was sie er­

proben soll.

Kann ferner das W issen um die Einheit unserer Zustände, jene E i n h e i t in der Mehrheit g l e i c h z e i t i g e r Zustände darstellen, wie es das W esen thun soll? Scheinbar, denn das Wissen kann mehrere Objecte umfassen und verbinden. A ber eben wieder nicht an sich, nur insofern es Zustand, A ct ist, sondern weil er zugleich A ct eben eines und desselben W e s e n s ist, wie die sogenannten primären Zustände, auf die es sich richtet.

Auch nicht T r ä g e r dieser Zustände kann jenes Wissen genannt werden; denn viel eher sind die primären Zustände so zu nennen, (wenn sie überhaupt Träger sein könnten) ; nämlich weil sie das Erste sind, die Réflexion etwas Accessorisches, Secundäres. — A u f den Unterschied zwischen Subject eines Zustandes und W issen um diesen Zustand sollte man nicht hinzuweisen brauchen. — W ie denkt sich L.

überhaupt das Yerhältniss von Zuständen zu dem „W issen .“ Können diese Zustände, da alle intellectuelle sind, Zustände überhaupt sein, ohne das Wissen, dann können nach seiner Lehre Dinge ohne W esen sein. Oder vergehen auch die Zustände mit dem W issen um sie?

Gewiss nicht mit dem W issen der R eflexion; und also kann diese d o c h nicht das W esen sein.

W as ist zuletzt, wir kommen da auf die alte Frage zurück, denn jenes W issen? Ist es doch vielleicht nicht der getrennte A ct der Reflexion, sondern jenes einfache Bewusstsein? Aber als solches ist es jedem einzelnen Zustande immanent und kann wieder nicht ein

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solches sein, das die Einheit a l l e r Zustände, „unser W esen“ , erkennt.

W ir haben also eine ungemein wenig geschützte Lehre vor uns.

W esen aber ist ferner nicht blos eine abstracte, wenn auch reale Einheit, sondern eine concrete N a t u r , und L. selbst sagt, die Kräfte gingen aus der Natur der Dinge hervor und seien verschieden nach dieser ; Bedingungen seien nichts Aeusscrliches, sondern griffen die Natur des Dinges an. Und das W issen um die Einheit der Z u ­ stände? W ie sollen die Zustände aus dem W issen u m s i e , und zwar noch in qualitativ verschiedener W eise hervorgehen, qualitativ andere intellectuelle Zustände aus dem Wissen, das sich nach ihnen, auf sie rich tet?! Ich mag endlich nicht wiederholen, was ich für alle Zuständlichkeit also auch für den Wissensact geltend gemacht habe, dass eine Reaction in ihm nicht möglich ist. Also zum Schluss : So ist es gerade nicht, dass das W issen um die Einheit, das W irken, das Für-sich-sein unserer Einheit u. s. w. ist, sondern weil wir Einheit, Substanzen und Ursachen sind, ist überhaupt so etwas möglich, wie Bewusstsein.

Und nach alledem muss L. sagen, nein, auch das W issen um die Einheit ist nicht das W esen. Und doch hat er diesem zu Liebe,'' weil er glaubt, und zwar ernstlich, das Substantielle gefunden zu haben, die Geistigkeit aller „D in ge“ angenommen, d. h. Geistigkeit der Weltzustände.

W arum hat uns denn L . nun so lange hingehalten mit seinen Untersuchungen über Einheit und W esenheit der Dinge, über ihre Substanz und Wirksamkeit und Veränderlichkeit, wenn das doch Alles Nichts ist? W ozu seine Forderungen dieser Dinge aus den Thatsachen des Bewusstseins, wozu die Modificationen, die er anzu­

bringen sucht in unserm Denken jener Begriffe, und wozu seine stete Vertheidigung gegen Andere, die sie leugneten?

W arum hat uns also L. so lange bekräftigt in dem Glauben, es gäbe Substanzen und was mit ihnen zusammenhängt, ja solche, die aus ihrem Innern Zustände entliessen, die also wirkens- und leidens­

fähig sind ? W arum suchen nach etwas, das gar nicht ist ? Man könnte sagen, ja L. hat uns zeigen wollen, wie wir zwar anfänglich es mit den hergebrachten Begriffen versuchen dürfen, ob es geräth, dass wir dann aber uns überzeugen müssen, dass es nichts damit ist. — Aber das war L .’s Meinung nicht; die eindringlichen Unter­

suchungen nach der eben bezeichneten Richtung hin beweisen das;

wirklich glaubt er in dem confusen Gedanken des Selbstbewusstseins

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ein Stück Substantialität gerettet zu haben. Und daher kommt es, dass sein System so etwas von Allem hat, von Monismus und P lu ­ ralismus bezüglich der Substanz, von Pantheismus und Theismus, von Kant und dem Realismus, vom physischen Influx und von prästabilirter Harmonie und Occasionalismus.

"Wenn dagegen L. der Meinung war, durch sein letztes Resultat würden seine ersten Ergebnisse als blosse zeitweilige Formulirungen als abgethan verworfen, warum hat er es versäumt zu sagen, dass Herbart z. B. doch Recht hat mit seiner Qualität als W esen der D i n g e , dass jene doch Recht haben, welche Veränderungen in den D i n g e n und Ursächlichkeit in den D i n g e n leugneten, und er hätte seine früheren Gegenargumente mit dem Nachweis ihrer Unrichtig­

keit zurückziehen müssen.

X I.

Nachdem aber L. dem Skepticismus zu viel zugesprochen, hat er sich zuletzt einem Mysticismus hingegeben, der wie jeder andere solche uncontrolirbar und eben deshalb werthlos ist. Und doch ist man berechtigt, von L. ein einigermassen klares Hhdresultat zu fordern.

Aber das vermisst man ; weder von dem W esen des Absoluten sagt er etwas, noch ist, zum Theil gerade infolge dessen, das was er nun von dem Verhältniss der „D in ge“ zu dem Absoluten sagt, eine auch nur einigermassen verständliche Lösung dieses und folglich aller metaphysischen Probleme, die in ihm endigen. — W enn W esen der Dinge und wohl überhaupt Begriff der W esenheit ein Gesetz im W echsel der Zustände,· der intellectuellen Zustände, bedeutet, wenn Existiren über­

haupt soviel ist als: „In Beziehung stehen“ , so wird es wohl auch so beim Absoluten sein? Oder nicht? Ist das ein solcher „leerer“ ,

„blosser“ Träger? Und wenn wieder das B e w u s s t s e i n der E i n ­ h e i t die Einheit ist, ist es so auch beim Absoluten, und wird wohl auch das Absolute einmal von einem Schlafe übermannt, in dem es nicht träumt und deshalb nicht ist? Und was verknüpft denn die interrupten Phasen des Absoluten ? W as bleibt überhaupt von der Einheit des Absoluten, warum ist es e i n Absolutes und nicht viele? Und wenn die Dinge so ungefähr in dem Absoluten sind, wie Zustände in den Dingen, so werden wohl .diese auch die Substanz des Absoluten verändern, wie es bei den Dingen nach L. sein soll ; und wenn also das W esen des Absoluten consequent eine Reihe sich folgender Phasen von Realitäten ist, woher denn nun das Recht, von e i n e m W esen

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zu sprechen? W oher die Verknüpfung zwischen denselben? Bei den Dingen könnte man sich noch trösten ; wenn das „Gesetz“ nicht thut, was es soll, nämlich eine verlässliche Einheit hervorbringen, so kann Einer, der versöhnlicher Natur ist, denken: nun in Gottes Namen, dann thut’s das Absolute. Und L. selbst hat wohl, wie überhaupt bei allen wichtigen Punkten, auf das Absolute gerechnet. Aber wer verbilft denn nun dem Absoluten zu der Einheit s e i n e s Daseins?

W ie kann das Absolute ferner (nach den früheren Ausführungen) als Reihe von — wenn auch selbstbewussten — Zuständen w i r k e n ? Und wie kann es insbesondere so wirken, dass es eine Einheit aller Dinge darstellt, worauf die Möglichkeit der Wechselwirkung beruhen soll? — Oder aber: ist die Einheit und W esenheit des Absoluten eine festere, ist es das, was L. mit dem verachteten „leeren“ Träger be­

jahen will, nämlich ein solches, das nicht wie ein flüchtiger Zustand gehabt wird, sondern hat? Und warum ist es denn so merkwürdig unmöglich, dass so etwas auch in den Dingen ist, das uns dann der Mühe überheben würde, an einem Orte letzte Hülfe zu suchen, wo man wegen seiner Dunkelheit doch keine finden kann? W enn ferner die Zustände des Absoluten in diesem sein und sich verändern können, ohne die Substanz selbst auszumachen und zu verändern, warum denn nicht auch Zustände in den Dingen? Ist das ein W id e r­

spruch, so ist es auch im Absoluten nicht möglich ; ist es kein W id e r­

spruch, warum kann es nicht in den Dingen geschehen? Oder machen gar die Dinge als Zustände des Absoluten dessen W esen aus? A ls­

dann haben wir eben nicht e in Absolutes, und gerade nicht jene Einheit, die Lotze für das Zustandekommen jenes W irkens „der D inge“ nöthig zu sein scheint.

Die eine Ansicht, die wir als eine für L. mögliche eben auf­

stellten, das Absolute sei keine harte Substanz, kein Träger, keine Masse, sondern selbst Zustand, näherte sich ja, wenn auch nicht in allen Ausführungen, einer solchen des A r i s t o t e l e s , die manche für tief­

sinnighalten: das W esen Gottes sei νόηοις νοήσεως. Ich muss ge­

stehen, dass es mir immer unmöglich war, mich bis zu dem Grade des Absehens von unsern irdischen Begriffen emporzuschwingen, dass dabei die Grundlagen unseres Denkens erschüttert wurden, auf Grund dessen wir doch zu jener erhabenen Abstraction aufsteigen sollen;

denn sind wesenhafte und subsistirende F u n c t i on en oder Z u s t ä n d e als m e t a p h y s i s c h e Existenzen möglich, so logisch subjectlose Prä- clicate als Form l o g i s c h e r Existenz, und mit dieser Anerkennung

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wäre das Widerspruchsgesetz dahin. — W eder L. noch Aristoteles würde uns also einreden können, das W esen des Absoluten bestehe aus Denkfunctionen, seihst wenn wir darauf verzichten müssten, die Einfachheit und Un Veränderlichkeit des Absoluten, um derenwillen Aristoteles wenigstens seine Lehre erfunden hat, in den Formen unseres Denkens nachzuconstruiren.

Bedenklich wird hiermit natürlich die Lehre vom Yerhältniss der Dinge zu dem Absoluten. Sind die Dinge intellectuelle Zustände des Absoluten, von ihm gedacht? Also G e d a n k e n des G e d a n k e n s , wenn das W esen des Absoluten auch Denken ist; und wenn nicht:

G e d a n k e n eines W e s e n s , aber ohne eigenes Sein? Und macht die Summe der Weltzustände jenes Absolute aus und bleibt kein Best, der etwas mehr ist, als diese Summe ?

A ber wozu alle möglichen abenteuerlichen Gedanken aufzählen, die L. uns überlassen hat? Nur der Act, wodurch L . glaubt, die Dinge, als eine Art Selbständiges und eine Art Eines und Wirkendes aus dem Absoluten hervorzaubern zu können, bedarf einer Antwort.

Es ist ein charakteristisches Merkmal jeder Mystik, und auch der L .’ schen, dass sie nicht recht in Frieden mit dem Widerspruchsgesetz leben will. W enn dem so ist, wie L. sagt, dass die Seele und jede „Sub­

stanz“ aus dem Absoluten als eine seiner Thaten entspringt, und wenn alle Thaten in intellectuellen Zuständen d. h. in Gedanken bestehen, wie kommt es denn, dass das Absolute dadurch, dass es sich selber denkt, ein anderes a u s s e r ihm w i r d , dass zum wenigsten'doch eine gewisse Loslösung von ihm stattfindet? W enn das Wirken, des L .’schen A b ­ soluten folgerecht auch ein immanentes sein muss, denn es gibt nur intellectuelle, innere Zustände, und es gibt nichts ausser dem Absoluten, wie soll nun durch das W irken des. Absoluten, also dadurch, dass etwas Z u s t a n d des Absoluten wird, es eben Nicht-Zustand des Absoluten werden? Denn wenn er auch sagt, dadurch, dass ein W esen sich als selbständiges f ü h l e , s e i es dies auch, es ist ja doch nicht so; denn nicht ein irgendwelches Wesen fühlt sich consequent nach Lotze’schen Lehren — sonst wäre es ja da und getrennt von dem Absoluten — sondern das Absolute fühlt ja sich oder einen seiner

„Theile“ — wieder ein unglückliches Simile, das uns einschläfert in dem Gedanken, ein Theil-Zustand des Absoluten könne selbständig sein oder werden — das Absolute sage ich, fühlt sich selbst als selb­

ständig und darin soll denn die Selbständigkeit eines Wesens ausser (und doch in) dem Absoluten bestehen !

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Und warum fällt es denn dem Absoluten ein, sein Ich, nicht als s e i n Ich, sondern als weltliches zu fassen und sich selbst zu betrügen?

W oh er der Gegensatz vom Absoluten und Nicht-Absoluten, wenn A lles in Ersterem besteht, und woher der Gegensatz τοη Sein und Gedacht­

sein, wenn alles in Gedachtsein besteht? Dies wäre für das gewöhn­

liche Bewusstsein ein Widerspruch ; L . sucht ihm zu entgehen, frei­

lich, wie das bei Consequenz geschehen muss, um einen neuen aufzustellen. Denn nicht der Gegensatz von Transcendenz und Imma­

nenz, sagt er uns, sei es, der Selbständigkeit und Unselbständigkeit eines Wesens begründe, vielmehr sei zwischen Immanenz in dem Absoluten und Pür-sich-sein des Dinges kein Gegensatz.1) Und wenn man dann fragt, ob denn nicht zwischen Selbständigkeit und Unselbständigkeit ein W iderspruch ist, so antwortet er, nicht das Sein oder Nichtsein im Unendlichen bringe diesen Gegensatz hervor, sondern die Natur (also doch!) und Leistungsfähigkeit (!) des Wesens (des Dinges nämlich! und doch wirkt das Absolute allein!!), was das eine oder andere Prädicat dem Dinge zuzieht. — A ber wer wird das als mit den Denkgesetzen vereinbar zugeben, der Zustand eines Dinges hätte die Berechtigung, Nicht-Zustand, selbständig genannt / zu werden, wenn er sich oder gar ein anderer ihn als solchen f ü h l t ?

W arum hat L. nicht gesagt, streng nach H e g e l , was als Ein­

heit, als W esen, als Selbständiges ü b e r h a u p t erscheint, i r g e n d - w e m erscheint, ist es auch, sondern nur, was s ic h so vorkommt, ist es? W eil es ihm doch nicht so und nicht überall so plausibel schien, dass der Schein an sich schon Wirklichkeit, dass Denken Sein sei ; das würde ja auch zu einem Skepticismus führen, der seinem Systeme selbst gefährlich würde. D a s S i c h - s e l b s t - erscheinen vielmehr ist es, was es ihm angethan hat, weil in der auf das Sub­

ject zurücklaufenden Thätigkeit das Subject, das er entbehrlich machen will, deshalb nicht so sehr vermisst wird, weil es in dem Object ja doch heimlich enthalten ist. Die gewusste, erscheinende Einheit, Selbständigkeit etc. ist die d e s S u b j e c t e s s e l b s t , d a s w e i s s ; also nicht Wissen um abstracte Selbständigkeit ist die F or­

derung, sondern Wissen um die Selbständigkeit e i n e s S u b j e c t e s . Ferner wenn man behauptet, zwei Dinge, die sich in der Gattung des actualen Seins widersprechen (selbständig und nicht selbständig sind), würden in diesem W iderspruch aufgehoben dadurch, dass das eine

’) Siehe die bei der Darlegung der Lehre citirte Stelle aus Metaphys. S. 190 und Mikrokosmos (erste Aufl.) III. 544.

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Glied zwar nicht aufhört, Gegensatz (z. B. unselbständig) zu sein, sondern nur aufhört, als solcher gedacht zu werden, so ist damit absolut der Gegensatz von realem Sein und Denken aufgehoben, den alle Menschen aufrecht erhalten, und den, das überlassen wir gleich folgenden Untersuchungen, L. selbst nicht überall verwirft.

Und in der That ist diese Leistung L. möglich geworden durch den vierten, aber eigentlich fundamentalen Widerspruch, der sich nach HegeFscher Art, an manchen Stellen seines Systems zeigt. Es ist der Satz, Denken und Sein sei Eins; jener Satz, der wieder ein Charak- teristicum ist für alle panthcistischen Systeme von den Eleaten, ja vom jonischen Hylozoismus an bis heute, der aber von jedem in einer be­

sonderen W eise verstanden oder ausgelegt wurde, von den Joniern anders als von den Pythagoräern, von den Eleaten und den Eeupla- tonikern ; von Spinoza anders wie von H egel und wieder von dem neuern Hylozoismus in seiner unklaren Redensart, Denken und Sein (Ausdehnung) seien nur zwei „S e i t e n “ ein und desselben Yorganges.

L., wissen wir, gab ihm die Gestalt: Qualitäten hätten nur Sinn, wenn sie dem Dinge als empfundene inhärirten; Beziehungen be­

ruhten auf intellectu eilen Zuständen1), Einheit und Permanenz der Substanz, Fürsichsein, W irkungsfähigkeit beständen im So-gedacht- sein. W e r sich als Eines fühlt, als Fürsichseiendes, als „thätigen Mittelpunkt von W irkungen“ , der ist es auch. So besteht in seiner Theorie, freilich im W iderspruch mit manch andern seiner Sätze, n u r Gedachtsein.

Und hiermit erklärt sich wenigstens etwas die sehr dunkle und dem W ortlaute nach wieder widersprechende Redensart, die Selb­

ständigkeit erwürbe ein Ding nicht durch ein Heraustreten aus dem Absoluten, als seiner Bedingung, sondern durch das Selbständig- oder Für-sich-sein träte es eben aus dem Absoluten aus, dieses Für-sich- sein aber bestände eben in dem W i s s e n um seine Unabhängigkeit (nota bene, die es in W irklichkeit gar nicht hat). Dies soll wohl heissen: nicht durch ein substantielles Getrenntsein der Dinge vom Absoluten wird der Act des Selbständigkeitsbewusstseins erzeugt, son­

dern, wie ja die Substanz nur in Gedachtsein besteht, so auch ihre Trennung vom Absoluten nur im Bewusstsein des Getrenntseins. Die Zugabe, dass durch das Bewusstsein der Selbständigkeit diese dann auch nicht nachher a ls F o l g e erworben würde, glauben wir L. ganz

') Freilich ohne immer den Gegensatz von Realität, besonders beim Abso­

luten, los zu werden.

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gem , nicht aber das andere, dass keine reale Selbständigkeit der ge­

dachten vorauszugehen habe.

Aber machen lässt sich gegen eine solche Hartnäckigkeit nichts, als das, was wir s o e b e n gethanhaben: 1) zeigen, dass L. gezwungen ist, eine Reihe von Begriffspaaren, die dem gemeinen wie dem phi­

losophischen Denken widersprechend gelten, als real anzunehmen und auch wmklich annimmt; v o n n u n an aber 2) zeigen, dass er selbst sonst die Begriffe in der Bedeutung und in den Gegensätzen zu em­

ane! er gebraucht, von denen er. sich liier glaubt befreien zu können.

Denn besteht nun a) das Fürsichsein des Absoluten auch bloss im Gedachtsein des Fürsichseins, und die Existenz des Absoluten im W issen um die Existenz, und es gibt gar kein Subject, w e l c h e s um diese Existenz weiss und um die Selbständigkeit und all seine Zustände, denn wenn es ein solches Subject gäbe, das zwar dächte, aber dessen Existenz doch nicht im Gedachtsein bestände, so wäre ja doch etwas wenigstens, welches seine Unabhängigkeit hätte, ohne dass sie und bevor dass sie gedacht würde. Bildet aber das Wissen um eine Selbständigkeit etc. nicht mehr den Begriff eines selb­

ständigen W esens, warum hat es denn L. dennoch von den Dingen' so angenommen?

. b) W ie oft hat nicht L. Klage geführt, man mache Qualitäten und Zustände zu solchem, was für sich sein könne; man mache zu Sub- jecten solches, was nur als Prädicat bestehen könne. Und was heisst dies anders, als einen scharfen Gegensatz aufstellen zwischen dem Für-sich-sein und dem In-einem-andern-sein ! Oder wird vielleicht das Verhältniss ein anderes dadurch, dass jene Dinge, die hier in Frage sind, zwar wohl dem Absoluten immaniren, aber doch als für sich seiend g e d a c h t werden? Gewiss eben so vmnig, wie bei jener anderen Frage die sich folgenden Phasen des Dinges, L .’s Einheit des Dinges etwas an Zusammenhang gewinnt, wenn sie als solche Einheit gedacht wird, es sei denn, dass man, wie wir sagten, doch heimlich sich stützt auf die reale Voraussetzung des Gedachtseins, nicht aber auf dieses selbst. Denn das ist doch auch ein Satz, der Zustimmung verdient, dass durch das Gedachtwerden die Objecte keine physische Alteration erleiden. Also gewiss werden jene Z u ­ stände des Absoluten nicht für sich seiend (Dinge) dadurch, dass sie als solche irgend wem erscheinen.

Ja, erscheinen; und w em erscheinen und a ls w a s , t r ü g l i c h oder u n t r ü g l i c h erscheinen? Sind hier das nicht Begriffe, die immer wieder

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Sein und Gedachtsein als strengen Gegensatz des Für-sich-seins und des In-anderm-seins — erscheinen lassen? Und an diesen Begriffen kommt L. nicht herum, es sind solche, „die die Voraussetzungen all’ unseres Denkens sind“ ; und wenn dies so ist, dann wird es auch so bleiben mit dem Gegensatz zwischen Immanentsein in dem Absoluten und Für-sich-sein der Dinge. L .’s Behauptung, zwischen Sein in dem A b ­ soluten und Für-sich-sein der Dinge sei kein W iderspruch, widerspricht also allen seinen sonstigen Lehren. Oder ist vielleicht Grund vorhanden, anzunehmen, anderswo gelte der Gegensatz und zwar als fundamen­

tale Denknothwendigkeit, und hier nicht? W arum, was macht den Unterschied? Dass das G e d a c h t s e i n eines Verhältnisses d i e s e s selbst nicht ändert, sahen wir sonst, und so wird es auch hier sein müssen.

Und so ist die wunderliche Auslegung, die L. der pantheistischen Formel, dass der ordo rerum gleich sei dem ordo idearum, gegeben hat, nichts weniger als eine consequentere und bessere Lehre als die S p i n o z a ’ s Denn jene maskirten Dinge mit dem Pseudonamen der Subsistenz, den man ihnen verleiht, können doch nicht einen Fort­

schritt bedeuten. Entweder hat Spinoza Hecht und alles ist dem Absoluten immanent, oder der Realismus, und dann existiren die Dinge wirklich für sich, und nicht die Voraussetzung, und auch nicht, wie L. meint, das W esen der Subsistenz ist es, sondern ihre Folge, dass sie (wenigstens einige derselben) sich als für-sich-seiend Vorkommen.

Ja, und das ist 3) das Letzte, was ich mir auf bewahrt habe, L.

begeht einen W iderspruch gegen sich selbst in einem und demselben Satze. W enn die Dinge dem W eltgrunde als seine Zustände immanent sind — und zwar wirklich, nicht bloss als immanent g e d a c h t werden, so gibt es also doch ein reales ,esse in alio1 ; und wenn dieses, so nothwendig auch ein reales ,esse in se‘ (ein Fürsichseiendes) ; und diese beiden bilden (als Correlativa) nothwendig Gegensätze.

W enn nun L . sagt, nicht das Sein im Absoluten und das Fürsichsein, das Sein ausserhalb desselben, seien Gegensätze, sondern das als Fürsichsein Gedachte s e i das wahre Fürsichsein, so begeht er eben den Widerspruch, reale Gegensätze von Immanent- und Für-sich-sein aufgestellt und zugleich geleugnet zu haben. Es bleibt ihm nur übrig, dies anzuerkennen, oder zu sagen, auch das Immanent-sein im A b ­ soluten. sei nur Gedachtes.

L .’ s Fehler und die relative Schwierigkeit, ihn andern Monisten gegenüber zu widerlegen, besteht darin, dass er Monist hat sein

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wollen und doch nicht ganz mit der W elt hat brechen w ollen; dass er neben der Einheit eine wenn auch erkünstelte Yielheit will ; dass er auch den pantheistisclien Satz, Denken und Sein sei Eines, nicht streng durchgefiihrt hat.

Ein kurzer Rückblick zeigt L .’s Arbeit in diesem Lichte ; er hat mehr und mehr die irdische Substanz verflüchtigt, anstatt ihrer selbst aber nur einen Schein derselben aufrecht, gehalten, in dem die einzige Realität bestehen soll. Alles w a h r e Sein (auch ein traditionell pan­

theist] scher Ausdruck!) hat er, dem W ortlaute nach, in’ s Absolute verpflanzt, ohne aber auch nur im Geringsten von diesem wahren Sein etwas zu sagen, was es für die W e it thut. So sind a l l e wichtigen metaphysischen Begriffe nichtig; consequent gedacht: es gibt gar keine Wesenheit, nichts Permanentes; es gibt keine Veränderung v o n Etwas in Etwas, es gibt gar kein W irken, wenn es W echselwirkung sein soll, denn jene W echselwirkung zwischen Zuständen e i n e s W esens ist keine. Und es gibt selbst, streng nach dem Pythagoräer Lotze, kein e in Absolutes, sondern auch sein W esen ist eine 'H ar­

monie mit Pausen, eine Harmonie von Tönen also, die sich folgen, und von dieser Reihe von auftauchenden und schwindenden Einzel­

zuständen kann keiner es fertig bringen, selbständig zu werden, ja nicht einmal sich, selbständig vorzukommen. — Oder aber das Absolute ist ein Wesenhaftes, W irkendes, Bleibendes im W echsel und zu unter­

scheiden von seinen Zuständen, und dann fallen alle subtilen Specu- lationen über die Unmöglichkeit des Substanzbegrifls, wie er nun einmal in die philosophische und die weniger vornehme aber immerhin solide Gesellschaft des allgemeinen Bewusstseins eingeführt ist. Denn damit kann L. nicht kommen, dass er sagt, ja die Dinge können das nicht leisten, was das Absolute. Denn ist das Substanz-sein und das S i c h-verändern und das W echselwirken etwas logisch Unm ög­

liches, wofür es L. ausgibt, so kann es auch das Absolute nicht leisten.

"Wird L. aber sagen, wie er das gelegentlich gethan hat, ja das Absolute und seine Thätigkeit könne nicht unter unsere Denk­

gesetze fallen, so wird man ihm entgegnen, dass gerade er dem Absoluten ja eine, Menge irdischer Prädicato gegeben und vor allem logische Gesetze auf dasselbe angewandt hat, z. B. doch wohl dies, dass es eben Absolutes und nicht etwas Anderes ist.

Und was soll es denn dem Absoluten schaden, wenn es „unsern“

Denkgesetzen unterworfen ist? W ird es dadurch in seiner Lage ge­

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drückter, wenn es idealem Zwange unterworfen ist, und noch gar solchem, den es selbst sich geschaffen? denn die Denkgesetze sind u n s e r e , weil wir .sie anwenden, s e i n e aber, insofern er sie als Ge­

setzgeber dessen, was im Gebiete der Wahrheit sein soll, geschaffen hat.

W as y erträgt das L .’sche Absolute sonst nicht A lles! Ewigen W echsel, Zerstückelung in zahllose schöne und hässliche Formen, und jedenfalls auch die Wehmuth darüber, dass seine eigenen Z u ­ stände doch nicht seine sind. x)

Der Kummer um das Absolute lässt uns aber noch weiter nach seinen Verhältnissen fragen: W as war überhaupt für ein Bedürfniss da, etwas Absolutes anzunehmen (wenn wir absehn γοη dem was besprochen ist, dass L. eine Substanz haben will, sie aber nicht im klaren Lichte findet, und so im verborgenen W eltgrunde sucht)? Es ist die Ermöglichung der Wechselwirkung. Seltsam! Zur Ermöglichung der W echselwirkung nimmt er die Immanenz der Dinge in e i n e m (streng einem) W esen an, wodurch eben gerade — consequent gedacht — die W e c h s e 1 Wirkung aufgehoben w ird! Und in der That wirken ja die Lotze’schen Dinge, trotz aller gegentheiligen Versicherungen am Anfang der Untersuchung, eben gar nicht.* 2) W arum nähert er sich also nicht der gewöhnlichen Ansicht mit der Leime, die Dinge seien eben Theile einer einzigen W elt, deren Begriff durch die Gesammtheit der Dinge vollständig erschöpft würde, jene geforderte Einheit sei also nichts ausser ihnen, sondern eben die Möglichkeit und W irklichkeit ihrer W ech- selwirkungen, die eben Thatsache ist, und um dies zu sein, keiner weite­

ren, substantiellen Einheit bedarf, ja sie nicht einmal vertragen kann.

Und so würden wir am Ende unserer Betrachtungen über das L .’sche Absolute und sein Verhältniss zu dem W esen der W elt, und besonders zu uns den „persönlichen Geistern“ , uns doch lieber der andern Ansicht anschliessen, jeder A ct des Selbstbewusstseins, weil j e d e r ein ethisches Moment (wie ein rein logisches und ein ästhe­

tisches) enthalte, sei nicht ein Sichabw enden, sondern ein Sichhin- wenden des W esens in den Functionen zu dem Ursprung und Geber

der Gesetze des W ahren, Guten und Schönen.

’ ) Die ethischen Bedenken jedes Monismus übergehe ich, weil allbekannt.

2) Sie können es ja nicht als blosse Zustände.

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X II.

Noch eine andere Lehre ist es, die sich weit über L .’s System ausdehnt und ihm ein eigenes Colorit verleiht: D ie Lehre von der Geistigkeit alles Seienden, von den intellectuellen Zuständen oder Beziehungen, und auch von den „intellectuellen“ Subjeeten, soweit und sofern L . selbst davon, wie von etwas von den Zuständen Verschie­

denem glaubt reden zu können. Man kann füglich absehen von den G e­

danken, die L . zur Vertheidigung aufführt, wenn sie heissen, man wisse sonst nicht, wie die Zustände in dem Subject sein sollen oder was sie für das Subject sein sollen, was das Subject durch sie gewinnen soll, wenn sie nicht intentional, als empfundene, im Subject sind. Dies Nichtwissen ist kein Beweis ; denn mag es physische Zustände in phy­

sischen Subjeeten geben oder nicht geben, in jedem Palle werden wir von dem W ie nichts wissen, weil wir eben aus unserm psychischen Leben nicht heraustreten, also das W ie nur von psychischen Zuständen kennen. V on den physischen Zuständen werden wir daher immer nur im allgemeinen sagen können, dass sie Zustände sind — welchen B egriff wir vom psychischen abstrahiren — statt der specifischen Differenz werden wir aber immer nur die psychische Inhärenz mit der Negation versehen angeben können.

A ber ein tieferes allgemeines Motiv liegt doch vielleicht den L. ’sehen Ausdrücken unter. Die Zustände müssen nicht äusserlich dem Subjecte angeheftet sein, sie müssen f ü r es und also innerlich in ihm sein. Dies ist nun recht, aber es ist doch nicht unmöglich, dass es eine innerliche Inexistenz in einem Subjecte gebe, die eine blos

— aber undefinirbare — physische wäre. Das will sagen, es ist doch möglich, dass der Zustand, wenn er wechselt in der Substanz, auch in dieser eine gewisse Aenderung hervorbringt, aber ohne dass sie als Aenderung von der Substanz empfunden, als Object gehabt wird.

Mir will es sogar dünken, dass, wenn die Zustände n u r als innere, also als O b j e c t e in dem Subject wären, sie dann eben gerade nicht in sehr innigerW eise darin wären; ich habe schon aufmerksam ge­

macht auf die psychische Tbatsache, dass das (äussere) Object in dem Subject ist, ohne es direct und mit seiner Qualität zu bestimmen. A ber dies n u r ist es, worauf es ankommt; die Möglichkeit oder gar die Nothwendigkeit einer physischen Inhärenz ist nicht widerlegt.

Präcisiren wir aber den Gedanken, den L . vage gelassen: sind etwa die intellectuellen Zustände in dem Subjecte wie die von uns

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sogenannten rein innern Phänomene, wie A c t e des Denkens, Fühlens, W ollens, dann scheint die Innerlichkeit allerdings gewonnen zu haben, aber nur auf Kosten einer unbestreitbaren Aeusserlichkeit ; nämlich dann können jene intellectuellen Zustände, dieden Qualitäten zu Grunde liegen, gar nicht auf andere Subjecte Eindruck machen, ihnen er­

scheinen. Denn das scheint mir doch eine feststehende und allge­

meine Eigenschaft aller rein inneren Zustände zu sein, dass sie n u r auf das Subject wirken, dem sie inhäriren, dass ihr W irken nur ein immanentes ist. L. mag sich dann retten durch prästabflirte H ar­

monie, die er selbst anderswo verwirft.

G e i s t i g e Subjecte anzunehmen, hat L. aber ferner einen tieferen systematischen Grund, die Ermöglichung der Einheit im W echsel. Nur unser W esen bringt es fertig (Metaphys. S. 185), sich im W echsel zu erhalten. Dass dieser Grund nichtig, haben wir gelegentlich durch den Nachweis gezeigt, dass durch das Wissen um die Einheit doch nicht die reale Subjectfähigkeit hervorgebracht wird. A ber auch der berechtigte Schluss, nämlich nicht der auf das Wissen um Einheit, sondern der auf e in reales psychisches Subject als das Permanente in den psychischen Erscheinungen, schliesst doch nicht aus, dass auch physische Substanzen dasselbe fertig bringen, zu wirken und im W echsel zu dauern ( s i c h zu verändern); denn die Möglichkeit des Kunststücks liegt ja nicht in dem „Mit-psychischen-Zuständen-begabt-“

und nicht in dem „Psychische-Substanz-sein“ , sondern im Subject- sein überhaupt.

Insofern man gern aber irrthümlich1) das Ausgedehnte und Nicht- ausgedehnte mit der Antithese vom Körperlichen und Geistigen gleich- werthig hält, hat noch die Frage nach der Unausgedehntheit der Atome hier einen B e z i e h u n g s p u n k t und wir -wollen sie deshalb beifügend erörtern. W arum geht L. im Kampf mit dem antiken Atomismus so weit, allen Keim von Ausdehnung dem Ding zu nehmen ? Denn, so paradox es auch klingt, zwischen dem Ausgedehnten, d. h.

dem in unsere Anschauung fallenden Ausgedehnten, und dem absolut D n r ä u m l i c h e n gibt es noch ein Mittleres. W ürde ich also sagen, es gäbe ein unausgedehntes Räumliches, so würde man leicht einen W iderspruch construiren wollen. Ich würde aber zunächst bemerken, dass Ausgedehntes nòthwendig eine Eigenschaft von Vielem, weil

') loh kann mir sehr wohl ein unausgedehntes Wesen denken, das sich den­

noch seiner Natur nach von den bewussten Geistern ebensoweit entfernt wie von den Körpern.

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theilbar, ist, dass dagegen die letzten Einheiten als Fundamente des Vielen auf der einen Seite keine Ausdehnung oder doch nicht dieselbe wie das Viele, also nicht die anschaubare, haben können, auf der andern Seite aber, dass sie doch die Grundlage derselben, die Elemente, also ein gewisses Analogon derselben enthalten müssen. W ie aber diese Urräume a u s s e h e n , das können wir selbstverständlich nicht wissen.

W ie sie sich ferner verhalten zu dem Ort, den das Ding „einnimmt“ , kann hier nicht n ä h e r untersucht werden. W enn wir uns aber wenigstens für die Verschiedenheit entscheiden, so geschieht es mit Rücksicht auf die unabhängige Veränderung der empirischen Orts­

und Ausdehnungsbeschaffenheit, n i c h t a b e r als wenn wir der Mei­

nung wären, der Ort sei, im Gegensatz zu der Ausdehnung, etwas ausser dem Dinge, und dieses träte ein und aus in ihm. ^ Auch die Ortsbeschaffenheit ist im Ding, nicht das Ding im Ort.

Um aber vor den Vorwürfen des Widerspruches sicher zu sein, führe ich den Gedanken weiter aus, dass diese Art Ausdehnung der Elemente freilich nicht so ist, wie das, was wir in der Anschauung immer in Theile zerlegen können. Das Theilbar-sein ist specifisches Merkmal des Ein-vieles-sein, nicht aber nothwendiges und fundamen­

tales Merkmal des Räumlichen. Das Charakteristicum dieses ist L age und Richtung. Die Berechtigung aber, eine solche Beschaffen­

heit mit dem a n g e s c h a u t e n Räumlichen in Beziehung zu setzen, beruht darauf, dass cs wirklich dieselbe Eigenschaft in den E le­

menten und dem. von ihnen Zusammengesetzten ist, dass sie aber in dem Vielen eine Färbung, (die Theilbarkeit) erhält, die nicht von ihr, der Qualität, sondern von der Vielheit, der Quantität herrührt. Dass aber die Differenz in der Quantität für u n s e r e A n s c h a u u n g einen qualitativen Unterschied begründet, d. h. für diesen Fall: dass die eine Qualität überhaupt auch nur anschaubar ist, die andere nicht, und dass die eine, wenn sie a u c h anschaubar wäre, sich uns vielleicht quali­

tativ anders vorstellen würde, das liegt in der Natur der Sache und hat auch anderswo genug Analogien.

Das andere Bedenken, eine solche elementare Ausdehnung habe keine Berechtigung, da sie nicht ein empirischer Begriff, ist offenbar nichtig; denn jedes System, das die angeschaute W elt auf Elemente zurückführen will, kommt zu solchen unanschau-

') L. spricht auch von „O rt“, aber man weiss nicht, wie bei ihm dieser Ort sich zu der Ausdehnung resp, zu den intellectuellen Beziehungen verhält, die der angeschauten Ausdehnung entsprechen sollen.

Philosophisches Jahrbuch 1892. 21

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baren elementaren Qualitäten; bleibt sie bei den angeschauten, so wiederholt sich ja das Problem immer wieder, z. B. wenn ich die ausgedehnten Dinge auf ausgedehnte Atome zurückführe, so erhebt sich ja dieselbe Präge immer ■ wieder mit den ausgedehnten Atomen.

Somit würde uns diese Art elementarer Ausdehnung, die keine Theilbarkeit involvirt, die aber gleichwohl die Grundlage für die Theilbarkeit der empirischen Ausdehnung ist, — wie die Zahl Eins, die streng genommen, untheilbar ist, die Grundlage für die Theil­

barkeit der Zahlen, — uns als die Lösung des Problems dünken.

X III.

Eben führt uns noch die Erörterung der Präge nach der Be­

rechtigung der vergeistigten Materie zu L .’s Lehre von Baum und Zeit, die auch in i n t e l l e c t u e l l e n „Beziehungen“ bestehen sollen.

1) Ein Theil der L .’sehen Angriffe auf die gewöhnliche Auffassung des Baumes wie auch der Zeit ist berechtigt, ein Theil nicht, und nicht die W eise, wie er jenen Mängeln abhelfen will. So rügt er mit Becht das Unternehmen, den Baum und die Zeit in einem Etwas bestehen zu lassen, zu dem die Frage nur in einer äusseren Belation stände ; es ist aller­

dings wahr, dass Baum und Zeit das Ding etwas angehen müssen, dass ihre Veränderung von i h m ertragen wird. Das heisst mit einfachen W orten, die Dinge sind nicht im Baume und in der Zeit, treten nicht ein und aus, sondern Baum und Zeit sind Beschaffenheiten des Dinges.

2) L. verwirft die Bealität unseres Anschauungsraumes, weil darin alle Baumpunkte gleich, also wohl blos q u a n t i t a t i v ver­

schieden seien ; bei dieser Gleichheit sähe man nicht ein, warum ein Ding da oder dort im Baume und in der Zeit einträte — ja es knüpfe sich an diesen Punkt der W iderspruch, die Baum- und Zeit­

punkte seien gleich und doch müssten sie unterschieden sein, um V e r­

schiedenes bezeichnen zu können.

Auch hier ist die L .’sche Forderung berechtigt, aber sie ist in dem empirischen Baume erfüllt. L. kämpft gegen eingebildete Mängel. Allerdings ist jeder Baum- und Zeitpunkt von jedem andern qualitativ verschieden, und k e i n e r i s t d e m a n d e r n g l e i c h , absolut nicht. Aber freilich, die qualitative Verschiedenheit ist eben eine solche in d e r G a t t u n g , d e s B a u m e s u n d d e r Z e i t , sie sind r ä u m l i c h qualitativ verschieden. Der Grund, warum L. und

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vielleicht noch Andere die qualitative Differenz unter den Kaum- und Zeitpunkten verkennen, scheint mir. darin zu liegen: a) Niemals ge­

wahren wir die, Raum- oder Zeiteigenschaft allein an einem Subjecte, sondern immer in Begleitung von anderen Qualitäten oder Acten des Dinges. Nun sind wir gewohnt, Raum und Zeit im allgemeinen ausser Acht zu lassen und mehr die Dinge durch die andern Quali­

täten zu beschreiben. Denn wenn ich sage, ein Ding war da oder dann, so sagt dies zu wenig, vielleicht deshalb, weil die anderen Qualitäten ungemein mehr Arten haben, als der Raum (jeder Raum hat von jeder Sorte nur eine Art, einen Punkt) und deshalb näher beschrieben werden können, während an derselben Raumart eine so­

zusagen unendliche Zahl von Dingen, wenn auch nur nacheinander Theil haben kann.

b) Ein und dasselbe Ding kann verschiedene Oerter emnehrpen, und verschiedene Dinge ein und derselben Art können (scheinbar)*) einen Ort und dieselbe Raumgrösse haben, ohne dass das eine, wie wir glauben, die Beschaffenheit des Dinges ändert, das andere sie gleich macht, und deshalb schreiben wir der Raum- und Zeitbe­

schaffenheit nicht so eine qualificirende Kraft zu, nur lassen wir sie hintendrein, wenn die κατ' εξοχήν sogenannten Qualitäten doch nicht Alles fertig bringen können, als trockenes Individuationsprincip figu- riren, zeigen aber damit gerade, dass unsere erste Ansicht irrthümlich war, und dass sie gerade befähigt sind, in eminenter W eise das Ding zu qualificiren.

c) Der Hauptgrund, warum wir diese beiden Grundeigenschaften, Raum und Zeit, einem noch fundamentaleren Modus der Substanz, der Zählbarkeit nähern, und ihre Differenzen als quantitative fassen, liegt, glaube ich, hierin: Raum und Zeit sind C o n t i n u a , wie das Zahlensystem, d. h. sie bilden ein System von Beschaffenheiten, worin nach einem unaufheblichen Gesetz immer eine bestimmte Beschaffen­

heit auf eine bestimmte folgt; und zwar durch unendlich kleine In­

tervalle immer diejenige, welche der vorangehenden möglichst ähnlich ist. In der W elt kann W eiss auf Schwarz, der Ton a auf c folgen, aber in Raum und Zeit folgt immer ein bestimmter Orts- und Zeit­

punkt auf einen bestimmten andern, der, wie wir sagen, „neben ihm liegt“ , d. h. ihm möglichst qualitativ ähnlich ist. So entsteht ein . q „Scheinbar“ in dem Sinne, dass ja die verschiedenen Dinge nicht individuell denselben Ort, sondern nur den specifisch gleichen einnehmen, in Consequenz der Lehre von der Inexistenz des Ortes im Dinge.

21*

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Continuum in der Raum- und Zeit-Qualität. Nun aber liegt das Motiv, räumliche Beschaffenheiten und ihre Differenzen als blos quantitativ bestimmt zu betrachten, in diesen b e s o n d e r n B e s c h a f f e n h e i t e n d e s R a u m e s u n d d e s R a u m - C o n t i n u u ms : a) Zwei Oerter sind qualitativ verschieden, wie Blau und Roth, wie Ton a und c ; ebenso q u a l i t a t i v verschieden sind zwei, wenn auch quantitativ gleiche Flächen, die verschieden gelagert sind. A ber die Yereinigung vieler Oerter (qualitativ anderer Räume) zu einem G l a n z e n ist eine andere, wie die von andern Qualitäten (Farben, Tönen, Geschmacks­

und Geruchsqualitäten) zu einem P r o d u c t . Die Raumtheile geben ein Ganzes, in dem die Theile materialiter und unversehrt enthalten sind. Es ist also ein R a u m g a n z e s immer die Summe, und zwar die an- s c h a u l i c h e Summe von a n s c h a u l i c h verschiedenen Theilen Bei den anderen Qualitäten bringt die Yereinigung von mehreren, — von räumlichem Nebeneinander derselben ist natürlich abzusehen — , ein chemisches Product hervor, das von den Factoren ganz verschieden ist und in d e r A n s c h a u u n g gar nicht einmal als zusammengesetzt erscheint. — fi) Nun ist ferner zu bemerken, dass in dem Continuum der Uebergang von einem zum andern Ort immer einen gleichen, in­

finitesimalen, Unterschied bedeutet. Ein jeder Ort ist von seinem Nachbarn durch die gleiche Differenz verschieden, folglich haben allemal zwei Orte, deren qualitative Lagendifferenz dieselbe ist, auch dieselbe A n z a h l Oerter zwischen sich liegen. Somit ist die quali­

tative Differenz durch eine Quantität überhaupt darstellbar,· alsdann aber, weil eben alle irgendwo befindlichen Oerter mit gleicher quali­

tativer Differenz dieselbe quantitative haben, so kann ein Raum durch den andern gemessen, d. h. angegeben werden, wie vielmal ein Raum in dem andern ist. Diese relative Reduction auf Zahlen (das Messen) ersetzt die absolute Methode, die nicht möglich ist, nämlich die Anzahl der einfachen Elemente eines Raumes, was das­

selbe ist, die Anzahl -der Oerter, zwischen zwei Oertern zu zählen.

Kurzum, eine Zahlangabe ist hier möglich. Da nun aber die Orts­

qualität, so wenig wie irgend eine einfache Qualität, definirbar ist, so vernachlässigen wir bei der O rtsbestim m ung — dasselbe gilt mutatis mutandis natürlich auch für die A u s d e h n u n g — die Qualität und bestimmen alles durch die Quantität und meinen zuletzt denn auch, es seien hier überhaupt nur quantitative Bestimmungen vorhanden. Dies beruht also auf dem bezeichneten Charakter des Continuums und zwar des Raumcontinuums.. W äre der Raum dis-

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contimiirlich, und würde infolge dessen auch unser Anschauungs- Vermögen niemals discontinuirliche Raumpunkte zu continuirlichen ergänzen, so hätten auch dann natürlich zwei discontinuirliche Orte eine qualitativ andere Lage, ohne indess aber durch eine Summe von Ocrtern getrennt zu sein. Es würde dann also auch ihre qualitative Differenz nicht messbar sein, und niemand würde es einfallen zu sagen, der Raum habe in sich nur quantitative Differenzen. Dasselbe R e­

sultat würde auch herauskommen, wenn das Gfesetz des Fortschritts durch (örtlich) gleiche Differenzen nicht überall im Raume statthätte, und natürlich auch nicht angeschaut würde; was dasselbe heissen würde w ie: der Raum sei nicht überall gleich continuirlich. Alsdann würde jedes richtige Messen, die Rückführung auf Zahlen aufhören.

— γ) Es verdient aber eine Eigenthümlichkeit des Raumcontinuums gegenüber dem Zeitcontinuum als massgebend für diese Frage hervor­

gehoben zu werden: die Anschaulichkeit. Die Zeit ist messbar, aber nicht durch eine andere Zeit, oder nur indirect, sondern nur durch ihre W irkung im Raum. Die Zeit ist nämlich zwar ein Continuum, aber nicht ein solches, in dem ein bestimmtes Ganze m i t seinen Theilen a n g e s c h a u t wird. A n s c h a u l i c h ist in ihr nur ein Augenblick.

Deshalb ist auch nicht ein Zeittheil als Maas auf ein Zeitganzes a n ­ s c h a u l i c h abtragbar. D ie Zeit ist nicht d u r c h s i c h messbar.

Aus diesen Ueberlegungen folgt: L. hat gar keinen Grund, das objective Fundament des Raumes und der Zeit in einer vom an­

geschauten Raum verschiedenen Qualität zu suchen. Sein angeblicher Widerspruch des Gleich- und Verschieden-seins der Raumpunkte ist nichtig, die Raumpunkte sind wirklich qualitativ verschieden, wie bei allen anderen Qualitäten.

Nehmen wir hinzu, dass jede besonnene Metaphysik die Raum­

und Zeitbeschaffenheit auch als Eigenschaft in die Dinge verlegt und damit L . zustimmt, wie wir zuerst ausführten, so steht bis jetzt noch nichts im W ege, dass Raum und Zeit objective Qualitäten an den Dingen sind.

3) L. will beweisen, dass Raum und Zeit nicht solche B e­

griffe wären, wie die von andern Qualitäten, und hegt dabei den Gedanken, sie müssten. denn auch auf andere W eise vom Geist erworben sein; das läuft dann auch auf die Annahme apriorischer Formen hinaus. A ber sein Argument ist unrichtig. Das erste, Raum und Zeit seien Unica und nicht auf die Categorien zurückzuführen, hat er ja selbst widerlegt, indem er sie auf intellectuelle „ Zustände“

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zurückführt, er hält sie also selbst für Qualitäten. — Das andere, sie verhielten sich anders zu den ihnen untergeordneten Arten, ist ein offenbarer Missgriff, auf Verwechselung beruhend. Jeder Raum­

punkt ist ganz Raum (nicht der g a n z e R a u m ) , wie jedes Roth ganz Farbe; alle Exemplare des R a u m b e g r i f f s , also alle Raum­

punkte setzen den Begriff gar nicht anders, nämlich in ebensolcher logischen "Weise, zusammen, wie alle Farbenuancen den Begriff Farbe.

A ber d a n e b e n setzen die Raumindividuen - sich zu einem ganzen R a u m i n d i v i d u u m zusammen, und das beruht wieder auf der geschil­

derten Continuität, und dieses Raum g a n z e , oder d e n (individuellen angeschauten ganzen) Raum hat L. mit dem Raum begriff verwechselt.

Dass aber die e i n z e l n e n Raum- und Zeitqualitäten in der W e lt con- tinuirlick sich folgen, bildet doch keinen Unterschied des B e g r i f f s und seines Verhältnisses zu den Arten gegenüber anderen Qualitätsbe­

griffen. Kein Grund also, von apriorischen B e g r i f f en zu sprechen.

4) A uch L .’s psychologische Theorie ist falsch. Jedenfalls, so heisst es, m öge der Raum objectiv existircn oder nicht, wäre die Vorstellung davon n u r ein subjectives Gebilde. Dies beruht sowohl für seinen Raum- wie seinen Zeit-Empirismus in der Hauptsache auf vollkommener Verkennung der inneren Zustände. Zunächst a) wenn, wie er meint, ein ausgedehnter Raum1)- (und Zeit-)theil nicht in den einfachen A ct eintreten kann, so kommt er auch niemals als Bild heraus; denn die Zeichen, die die Seele veranlassen sollen, hernach das zuerst einfache Bild in eine Ausdehnung auseinanderzu­

legen, können doch nur solche sein, die zu der Ausdehnung zum wenigsten in Verwandtschaft stehen ; es müssen also deshalb dennoch in dem „ einfachen“ Acte Ausdehnungselemente sein, d. h. in dem w a s der A ct präsentirt, b) wenn nun denn hernach wenigstens die Seele ein Bild der Ausdehnung hat, — sonst nähmen wir ja gar nicht ausgedehnte Grössen wahr und sprächen nicht davon — , so ist ja doch ein ausgedehntes Bild in dem einfachen Acte, und warum denn nicht von vornherein? c) Vor allem aber hat L. nicht erkannt, und

') Ich wähle als Belegstelle hier der Kürze halber den Ausdruck dieser Lehre in dem Dictat der Metaphysik 2. Aufl. S. 58 : „Da (nun viertens) ent­

weder die Seele oder d o c h j e d e n f a l l s d a s " V o r s t e l l e n kein Raumvolumen ist, sondern eine ganz intensive Thätigkeit, so könnten die Eindrücke der Dinge nicht mit Beibehaltung der räumlichen Lagen, welche die Dinge ausser uns haben, in unser Bewusstsein übergehen, sondern alle diese Eindrücke müssten doch zuletzt so beisammen sein, wie die Töne eines Accords, also ganz unräumlich.“

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wir haben das früher schon gesagt, dass das äussere Object (hier das räumliche und zeitliche) in dem Acte ist, ohne diesen und ohne die Seele in seiner ausgedehnten W eise zu bestimmen; der A ct bleibt einfach und unausgedehnt, selbst wenn er Ausgedehntes an­

schaut.

Die andere Frage metaphysischer Natur, wie objectiv A us­

gedehntes auf Unausgedehntes wirken könne, um das Bild des Aus- . gedehnten hervorzubringen, ist freilich eine schwierige; unmöglich aber ist es nicht, dass, obwohl das Seelensubject einfach ist, ihr activer und passiver Kraft- (Empfänglichkeits-) Kreis sozusagen ein ausgedehnter ist. Aber das kann wieder die Kraft nicht, ohne dass das Subject irgendwie an der Ausdehnung Theil nimmt. Dieses Räthsel nun, dass die Seele ausgedehnt sei, — das muss sie in einer Art sein, um im Ausgedehnten zu w o h n e n — , und doch nach den Forderungen der Bewusstseinseinheit einfach, hat man, und die Neuplatoniker zu­

erst, durch das Postulat, ausgedrückt, die Seele sei ganz im Ganzen und ganz in jedem Theile der Ausdehnung, die sie inne hätte; sie sei also nicht durch die unterschiedenen Ortsbeschaffenheiten in eben so verschiedene Theile getheilt. Das käme nun darauf hinaus, dass sie an verschiedenen Orten zugleich sein könne, um dort zugleich zu wirken und W irkungen zu empfangen. Aber das ist sicher eine Schwierigkeit, die bei andern Beschaffenheiten kein Analogon hat, nämlich dass die Seele in der Raumkategorie zugleich verschiedene Arten derselben Gattung von Beschaffenheit an sich, und zwar nicht etwa an verschiedenen Theilen, haben kann. Diese Schwierigkeit ent­

spricht genau der psychologischen, wie die Seele mehrere qualitativ verschiedene Ortsbeschaffenheiten zugleich empfinden kann, während sie mehrere Farben im e i n f a c h e n E m p f i n d u n g s a c t e , nicht zugleich anschauen kann (natürlich solche, die nicht durch die eben in Frage stehende Anschauung e i n e s m e h r t h e i l i g e n Raumganzen dazu befähigt sind). Es scheint der Raum gegenüber den anderen Qualitäten bezüglich seines physischen wie psychischen Besitzes eine Ausnahme zu machen, die wir nicht aufklären können.

Die angeführten drei Punkte beweisen aber genügend, dass es nicht richtig ist, dass, vTenn der Raum objectiv existirte, wir noth- wendig nur ein apriorisches Rild davon haben könnten. L. könnte und müsste dasselbe auch von den Zahlen sagen, und so würde er consequent der vollendetste Skeptiker sein müssen. A l l ’ unser Wissen besteht in subjectiven Form en; denn dass er auch nicht

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die subjective Nachbildung der objectiven Y e r h ä l t n i s s e unter unbekannten Dingen retten kann, wird noch gezeigt. A lso sage ich, folgerecht muss L. auch von den Zahlen empiristisch so sagen:

Vier Dinge können nicht als solche in e i n e n Act, z. B. der V er- gleichung, treten, denn der A ct ist eben ein e r, und das sind vier.

Also müssen die Y ier als ein Object in den einfachen A ct treten und anfänglich folglich als Eins darin sein; nur müssen in dem E i n e n Momente enthalten sein, wonach die Seele hernach das Eine in Yiere verwandelt. — Aber, erwidern wir, jedenfalls müssen „der Momente“

doch v i e r sein, oder in dem A ct muss etwas A n a l o g e s oder A e h n l i c h e s sein, wie die Yierfachheit an seinem Objecte. Ein Analogon aber der Yierzahl, das nicht specifisch Mehrzahl ist, ist gar nicht denkbar. Es folgt also: L. muss das gleichzeitige E i n t r e t e n γοη mehreren Objecten in den seelischen A ct zugeben, wenn er überhaupt nicht leugnen will, dass wir von Mehrerem nachher B e­

wusstsein haben, es psychisch b e s i t z e n .

Diesem Beispiel habe ich denn nichts mehr zuzufügen: L .’s psychologische Theorie ist offenbar irrig. Baum, Zeit und (Mehr-) Zahl können, so wie sie sind, von der Seele angeschaut werden, auf Grund des von uns beschriebenen Y erhältnisses von Act und äusserem Object.

Kein Grund spricht also dafür, mit L. den Boden des Empirischem zu verlassen und zu intellectuellen Zuständen überzugehen.

5) L. hat aber auch in der Ausführung seiner eigenen Ansicht von der theilweise apriorischen und doch theilweise objectiven Baumbe­

schaffenheit sehr geirrt. Denn wenn es so ist, dass wir von Baum und Zeit nur ein subjectives Bild haben können, so können wir auch nicht ihre Y e r h ä l t n i s s e in der objectiven W elt richtig anschauen.

Aber L. behauptet allerdings gegen Kant, irgend etwas müsse in den Dingen selbst sein, damit die Baumform zu den Eindrücken, die von den Dingen kommen, passe. Also nimmt er ein Analogon als ob­

jectives Correlai unserer Anschauung an. A ber a) wenn dieses Ob­

jective wirklich den Namen Analogon verdient, so wird es zum wenigsten auch in den allgemeinsten Verhältnissen mit dem Bilde stimmen. Wenn dem so ist, dann muss wohl das objective Analogon denselben Fehler haben, wie die subjective Anschauung, nämlich, dass die Theile, wie L . behauptet, verschieden und nicht verschieden sind;

denselben vermeintlichen Fehler, um desswillen er die Objectivität unserer Anschauung leugnet und sich zu den intellectuellen Beziehungen

(25)

als Analogon rettet. Also hilft das nichts, b) W as L. der Rauman­

schauung objectiv substituirt, erfüllt gar nicht die Forderung, die er stellt, dass wir in unserm Bild und seiner Veränderung wenigstens die objectiven Verhältnisse erkennen sollen, „dass dieRaumform zu den Ein­

drücken passe.“ Bisher hat man doch immer geglaubt, und L. glaubt es sonstwo selbst, dass wenn irgendwie es Unterschiede gibt, die grössten die zwischen Ausdehnung und geistigen Zuständen sind. Es genügt nicht, dass die Anschauung blos das Zahlenverhältniss und die A rt der Folge, die Continuität, abbilde ; denn dann würden wir ja in unserm Bilde yon Raum und dem yon Zeit gar nichts Verschied enes an­

schauen; denn beide sind Continua; ja sie würden sich nicht yon der Anschauung unterscheiden, die objectiv eine continuirliche Zahl von Objecten wäre. Das was ich Richtung und Lage als materiale B e­

schaffenheit des R a u m e s genannt habe (Bewusstsein und sein Object S. 494 u. 510), das muss wenigstens analog in dem Dinge sein, ebenso das, was wir mit einem vom Raum herübergenommenen, blos bildlichen Ausdruck Lage und Richtung der Z e i t nennen. Hierauf basirt erst die Möglichkeit der Erkenntniss der räumlichen V e r h ä l t n i s s e . Etwas Analoges aber findet sich nicht in den „intellectuellen“ B e­

ziehungen.

L. hat also gar kein Analogon aufgestellt; mit seinem End­

resultat entspricht er nicht, sondern widerspricht seiner anfänglichen Forderung. Nimmt man das zuerst Besprochene hinzu, dass L. gar keine Veranlassung hat, von der Objectivität der Raum- und Zeit­

anschauung abzugehen, so muss man die L .’sche Raum- und Zeit­

theorie ablehnen, und entweder diese Anschauungen von Raum und Zeit, so wie wir sie anschauen, objectiv real sein lassen, oder wenigstens ein Analogon annehmen, aber ein. wirkliches, welches die Bedingung erfüllt, dass wir wenigstens die objectiven Verhältnisse der Aussenwelt erkennen. W e r sich von der letzteren Annahme, die selbstverständlich nichts weiter über das W ie der Analoga angeben könnte (die ja doch dem Original verzweifelt ähnlich sehen müssen), einen Nutzen ver­

spricht, mag das thun.

Gegen die Rückführung der Zeit auf intellectuelle Bezieh­

ungen hat L. selbst sein Gefühl der Bedenklichkeit geäussert, weil selbst die inneren Acte und somit selbst der S c h e i n der Zeit für die wirkliche Zeit spricht. Allein er hat sich darüber hinweg- gesetzt, während ihm sonst wohl das als ein strictes Argument galt, dass eine R e a l i t ä t , deren Erscheinung und Gledachtsein sogar

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