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In der Tat spricht vieles dafür, das ben¬ galische 19

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und die Befreiung von den Feringhees

durch den varnäsramadhanna :

Gedanken eines frühen SvadesT-„Revolutionärs"

Von Hans Harder, Halle

1. Rahmen : Bengal Renaissance und Svadesi-Bewegung

Folgt man Aurobindos Definition der „Bengal Renaissance"^

oder genauer der „Renaissance in Indien", so beschränkt sich

diese nicht auf das 19. Jh., sondern greift weit ins 20. hinein und

steht selbst 1918, da er sich zu diesem Thema äußerte, noch weit

von ihrer Blüte entfernt^. In der Tat spricht vieles dafür, das ben¬

galische 19. Jh. und die SvadesT-Bewegung als einen Zeitraum ge¬

danklicher Kontinuität aufzufassen. Die Bewegungen und Kon¬

zepte, die im 19. Jh. entstanden waren, deuteten in vielem bereits

auf die SvadesT-Bewegung hin, und umgekehrt benutzten die

SvadesT-Akfivisten, zumal die frühen, fast ausschließlich gedank¬

liches Material aus der vorangegangenen Epoche. Neu war meist

nur die Wendung dieser Gedanken von der Defensive in die Of¬

fensive; frühere Apologefiken wurden (oftmals höchst unkritisch)

in aggressive Bestätigungen der eigenen Überlegenheit umge¬

münzt.

' Dieser Aufsatz wurde in Auszügen auf dem DOT in Leipzig 1995 vorge¬

stellt. Für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Hinweise, die in die vor¬

liegende Fassung eingegangen sind, danke ich ganz herzlich Herrn Prof Dr Ra¬

hul Peter Das (Halle) und Herrn Dr. Alokeranjan Dasgupta (Heidelberg).

^ Der Begriff „Bengal Renaissance" wird im folgenden als Bezeichnung für eine um 1800 beginnende Epoche der bengalischen Geschichte benutzt. Der Be¬

griff ist in der Geschichtsschreibung seit langem etabliert, weshalb es an dieser Stelle nicht notwendig isL auf die zweifelsohne großen Unterschiede zur europä¬

ischen Renaissance einzugehen.

' Vgl. Aurobindo, Sri: The Renaissance in Bengal; originally published seri¬

ally in the Arya from August to November, 1918; Pondicherry, 1986 (1920); 1 ff.

(2)

Die kulturelle Konfrontation mit der englischen Kolonialherr¬

schaft, welche zum Anlaß für diese Renaissance in Indien wur¬

de, hatte Einfluß auf den gedanklichen Bereich, in dem sie sich

abspielte. Der Versuch auf indischer Seite, das „Eigene" heraus¬

zuarbeiten, rückte bestimmte Themen in den Vordergrund. Der

wohl stärkste Impuls der hauptsächlich von Hindus getragenen

Bewegung war eine religiös-kulturelle Neubestimmung. Nicht

immer wurden dabei Religion und Kultur auseinander gehalten

(wenn sie nicht überhaupt als Synonym aufgefaßt wurden'*). In

der SvadesT-Bewegung spielte die Religion infolgedessen eine

ganz entscheidende Rolle^.

Die frühe SvadesT-Bewegung war äußerst heterogen; die Mei¬

nungen und Zielsetzungen der damaligen Aktivisten scheinen

oftmals geradezu widersprüchlich. Dennoch war aber, wie bereits

in der Bengal Renaissance, das gedankliche Material der Bewe¬

gung durch das Verlangen nach Abgrenzung gewissermaßen vor¬

selektiert; die Unterschiede zwischen den einzelnen Positionen

bestehen hauptsächlich im Ziehen der Grenze zwischen „Eige¬

nem" und „Fremdem" in bezug auf eine begrenzte Anzahl von

topoi. Hierher rührt auch die Vieldeutigkeit der antikolonialen

Bewegung: Das 19. Jh. hatte das „Eigene" (im Sinne kultureller

Identität) auf die ferne Vergangenheit, das „Golden Age", proji¬

ziert. Die „Hindu-Tradition" wurde hierdurch zu einem patrioti¬

schen Zeichen, dessen sich Progressive wie Traditionalisten glei¬

chermaßen bedienten.

Konstanten in der Diskussion jener Zeit sind nun diejenigen

Themen, welche im Widerspruch zur europäischen Kultur, engli¬

schen Erziehung und christlichen Ethik stehen. Dazu gehört

auch, und zwar an ganz prominenter Stelle, das Kastenwesen -

der varnäsramadharma. In diesem Zusammenhang sollen im fol¬

genden - nach einer kurzen biographischen Skizze - einige

Gedanken des SvadesT-Aktivisten Brahmabändhab Upädhyäy^

" Man vergleiche etwa Bankim'candra Cattopädhyäys Dharmmatattba (in:

Bankim racanäbali: Hg. Yoges'candra Bägal; Kalikätä, 11. Aufl. 1397 beng.

Zeitr [1990-91]; Bd.2, 584-679), in dem die Begriffe Religion und Kultur in eine ganz enge Verbindung gebracht werden.

' Siehe Bandyopädhyäy, SandTp: Agniyuger bärnläy biplabimänas ; Kalikätä, 1993; bes. 69 ff zur untrennbaren Verbindung von Religion und Nadonalismus.

* Brahmabändhab gilt neben Bipin Chandra Pal und Motilal Ghosh gemein¬

hin als „Extremist" in der frühen Swadesl-Bewegung. Vgl. Tripathi, Amales: The Extremist Challenge: India between 1890 and 1910; Bombay/Calcutta/ Madras/

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dargestellt, erörtert und ins bengalisciie 19. Jh. zurückverfolgt

werden. i

II i i 2. Kurzbiographie

Brahmabändab Upädhyäy (Geburtsname BhabänTcaran Ban¬

dyopädhyäy) wurde 1861 in Hugli (Westbengalen) geboren. Er

lernte Sanskrit in Bhatpara und ging in Kalkutta zum College.

1877 [?] wurde er von Kesab'candra Sen zum Brähma^ initiiert*

und wirkte als brähma-pracärak in Sindh und Haiderabad. 1884

wurde er in Sindh (Karachi) unter Einfluß von Padres und Rev.

KälTcaran Bandyopädhyäy zum Protestanten, dann zum Katholi¬

ken^. Er eröffnete den „Concorde Club" und brachte die Zeit¬

schrift Concorde heraus; verschiedene andere publizistische Ak¬

tivitäten schlössen sich an. Brahmabändhab lehrte zunächst an

der Union Academy, ab 1901 für kurze Zeit in Säntiniketan'".

1902-3 rekonvertierte er unter Vivekänandas Einfluß zum Hin-

New Delhi, 1967; 121. Eine Kritik an der geläufigen Einteilung in Moderate und Extremisten und eine sehr sensible Beurteilung der „intellectual history" der Zeit bis 1905 findet sich bei Sen, Amiya P.: Hindu Revivalism in Bengal: 1872-1905:

Some Essays in Interpretation ; Delhi, 1993; 3-20 (Introduction).

^ Mitglied des Brähma Samäj. \

* Hier widersprechen sich die angegebenen Daten; 1887 (vgl. etwa Giri, Sa- tyabatT: Bärnlä sähitye krsnakathär kramabikäs ; Kal'kätä, 1988; 550, oder Ghos, SaurIndrakumär: Sähityasebakamanjusä, Bd.2; Kal'kätä, 1985; 406) hieße, daß B. nach seinem Übertritt zum Christentum zum Brähma wurde. Dies widersprä¬

che aber der allgemein übereinstimmenden Reihenfolge seiner Konversionen.

' Trotzdem sah Brahmabändhab sich weiterhin als Hindu (S. Ghose, Sankar:

The Renaissance to Militant Nationalism in India; Calcutta, 1969; S.30). Ein frü¬

heres Beispiel für ein gewisses Beibehalten der früheren Hindu-ldendtät durch ei¬

nen konvertierten Christen ist Reverend K. M. Bandyopädhyäy, ein Schüler Dero- zios, der auch viel zum Hinduismus geschrieben hat (Vgl. BiseÄs, Krsnakali:

Dnabirnsa satäbdTr nabajägaraner äloke rebhärend krsnamohan bandyopädhäy ;

Kal'kätä, 1986; 102-104 [Schriftenverzeichnis]), ein späteres Harendra Coomar Mookerjee, welcher sich auch als Christ fortwährend mit religiösen Texten der

Hindus beschäftigte (S. Banerjee, Pramathanath (ed.): Harendra Coomar Moo¬

kerjee Memorial Volume; Caicutta, 1962; xxx).

Wie Somit Sarkar (The Swadeshi Movement in Bengal: 1903-1908; New

Delhi, 1977 [1973]; 155f) zeigt, war dies eher ein Merkmal von „traditionalist pulls" bei Tagore als von Brahmabändhabs Liberalität: „Even caste distinctions were observed at the asrama for a brief while" (ebd., 156). Zur gedanklichen Nä¬

he zum Tagore jener Zeit s.u.

L L

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du-dharma und nahm als Sannyäsin seinen neuen Namen an". Vi¬

vekänandas Vorbild entsprechend reiste er nach England zur Ver¬

breitung des Vedänta^^. Nach seiner Rückkehr wurde er als politi¬

scher Führer der SvadesT-Bewegung aktiv. Seine 1904 begonnene

Zeitschrift Sandhyä wurde 1907 verboten und er vor Gericht ge¬

stellt'''. Brahmabändhab starb noch im selben Jahr an Tetanus'"*.

3. Brahmabändhab zum varnäsramadharma

Bereits vor seiner Rekonversion zum Hinduismus unter dem

Einfluß Vivekänandas nannte Brahmabändhab sich einen „Hin¬

du-Katholiken"'^ und forderte, der Katholizismus solle sich die

Hindu-Philosphie aneignen. Seine vermutlich ersten Äußerungen

zum varnäsramadharma finden sich in den Briefen, die er wäh¬

rend seiner Europareise als Ket/änto-Missionar ca. 1902 in Kal¬

kutta veröffentlichte:

" Einiges deutet daraufhin, daß den Sädhus und Sannyäsins in der frühen SvadesT-Bewegung eine besondere, mehrdeutige Rolle zukam. Auf die starke Ver¬

flechtung der Bewegung mit der Religion wurde bereits hingewiesen. Man denke

etwa an Aurobindos Wandlung zum spirituellen Führer Vgl. auch Bandyopä¬

dhyäy, SandTp: op.cit., 38, wonach Aurobindo und BärTndrakumär Ghos ein Ge¬

rücht in Umlauf brachten, ein am Ufer der Narmada wohnender Sädhu habe

durch „yogische Kräfte" erfahren, daß es 1906 in ganz Indien zur Revolution

kommen werde. Brahmabändhabs Sann/äi/n-Werdung muß wohl auch vor die¬

sem Hintergrund interpretiert werden.

Brahmabändhab war darin kein Einzelfall. Wilhelm Halbfass (Indien und Europa: Perspektiven ihrer geistigen Begegnung; Basel/Stuttgart, 1981; 274) weist auf Swami Ramatirtha, einen weiteren Ke</änto-Missionar, hin.

Bei der Gerichtsverhandlung gab Brahmabändhab das folgende vielzitierte Statement ab: „I do not want to take any part in this trial, because 1 do not believe that in carrying out my humble share of the God-appointed mission of swaraj I am in my way accountable to the alien people who happen to rule over us, and whose interest is and must necessarily be in the way of our true national develop¬

ment." Bande Mataram, 25 July 1907; angeführt nach: Somit Sarkar: op.cit.;

264.

Vgl. Bhattäcärya, Hamsanäräyan: Bahgasähityäbhidhän; Kal'kätä, 1990,

Bd.2, 298 f; Ghos, SaurTndrakumär: Sähityasebak-marijusä, Bd.2; Kalikätä, 1985; 406.

Vgl. Ghose, Sankar: 77!« Renaissance to Militant Nationalism in India; Cai¬

cutta, 1969; 30f Bei K.P. Aleaz: Jesus in Neo-Vedänta; World Religions Rela¬

donship Series, No.2; General Editor: Jorg [sie] Weber; Delhi, 1995; 129f fin¬

det sich eine Darstellung von Brahmabändhabs Erklärung der Dreieinigkeit als saccidänanda

(5)

„Auf dem Markt der Zivilisation gibt es ein solches Hin- und

Hergeschiebe, daß sie [die englischen Arbeiter] nicht zurecht¬

kommen. Deshalb sind sie zu Gegnern der gegenwärtigen Gesell¬

schaft geworden. Und wenn sie die sehen, welche sich Öl auf die

Glatzen schmieren, erhitzen sich ihre Gemüter wie fritierte Au¬

berginen. Ich habe ihnen ein wenig von unserem varnäsrama¬

dharma erzählt. Sie waren erstaunt, vom Vorrang der weltlichen

Taten ohne Konkurrenz und Wettkampf zu hören, doch sie

stimmten wiederholt zu, daß dies friedensstiftend sei. Sie sind

sehr gebildet und intelligent. Diese Opposition zur Gesellschaft

ist ein Teil der Zivilisation. Eben diese führt zu Streiks und er¬

zeugt Feindschaft zwischen Reichen und Arbeitern.""^

Diese Stelle deutet bereits eine der Funktionen an, die Brah¬

mabändhab dem varnäsramadharma zuschreibt und in seinen

späteren Schriften genauer herausarbeitet: als Sicherheitsgarant

gegen die Wettbewerbsgesellschaft, die eine Polarisierung in arm

und reich mit sich bringe. In ähnlicher Weise fmdet sich dieser

Gedanke schon bei Bhüdeb Mukhopädhyäy". Wie Bhüdeb sieht

auch Brahmabändhab die englische Gesellschaft keineswegs als

Verkörperung der Ideale der französischen Revolution oder ega¬

litären Christentums, sondern entdeckt in ihr brutale Aussonde¬

rungsmechanismen'*. Er ist entsetzt, als er in London das erste

Mal Bettler auf der Straße sieht'^.

Ghos, Bärid'baran (Hg.): Brahmabändhab upädhyäyer racanä sarngraha;

Kalikätä, 1987 [von hieran: BRS]; Bilät-prabäst sannyäsTr cithi I, 142-150; 147.

Diese Werkausgabe gibt nur sporadisch bibliographische Angaben zu den jeweili¬

gen Texten und ist darüber hinaus sehr unvollständig. So sind zB. Brahmabän¬

dhabs frühere englische Schriften nicht berücksichtigt worden. Zweifelhafte An¬

gaben zur Zeit der Erstveröffentlichungen werden darum im folgenden gekenn¬

zeichnet. Zwei Monographien zu Brahmabändhab, die hier möglicherweise Abhil¬

fe hätten schaffen können, waren mir leider nicht zugänglich: Mukhopadhyay, Haridäs und Umä: Brahmabändhab Upädhyäy o bhäratiya jälTyatäbäd; [?], 1961;

und Sinha, Probodhcandra: Upadhyay Brahmabandhab; (n.d.); zit. nach Somit

Sarkar, op. cit. , 258 f

Bhüdebs diesbezügliche Aussagen sind Teil des Inhalts seines bekanntesten

Werkes Sämäjik prabandha Nach Raychowdhuri, Tapan: Europe Reconsidered:

Receptions of the West in Nineteenth Century Bengal; New Delhi, 1988; bes. 88.

BRS, Bilät-prabäst sannyäsTr cithi /; 148. Er klagt über das Verbot, auf offe¬

ner Straße zu betteln, und begreift das Verkaufen von Papierblumen als Vorwand zum Betteln.

" BRS; Bilät-prabäsTsannyäsTr cithi /, 142-150; 146.

(6)

Nach seiner Rückkehr aus Europa fand dann bei Brahmabän¬

dhab Upädhyäy der entscheidende Sinneswandel statt, der ihn

vom loyalen Untertanen der britischen Krone zum orthodoxen

Brahmanen und militanten SvadesT-Kämpfer werden ließ^". Im

Nachhinein schreibt er darüber:

„Ich habe kein Haus - habe niemanden, weder Sohn noch

Frau. Ich reiste von Land zu Land. Müde und erschöpft dachte

ich mir schließlich, daß ich mir am Narmadä-Ufer einen äsram

bauen und mein Leben an jenem einsamen Ort in Meditation

verbringen würde. Doch tief in mir^' hörte ich etwas. Wie viele

Versuche machte ich, es zu vergessen - doch je mehr ich es ver¬

gessen wollte, desto mehr erklangen jene Worte tief in mir.

Was waren jene Worte? Indien wird wieder frei werden - jetzt

ist nicht die Zeit für Meditation - berauschen müssen wir uns auf

dem Schlachtfeld des samsära. [. ..]."^^

In seiner Zeitschrift Sandhyä, einer der drei einflußreichsten

Zeitungen während der Agitation gegen die Teilung Bengalens,

tritt Brahmabändhab dann mit dem varnäsramadharma den in¬

terkulturellen Vergleich an. Diese Schriften zeichnen sich durch

aggressive Rhetorik und Polemik aus; der Anspruch auf kultu¬

relle Überlegenheit Indiens wird immer wieder geäußert'^^. Zu¬

nächst gilt es, das von „den Engländern" aufoktroyierte Ge¬

schichtsbild zu korrigieren.

„In Europa hat sich seit der religiösen Rebellion^'* [d. h. Refor¬

mation] des 16. Jh.s bei vielen die Auffassung durchgesetzt, daß

alle vergangenen oder zukünftigen Kämpfe gegen alte Anschau¬

ungen^^ oder Bräuche^^ gerecht und heldenhaft seien. Das Wort

.Rebellion' macht sie vollkommen von Sinnen. Diese europäische

Rebellengruppe ist ein scharfer Gegner des brahmanischen dhar¬

ma; in ihrer Sicht ist der anti-vedische" Buddhismus extrem

^° Amales Tripathi (op.cit., 62) bemerkt dazu: „Between the naive loyalism of The Twentieth Century [einer um die Jahrhundertwende von Brahmabändhab her¬

ausgebrachten Zeitschrift] and the fiery denunciadon of the Sandhyä [...] Brah- mabandhav had passed through the ordeal of the Curzon regime".

^' präne-präne.

" BRS; Anuslhärf patra . sbaräj (1907 [?]), 50-61; 55.

" SandTp Bandyopädhyäy, op.cit., benutzt für dieses Phänomen den Aus¬

druck sresthatbadäd.

2" bidroha mat prathä.

" bed'birodhl

(7)

hochstehend, weil er das Alte zerstört hat. Das europäische, der

Zerstörung der Ordnung geneigte Bewußtsein^* verabscheut den

durch die Veden verordneten varnadharma als Feind der

Menschheit, verspottet das Wissen um das eigenschaftslose brah¬

man und den mäyäväda des Vedänta, hebt aber den atheisti¬

schen buddhistischen Weg in den Himmel. Eben diese rebel¬

lionsverzerrte Sicht hat unsere alte Geschichte der Falschheit be¬

schuldigt. Die westlichen Gelehrten sind zu dem irrigen Schluß

gelangt, daß der brahmanische dharma die Wurzel des Nieder¬

gangs der Hindus sei. War nach ihrer Meinung nicht Indien vor

dem Heraufkommen des Buddhismus voll von Dunkelheit, und

wurde es nach seinem Verschwinden nicht erneut von einer tiefen

Nacht des Unwissens überzogen? Die Reihenfolge der Ereignisse

ist in der Tat korrekt, aber sie sind nicht in einer Kausalkette ver¬

knüpft [sie]. [...] Es gibt einen anderen Grund dafür, daß der

niskämadharma und das Wissen um das eigenschaftslose brah¬

man des Vedänta fast verschwunden waren. Im Laufe der Zeit

war eine Vermischung von äryas und anäryas, von dvijäs und

südras eingetreten und somit die Vermischung von varnas ent¬

standen; das arische Blut war verschmutzt worden. Der varna¬

dharma macht das Getrennte ungetrennt. Erst errichtet er einen

Wall zwischen beiden; wenn sie danach einen günstigen Zustand

zum Zusammenkommen erreichen, nimmt er die Distanz ohne

weiteres^^ wieder hinfort. Zunächst gab es einen starken Unter¬

schied zwischen dvijäs und südras. Mit der Zeit trafen sie sich;

doch dieses Zusammentreffen hatte positive wie auch negative

Folgen. Die va/-«a-Mischlinge^° konnten die Bedeutung des nis¬

kämadharma nicht besonders gut verstehen. Die arische Gesell¬

schaft wurde von der Entsagung regiert. Diese Regierung er¬

schien den Hinzukömmlingen als Last. Sie vermischten sich

zwar, konnten aber nicht ins Innere der arischen Moral vordrin¬

gen. All diese hinzugekommenen unwissenden, gegen die Entsa¬

gung eingestellten Mischrassen hafteten sich an die Brust der ari¬

schen Gesellschaft wie ein schweres Gewicht. Somit war der Weg

des Fortschritts schnell versperrt. Eben die Liberalität des brah¬

manischen dharma ist der Grund für den Fall der arischen

bibek amanL

bamasahkaf guli.

(8)

Rasse. Der Tadel, die Hindurasse sei aufgrund des rigiden^'

brahmanischen dharma degradiert worden, ist aus der Luft ge¬

griffen. Es ist zweifelhaft, ob die Großzügigkeit, die die Arier ge¬

zeigt haben, ihresgleichen hat oder nicht. Ein solches Zusammen¬

treffen von Schwarz und Weiß ist sonst noch nirgendwo gesche-

hen."^2

Die Behauptung der Großzügigkeit als Eigenschaft des Hin¬

duismus und Kriterium der Überlegenheit, die hier implizit ge¬

macht wird, ist nicht neu, sondern charakteristisch für neohin¬

duistisches Denken. Sie findet sich in Ansätzen bereits bei Räm'

mohan Räy^^ und in deutlicherer Ausprägung dann bei Bankim'

candra Cattopädhyäya^'*, Räj'näräyan Basu^^ und Nabin'candra

Sen^^ und hat Züge dessen, was Hacker als „Inklusivismus" be¬

zeichnet. Neu ist aber, daß sie in solch direkter Weise auf den

" anudär.

BRS; Hindujätir adhahpatan (1904 [?]), 21-29; 21, 24.

Vgl. Halbfass, op. eil. ; 225.

^* Snmadbhagabadgttä; in Bankim Racanäbali, Hg. Yoges'candra Bägal;

Kalikätä, 11. Aufl., 1397 beng. Zeitr; Bd.2, 680-775; bes. 770 (mit Bezug aufdie Pluralität der Arten der Verehrung), und Deb'tattva o hindudharmma ; ebd., 776- 822; 778. Wie im folgenden deutlich wird, lassen sich auch viele andere Gedan¬

ken von Brahmabändhab auf Bankim'candra zurückführen. Dies muß aber nicht

unbedingt als direkter Einfluß interpretiert werden. Wie eingangs bemerkt wurde, gab es in der Bengal Renaissance sowie in der SvadesT-Bewegung eine begrenzte Anzahl von Themen, welche allem Anschein nach in der gebildeten Schicht große Verbreitung hatten. Bankim'candra brachte vieles davon systematisch zu Papier

und gründete seine neuen Entwürfe darauf In Rachel van M. Baumers Worten:

„Bankimcandra cannot be credited with great originality of thought Most of his ideas can be traced to other sources. But he was able to write down those ideas with greater power and appeal, and in a somewhat more systematic fashion, than any of his Bengali contemporaries." {The Reinterpretation of Dharma in Nine¬

teenth-Century Bengal: Righteous Conduct for Man in the Modern World; in : idem (ed.): Aspects of BengaU History and Society; Asian Studies at Hawaii, No. 12;

Hawaii, 1975, 82-98; 92.

In seiner berühmten Ansprache Hindu dharmer sresthatä (1872) postuliert

der ÄräÄma-Führer Räj'näräyan Basu die Überlegenheit des Hinduismus über

alle anderen Religionen. Dabei wird das Vorhandensein verschiedener Vereh¬

rungsformen zum Kriterium: „Hinduism maintains inferior stages of religious be¬

lief in its own bosom in harmony with the nature of man who cannot but pass through several stages of religious development before being able to grasp the Su¬

preme Being." Ebd., zit. nach Ghatak, Kamal Kumar: Hindu Revivalism in Ben¬

gal: Rammohan to Ramakrishna; Calcutta, 1991; 43.

Vgl. Harder, Hans: Traditionalistische und neohinduistische Gedanken in

dem Roman Bhänumati {1900) von Nabiricandra Sen; ZDMG 1994, Band 144,

Heft 1; 110.

(9)

varnäsramadharma bezogen wird, der neben sati und dem Hei¬

ratsverbot für Witwen die wohl am meisten kritisierte soziale In¬

stitution überhaupt war und hier zumal ganz entschieden in sei¬

ner „exklusivistischen" Funktion präsentiert wird.

Brahmabändhabs Argumentation ist nicht kohärent - das, was

er soeben noch als beklagenswerte Laxheit sah, wird in einem an¬

deren Diskussionszusammenhang kurzerhand zur Tugend er¬

klärt. Nicht nur hier vermischt er normative und empirische Aus¬

sagen. Auf der normativen Ebene stellt er den varnäsramadhar¬

ma als hermetisch gegen Fremdkörper abgeschlossenes System

dar, welches die Aufgabe hat, die Reinheit der Kultur und Rasse

zu garantieren. Der Niedergang der Hindus wird durch das

Scheitern an dieser Norm begründet. Auf der empirischen Ebene

aber wird dieses Abweichen von der Norm, also die tatsächliche

Vermischung mit den südras, als „Großzügigkeit" seinerseits

zum Kriterium der Überlegenheit umgemünzt. Eine Gegenüber¬

stellung zur jätiprathä^^ , dem /ä/Z-System, fehlt.

Doch gleich darauf (s.o.) sieht sich Brahmabändhab genötigt,

seine Bestimmung des varnäsramadharma wieder zu lockern,

und stellt ihn als ein System dar, das sich öffne, sobald sich der

Fremdkörper (die südras) genügend angeglichen habe. Schon im

nächsten Satz wird diese Offenheit erneut widerlegt: Die südras

hatten sich zwar dem arischen Lebensmodell angeglichen, den¬

noch aber konnten „die Mischlinge [...] die Bedeutung des niskä¬

madharma nicht so gut verstehen". Brahmabändhab scheint

diese Fähigkeit des Verstehens als erblich aufzufassen, was der

geforderten Offenheit konträr entgegengesetzt ist.

Brahmabändhabs Entwurf ist implizit rassistisch insofern, als

er Kultur und Wertigkeit ganz offensichtlich als wesenhaft bzw.

genetisch zu einer Rasse gehörig betrachtet. Dies führt immer

wieder zu Tautologien in seiner Argumentation im Sinne der self-

fulfilling prophesy. Im folgenden Zitat zeigt sich dieser Rassismus

ganz offen:

„Hätten die weitsichtigen Autoren der sästras nicht strikt den

„System der Geburtskasten"; bezeichnet das Nebeneinander der (fälsch¬

lich?) sogenannten „Unterkasten", u.a. der Berufskasten. Die Auffassung, daß die jälis Untergruppen der vier varnas seien, kann nur bedingt gelten, wie etwa Untersuchungen über die soziale Mobilität von Kastengruppen (jälis) zeigen.

Grob gesagt ist der varnäsramadharma ein ideologisches Klassifikadonsmodell, die jälipralhä dagegen ein empirisches.

(10)

Umgang mit den südras verboten, dann wäre das bißchen Arier¬

tum, das uns geblieben ist, auch nicht mehr da. Das von Helden

abstammende Rajputana würde sich heute mit platten Nasen

und rotbraunen Augen füllen. Anstelle der lotusgesichtigen

Hindufrauen würden die mit den angeschlagenen Stirnen^* und

den schwarzen Gesichtern den ewigen Garten der Dichtung

"39 Zieren.

Gerechtfertigt wird dieser Rassismus durch einen polemischen

Vergleich mit Europa. Besonders auffällig ist, daß dabei die Dis¬

krepanz zwischen Norm und Empirie, die ihm in bezug auf den

varnäsramadharma noch von zwei Seiten her Argumente für die

Überlegenheit der Hindus lieferte, zum Gegenstand seiner Kritik

wird.

„Die Striktheit, die man den brahmanischen Schriften in bezug

auf die südras vorgeworfen hat, ist aus der Luft gegriffen. Bei

den Europäern ist die schwarze Farbe der südravarna. Wenn

man einige besonders schwarze aus der Gruppe unserer den var¬

nadharma hassenden, vom Gefühl der Brüderlichkeit besessenen

Reformer auswählt und mit ihnen in Europa eine Kolonie (colo¬

ny) [engl, im Original] errichtet, dann müssen die edlen Sahibs

zur Eindämmung der ankommenden Begeisterung brüderlicher

Liebe ein Gesetzessystem fertigstellen, das strenger ist als zwei¬

drei Manusamhitäs. Dann werden unsere Reformer verstehen

können, daß es keine gute Sache war, durch die Kraft der lip¬

penbekenntnishaften Brüderlichkeit der Sahibs die Erniedrigung

der Hindu-Rasse anzuerkennen und die Namen der Vorfahren

zu begraben.'"*"

An anderer Stelle"" führt er im selben Zusammenhang die Aus¬

rottung der Indianer in Amerika an, um erneut die Liberalität

des varnäsramadharma zu untermauern''^.

Brahmabändhab sieht den varnäsramadharma allerdings nicht

nur als Abgrenzungsmechanismus, sondern trifft auch positive

Bestimmungen: Er sei es, der den „Weg der Entsagung" durch

dhipkapäti: dhip ist ein lautmalerisches Wort und bezeichnet ein Klopfen oder (dumpfes) Schlagen.

BRS; Barnäsram dharma (1904 [?]), 30-49; 32.

Ebd., 33.

Ebd., 46.

"•^ Die Ausrottung der amerikanischen Indianer führt auch Bankim'candra

Cattopädhyäy in Dharmmatattba (Bankim racanäbali, Bd.2, 584-679; 661) an,

um die Schrecken des europäischen Patriotismus zu verdeutlichen.

(11)

die Jahrhunderte am Leben erhalten habe und der die beste Vor¬

bereitung auf niskäma karman'*^ darstelle. Niskäma karman, für

Brahmabändhab bereits in vedischer Zeit das Kernstück der ari¬

schen Zivilisation, bedeutet ihm das Transzendieren der Taten

und den Weg zur wahren Spiritualität. Der varnäsramadharma

bestimmt die Tätigkeit als ererbte Pflicht und beseitigt damit

weitgehend den Aspekt des Eigeninteresses, an welchem die

westliche Zivilisation so kranke. Die schon im 19. Jh. propagierte

Behauptung der spirituellen Überlegenheit Indiens'*'' wird somit

an die soziale Institution des varnäsramadharma gebunden.

Mit dieser Beschreibung scheinen aber potentielle Bedenken

der Leserschaft aufzutauchen, auf die sich Brahmabändhab ein¬

zugehen genötigt sieht. Erstens, schreibt er, sei es nicht wahr,

daß infolge dieses Systems Talent und entschiedenes Handeln in

Indien keinen Platz hätten. Als Beleg führt er Fälle aus dem Ma¬

häbhärata an, in denen Personen fremden svadharmas folgen,

wie z. B. den Brahmanen Drona^^. Zweitens ist er aber nicht be¬

reit, solchen Fällen mehr als einen Ausnahmestatus zuzubilligen

und guna^^ statt janma'^^ zum Kriterium der var/ja-Zugehörig-

keitzu machen: Die erbliche Gebundenheit der Tätigkeit führe

dazu, daß sie von Kindesbeinen an erlernt werde und dadurch in

einer anderweitig unerreichbaren Perfektion verrichtet werden

Die Herausstellung des niskäma karman als eine der größten kulturellen Errungenschaften Indiens haben fast alle neohinduistischen Denker und alle in

diesem Aufsatz genannten Vordenker Brahmabändhabs gemein, nicht aber die

Kopplung dieser Idee rait dem varnäsramadharma. Sie taucht aber z. B. bei Tago¬

re in Nababarsa (Rabfndra racanäbali, Bd.4; Kalikätä, [1393 BZR (1986)], 367- 377) auf, einer Schrift, die Tagore während der Zeit seines Umgangs mit Brahma¬

bändhab verfaßte.

*^ Eine bekannte und historisch bedeutsame Formulierung dieses Anspruchs

fmdet sich am Schluß von Bankim'candra Cattopädhyäys Roman Anandamath

(1882), welcher auch die Hymne Bande mätaram enthält. Indien fehle es an ba- hirbbisayak jhän, dem auf äußere Objekte gerichteten Wissen. Der antarbbisayak jhän, das auf die inneren Objekte gerichtete Wissen, sei im sanätanadharma ent¬

halten, müsse aber um den bahirbbisayak jhän ergänzt werden. Die Briten, äu¬

ßerst reich an letzterem, seien solange willkommen, als diese Lektion nicht voll¬

ständig von den Bengalen bzw. Indern gelernt sei. Anandamath ; in Bankim raca¬

näbali, Bd. 1, 643.

Diese Beobachtung findet sich bereits in Bankim'candra Cattopädhyäys SrTmadbhagabadgTlä (op.cit.), 685.

** „Eigenschaft", „Qualität".

„Geburt".

(12)

könne . Die Speise- und Heiratsgebote seien denn auch von gro¬

ßer Bedeutung fiir den inneren Zusammenhalt der Hindu-Gesell¬

schaft. Zum dritten gibt er sich aber große Mühe, deren trennen¬

den Charakter herunterzuspielen, und zeichnet ein idyllisches

Bild der Kastengesellschaft, geprägt von gegenseitiger Überein¬

kunft und Wohlwollen.

Vom Verhältnis zu anderen Religionsgruppen in Indien, na¬

mentlich zu den Muslimen, ist nur an zwei Stellen die Rede.

Brahmabändhab, ungeachtet seiner persönlichen Loyalität etwa

zu dem muslimischen SvadesT-Aktivisten Liakat Hussain"*^, be¬

greift sie als fremde „Rasse"™:

„Der Buddhismus^' hatte den Charakter der Hindus dermaßen

mit Makeln behaftet, daß ihnen die Leistung ohne Begehren^^

höchst unliebsam geworden war". Der Weg der Entsagung gefiel

ihnen nicht mehr. Hunderte von sektiererischen^'' weltlichen We¬

gen teilten das Land in Stücke. Die Hinduherrschaft wurde wie¬

der errichtet, doch unter den ksatriyas blieb die Einheit nicht

mehr. Wenn es im Wissen keine Einheit gibt, im Ziel keine Ein¬

heit gibt, wie kann es sie dann im Verhalten geben? Als Einheits¬

lose mußten [die Hindus] unter die Herrschaft der Fremden" ge-

raten."^*^

Und dann, im Zuge seiner Rechtfertigung der Speiseverbote:

„Weiterhin kann man sehen, daß uns diese Speiseverbote am

Leben gehalten haben. Nicht einmal das Wasser von Muslimen

darf man berühren - hätte es kein solch strenges Gesetz gegeben,

so wäre ein Rassendurcheinander entstanden. So wie Sani unter

Vgl. NabIn'candra Sens Roman Bhänumati: „So wie der zwölfjährige Sohn eines Webers Stoff webt, könnte es ein großer Gelehrter selbst nach zehn Jahren Ausbildung nicht." (Nabin'candra racanäbali, 4 Bde.; Hg. Säntikumär Däs'gupta, HaribandhuMukh'ti; Kalikätä, 1381 b.Ä.(1974);Bd. l,l-64;53.)

Vgl. Sarkar, Sumit: op. cit. ; 434.

» Jäti.

" bauddhatantra.

kämanäbibarjita sädhan.

" Zu Brahmabändhabs Kritik am Buddhismus vgl. NabIn'candra Sen: Bhä¬

numati (1900); in Nabiri candra racanäbali, Bd.l, 1-64; 53 f sämpradäyik.

yaban

" BRS; Hindujätir adhahpatan, 21-29; 28. Vgl. den fast gleichlautenden Text bei Bankim'candra Cattopädhyäy in: Bhärat-kalahka; Bahkim-racanäbati, Bd.2, 234-241; 240.

(13)

^ _ cn

dem Vorwand von Badewasser Srivatsa Raja bekommen hatte,

ebenso würden die Mushme das Trinkwasser zum Vorwand neh¬

men, um ihre Gier nach der Liebe zu Hindufrauen zu befriedi-

gen."^«

Das Wiedererstehen der Hindus als Nation sei eng mit der Be¬

sinnung auf den varnäsramadharma, das „unumstößliche Funda¬

ment"^^ des Hinduismus, verknüpft. Brahmabändhab fordert

eine Reform der zeitgenössischen Hindu-Gesellschaft innerhalb

und durch den varnäsramadharma, welcher schließlich auch zur

Waffe gegen die Kolonialherren gemacht werden soll:

„Heute gibt es nun den Einfluß Europas. Jetzt haben wir kei¬

nen Führer. Darum ist es so eine große Mode geworden, das Es¬

sen der Sahibs zu essen. Die Europäer sind eine sehr stolze

Rasse, darum akzeptieren sie uns nicht besonders. Fühlten sie

sich genauso sehr zu uns hingezogen wie die Gruppe der Zivili¬

sierten unter uns zu ihnen, dann würden heute Hunderte Srimatl

Hem'latäs und Mrnälinls zu Mrs. Foxs und Mrs. Hoggs werden,

und das Land würde sich mit lästigen jätphirihgls^'^ füllen.

Glücklicherweise sind die Europäer monogam, darum sind wir

gerettet^'. Doch was wissen wir schon, wann bei ihnen die Brü-

derliebe^^ Einzug hält? Darum ist es besser, von vorneherein mit

den fünf Produkten der Kuh zu drohen" und das [gemeinsame]

Essen [mit den Sahibs] ganz zu unterlassen."^"*

Und an anderer Stelle:

„Durch das Brechen des varnadharma ist die nationale Degra¬

dation gekommen. Solange die Hindunachkommen sich nicht als

äsramlya^^ und unter Aufgabe des Verlangens nach den Früch-

" Spielt an auf eine Legende (vgl. etwa Bandyopädhyäy, Amal Kumär: Pau- ränikä, Bd.2; Kalikätä, 2. Aufl. 1988; 647 f, leider ohne Herkunftsangabe).

^* BRS; Barnäsram'dharma, 30-49; 34.

" BRS; Barnäsram'dharma, 30-49; 49.

Etwa „Kastenengländer" oder ähnliches; gemeint sind offensichtlich die Nachkommen aus englisch-indischen Mischehen.

täi raksä.

bhrätrprem ; impliziert wird hier allerdings hauptsächlich die mögliche Lie¬

be zu den Hindu-Frauen.

Mit welchen sich ein orthodoxer Kastenhindu nach Kommensalität mit un¬

terhalb seiner Kaste Stehenden reinigen müßte (traditionelle suddhi).

BRS; Barnäsram'dharma, 30-49; 34.

" Einer, der dem (varna-)äsramadharma folgt.

(14)

ten der Taten der Tat widmen, solange ist Indiens Erstehen eine nichtige Hoffnung."^^

Der varnäsramadharma ist denn auch als eine Art Abgren¬

zungsmechanismus gegen die Feringhees^^ anzuwenden. In eng¬

ster Verbindung zu diesen Gedanken steht Brahmabändhabs Er¬

klärung des Boykotts englischer Waren. Unter Verwendung der

Analogie von fremden Besuchern, die ja auch nichts in den inne¬

ren Räumen des Hauses zu suchen hätten, schreibt er: „Boykott

heißt es, diese Fremden^* aus dem Haus nach draußen zu brin¬

gen."^^ Diese Metapher ist nun sicherlich nicht nur auf den Boy¬

kott zu beziehen, sondern ebenso auf die generelle Befreiung von

der Kolonialherrschaft.

4. Schluß

Die Inkohärenzen in Brahmabändhabs Argumentation, sein

Schwanken zwischen normativen und empirischen Kriterien,

werden meines Erachtens verständlich, wenn man sich die spezi¬

fische Redesituation dieser Schriften vergegenwärtigt. Es sind

agitatorische Schriften, und es geht weniger um gedankliche Tie¬

fe als darum, einen emotionalen Sog zu erzeugen, der die Leser

in seinen Bann zieht. Die Inkohärenzen können daher als Zuge¬

ständnisse an ein heterogenes Publikum gelesen werden. Einan¬

der widersprechende Argumente aus orthodoxen wie liberalen

Kreisen des 19. Jh.s werden aktiviert, um auf verschiedenen Ebe¬

nen an den Patriotismus der Zeitgenossen zu appellieren.

Überraschend an Brahmabändhabs Entwürfen ist nicht ihr In¬

halt - seit dem 19. Jh. waren derartige Gedanken in Bengalen ver¬

breitet, und neu ist nur ihre Wendung ins Aggressive - sondern

ihre augenscheinliche Gesellschaftsfähigkeit zu Beginn des

BRS, Hindujätir adhahpatan, 21-29; 29.

Beng. phirihgi oder phirihgl Dieses Wort, ursprünglich von Französisch franc und auf dem Umweg über das Perso-Arabische in die indischen Sprachen

gelangt, bezeichnete im Bengali zunächst die Portugiesen und portugiesisch-indi¬

sche Mischlinge. Später wurde es (meist derogativ) für die Europäer im allgemei¬

nen und besonders für die Engländer gebraucht. Daneben hatte es ebenfalls die Bedeutung „Christen". Vgl. DÄs, Jf5ÄNENDRAM0HAN : Bängälä bhäsär abhidhän, Bd.2; Kalikätä, [1991]; 1455.

par.

BRS; Bay' tcater marmma, 99-100; 100.

(15)

20. Jh.s Seine AUianzen mit Tagore und Vivekänanda etwa wei¬

sen deuthch auf die starke Präsenz hindu-nationaHstischer An¬

sätze in der frühen SvadesT-Bewegung hin (wenn auch Tagore

schon bald darauf auf kritische Distanz ging"). Diese Sachver¬

halt, in dessen Zusammenhang ja auch die Gründung der Mus¬

lim League betrachtet werden muß'^, wird von manchen Histori¬

kern gern ignoriert, und die kommunalistischen Untertöne dieses

Nationalismus werden übersehen'^. Das Vorwort des Herausge¬

bers der Brahmabändhab-Werkausgabe (Bärid'baran Ghos, ein

verdienter westbengalischer Literaturwissenschaftler) zeichnet

denn auch das verklärte Bild des „Revolutionärs" Brahmabän¬

dhab und beweist damit auf seine Art, daß die übertriebene Ver¬

ehrung nationaler Heldenfiguren gerade dieser Epoche oftmals

einer notwendigen kritischen Neubewertung im Wege steht.

Obwohl Vivekänanda ungleich liberaler und etwa in seinen Aussagen zum Islam und den Muslimen um ein Vielfaches toleranter war Dies zeigt Atanu Räy

deutlich in einem Artikel, der Vivekänanda vor der Vereinnahmung durch die

BJP schützen soll: Ädhunik hindu sämpradäyikatä ebam bibekänander cintä pra- sahger abamülyäyan; in: Dharmayuddha : [sämpradäyikatä birodht nirbäcita pra¬

bandha sahkalan); kal'kätä [?], 1994; 125-130.

" Es wird allgemein anerkannt, daß Brahmabändhab Vorbild für den Prota¬

gonisten von Rabindranäth Thäkurs (Tagores) Roman Gorä (1910) war. Im Ro¬

man, u.a. einer kritischen Auseinandersetzung mit brahmanischer Orthodoxie, wird die Hauptfigur am Schluß durch die Enthüllung der nichtbrahmanischen

Geburt von der orthodoxen Lebensweise gleichsam befreit. Der Roman Cär

adhyäy (1934) ist eine kridsche Reflektion über die Svadesl-Zeit und eine mili¬

tante Gruppe von Nationalisten; in Indranäth, dem Anführer dieser Gruppe, fin¬

den sich Anklänge an Brahmabändhab.

Kausalzusammenhänge zwischen der „Hindu-Politik" dieser Zeit und der

Gründung der Muslim League sieht etwa Bandyopädhyäy, Jayantänuj: Samäj'

bijhäer drstite bhagabadgJtä ; Kal'kätä, 1994, 21.

Dies gilt entschieden nicht für die wiederholt zitierten Werke von Sumit Sarkar und SandTp Bandyopädhyäy.

(16)

Journal of Oriental and African Studies, Volume 5 1993, Athens Greece. 192 S., ausgeliefert 1994.

Den alteingeführten orientalistischen Zeitschriften hat sich seit geraumer Zeit ein neues Organ hinzugesellt, das Journal of Oriental and Afriean Studies, von dem nunmehr bereits der fünfte Band vorliegt, so daß eine kontinuierliche Weiter¬

führung gesichert scheint. Das JOAS hat einige Spezifika, die ihm eine eigene Physiognomie verleihen, welche seine Stellung im Ensemble der bereits bestehen¬

den Zeitschriften rechtfertigt. Da ist zunächst der Erscheinungsort Athen. Die Orientalistik ist in Griechenland verhältnismäßig jung, obgleich doch die griechi¬

sche Geschichte und Kultur weder im Altertum noch im byzantinischen Mittelal¬

ter ohne das orientalische Komplement voll verständlich gemacht werden können, und dieser Satz gilt noch mehr für das Hellas der Neuzeit, das in vieler Hinsicht

eine Brückenstellung zum Near East und nach Afrika einnahm und einnimmt.

Das Editorial des Gründers und Herausgebers der Zeitschrift, Athanasios Th.

Photopoulos (Papadiamandi 228, Agia Barbara 123 51, Athen), weist sehr nach¬

drücklich auf diese Gegebenheiten hin; es gehört zu ihrer Aufgabe, daß die Zeit¬

schrift, die ohne institutionelle Bindung erscheint, sich nicht nur an den Mitfor¬

scher, sondern gleichzeitig an eine weitere Öffentlichkeit wendet. Die den einzel¬

nen Arbeiten beigegebenen Resümees erleichtern es, diese Aufgabe zu erfüllen.

Das anzuzeigende Heft bringt ausführliche Forschungsbeiträge, beginnend mit der Antike (Sarikakis, Inschriften aus Phrygien) über das Mittelalter (Rashad Khouri

Odetallah, die Eroberung von Syrakus durch die Araber 827 und 878) und die

Kreuzzugsgeschichte (Nicolle, Medizinisches zu den Kreuzfahrern nach den Me¬

moiren des Usämah Ibn Munqidh) bis hin zur Neuzeit (J.Th. Mazis, eine geopoli¬

tische Analyse der Armenischen Frage - Bandeya Yamba, die politische Ausfor¬

mung von Shaba [Katanga], Zaire). Es folgen Miszellen aus dem gleichen geogra¬

phisch-historischen Umfeld, gründliche Rezensionen und Chroniken wissen¬

schaftlicher Ereignisse. Die Mitarbeiter werden in ihrem Bildungsgang vorgestellt.

Johannes Irmscher, Berlin

Hoch, James E. : Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period Prineeton, New Jersey: Prineeton University Press 1994.

XXII, 572 S. ISBN 0-691-03761-1. $ 65.00.

Es ist schon lange bekannt, daß in der ägypdschen Sprache vor allem ab dem

Neuen Reich größere Mengen meist semidscher Fremdworte erscheinen. Sie wa-

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