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Phonologische Assimilation

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Academic year: 2022

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Jürgen Lenerz

Phonologische Aspekte der Assimilation im Deutschen

An einigen Beispielen der Assimilation im Deutschen wird die Notwendigkeit einer pho- nologischen Assimilationstheorie illustriert. Grundzüge einer solchen Assimilationstheo- rie werden vorgeschlagen und kurz diskutiert Insbesondere stellen sich dabei als phonolo- gisch interessante Bedingungen heraus, daß jeweils nur ein Merkmal (oder eine Kombina- tion notwendigerweise verbundener Merkmale) assimiliert wird und daß dies stets zu einer Erhöhung der Markiertheit des assimilierten Elementes fuhrt Dieses Ergebnis wird ab- schließend funktional interpretiert.

1. Einleitung: allgemeine Aspekte einer phonologischen Assimilationstheorie

Eine allgemeine Theorie der Assimilation liegt bisher nicht vor.1 Eine solche Theorie hätte u.a. neben den allgemeinen phonetischen Grundlagen insbeson- dere die sprachspezifischen Anwendungen von Assimilationen (vgl. u.a. Anra. 2 und 6) zu erfassen und sie soweit wie möglich aus dem Zusammenspiel genereller und sprachspezifischer Bedingungen zu erklären. Im folgenden möchte ich mich vor allem den phonologischen Aspekten der Assimilation zuwenden, insbesonde- re insofern, als sie sich nicht eindeutig aus rein artikulatorisch-phonetischen Gegebenheiten ableiten lassen. So ist es z. B. eine Frage, welcher von zwei be- nachbarten Lauten sich dem anderen anpaßt und aufweiche Weise: Wieso wird etwa mhd. höchvart zu nhd. Hoff an assimiliert ([xf] -> [ff] (-* [f))), nicht aber zu *[hoxxaRt]7 Und wieso findet sich eine vergleichbare Assimilation nicht synchron im Nhd., etwa bei Dachfenster, Kochverstich, Nachfolge etc.? Neben phonologischen Aspekten ergeben sich zudem interessante Beziehungen zu an- deren Bereichen, so insbesondere zu Pragmatik, Soziolinguistik und Stilistik, da verschiedene Assimilationserscheinungen oder -grade schichtenspezifisch sind und da andererseits der (oft hyperkorrekte) Verzicht auf Assimilationen als stili- stisches Mittel (Bühnensprache) oder aus pragmatischen Gründen (Deutlichkeit der Aussprache, Diktierstil etc.) zu erklären ist. Auch in der Dialektologie, Laut- geschichte und bei der Fremdsprachendidaktik spielen Aspekte der Assimila-

1 Ansätze zu einer phonologischen Assimilationstheorie finden sich u. a. bei Schachter 1969, Naro 1971, Lass 1971, Schane 1972, Vennemann 1972O, Foley 1973. Man- sell/Batlinger 1975, Guerssel 1978, Houlihan 1979, Dobrovolsky 1983. Die forschungsge- schichtlich interessante Arbeit von Essen 1935 war mir leider nicht zugänglich.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 4,1 (1985), 5-36 Vandenhoeck & Ruprecht, 85

ISSN 0721-9067

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6 Jürgen Lenerz

tion eine große Rolle. Syntaktische Bedingungen treten dazu, so etwa, was die /wur-Kontraktion im Englischen [wonte -» wona] betrifft, die über bestimmte syntaktisch definierte Grenzen oder Leerstellen hinweg nicht zulässig ist (vgl.

u.a. Andrews 1978, Chomsky/Lasnik 1978, Postal/Pullum 1978). Wie man sieht, i nie ra gier t das Phänomen der Assimilation also mit allen Ebenen der Sprachstruktur. Auf die sich dabei ergebenden vielfaltigen Probleme kann je- doch hier nur hingewiesen werden. Die Behandlung der phono logischen Aspek- te der Assimilation, die ich im folgenden an Beispielen aus dem Deutschen ent- wickeln werde, versteht sich als erster Schritt hin zu einer allgemeinen phonolo- gischen Theorie der Assimilation. Dabei zeigt es sich vor allem, daß auch die Untersuchung von relativ oberflächennahen phonologischen Strukturen Hin- weise aufgrundlegende theoretische Probleme der Phonologie erlaubt, u. a. etwa im Rahmen der adäquaten Merkmalwahl und der Markiertheitstheorie.

Assimilationen sind weitgehend automatisierte artikulatorische Prozesse, die in der Angleichung benachbarter Laute im Redefluß bestehen. Dem Sprecher kommen sie normalerweise nicht zu Bewußtsein, wenn sie im Rahmen des schichtenspezifisch Akzeptierten liegen, und sie werden von phonetisch nicht vorgebildeten Hörern als reine Performanzerscheinungen betrachtet und als sol- che zumeist nicht bewußt zur Kenntnis genommen. Daraus erklärt sich auch, daß Sprecher gelegentlich mit einer gewissen Entrüstung bestreiten, bestimmte Assimilationen vorzunehmen, wenn sie diese (rein präskriptiv) für nicht-akzep- tabel/unkorrekt halten, wie etwa im Falle von in Bonn oder in Köln, wo die (tatsächlich im normalen Sprechen zu beobachtenden) Formen [im bon], [irj koln] mit der Bemerkung zurückgewiesen werden, so sage man das nicht.2

Assimilationen erklären sich zunächst aus artikulatorischen Gegebenheiten:

Die zur Hervorbringung eines Lautes A notwendigen Artikulationsbewegungen der verschiedenen Artikulationsorgane (vor allem von Lippen, Zunge, Velum, Stimmbändern) überschneiden sich notwendigerweise mit denen, die zur Her- vorbringung eines folgenden Lautes B erforderlich sind, so daß A und B zumin- dest in einer kurzen Übergangsphase gemeinsame artikulatorische Eigenschaf- ten aufweisen. So kann z. B. beim Übergang von einem Nasalkonsonanten zu einem nicht homorganen Verschlußlaut das Velum noch gesenkt bleiben, wäh- rend schon der neue Verschluß im Mundraum gebildet wird. Es entsteht auf diese Weise in der Übergangsphase vom Nasal [n] zum Verschlußlaut [b] ein mit letzterem homorganer Nasal [m]:

2 Vgl. dazu auch die normativ-prohibitiven Regelungen in den einschlägigen Ausspra- che-Wörterbüchern (Duden 1974, Siebs 1969, Wörterbuch der deutschen Aussprache 1970 und etwa Gimson 1976 und Scherer/Wollmann 1977 für das Englische), durch die das tatsächliche Vorkommen der „untersagten" Assimilationen indirekt bestätigt und zudem soziolinguistisch bewertet wird. Phonetische Arbeiten sind in der Beobachtung unbefan- gener, vgl. Dieth 1950, Kohler 1977 sowie Darstellungen der Phonologie wie Vennemann 1968, Wurzel 1970, Kloeke 1982 u.a.

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Assimilation im Deutschen (1) Zahnbürste [tsarnbvrsta] -» [tsarmbvrsta]

l — j — > Bildung des bilabialen Verschlusses . n | m l b ...

Neben dieser „Koartikulation" spielt die sogenannte „Steuerung" (Menze- rath/de Lacerda 1933) eine wesentliche Rolle. Mit diesem Begriff wird die Tatsa- che bezeichnet, daß die Umgebung eines Lautes ein Verharren der Artikulations- . organe in einer als „Fokus" bezeichneten Stellung bedingt, so daß die zur Her- vorbringung des Lautes erforderliche Artikulationsbewegung teilweise oder völ- lig unterbleibt, d. h. daß die Artikulationsbewegung auf den „Fokus" der Umge- bung hin gesteuert wird. Das betrifft im Deutschen vor allem die an sich sehr präzise zu kontrollierende Bewegung der Zungenspitze, die bei mangelnder An- strengung (also bei informellem, entspanntem Sprechen, bei Ermüdung, unter Alkoholeinfluß usw.) in der Nachbarschaft von labial oder dorsal gebildeten Lauten nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgeführt wird. Auf diese Weise entsteht eine „Steuerung" der apikalen (koronalen) Artikulation auf den „Fo- kus" der labialen bzw. palatalen (dorsalen) Artikulation hin (vgl. Kohler 1974;

1976):3

(2) [nigt -» $0]

[baam/^mtuim]

Mit den Begriffen der „Koartikulation" und der „Steuerung" lassen sich die rein artikulatorischen Gesetzmäßigkeiten der Assimilation ausreichend erfassen, so daß es auf den ersten Blick so scheinen mag, als sei damit alles Wesentliche über die Assimilation gesagt. Rein phonetisch mag das tatsächlich so sein; dabei wird aber übersehen, daß es sich bei der Assimilation auch um ein phonologisches Problem handelt. Die hier auftretenden Fragen sind m. W. bisher nicht im Zu- sammenhang behandelt worden, und die Notwendigkeit einer phonologischen Theorie der Assimilation (als Teiltheorie der Phonologic) scheint in den ein- schlägigen Darstellungen4 meist nicht erkannt zu sein, wenngleich sie die einzel- sprachlich relevanten Assimilationen auf die eine oder andere Weise - und sei es prohibitiv - erwähnen. Meist findet sich eine Klassifizierung in progressive und

3 Die Begriffe, die Kohler 1974,1976,1977 aufnimmt und mit umfangreichem Mate- rial belegt, stammen von Menzerath/de Lacerda 1933. Als weiteres Beispiel der „Steue- rung" kann das Nachlassen des Luftdrucks bei Aspirationsverlust und Lenisierung ange- sehen werden.

4 Die im folgenden verwendeten Beispiele sind z.T. den Arbeiten von Kohler 1974, 1976 entnommen und phonetisch empirisch gesichert. Für weitere Beispiele wurde im wesentlichen die Notation der einschlägigen Aussprachewörterbücher des Deutschen (s.

Anm. 2) zugrundegelegt.

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8 Jürgen Lenerz

regressive5 Assimilation, in partielle, totale, Kontakt· und Fernassimilation so- wie die Unterscheidung zwischen der Assimilation des Artikulationsortes und der Artikulationsart (vgl. Schubiger 1977: 97ff.; Dieth 1950: 312ff. u. passim):

(3) Kontaktassimilationen:

- progressiv, partiell: haben [ha:bn] -» [ha:bm]

- regressiv, total: einmal [ainma:!] -* [aimma:!]

Femassimilation: /-Umlaut, ahd. gasti -* gesli Assimilation des Artikulationsortes (s. o. haben, einmal) Assimilation der Artikulationsart:

- progressiv: amerik. want to [wona]

- regressiv: schweizerdt. gib mir [gimmar]

Im folgenden möchte ich demgegenüber versuchen, die Notwendigkeit einer phonologischen Theorie der Assimilation zu begründen und am Beispiel ver- schiedener Assimilationserscheinungen des Deutschen grundsätzliche Probleme einer solchen allgemeinen Theorie herauszuarbeiten und Ansätze zu ihrer Lö- sung zu skizzieren. Dabei werde ich auf die folgenden Punkte eingehen: Zu- nächst soll erörtert werden, welcher Art Assimilationsregeln sind, welche Form sie haben und welchen-rgenerellen Bedingungen sie gehorchen. An einigen Bei- spielen soll sodann die Wahl der erforderlichen phonologischen Merkmale er- läutert werden. Anschließend wird die Frage der Bewertung von Assimilations- regeln besprochen, insbesondere im Hinblick auf eine Markiertheitstheorie (oder bezüglich ihrer - wie immer gearteten - „Natürlichkeit"). Daran schließt sich der Versuch einer funktionalen Deutung des Ergebnisses an.

Zunächst jedoch einige Bemerkungen, die die Notwendigkeit einer phonologi- schen Behandlung plausibel machen sollen. Es finden sich bei der Assimilation sowohl sprachspezifisch unterschiedliche Bedingungen als auch solche, die auf phonologische, morphologische und syntaktische Information Bezug nehmen müssen. Sprachspezifische Unterschiede sind augenfällig, etwa bei den Beispie- len (4) aus den romanischen Sprachen; die betreffenden Assimilationen sind dabei als allophonische oder allomorphe Varianten graphemisch festgehalten:

(4) - üliterat (nl -+ II)

— irregulär (nr —> rr) · - agglutinieren (dg -> gg)

- clamare (lat.) -» llamar (span.) ([kl] -» [/(]) - scriptum (lat.) -» scritto (ital.) (pt -* ti)

5 Die Begriffe 'progressiv' und 'regressiv' werden nicht einheitlich verwendet. Bei Tru- betzkoy 1958: 207 und Wurzel 1970: 219 werden sie entgegen der hier verwendeten (und ansonsten allgemein befolgten) Weise verstanden.

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Assimilation im Deutschen 9

·* Vergleichbare Assimilationen treten im Deutschen nicht im gleichen Maße pho-

;

nologisiert auf, wenn sie überhaupt als phonetische Varianten geduldet werden

1 :

sollten, was wohl bloß bei einem Lallen der Fall ist>, welches im Deutschen in diesen Beispielen als recht gravierende Störung der Aussprache empfunden wür- de:

(5) wi + liebsam *[ülli:pza:m] '

un -f richtig * [ ]

klauen *[llao3n/ljao3n]

• Abtei *[attai]

Dergleichen Unterschiede sind nicht artikulatorisch zu begründen, da man wohl von den gleichen physiologisch-artikulatorischen Gegebenheiten bei Sprechern romanischer und germanischer Sprachen ausgehen kann. Auch zeigen sich ja teilweise identische Assimilationen:

. (6) Imbiß (nb -» mb) frz.: imbecile (nb -» mb)

Weitere Beispiele lassen sich in großer'Zahl finden: So fallt etwa auf, daß der i- Umlaut in den germ. Sprachen eine wichtige Rolle spielt, aber z. B. nicht in den romanischen oder slawischen. Die Assimilation von [9/x] an einen vorhergehen- den oder folgenden Vokal wird im Alemannischen nicht durchgeführt (ich [ix]).

Das Englische assimiliert [l/l] im Anlaut je nach Folgevokal, das Deutsche nicht im gleichen Maß

6

usw. Solche sprachspezifischen Unterschiede müssen offenbar auf der Basis der jeweiligen phonologischen Strukturen erklärt werden, die eine wesentliche Beschränkung der an sich artikulatorisch möglichen Assimilationen bedingen.

Weitere nicht-phonetische Einschränkungen der rein artikulatorisch gegebe- nen Assimilationsmöglichkeiten resultieren aus morphologischen und syntakti-

·' sehen Gegebenheiten. Sie sind im Rahmen der generativen Phonologic in der

:

Eingabekette der (interpretativen, nicht-autonomen) morphonologischen Re-

; gelkomponentd der Grammatik als Information enthalten, und die prozeßpho- nologischen Regeln sind ihnen gegenüber sensitiv. Nehmen wir als Beispiel die ' sogenannte Nasalassimilation in (7):

(7a) /denksn/ -> [denkan]

' Die Assimilation des Artikulationsortes durch den Nasal ist in (7a) obligato-

; 6 Vgl. zum allophonischcn Gegensatz von 'clear /' und 'dark (D/1]) etwa Girason 1976:200ff. und Scherer/Wollmann 1977:99ff. Zur Nasalassimilation im Engl. vgl. Gim- son 1976: 117ff. und Scherer/Wollmann 1977: 97ff.

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tO Jürgen Lenerz

risch, wird jedoch fakultativ, wenn zwischen Nasal und folgendem Verschluß- laut Morphem- (+), Wort- (#) oder Phrasengrenzen (# #) auftreten7: (7b) [ankonwn] -> [ankamen] (+)

[vainkebT -> ''[vainkeb'] (ff) [ain k0ni$] -* "[airj k0ni$] (##)

Auch die Position der betroffenen Laute im Anlaut, Inlaut oder Auslaut8 hat Einfluß auf den Grad oder die Leichtigkeit (oder: Zulässigkeit) der Assimilation.

Dies läßt sich am Beispiel der sogenannten „progressiven Nasalassimilation"

zeigen, die vor einer Morphemgrenze leichter ist als nach einer oder gar über sie hinweg:

(7b) [ankoman] -» [ankoman] (+) [vainkebT -* ?[vairjkebT (*) [ain k0nic] -+ ^[airj k0ni9] ( # *)

Auch die Position der betroffenen Laute im Anlaut, Inlaut oder Auslaut8 hat Einfluß auf den Grad oder die Leichtigkeit (oder: Zulässigkeit) der Assimilation.

Dies läßt sich am Beispiel der sogenannten „progressiven Nasalassimilation"

zeigen, die vor einer Morphemgrenze leichter ist als nach einer oder gar über sie hinweg:

(8) [ha:gn] -* [ha:gn] (/_ - +) [kni:]-»?[krji:](/ + _ ) [gnu:k] -» *[gnu:k] (/_

Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen folgt, daß die phonologischen Aspekte der Assimilation untersucht werden müssen, wie das nun an Beispielen aus dem Deutschen geschehen soll, die Schlüsse auf eine allgemeine Theorie der Assimilation nahelegen.

7 Zusätzlich spielen Vokallänge, Artikulationsort, Stärke der Grenze etc. eine Rolle;

so scheint Assimilation nach Kurzvokal [igkeln] leichter als nach Diphthong zu sein

?[aink0nic] und beim velaren Nasal leichter als beim labialen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. die Belege bei Köhler 1974,1976 sowie die Assimilationsverbote in den Aussprache- wörterbüchern.

8 Es ist im einzelnen nicht klar, wann Wort-, Morphem- oder Silbengrenze relevant sind. Zur Phonologic der Silbe vgl. bes. Vennemann 19720,1982Z. Zu beachten ist aller- dings, daß auch Silbengrenzen phonologisch zu definieren sind, da es (abgesehen von pho- netischen Bedingungen der Sonorität) sprachspezifisch unterschiedlich ist, was jeweils als Silbe bewertet wird, [km":] ist nach Dieth 1950: 313 als österr. Variante belegt.

(7)

Assimilation im Deutschen 11 2. Assimilationsregeln: generelle Bedingungen

Einige Beispiele für Assimilationen sind in (9) zusammengestellt. Es handelt sich dabei teilweise um historische „Lautgesetze" in der Sprachgeschichte des Deut- schen, teilweise um synchron wirksame, oft nur mehr oder weniger dialektal ausgeprägte Erscheinungen.

(9a) Vokale sind betroffen:

- /-Umlaut (ahd.: gasti -* gesti) (vgl. RUSS 1977) - „Diphthongassimilation44 (vorahd. *tail -> ahd. teil;

ahd. hlauffan -* mhd. laufen}

- Nasalierung (dial., bair.: [man] -» [mä])

- Rundungsassimilation (vgl. Kloeke 1982: 17): Baum /ao/ -* Bäume /aö/ (Umlaut) -»/oö/[o0] (= Rundungsassimilation: /aö -» oö/) (9b) Konsonanien sind betroffen:

- Palatalisierung/Velarisierung des dorsalen Obstruenten, z.B.: fc/x]

(ich/ach)

- progressive/regressive Nasalassimilation [ha:bn] -* [ha:bm];

[onklarr] -> [ünkla:r]

- Steuerung [buntpapi:r].-> [bumppapi:r]

- Schibiliemng ([s] -> [f]) inhd.fisk -> nhd. Fisch

- Lenisierung, Spirantisierung, Tilgung von Verschlußlauten in sonanti- scher Umgebung haben [ha:bn] -* [ha:ßn] -> [ha:n] (mhd.);

[ha:bm] -» [haßm] -» [harn] (nhd.)

- scheinbare Assimilation der Stimmlosigkeit in Konsonanten Verbindun- gen (er lebt -* De:pt])

Wenden wir uns zunächst den Konsonanten zu. Hier gilt, daß die Assimilatio- nen im allgemeinen sowohl progressiv wie regressiv stattfinden können, d.h. daß sie als sogenannte Spiegelbildregeln zu formulieren sind (vgl. dazu u. a. Ander- son 1974: HOff.; Bach 1968; Kenstowicz/Kisseberth 1979: 367if.; Langacker 1969; Naro 19>1: 58f.):

f[aF] "l (progressiv)

\ [aF]J (regressiv) (lOb) X -> [aF]/*[aF]

Die von Bach (1968) und Langacker (1969) vorgeschlagene Notationskonven- tion, die (lOa) als (lOb) abgekürzt wiedergibt, erlaubt es, durch Einsparung der spiegelbildlichen Umgebungsangaben die Regel selber „einfacher", d. h. mit we- niger Symbolen zu formulieren, so daß sie hu formalen Bewertungsverfahren wie es in Chomsky/Halle (1968: 330ff.) vorgeschlagen wird, die Gesamtgram-

(8)

-i m

12

Jürgen Lenerz

matik weniger belastet. Darin, daß (lOb) mit weniger Symbolen auskommt als (lOa) wird zum Ausdruck gebracht, daß die spiegelbildliche Anwendung einer Regel den unmarkierten Fall darstellt, also formal „einfacher" zu fassen ist als die explizite Angabe nur einer der beiden Umgebungen in (lOa). Ein Beispiel für eine Spiegelbildregel bietet die sogenannte Nasalassimilation, die im Deutschen sowohl progressiv wie regressiv auftritt (vgl. aber Anm. 8 zum Engl.). Sie läßt sich in der aus (l l a) abgekürzten Schreibweise (lib) formulieren:

(l l a) [ + nas] -» -soif]-cor

|_pt ant J

-soifl

-cor

|jx antj (0 (ü)

(lib) [+nas] -cofl /f-son1 -» . / -cor

La a n tJ/.LaantJ

Diese Regel besagt, däfrein Nasal9 die Artikulationsstelle eines benachbarten vorausgehenden (i) oder folgenden (ii) Obstruenten annimmt. Das heißt, daß ein Nasal das Merkmal [—cor] (ohne Beteiligung der Zungenspitze) und [oant] (im vorderen bzw. hinteren Bereich des Mundraumes gebildet) von einem unmittel- bar benachbarten Obstruenten [—son] übernimmt, wie es die Beispiele in (12) zeigen: ^ (12a) [+nas] »|_-fantj/ jjr-cor-1/ -m -

E

-soil-corfantj

'\ / p son]

T-cor~| / -cor (=

L-antJ/ L~antJ

(= labialer Obstruent, also p/b, f/v)

velarer Obstruent, also g/k)

(12b) (12c) (12d) [derjkn]

(12e) [le:bn]

[deijksn] (obl.)

[ümbili9] regressiv

9 Da im Nhd. nur Konsonanten das Merkmal [+nas] haben, genügt das als Kenn- zeichnung der .betroffenen Elemente.

(9)

Assimilation im Deutschen 13 Mit der so illustrierten Regelformulierung verbinden sich jedoch mehrere Pro- bleme:

1. Aufweiche Weise macht sie deutlich, daß die regressive Assimiliation weitaus häufiger,10 automatischer und weniger restringiert auftritt als die progressi- ve?

2. Wie läßt sich der restringierende Einfluß phonologisch relevanter Grenzen (Silben-, Morphem-, Wortgrenze usw.) auf die Assimilation ausdrücken?

3. Auf welche Weise läßt sich darstellen, daß die regressive Assimilation des velaren Verschlußortes im Nhd. offenbar wesentlich stärker grammtikalisiert ist als die Assimilation des labialen Verschlußortes?

4. Welche Merkmale können überhaupt von welchen Lauten assimiliert wer- den?

Zum ersten Punkt: Das Überwiegen der regressiven Assimilation ist auf intui- tive Weise etwa folgendermaßen erklärbar: Jeder Laut bedingt in gewisser Weise einen Neuansatz der Artikulation. Ein Verharren der Artikulationsorgane in ihrer vorherigen Stellung (progressive Assimilation), wie es unter bestimmten Bedingungen verständlich ist (Müdigkeit, Alkoholeinfluß, geringe Aufmerk- samkeit) beeinträchtigt insgesamt die deutliche Artikulation des Folgelautes;

bei größerem Bemühen um eine deutliche Sprechweise jedoch werden die für den Neuansatz erforderlichen Artikulationsbewegungen z.T. schon vorweggenom- men (regressive Assimilation). Diese Überlegungen sind bei aller intuitiven Plau- sibilität nicht völlig überzeugend, da sie das Zusammenspiel zwischen motori- schen und psychischen Faktoren bei der Artikulation insgesamt als erklärt vor- aussetzen, obwohl hier von Erklärung keine Rede sein kann. * * Zudem erklärt ein derartiges Modell nicht, wie es zu den sprachspezifisch z.T. unterschiedlichen Präferenzen kommen kann, aufgrund derer z.B. [km*:] nach Dieth (1950: 313) im Österr. im Rahmen der Norm möglich ist, nicht jedoch im Standard-Nhd.

(s.o. (8)). Entsprechende Beispiele ergeben sich aus dem Kontrast Deutsch- Englisch: Progressive Nasalassimilation im velaren Bereich wird in der Stan- dardaussprache des Englischen nicht geduldet [*teikn], wohl aber im Deutschen [ha: kn]; im Englischen liegt eine z. T. assimilatorisch bedingte Allophonie von l und l vor, die sich z.B. im Deutschen nur dialektal begrenzt findet [k0te], [bahikom]. All diese Erscheinungen sind in einer Spiegelbildregel wie (lOb) 10 Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei den von mir untersuchten Assimilatio- nen im Deutschen. Ob es generell gilt, müßte geklärt werden. Progressive Assimilation liegt z. B. bei der /^-Alternation (s. u.) und bei manchen Vokalharmonien vor, wenn es auch dort regressive Assimilation gibt, vgl. Baton 1982: 164.

11 Vgl. etwa Tillmann/Mansell 1980:179f., 201,245ff. und passim (unter Hinweis auf Menzerath/de Lacerda 1933) zum Problem der Lautabgrenzung, die sich offenbar sowohl aufgrund der meßbaren Nerventätigkeit wie aufgrund akustisch feststellbarer Signale phonetisch nachweisen läßt.

(10)

14 Jürgen Lenerz ·

oder (Üb) nicht explizit erfaßt. Das Vorherrschen der regressiven Assimilation findet jedoch formal seinen Ausdruck, allerdings auf eine komplizierte Weise, gegen die allgemeine methodische Bedenken vorgetragen werden können: Die Notationskonvention (lOb) besagt, daß die Regel in der in (lOa) festgelegten Reihenfolge anzuwenden ist: Zuerst wird also progressiv assimiliert. Der Effekt dieser Regelanwendung kann dann gegebenenfalls durch die folgende regressive Assimilation ruckgängig gemacht werden, so daß im Zweifelsfall die regressive Assimilation vorherrscht. Nehmen wir zur Illustration das von Bach (1968) konstruierte Bild der Assimilation des palatalen/velaren Artikulationsortes, die den dorsalen Verschlußlaut [k] an einen benachbarten Vokal angleicht (vgl.

auch Kenstowicz/Kisseberth 1979: 367ff.)

(i) progressiv (ii) regressiv

«n.M -^ palatales k ,

,. . . f progressive Assimilation OKI -> velares &_^J

(ü): ika -* velares k )

V. } regressive Assimilation aki -» palatales k )

Beispiele: Ikone, pikant (velar, regressiv)

Loki, Aki, Akja (palatal, regressiv) ^ Zwar wird so das" richtige Ergebnis abgeleitet, aber über einen Umweg, für den es im Prinzip keine empirische Evidenz gibt12 und der sich nur aus dem formalen Apparat heraus erklären läßt. Gegen derartige Ableitungen sind verschiedene grundsätzliche Erwägungen vorgebracht worden (als ,.Duke of York-gambit", vgl. Pullum 1976; Hogg 1978). Deshalb ist etwa von Anderson (1974: HOff.) vorgeschlagen worden, anstelle der konjunktiven Ordnung der Umgebungsan- gaben, die der Konvention (lOb) zugrunde liegt (also: erst (i), dann (ii)), eine disjunktive Ordnung wie in (14) anzusetzen (entweder (i) oder (ii)):

(14) %[«F] = { [ocF] v [aF] }

Nach dieser (durch % notierten) Konvention muß die regressive Anwendung der Regel wenn möglich vorgezogen werden; die progressive Anwendung kommt nur in Betracht, wenn eine regressive Anwendung aus irgendwelchen 12 Es ergeben sich allerdings hier notwendigerweise empirische Probleme, da die pro- gressive Assimilation durch eine Silbengrenze behindert wird.

(11)

Assimilation im Deutschen 15 Gründen nicht erfolgen konnte. Dies scheint die Verhältnisse insgesamt adäqua- ter zu erfassen, allerdings liegen m. W. außer allgemeinen methodischen Erwä- gungen bisher keine völlig überzeugenden empirischen Argumente vor, die zwi- schen (10) oder (14) entscheiden würden. Auch durch eine Konvention wie (14) wird das von Fall zu Fall jeweils unterschiedlich starke Überwiegen der regressi- ven Assimilation nicht erfaßt, die gelegentlich sogar obligatorisch (d.h. voll phonologisiert) ist wie in (12a), während die entsprechende progressive Assimi- lation (12d) fakultativ ist. Dagegen scheint auch die regressive Assimilation des labialen Artikulationsortes fakultativ zu sein (12b). Eine progressive Assimila- tion scheint gar in gewissen Fällen im Nhd. ausgeschlossen zu sein (8b, c).. Das gilt auch für die historisch belegbaren Vokalassimilationen wie den /-Umlaut, die Brechung (a-Umlaut) und synchron bei der sogenannten „Rundungsassimi- lation" bei umgelauteten Diphthongen (vgl. Kloeke 1982:16ff., 221) (zu weite- ren Beispielen vgl. u.a. Kohler 1974 und Dieth 1950:312ff.). Demgegenüber ist mir im Nhd. allerdings ein Fall bekannt, bei dem obligatorisch progressiv assi- miliert wird. Es handelt sich um die Assimilation des dorsalen Frikativs (des sogenannten zc/i/ac/z-Lautes [ /x]) an einen unmittelbar vorhergehenden Vo- kal13 (vgl. Wurzel 1970: 232ff.; Kloeke 1982: 40ff.):

(15) -> 9/

-son

+ hoch

L+kontJ [-back] .

[-segm]

[+cons]

[

—cons"!

-backj (0 (ü) (üi) Michael: [mi9ael] *[mixael]

Achim: [axim] *[a9im]

Ein mit erhöhtem Zungenrücken [H-hoch] gebildeter dauernder [+cons]

nicht-sonantischer [- son] Laut (also der velare Frikativ) erhält das Merkmal [—hinten] (also: mit dem vorderen Teil des Zungenrückens gebildet, palatal), wenn ihm wie in (iii) ein vorderer Vokal vorausgeht. (Die übrigen Umgebungs- angaben in (15) betreffen die Palatalisierung im Anlaut (i) bzw. nach Konsonant

13 [x] ist als zugrundeliegend (und weniger markiert als [9]) anzusehen, wie z. B. das unassimilierte Vorkommen von [x] in manchen Sprachen belegt, vgl. alem. [ix]. Zur Regelformulierung (15) vgl. Wurzel 1970: 232ff. Die Spiegelbildkonvention wird im fol- genden durch /[aF] wiedergegeben, wobei die Bevorzugung der regressiven Anwendung (/ [aF]) impliziert ist.

(12)

16 Jürgen Lenerz

(ii), stellen also sprachspezifischc nicht-assimilatorische Generalisierungen der Assimilation (iii) dar.) Eine Erklärung für diese an sich untypische Erscheinung habe ich nicht. In der Regelformulierung von (15) muß die Beschränkung auf die progressive Assimilation explizit erwähnt werden; sie stellt jedenfalls den mar- kierten Fall dar.

Zum zweiten Punkt: Einen Einfluß bei der ansonsten überwiegenden regressi- ven Assimilation scheint auch das Vorhandensein von Silben-, Morphem- oder Wortgrenzen zu haben, die progressive Assimilation zu behindern scheint. Das zeigt sich etwa bei der oben kurz besprochenen Assimilation von [k] an einen benachbarten Vokal (13). Die progressive Assimilation, die hier gegenüber der regressiven unterliegt, müßte ja stets über eine Silbengrenze hinweg operieren, da die bevorzugte (unmarkierte) Silbenstruktur $ CV $ ist:

(16) I $ kone, Lo $ ki,

Pi $ kant, A $ ki.

Insgesamt ist der genaue Einfluß phonologisch relevanter Grenzen auf die Assi- milation nicht systematisch erforscht. Auch die Frage, welche Grenzen jeweils wobei relevant sind ($, +,#,##) ist weitgehend ungeklärt, so daß ich auf die hier auftretenden empirischen Fragen nicht näher eingehen werde. (Zu einigen Da- ten vgl. Kohler 1974.) Von theoretischem Interesse aber ist folgendes: Die Bedin- gung, daß eine Assimilationsregel eingeschränkt ist, wenn sie über eine Grenze hinweg operiert, läßt sich im Rahmen der klassischen generativen Phonologic (Chomsky/Halle 1968) nicht direkt formulieren. Zwar ist es zulässig, in einer Regel Grenzsymbole positiv zu erwähnen, die also vorhanden sein müssen, da- mit die betreifende Regel angewandt werden kann (oder die fakultativ vorkom- men dürfen), wie das (17) zeigt:

(17a) X -» Y/_

$ = Silbengrenze + = Morphemgrenze

# = Wortgrenze

Die für Assimilationsregeln erforderliche umgekehrte Bedingung aber, daß ein Grenzsymbol die Anwendung einer Regel verhindert, ist nicht auf eine ähnlich direkte Weise ausdrückbar, sondern nur durch eine Ausnahmebedingung [- nächste Regel] (Wurzel 1970: 249ff.):

(13)

Assimilation im Deutschen \ 7

[- nächste Regel]/ l + V Z

Y/ z

(0

(ü)

Diese Formulierung bedeutet, daß die „nächste Regel" (ii) nicht angewandt werden darf, wenn die Umgebungsangabe von (i) erfüllt ist, wenn also eins der Grenzsymbole auftritt. Völlig abgesehen davon, daß eine derartige Formulie- rung völlig ad hoc ist, ist sie deutlich komplizierter als (17a), würde also bei der Bewertung einer Grammatik „mehr kosten". Nun sprechen aber einerseits gute Gründe dafür, nur positive Bedingungen in der Umgebungsangabe zu erlauben

! wie in (17a) (vgl. Chomsky/Halle 1968: 364 und Guerssel 1978) - andererseits j aber scheint die „negative" Bedingung („Regel ist bei Vorliegen eines Grenzsym- I bols nicht oder nicht mit gleicher Leichtigkeit anwendbar") der für Assimila-

• tionsregeln typische, „natürliche", „unmarkierte" Fall zu sein. Sie sollte also in J der grammatischen Beschreibung einer Sprache weder ad hoc (wie in (l7b)) sein,

; noch sich in der Bewertung der Grammatik negativ niederschlagen. Der Aus-

| weg, der sich anbietet, ist, diese Bedingung in einer allgemeinen Theorie der Assimilation zu formulieren, die als Teiltheorie der Phonologic die Anwendung von Assimilationsregeln bestimmt.14 Auf gleiche Weise kann auch das Überwie- gen der regressiven Assimilation als unmarkierter Fall erfaßt werden (vgl. aber Anm. 10). Die soweit erforderlichen Grundsätze einer allgemeinen Assimila- tionstheorie kann man informell und vorläufig wie folgt ausdrücken:

(l 8) Assimilationsregeln sind Spiegelbildregeln (lOb), die folgenden Bedingun- j gen unterliegen:

j (i) Sie lassen sich leichter (>) für die Umgebung / X (regressiv) als l für die Umgebung /X (progressiv) anwenden:

j / X > /X

(ii) Sie lassen sich leichter (> ) für Umgebungen ohne Grenzen anwenden

| als für Umgebungen mit Grenzen, wobei folgende Hierarchie zu gelten ' scheint:

(und entsprechend für /X ) (vgl. dazu Houlihan 1979)

(iii) Sie lassen sich leichter in informellem Stil anwenden als in formellem.

14 Eine derart verstandene Theorie der Phonologic ist modularisiert und enthält als interagierendeTeiltheorien u.a. eine Markiertheitstheorie, eine Silbentheorie, eine Assimi- lationstheorie, eine Theorie schnellen Sprechens etc.

(14)

1 8 Jürgen Lenerz

(iv) Jede Assimilationsregel ist eine Variablenregel, die sprachspezifisch mit einem komplexen Index zu verschen ist, der angibt, bei welchem Grad der einzelnen Parameter (i) bis (üi) die Regel obligatorisch ist und bei welchem Grad sie nicht angewandt werden darf.

Wenden wir uns nun dem oben (S. 1 3) erwähnten 3. Problem zu, das die Asym- metrie der Nasalassimilation in Bezug auf den velaren, labialen und dentalen Artikulationsort betraf. Dieses Problem hängt mit dem 4. Punkt, der adäquaten Wahl der phonologischen Merkmale, zusammen. Die bei den Nasalen zu beob- achtende Assimilation des Artikulationsortes eines benachbarten Verschlußlau- tes ist - wenn auch in geringerem Maße - auch bei Verschlußlauten zu beobach- ten:

(19a)

+ant L« ant a ant

(19b) Beispiele (vgl. Kohler 1974) atmen [artmsn] -» [a:pmon]

Buntpapier [buntpapirr] -> [bümppapirr]

mit bunten GMkn -

[[mip|?ümpmgirlandn]J Gegenden [ge:gndn] -» [geigngn]

Das heißt, daß sich Laute, die im vorderen Mundraum [+ ant] mit der Zungen- spitze [+cor] gebildet werden (also Alveolare) im Artikulationsort einem be- nachbarten nicht-koronalen Laut angleichen, also entweder labial [— cor, + ant] oder velar [—cor, —ant] werden. Die Nasalassimilation (11) stellt nur einen Spezialfall dieser allgemein vorliegenden „Steuerung" alveolarer Konso- nanten dar. Das ergibt sich in der verwendeten Notation rein formal, und es scheint, daß in Darstellungen der Phonologic des Deutschen wohl auf die Regel (11) zugunsten der generellen Regel (19) verzichtet werden kann, wenn sich die bevorzugte Anwendung der Steuerung (19) bei Nasalen unabhängig erklären läßt.15 Dies scheint möglich zu sein, da sich beobachten läßt, daß allgemein sonorere Laute von einer Assimilation leichter erfaßt werden als weniger sono- re.16 Dies kann als weiterer Satz einer allgemeinen Assimilationstheorie formu- liert werden:

15 Vgl. aber die gängigen Darstellungen bei Vennemann 1968, Wurzel 1970, Kohler 1974, Kloeke 1982 u.a., wo in der Regel zwischen „Nasalassimilation" und „Steuerung"

unterschieden wird.

16 Zur Sonoritätstabelle, die bei Vennemann 1982b: 284 noch weiter differenziert ist, vgl. u.a. Dieth 1950, Foley 1970,1973,1977,1979, Hankamer/Aissen 1974, Hooper 1976, Smith 1979, Dobrovolsky 1983.

(15)

Assimilation im Deutschen 19 ,,^ | (20) Eine Assimilationsregel erfaßt leichter (>) sonorere Laute als weniger so-

nore. Sprachspezifisch ist festzulegen, welche „Toleranzgrenzen" dabei phonologisch/allophonisch/stilistisch etc. relevant sind.

Als Grundlage für diese (vorläufige) Formulierung dient die Sonoritätsskala (vgl. Vennemann 1982Z: 284):

(21) Stimm-

hafte Plosive

Vokale Liquiden Nasale Stimm- hafte Frika- tive

Stimm- lose Plo- Stimm- sive lose

Frikative

(Sonorität)

Diese „Sonoritätsskala" ist phonetisch und phonologisch begründbar, so u.a.

aus Messungen der Schallfülle (Dieth 1950: 164ff., 377) und aus phonotakti- schen Gegebenheiten: Sonorere Laute stehen näher am Silbengipfel als weniger sonore:

Silben-

gipfel $ (Silben- grenze)

Aus dieser trivialen Beobachtung läßt sich im übrigen das Vorherrschen der regressiven Assimilation am Silbenende plausibel machen: Die Öffnung der Ar- tikulationsorgane zum Silbengipfel hin erlaubt kaum ein (als progressive Assi- milation zu bewertendes) Verharren bei bereits verlassenen Artikulationsorten mit geringerem Öffnungsgrad, während die assimilationsfahigeren sonoren Laute in der Silbenmitte sich verhältnismäßig leicht an die folgenden, geschlos- seneren, weniger sonoren Laute angleichen lassen (regressive Assimilation).

Aber auch bei dieser rein intuitiv plausibel erscheinenden „Erklärung" gelten die oben erwähnten Bedenken.

Kehren wir zu dem Problem der unterschiedlich starken Assimilationsfahig- keit an den dentalen, labialen und velaren Artikulationsort zurück. Diese Asym- metrie ist wiederum sehr allgemein und unabhängig von Assimilationen zu be- obachten. Deshalb liegt es nahe, sie wie die anderen bisher besprochenen Bedin-

(16)

20 Jürgen Lenerz

gungcn im Rahmen einer generellen Assimilationstheorie zu formulieren, auf die sich die sprachspczifischcn Assimilationsregeln beziehen können, welche dann nur noch festzulegen haben, bis zu welchem Grad die jeweilige Assimilation allophonisch fixiert und inwieweit sie Stil· und schichtenspezifisch variabel ist.

Als generelle Bedingung scheint zu gelten: (vgl. dazu u.a. Foley 1970, 1973, 1977, 1979; Smith 1979):

(23a) Velare stellen einen besseren „Fokus" für die Steuerung dar als Labiale und diese einen besseren als Dentale.

Daraus folgen zwei Erscheinungen:

(23b) Eine Assimilation des velaren Artikulationsortes ist leichter als die des labialen, und diese ist leichter als eine Assimilation des dentalen Artikula- tionsortes.

(23c) Velare widersetzen sich einer Assimilation mehr als Labiale und diese mehr als Dentale (oder: Dentale werden leichter an andere Artikulations- orte assimiliert als Labiale und diese leichter als Velare), also:

(23d) Dentale > Labiale^Velare

Diese Hierarchie der Artikulationsorte begründet sich in der unterschiedlichen Beweglichkeit oder Trägheit der Artikulationsorgane: Der Zungenrücken ist verhältnismäßig schwer in seiner Artikulationsstellung zu verändern, während die Lippen und vor allem die Zungenspitze leichter und genauer zu bewegen sind.17 Dabei erfahrt die zur Erklärung von (23a) bis (23c) zugrundegelegte artikulatorisch bedingte Hierarchie (23d) eine unabhängige Bestätigung in an- deren Erscheinungen als der Assimilation: Z.B. zeigt sich bei der 2. Lautver- schiebung (vgl. dazu jetzt Vennemann 1984) eine weitere Verbreitung bei den Dentalen ([t] -» [ts] (-> [s])) als bei den Labialen ([p] -> [pfj (-> [f])) und eine weitere bei den Labialen als bei den Velaren ([k] -> [kx], alem.), und zwar sowohl in regionaler Hinsicht wie bezüglich der jeweiligen lautlichen Umgebung (Anlaut, Inlaut, Auslaut, nach Vokal bzw. Liquid oder Nasal). Auch die Ten- denz, die Affrikaten zu Spiranten zu vereinfachen, ist bei Dentalen (nd. da t vs.

hd. daß [das], aber *[dats]) und Labialen (nd. [pae: t] vs. hd. Pferd[pfe: rt] und norddt. dial. [fe:rt]) stärker als bei Velaren (alem. [kxirxs] vs. hd. Kirche).

Damit ist (23d) wohl als phonetisch-artikulatorisch bedingte universelle Er- scheinung anzunehmen, aus der sich die Bedingungen (23 a) bis (23c) einer allge- meinen Assimilationstheorie ableiten lassen. Es folgt, daß diese Phänomene also nicht in der einzelsprachlichen Assimilationsregel eigens erwähnt werden müs-

17 Dazu stimmt, daß velare Konsonanten später erworben werden als Dentale oder Labiale und von Kindern häufig durch dentale substituiert werden, [tamailt] (gemalt).

(17)

Assimilation im Deutschen 21 sen, so daß sich die einzolsprachlichen Regeln auf die generellen Bedingungen beziehen können und letztlich nur die sprachspezifisch/stilistisch unterschiedli- che Toleranz hinsichtlich der generellen Assimilationstendenzen festzulegen ha- ben.

3. Adäquate Merkmalwahl

Wenden wir uns nun der Frage zu, welche phonologischen Merkmale in Assimi- lationsregeln eine Rolle spielen und welche Merkmalkonfigurationen dabei ent- stehen. Der einfachste Fall ist, daß genau ein Merkmal von der Umgebung assimiliert wird, so daß die Umgebungsangabe aufgrund der allgemeinen Prinzi- pien (l 8) und (20) nicht mehr als dieses eine Merkmal zu enthalten braucht, da es z. B. als unmarkiert gilt, daß sonorere Laute sich an weniger sonore assimilieren, daß regressive Assimilation bevorzugt wird und daß phonologisch relevante Grenzen die Assimilation unterschiedlich stark behindern. Dies scheint tatsäch- lich der unmarkierte Fall zu sein, wie sich aus einer genaueren Analyse der Assimilationen im Deutschen ergibt. Davon scheinbar abweichende Fälle lassen sich aufgrund unabhängiger Prinzipien erklären, wie ich im folgenden kurz er- läutern werde.

Als unmarkiertes Regelschema gilt also:

(24) [«F] -* [jJG]/WG]

Ein durch das Merkmal [aF] gekennzeichneter Laut nimmt in der Umgebung eines (weniger sonoren) Lautes mit dem Merkmal [0G] dieses Merkmal an.

Eine scheinbare Abweichung stellen sogenannte partielle Assimilationen dar, wie sie sich vor allem bei der Angleichung an die Zungenstellung vokalischer Elemente finden, also etwa bei der Alternation des /c/i/ac/z-Lautes, beim /-Um- laut oder bei der ahd. Diphthongassimilation. Hierzu ist möglicherweise auch die schrittweise Zunahme der Sonorität zu rechnen, wie sie bei Lenisierung, Spirantisierung, Gleitlautbildung (und schließlich Tilgung) von Verschlußlauten in sonantischer Umgebung vorliegt; darauf werde ich weiter unten im einzelnen eingehen.

Den partiellen Assimilationen ist gemeinsam, daß ein Laut A von einem Laut B der Umgebung nicht ein Merkmal übernimmt, sondern daß sich Merkmale des Lautes A in Richtung auf Merkmale des Lautes B hin verändern. Betrachten wir als Beispiel die ahd. Diphthongassimilation (vgl. Vennemann 1968)

—cons ~|

(25) r~ cons l - r~ tief l/ +hoch

* ' |_+tief J L<-

Wnt

>J LX-WnOJ

(18)

22

Jürgen Lenerz

« >: Das Merkmal wird our zugewiesen, wenn die Umgebung das Merk- mal [-hint] enthalt, also bei -»el ; Beispiele: vorahd.

*/ /7 -» ahd. teil, ahd. hlauffan -+ mhd. loufen).

Hier bewirkt das Merkmal [+ hoch] der Umgebungsangabe, durch das /i/ und /u/ bezeichnet werden, die Veränderung des Merkmals [+ tief] zu [—tief], also in Richtung auf [+ hoch] hin. Partielle Assimilationen zeichnen sich generell dadurch aus, daß die Merkmalveränderung vom Umgebungsmerkmal impliziert wird, wie im Beispiel das assimilierte Merkmal [— tief), das aus dem Merkmal [+hoch] über die Redundanzregel (26) abzuleiten ist:

(26) [+hoch] > [-tief] (a > : impliziert ß)

Alle Laute, die das Merkmal [4-hoch] haben, sind notwendigerweise [—tief], so daß das assimilierte Merkmal [—tief] in der Umgebungsangabe redundant ist. Gleichwohl ist es implizit dort enthalten, so daß die Fälle partieller Assimila- tion keine Abweichung vom generellen unmärkierten Schema (24) darstellen.

Eine weitere Eigenschaft der Diphthongassimilation besteht darin, daß bei ihr im Bereich des vorderen Vekals [i] nicht ein Merkmal assimiliert wird, sondern eine Merkmalkombination. (Entsprechendes gilt ja auch für die Nasalassimila- tion (11) und die (generellere) Steuerung (19)). Dies scheint auf den ersten Blick der allgemeinen, unmarkierten Regel (24) zu widersprechen. Betrachten wir des- halb die betreffenden Fälle etwas genauer: Die Darstellung des Vokalsystems durch binäre, „rechtwinklig" zueinander angeordnete Merkmale zwingt-"wie in (27) veranschaulicht - dazu, eine „diagonal" verlaufende Angleichung des [a]

an ein folgendes [i] durch die Angabe zweier rechtwinklig zueinander stehender

[+hoch]

[-hoch]

[-tief]

[+tief]

[—hinten]

i e<

C

tirfl " ~ ·

[+ hinten]

u

0 UCIJ -. — ^^^

U [—hinten]- -~^-=-fl

Vektoren als [—tief, — hinten] zu beschreiben. Die Merkmale, mit denen die fur die Bildung der Vokale jeweils typische Zungenstellung dargestellt wird, sind also nicht als unabhängige Merkmale zu bezeichnen, da sie bei Vokalen notwen- digerweise kombiniert vorkommen. Die Lage des höchsten Punktes des gewölb- ten Zungenrückens (als „Artikulationsort" des Vokals) ist in einem zweidimen- sionalen Koordinatensystem zwangsläufig nur durch die Angabe beider Koordi- naten (vorn-hinten und hoch-tief) zu bestimmen. Entsprechend ist also das un-

(19)

Assimilation im Deutschen 23

markierte Regelschema (24) derart zu interpretieren, daß [/?G] ein unabhängi- ges Merkmal oder eine notwendige Merkmalkombination bezeichnet, die (ganz oder per Merkmalimplikation, (s. o.) partiell) assimiliert wird.

Auf ähnliche Weise könnte man auch im Fall der Merkmalkombination [acor, /?ant] in (11) und (19) argumentieren. Hier bietet sich allerdings eine alternative Möglichkeit an, die aus unabhängigen Gründen von Kloeke (1982:

Slff.) vorgeschlagen wurde: Für Zungenlaute definiert er das Merkmal [* anterior], das keinen Artikulationsorr, sondern eine Artikulationsari bezeich- net. Es bezieht sich auf die Gestalt der Zungenoberfläche und erlaubt u.a. eine Unterscheidung zwischen [s] ([+*anterior]) und [J] ([-* anterior]). Wenn man dieses Merkmal übernimmt, läßt sich (19) als (28) umformulieren:

(28) [+ *ant] -» [-*ant]/[-*ant]

(Entsprechendes gilt für (l 1)). Diese generellere Formulierung hat zudem den Vorteil, daß sie zusätzlich zu den von (19) erfaßten Assimilationen auch die sogenannte „Schibilierung" ([s] -* Q]) als einen Fall von „Steuerung" ein- schließt. Letztere läßt sich nämlich nicht durch die Merkmale [acor, ßant] dar- stellen, sondern nur durch ein Zusatzmerkmal [+ hoch] oder eben (wie Kloeke 1982) durch nur ein Merkmal [* anterior] anstelle des klassischen Merkmals [anterior].

Bei dem diachronen Wandel ([s] -> [J]) läßt sich übrigens eine Übergenerali- sierung der Assimilationsregel (28) beobachten; die rein phonetische Umge- bungsangabe [— *ant] wird durch [+ obstr] ersetzt, so daß als diachrone Regel (29) gilt:

(29) + *ant -> [-*ant]/[+ obstr]

L+dndJ

Beispiele: ahd. scöni [sk] -> mhd. schoene [sx] -» nhd. schön [f] (mit Ausfall des die Assimilation verursachenden Velaren); mhd. sieht, smal, snel,

sweri, stein, spil -» nhd. schlecht, schmal, schwert, [ftain], [Jpi:l].

Die Spiegelbildlichkeit dieser - historisch gesehen - übergeneralisierten und da- mit völlig morphologisierten Assimilationsregel erweist sich daran, daß sie diachron gesehen zunehmend auch progressiv Anwendung findet (mhd.

bars -» nhd.Barsch',mho. false -» raid, falsch etc.).18

Folgt man dieser Darstel-

1 8 Ein erster Überblick auf der Grundlage von Mater 1970 zeigt, daß hinter Nasalen und Liquiden in etwa der Hälfte der Fälle die Schibilierung [s -» J] durchgeführt ist; nach Plosiven tritt dagegen [s] deutlich häufiger auf als [J]. - Es ist allerdings schon für ahd., mhd. <s> mit einer palataleren Artikulation (etwa [$]?) zu rechnen als für nhd. <s> [s] (s.

hierzu Braune 1874).

(20)

24 Jürgen Lenerz

lung der assimilatorischen Steuerung durch ein Merkmal, so stellt die Tatsache, daß [*anterior] eine Generalisierung von (19) als (28) erlaubt, die im Einklang mit dem unmarkiertcn Regelschema (24) steht, ein unabhängiges Argument für die von Klocke (1982: 81ff.) angenommene Analyse dar. Diese Überlegung zeigt, welcher Stellenwert einer Theorie der Assimilation innerhalb der Phonolo- gic zukommt.

Entsprechendes gilt auch, wenn wir uns erneut der Merkmalimpükation zu- wenden, welche oben am Beispiel der ahd. Diphthongassimilation kurz darge- stellt wurde. Neben derart zwingenden Redundanzregeln wie (26) gibt es auch Fälle, in denen Merkmale assimiliert werden, die sich aus den Umgebungsmerk- malen als die jeweils unmarkierten Merkmalspezifikationen ableiten lassen. Ein Beispiel stellt die stufenweise partielle Assimilation dar, die bei der Sonorisie- rung nicht-sonantischer Laute in sonantischer Umgebung vorliegt:

°°nS ->

[_— son J

(30a) -> [+!son]/[+son] _ [+son]

Die von Vennemann (1972P) vorgeschlagene Regelformulierung (30a) besagt, daß nicht-sonantische Konsonanten in sonantischer Umgebung „sonantischer"

(4-!) werden. Was das im einzelnen heißt, drücken die Regeln aus:

+cons~l

(30b) Lenisienmg: -» [—gesp] / [+son] [+son]

|_-son J j (das schaff [y] ich schon; den schnapp [(?] ich mir;

das hätt [fl ich nicht gedacht; das muß [z] ich machen ...) (30c) Assimilation der Stimmhaftigkeit:

n] [+son]J (ii) (s.o.: y -* v; fc -» b; d -» d; z -» z)

(30d) Spirantisierung:

~+ cons

— son -gesp -dnd_

(ich habe-[ff]; erheblich [ ]; wirklich [9]; Werte [ ]) (30e) Gleitlautbildung:

r+cons~j

-son -»· [+son]/[+son] [+son]

(legen Q]; aber [w])

(21)

Assimilation im Deutschen 25 Sonanten sind im unraarkierten Fall ungespannt. Entsprechend assimilieren nicht-sonantische Konsonanten zunächst das von [+son] im unmarkierten Fall implizierte Merkmal [—gesp] wie in (30b). Die Assimilation der Stimmhaftig- keit (30c) erklärt sich daraus, daß Sonanten im unmarkierten Fall stimmhaft sind (das definiert sie ja). Zudem impliziert das Merkmal [+son] im unmarkier- ten Fall das Merkmal [+dnd]. Dem entspricht die Regel (30d) - und schließlich wird in der Teilregel (30e) das Merkmal [+son] selber vom Konsonanten assi- miliert. So läßt sich die stufenweise Assimilation der Sonorität aus der Markiert- heitstheorie ableiten, während sie sich ohne diese als bloßer Zufall darstellte.

Erst die Markiertheitstheorie erklärt die in (30b) bis (30e) gegebene Explikation der allgemeinen Formulierung (30a). Umgekehrt aber erhalten die Markiert- heitskonventionen durch eine Theorie der Assimilation eine unabhängige Bestä- tigung, wenn man die generelle Regel (24) für partielle Assimilationen so inter- pretiert, daß die Annäherung an [/?G] stufenweise über Merkmale verläuft, die entweder über Redundanzregeln wie (26) oder über die Markiertheitskonventio- nen als unmarkiert implizierte Merkmale aus [/?G] ableitbar sind.

Die Explizierung von (30a) in den Teilregeln (30b) bis (30e), die sich aus der Markiertheitstheorie ergibt, hat zudem eine erwünschte empirische Konse- quenz, die aus der allgemeinen Formulierung (30a) nicht ohne weiteres erkenn- bar ist: Erst, wenn man (30a) in Teilregeln expliziert, kann man zwischen diesen ein funktionales Zusammenwirken annehmen. Dabei ergibt sich folgendes:

Wenn durch die Lenisierung (30b) Fortes ihre Gespanntheit verlieren, so würde der Kontrast Fortis-Lenis aufgehoben, wenn nicht gleichzeitig durch die Regel (30c) Lenes stimmhaft würden. Damit scheint die minimal vom hochsprachli- chen Standard abweichende Stilebene durch einmalige Anwendung von (30b) und (30c) bestimmt zu sein. In der nächst informelleren Sprechweise werden stimmlose Lenes stimmhaft (durch (30c)) und stimmhafte Lenes durch (30d) spirantisiert. Auf einem noch informelleren Niveau können die Spiranten zu Gleitlauten werden (30e) und stimmhafte Lenes zu Spiranten (30d) usw. Es bietet sich damit die Möglichkeit, durch iterative Anwendung der miteinander verbundenen Teilregeln (30b) bis (30e) die Abschwächung aller Nicht-Sonanten bei gleichzeitiger Erhaltung der Oppositionen zwischen ihnen zu erfassen. Zu- dem lassen sich durch die stufenweise Abschwächung phonetisch unterscheidba- re Stilebenen linguistisch definieren, so daß die Regeln (30b) bis (30e) als Basis für die Darstellung der Beziehung zwischen phonologischen und im weitesten Sinne pragmatischen Aspekten der Assimilation anzusehen sind.

4. Assimilationsregeln und Markiertheit

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die grundsätzliche Frage, welchen Status die Assirailationsregeln im Rahmen einer phonologischen Theorie über-

(22)

26

Jürgen Lenerz

haupt haben. Bei einer Durchsicht der betreffenden Regeln im Deutschen fallt auf, daß bei Assimilationen Merkmale übertragen werden, die in der bedingen- den Umgebung B als unmarkiert zu bewerten sind, beim assimilierten Laut A jedoch als markiert angesehen werden müssen, wie es das entsprechend modifi- zierte allgemeine Regelschema (24') ausdrückt:

(24') [aF]

m

Assimilationsregeln vergrößern also offenbar die Markiertheit der von ihnen betroffenen Elemente. Bevor wir jedoch dieses auf den ersten Blick sicher über- raschende Ergebnis diskutieren, soll es durch einige Beispiele verdeutlicht wer- den: Nasalierte Vokale stellen gegenüber nicht-nasalierten zweifellos den markier- ten Fall dar; aus der Markiertheitskonvention (31a) sind nach Kean (1980: 24) die entsprechenden Markiertheitsbewertungen (31 b) bis (Sie) ableitbar (vgl.

Kloeke 1981: 379):

(31a) [u nas] -»· [-nas-]/

(31b) [u nas] -» [-l·nas]/

(31c) [m nas] -> [—nas]/

(31d)

(i) [u nas] [-nas]/

(ii) [u nas] -» [-nas]/

(31e)

(i) [m nas] [+nas]/

(ii) [m nas] -> [+nas]

cons

— ason + cons + son +cons -I-son

—cons -cons

— son

— cons + cons

— son

Das heißt,'daß Sonanten im unmarkierten Fall (31 b) nasal sind, im. markierten

Fall (31c) nicht nasal; Vokale und Gleitlaute (31d (i)) sind ebenso wie Nicht-

(23)

Assimilation im Deutschen 27

Sonanten (31d (n)) im unmarkierten Fall nicht-nasal, im markierten Fall (31e) nasal. Uns interessiert hier besonders (31d (i)), also die als unmarkiert zu bewer- tenden nicht-nasalen Vokale. Durch eine Assimilationsregel wie (32), die in man- chen deutschen Dialekten wirksam ist, werden nun nicht-nasale Vokale in nasa- ler Umgebung zu markierten nasalen Vokalen assimiliert.

. (32) VN

—cons

-* )

[+nas]/[+nas]

|_+son

/man/ -> [man] (-> [mä]) (bair.)

(imBair. z.T. auch progressiv: Qnäug'sn] Schnauze, vgl. Tillmann/Mansell 1980: 131)

Entsprechendes gilt z. B. für die „Steuerung" (19): Nach den Markiertheitskon- ventionen (vgl. Kean 1980: 23; Kloeke 1981, 1982; Höhle 1982) wird der apikale Artikulatipnsort [+cor, +ant] für Verschlußlaute und Nasale gleichermaßen gegenüber dem dorsalen bzw. labialen als unmarkiert angesehen:

(33a) [uant] -* [+ant] / (33b) [u hint] -> [-l·hint]/

(33c) [u lab] -> [+lab] /

(33d) [ucor] -» [+cor] / + cons_

—ant

—cons + hint -tief

— syl -hint -lab

Diese Markiertheitsregeln verstehen sich wie folgt: Ein Konsonant ist im unmar-

kierten Fall als [4· ant] spezifiziert, wird also im vorderen Mundraum gebildet

(33 a). Aus (33b) folgt, daß anterior gebildete Laute [4-ant] im unmarkierten

Fall das Merkmal [ - hint] haben, und aus (33c) läßt sich schließen, daß Konso-

nanten [-hcons] im unmarkierten Fall nicht labial [-lab] sind. Daraus folgt

aufgrund von (33d), daß sie im unmarkierten Fall koronal [+cor] sind, so daß

unmarkierte Konsonanten als [-I-cons, H-cor, + ant, —hint, —lab] spezifiziert

sind. Wird nun ein solcher Konsonant an einen labialen oder dorsalen Konso-

nanten der Umgebung assimiliert, so erhöht sich seine Markiertheit: er erhält

das Merkmal [-cor], das für nichtsilbische Laute ([- syl] => [+cons]) gemäß

(33d) als markiert anzusehen ist. Bei der dorsalen Assimilation kommt die für

(24)

28

Jürgen Lenerz

Konsonanten gemäß (33 a) als markiert anzusehende Spezifizierung [—an t] hin- zu; für Konsonanten [-t-cons] gelten also die folgenden Merkmal- und Markie- rungsveränderungen bei der Steuerung:

(labial)

r+cor(=u)l [+ant(=u)J

(apikal)

L-ant(=m)Jant(

(dorsal)

Entsprechendes läßt sich auch für die auf ein Merkmal [*ant] reduzierte Notie- rung (28) zeigen, die Kloeke vorschlägt (vgL Kloeke 1981: 369, 372; 1982: 61, 81 ff.). Hier ergibt sich als unmarkierte Merkmalspezifikation für Konsonanten [+cons, —hint, —tief, —hoch, —lab, + cor, +*ant], also speziell [+*ant], ein Merkmal, das sowohl bei labialer wie dorsaler Assimilation gemäß (28) zur markierten Spezifizierung [—*ant] verändert wird.

Betrachten wir kurz einen etwas komplexeren Fall, bei dem sich die Erhöhung der Markiertheit indirekt ergibt; es handelt sich um die Assimilation des dorsa- len Reibelautes (ich jach [x] -» [9]). Der veläre Reibelaut [x], den man als zu- grundeliegend ansehen kann, hat die relevante Merkmalspezifikation [-hhint, H-hoch, — cor], ist alsp.ein mit dem hinteren Teil der Zunge [+hint, — cor]

gebildeter Reibelaut [+hoch]. Die Markiertheitsbewertung ist wie folgt anzu- setzen (vgl. Kean 1980):

(35) [x]=r+cons

— ant (=m) -hhint (=u) + hoch(=u)

—cor (= u) + dnd

Die Markiertheitsbewertungen von [—ant (m)] und [-f-hint (u)] ergeben sich aus (33a, b). Weiter gilt die Markiertheitskonvention (36) (vgl. Kean 1980: 24 (48a, XI)):

(36) [u hoch] -» [-hoch]/

cons ant cor

Für das vorliegende Beispiel folgt daraus, daß Konsonanten [+cor] mit der markierten Spezifikation [—ant] im unmarkierten Fall [-f hoch] sind. Damit

(25)

Assimilation im Deutschen 29

sind die Bewertungen in (35) erklärt. Wenn nun [x] in palataler Umgebung durch die Regel (15) zu [9] assimiliert wird, ergeben sich folgende Merkmalspe- zifizierungen mit den angegebenen Markiertheitsbewertungen:

(37) [9] = r+

cons

-ant (=m)

— hint (=m) + hoch(=u) -cor (=m) + dnd

Es hat sich lediglich assimilatorisch das Merkmal [+hint] in [—hint] verwan- delt; [—hint] ist nun aber für nicht-anteriore Laute [—ant] gemäß (33b) als markiert anzusehen. Nach (33d) folgt aber zudem, daß das unverändert geblie- bene Merkmal [—cor] bei der Spezifizierung [—hint] nun ebenfalls als markiert zu bewerten ist; es ist also in seiner Markiertheit durch die Assimilation indirekt betroffen, und zwar in der für Assimilationen als typisch unterstellten Weise:

seine Markiertheit hat sich ebenfalls erhöht.

19

Für die von mir untersuchten Assimilationsregeln des Deutschen gilt generell, daß sie die Markiertheit der betroffenen Elemente erhöhen. Eine Ausnahme scheint auf den ersten Blick lediglich die Assimilation der Stimmlosigkeit darzu- stellen. Im folgenden möchte ich jedoch zeigen, daß es sich dabei um eine falsche Beschreibung der Verhältnisse handelt. Gängige Darstellungen gehen davon aus, daß stimmhafte Medien in stimmloser Umgebung stimmlos werden:

20

(38) [-son] -» [-sth]/[-sth]

er[le:bt -* lerfct -» le:pt]

[onli:pza:m -> unli:pza:m unli:psa:m]

Durch diese Regelformulierung würde nun die Markiertheit der betroffenen Elemente verringert: Nicht-Sonanten [+cons, — son] sind im unmarkierlen Fall stimmlos [- sth (= u)]! Wenn man dagegen (mit Kloeke 1982:32,128ff.) davon ausgeht, daß nicht die Stimmhaftigkeit, sondern die Artikulationsspannung im Deutschen als relevantes unterscheidendes Merkmal anzusehen ist (also die Op- position Fortes-Lenes), so ergibt sich ein anderes Bild. In diesem Fall werden

. \ 9 Übrigens läßt sich die dialektal zu beobachtende Substitution von [9] durch Q] als Abbau der Markiertheit deuten:

[9] = [-cor, -hint, +hoch] [f] = [+cor, -hint, + hoch]

m u

20 Lass 1971 hat versucht, die Auslautverhärtung als (regressive) Assimilation der Stimmlosigkeit vom „Element'' ##(Wortgrenze) zu erklären; vgl. aber Houlihan 1979, die überzeugend gegen diesen Ansatz argumentiert. Zur Auslautverhärtung vgl. auch King 1976.

(26)

30 Jürgen Lenerz

Lcnes (A, d, g etc.) als [—gesp] gekennzeichnet, ein für Konsonanten als mar- kiert anzusehende Spezifizierung. Es gelten nach Kloeke (1982: 61) folgende Markiertheitskonventionen:

(39a) [u son] -* [-son]/

L+consj

(39b) [ustVC] -» [-stVC]/l·+ sonj

(39c) [utns]

Konsonanten [+cons] sind also nach (39a) im unmarkierten Fall nicht-sonan- tisch und damit nach (39b) unmarkiert als [ + stVC] zu kennzeichnen (d.h. als

„ + stiff vocal cord" p= „stimmlos"). Zudem sind Konsonanten nach (39c) im unmarkierten "Fall gespannt [+tns], so daß stimmlose Fortes als unmarkierte Konsonanten anzusehen sind:

(40) Fortes: + cons

— son (= u) H-stVC (=u) + tns (=u)

Demgegenüber sind Lenes als ungespannte [—tns] Konsonanten als.markiert zu bewerten. In diesem Sinne kann man annehmen, daß in den Fällen scheinba- rer „Verhärtung" (38) tatsächlich stimmlose Lenes als zugrundeliegend anzuse- hen sind, also: /le: l?t/ und /ünli: pza: m/. Die hypothetische Form * [le: bt] tritt tatsächlich nicht auf, und für /£/ im Morphemanlaut gilt, daß es dort nur in hyperkorrekter Aussprache stimmhaft wird. Tatsächlich werden ja Lenes z.B.

im „Wörterbuch der deutschen Aussprache" (1970: 68) in den meisten Positio- nen als stimmlos betrachtet und tendieren sogar im absoluten Anlaut zur Stimm- losigkeit. Sie können offenbar nur in stimmhafter Umgebung die Stimmhaftig- keit assimilieren, und zwar regressiv im Anlaut oder durch beidseitige Assimila- tion, wenn sie zwischen stimmhaften Lauten auftreten. Demzufolge können wir also eine Regel (41) ansetzen (vgl. Kloeke 1982: 32):

[ -H cons~| -son -» [-stVC]/#<X[-stVC] <[-stVC]>

-gespj

(27)

Assimilation im Deutschen 31 L

'· Die Umgebungsangabe liest sich dabei wie folgt:

(i){*_ l

(ii)lX[-stVC] [-stVC]J

Der assimilatorische Teil der Regel (ii) scheint der entscheidende zu sein; für die rein morphologische Bedingung (i) kenne ich keine von (ü) unabhängige Evi- - denz, d.h. keine Fälle, in denen eine Lenis im Anlaut vor beliebigem Laut (also auch vor einem stimmlosen!) stimmhaft würde. Bei der Regel (41) aber handelt es sich um nichts anderes als die ohnehin erforderliche Regel (30c), die in der stufenweisen Abschwächung von Verschlußlauten eine Rolle spielt. Ihr assimila- torischer Anteil (ii) ist phonetisch motiviert und hat tatsächlich eine Erhöhung der Markiertheit zur Folge: Nach (39b) sind Nicht-Sonanten unmarkierterweise stimmlos [+stVC]. Sie erhalten in stimmhafter Umgebung das Merkmal [—stVC] (stimmhaft), welches nun als markiert zu bewerten ist:

< (42) stimmlose Lenes -> stimmhafte Lenes -fcons

-son (=u) -gesp (= m) _+stVC(=u)_

+ cons

—son (= u) -gesp(=m) _-stVC(=m)_

Damit wird die sogenannte „Auslautverhärtung" als zugrundeliegend angese- hen, und es wird nicht (wie in (38)) Stimmlosigkeit, sondern Stimmhaftigkeit assimiliert (41 = 30c)! Man kann also als Grundsatz einer Theorie der Assimila- tion festlegen:

(43) Durch eine Assimilation wird die Markiertheit des betroffenen Elementes

erhöhil

Aus (43) läßt sich für jede Assimilation ableiten, welches Merkmal jeweils nur

assimiliert werden kann. Für die meisten von mir untersuchten Fälle folgt aus

(43) das richtige Ergebnis. (Zu ähnlichen Ansätzen vgl. u.a. Schachter 1969,

Schane 1972). Möglicherweise treten jedoch im Zusammenhang mit (43) Proble-

me auf, etwa angesichts von Fällen wie mhd. höchvart -> nhd. Hoff art (aber

nicht: *Hochart [hoxart]) oder der Schibilierung (sk -» sx -* J(x)), wo sowohl

die Übernahme des Merkmals [+dnd] wie die Übernahme von [+hoch] (oder

[—*ant]) eine Erhöhung der Markiertheit bedeuten. Hier sind ausführlicher zu

begründende Analysen erforderlich, die entweder zu einer Revision (oder Präzi-

sierung) von (43) oder zu einer Veränderung der Merkmaldefinitionen bzw. der

Markiertheitsbedingungen fuhren könnten. Angesichts der klaren Fälle möchte

ich jedoch vorerst (43) als Hypothese einer allgemeinen Assimilationstheorie

zugrunde legen.

(28)

32

Jürgen Lenerz 5. Funktionale Deutung

Woran liegt nun die Zunahme der Markiertheit bei der Assimilation, und wie sind Assimilationsregeln folglich im Rahmen der Phonologic einer Sprache zu bewerten? Einerseits sind es phonetisch gesehen „natürliche" Regeln, da sie häu- fig in gleicher oder ähnlicher Form in den unterschiedlichsten Sprachen auftre- ten und zudem artikulatorisch begründet sind. Andererseits aber erhöhen sie die Markiertheit der betroffenen Elemente und könnten deshalb in gewissem Sinn a\sphonologisch „unnatürliche" Regeln betrachtet werden. Dieses Dilemma ent- steht daraus, daß hier offenbar zwei verschiedene Begriffe der „Markiertheit"

(oder „Natürlichkeit") verwendet werden. Wenn man sie sorgfaltig unterschei- det, löst sich der vermeintliche Widerspruch auf: Die üblicherweise verwendeten Markiertheitskonventionen gelten für zugrundeliegende kontextfreie phonolo- gische Elemente. Durch diese Markiertheitskonventionen wird die Ausgewo- genheit phonologischer Systeme erfaßt, indem sie für das Phoneminventar einer Sprache größtmöglichen phonologischen Kontrast garantieren.21 Für die pho- netisch-artikulatorische Verkettung, also im Kontext benachbarter Elemente, können sie im Grunde nicht zutreffen. So ist zwar kontextfrei z. B. der alveolare Nasal /n/ als umnarkierkanzusehen - im phonetischen Kontext eines labialen bzw. velaren Verschlußlautes aber sind sicher die jeweils homorganen Nasale [m] bzw. [rj] als unmarkiert zu bewerten. Es scheinen also kontextfrei (33a,d) und kontextsensitiv (44) unterschiedliche Markiertheitskonventionen zu gelten:

(33a) kontextfrei: [u ant] -» [+ant]/

(33d) kontextfrei: [u cor] -» [+cor]/

(44) kontextsensitiv:

|~u cor~| cor~| cor~|

|_u ant J ~* \_ß antJ \_ß ant J (bzw. nach Kloeke 1982: Slff.) [u *ant] ->. [a*ant]/[a*ant]

+ cons

-hint -lab

21 Die Markiertheitskonventionen stellen damit in gewisser Weise eine Repräsenta- tion der „systematisch phonemischen Ebene" dar, welche unabhängig davon in der gene- rativen Phonologic nicht definiert ist. Vgl. dazu Kean 1980 sowie u. a. Kloeke 1981, Höhle 1982 und die gegensätzlichen Auffassungen zur Markiertheit, die sich in Mayerthaler 1982 und Leuninger 1983 zeigen. Vgl. auch Belletti/Brandi/Rizzi 1981.

(29)

Assimilation im Deutschen 33 Dabei gilt (44) lediglich als Bewertung für die abgeleitete phonetische Repräsen- tation, nicht aber für frühere prozeßphonologische Ableitungsstufen. Assimila- tionsregeln sind als „natürliche" Regeln anzusehen, da sie artikulatorisch auto- matisch, spontan, physiologisch vorgegeben sind. Das könnte in der phonologi- schen Theorie dadurch zum Ausdruck kommen, daß sie zwischen den unter- schiedlichen Markiertheitskonventionen (kontextfrei - kontextsensitiv, z.B.

(33a,d) (44)) vermitteln, indem sie Ketten phonologischer Elemente in ihrer Merkmalspezifikation an die kontextsensitiven MarkiertheitsbeWertungen an- passen. Als „natürliche" Regeln müßten sie auch formal ausgezeichnet werden:

sie dürfen in einer Komplexitätsbewertung einer Grammatik nicht zu Buche schlagen. Das läßt sich z. B. dadurch bewerkstelligen, daß man, wie oben vorge- schlagen, Assimilationsregeln nicht als Regeln der einzelsprachlichen Gramma- tik ansieht, sondern im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Assimilation als universell vorgegebene Regeln betrachtet. Damit brauchen sie selbstverständ- lich auch nicht vom Kind erlernt zu werden. Was das Kind lediglich lernen muß, ist, welche sprachspezifischen Restriktionen oder welche (morphologischen) Generalisierungen von Assimilationen in seiner Muttersprache vorliegen. So müßte z. B. die Nasalassimilation (oder: Steuerung) als solche nicht erlernt wer- den: sie kann durch die Eigenschaften der Bewegungsabläufe der Artikulations- organe als gegeben angesehen werden. Lediglich die obligatorische Anwendung der regressiven velaren Assimilation (n -» g l k) müßte im Deutschen „erlernt"

werden, während im Englischen die Restriktion der progressiven Assimilation (*[teikn]) eigens zu lernen wäre.22 Assimilationsregeln sind also universell be- gründbare und einzelsprachlich variable Regeln, die in einer Prozeßphonologie zwischen zugrundeliegender phonologischer und beobachtbarer phonetischer Repräsentation vermitteln und dabei die jeweils anzunehmenden Markiertheits- bewertungen zueinander in Beziehung setzen.

Diese unterschiedlichen Markiertheitsbewertungen scheinen sich folgender- maßen zu begründen: In ihnen werden die unterschiedlichen funktionalen Er- fordernisse deutlich, denen die lautliche Repräsentation in einer menschlichen Sprache genügen muß. Einerseits ist für ein zugrundeliegendes System phonolo- gischer Elemente größtmögliche Distinktivität bei möglichst geringer Anzahl von relevanten distinktiven Merkmalen als funktionales Optimum anzustreben.

Das schlägt sich wie gesagt in den kontextfreien Markiertheitsbewertungen nie- der. Andererseits aber ist von der Funktion der Artikulationsorgane her eine größtmögliche Angleichung der abgeleiteten phonetisch realisierten Elemente im Kontext erklärbar. Dies ist durch kontextsensitive Markiertheitsbewertun- gen auszudrücken. Beiden Erfordernissen muß Genüge getan werden, damit 22 Ein Vorschlag von Vennemann 1972P sieht vor, auch Regeln hinsichtlich ihrer Markiertheit (oder „Natürlichkeit") zu bewerten. Andere Ansätze „natürlicher" Theorien sind etwa bei Schane 1972, Hooper 1976, Hellberg 1978, Stampe 1979, Donegan/Stampe 1979, Odden 1979, Anderson 1981 diskutiert.

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