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(1)Abhängigkeiten und Bedingtheiten von ‚Textlinguistik‘ und ‚Systemtheorie‘ sind aber in der vorliegenden Publikation durchaus deutlich herausgearbei- tet

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Abhängigkeiten und Bedingtheiten von ‚Textlinguistik‘ und ‚Systemtheorie‘

sind aber in der vorliegenden Publikation durchaus deutlich herausgearbei- tet. Der etwas unterschwellige Ruf nach diachron orientierten Analysen in einem breiten synchronen Kontext, welche umfassendere kommunikative Netze berücksichtigen und systematisch beschreiben, sollte vermehrt Unter- stützung finden, um die dynamischen Weiterentwicklungen von Texten, Textsorten und Textmustern fassen zu können.

Literatur

Brinker, Klaus. 2005. Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grund- begriffe und Methoden.6. Auflage. Berlin: Erich Schmidt.

Luhmann, Niklas. 2004. Die Realität der Massenmedien. 3. Aufl. Wiesba- den: Verlag für Sozialwissenschaften.

Olaf Gätje. 2008. Der Gruppenstil der RAF im„Info“-System. Eine soziosti- listische Analyse aus systemtheoretischer Perspektive (Linguistik – Impulse &

Tendenzen 32). Berlin, New York: De Gruyter. xi, 263 S.

Hajo Diekmannshenke Universität Koblenz-Landau

Institut für Germanistik Universitätsstr. 1 D-56070 Koblenz diekmann@uni-koblenz.de Aus William Faulkners Roman Licht im Auguststammt die bekannte Text- zeile: „Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen.“ Gerade unter den Bedingungen medialer Kurzlebigkeit bietet sich die Aktualisie- rung des (scheinbar) Vergangenen an, vor allem anlässlich so genannter

‚Jahrestage‘und oft gekoppelt mit neuen Deutungen und Spekulationen. So gehörte im Jahr 2007 die Diskussion um die mögliche Begnadigung des ver- urteilten RAF-Mitglieds Christian Klar zu den spektakulären Ereignissen, war mit ihr doch das erneute Aufrollen der Hintergründe der Ermordung des damaligen Generalbundesanwaltes Siegfried Buback im April des Jahres 1977 verbunden. Zwar wurde Klar schließlich im Dezember 2008 aus der Haft entlassen, doch der Fall Buback erfuhr auch im Jahr 2009 wieder me- diale Aufmerksamkeit, als Verena Becker im August wegen des Verdachts der Mittäterschaft in Untersuchungshaft genommen wurde, aus der man sie im Dezember wieder entließ.

ZRS, Band 4, Heft 1

© Walter de Gruyter 2012 DOI 10.1515/zrs-2012-0009

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Doch trotz des anhaltenden medialen Interesses (sei es in Fernsehdoku- mentationen, Spielfilmen, journalistischen Beiträgen oder literarischen Ver- öffentlichungen) an der Geschichte und den Verbrechen der Roten Armee Fraktion ist das linguistische Interesse in den vergangenen über 30 Jahren eher gering gewesen. Nur wenige sprachwissenschaftliche Veröffentlichun- gen haben sich mit Texten und mit den damit verbundenen öffentlichen Reaktionen beschäftigt, wobei das stärkste öffentliche Interesse die Diskussi- on um den so genannten Göttinger Mescalero-Aufruf anlässlich der Ermor- dung Siegfried Bubacks erfuhr. Zwar setzt eine Auseinandersetzung in den späten 70er und frühen 80er Jahren mit ersten Analysen ein, allerdings wer- den die dadurch aufgeworfenen Fragen kaum weiter diskutiert. Seit 2008 scheint jedoch das Interesse der Linguistik an der Beschäftigung mit Texten und Gesprächen im Zusammenhang mit der RAF zugenommen zu haben.

Ein Beleg dafür ist die Dissertation von Olaf Gätje, die sich mit dem soge- nannten„Info“-System der inhaftierten RAF-Mitglieder in den Jahren 1973 bis 1977 beschäftigt. Das „Info“-System „war eine mit schriftlichen Nach- richten operierende Kommunikationsstruktur, mit deren Hilfe die Mitglie- der der Roten Armee Fraktion […] während ihrer Inhaftierung die polylo- gische Gruppenkommunikation und damit den sozialen Zusammenhalt sowie die kollektive Handlungsfähigkeit aufrechterhielten“ (S. 1). Dabei er- weist sich die leitende Fragestellung als eine stiltheoretische (bezogen auf sogenannte Gruppenstile) und eine stilpragmatische: „Welchen Sinn bzw.

welche soziale(n) und kommunikative(n) Funktion(en) hat die in den Tex- ten des‚Info‘-Systems vorhandene vorherrschende uniforme Formulierungs- weise bzw. Ausdrucksgestalt für die Gruppe der inhaftierten Mitglieder der Terrororganisation?“(S. 2).

Illegal operierende Gruppen bedienen sich spezifischer Kommunika- tionsweisen und -systeme, um die Sicherheit der Gruppenmitglieder nicht zu gefährden. Die Faszination solcher Kommunikationsweisen beruht auf ihrer zumindest partiellen ‚Abgeschlossenheit‘ der Öffentlichkeit gegenüber. Für eine wissenschaftliche Arbeit bedeutet dies aber auch eine Reihe von Pro- blemen, vor allem auch in Hinblick auf die Auswahl und Analyse des Mate- rials. Diese Problematik wird auch im Falle der Untersuchung von Gätje deutlich. So besteht das Korpus aus insgesamt neun „Info“-Texten, die aus der Sammlung von RAF-Materialien des Hamburger Instituts für Sozialfor- schung, betitelt „RAF – die erste Generation“, stammen. Der Rückgriff auf die Originale erscheint vor allem deswegen notwendig, weil die bisherige Dokumentation, dies zeigt Gätje eindrücklich, stark selektiv mit den Texten umgegangen und deshalb für wissenschaftliche Untersuchungen unbrauch- bar ist. Umso überraschender erscheint es dann aber, dass Gätje selbst an späterer Stelle auf diese umstrittene Dokumentation zurückgreift (S. 118).

Als Kriterium dieser Auswahl wird die Zugehörigkeit der‚Briefe‘ zu den Textsorten ‚Kritik‘, ‚Selbstkritik‘ und ‚Lagebericht‘ genannt, wobei diese als

„hochfrequent“ in der mehrere hundert „Info“-Briefe umfassenden Samm-

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lung bezeichnet werden (S. 22). Darüber hinaus erfüllten sie „wichtige Funktionen für die Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Gruppe“

(ebd.). Angesichts der Heterogenität des Archivmaterials, das neben den

„Info“-Texten Anwaltskorrespondenzen, Zeitungsausschnitte, Bücherlisten, Prozesserklärungen, Privatbriefe an Angehörige und dergleichen mehr ent- hält, und der Fehlerhaftigkeit der bisher veröffentlichten Quellendokumen- tation ist eine solche Vorgehensweise nachvollziehbar. Unbefriedigend bleibt sie jedoch allemal. Denn die behauptete besondere Stellung der ausgewähl- ten Textbeispiele, die in der Untersuchung herausgearbeitet werden soll, ist zugleich das Kriterium für die Auswahl eben dieser Texte. Ebenso bleibt unklar, um welche Art von Texten es sich bei der großen Zahl der nicht in die Untersuchung einbezogenen „Info“-Texte handelt, werden diese doch weiterhin ohne genauere Diskussion der Kommunikationsweisen- und Text- sortenproblematik als„Info“-Briefe (S. 22) bezeichnet.

Als theoretische Grundlage seiner Analyse wählt Gätje einen Ansatz, den er selbst als „systemtheoretisches Modell von Gruppenstil“ (S. 50) be- zeichnet. Ziel ist es dabei, das stiltheoretische Phänomen ‚Gruppenstil‘ mit systemtheoretischen Überlegungen Luhmanns so zu verbinden, dass nach- gewiesen werden kann, in welcher Weise „Gruppenstile eine bedeutende Funktion für den Gruppenzusammenhalt haben“ (S. 53). Konstituiert wird eine soziale Gruppe für den Autor durch einen „spezifische[n] Sinnzusam- menhang von Kommunikationen“(ebd.).

Ob und inwiefern die Einbeziehung der Luhmann’schen Systemtheorie geeignet ist, das theoretisch-methodische Instrumentarium der Textsorten- stilistik zu erweitern, soll hier nicht diskutiert werden. Wesentliches Instru- mentarium für die konkrete Textanalyse bietet Sandigs Textstilistik, angerei- chert mit weiteren Überlegungen der modernen Textlinguistik und Stilistik.

Problematischer erscheint jedoch–vor allem vor dem Hintergrund der postulierten Kulturspezifik von Textsorten (z. B. S. 98ff.)–, dass das ‚soziale System‘ der RAF und das zugrundeliegende„Info“-System auf gerade einmal 15 Seiten, gleichsam in einem „Parforceritt“ (S. 27), wie der Autor betont, abgehandelt wird. Unklar bleibt auch das politische Selbstverständnis der inhaftierten RAF-Mitglieder. So werden die Textsorten‚Kritik‘ und ‚Selbst- kritik‘angesehen als

„zentrale Bestandteile der kommunikativen Haushalte der im 20. Jahrhundert in der Sowjetunion und in der Volksrepublik China, aber auch in allen anderen kom- munistischen Ländern, wie z. B. Vietnam, der DDR, Kuba, Kambodscha, Angola, Polen, Nord-Korea tätigen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen, Guerillaeinheiten und Terrorgruppen.“(S. 107)

Diese bunte Anhäufung unterschiedlichster politischer Organisationsformen mit durchaus differierenden politischen Auffassungen bietet eher das Bild einer Neufassung jener‚Achse des Bösen‘denn einer wissenschaftlichen He- rangehensweise, schließlich betont der Verfasser doch immer wieder die Be-

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deutsamkeit des politisch-kulturellen Hintergrunds für das Verständnis der analysierten Texte. Wer Regierungen, politische Parteien, Guerillaeinheiten, Terrorgruppen aus den verschiedensten Gegenden der Erde zu einem ge- meinsamen Polithintergrund vermischt, läuft ungeachtet real vorhandener Gemeinsamkeiten Gefahr, die bedeutsamen Unterschiede vor dem Hinter- grund der verschiedenen gesellschaftlichen ‚Rahmungen‘ (Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft, Relevanz in Bezug auf die gesellschaftliche Öf- fentlichkeit, Sanktionsmöglichkeiten und dergleichen mehr) aus den Augen zu verlieren.

Der analytische Teil der Arbeit stellt jeweils drei Exemplare der genann- ten Textsorten ‚Kritik‘, ‚Selbstkritik‘ und ‚Lagebericht‘ in den Mittelpunkt der stilistischen Untersuchung, wobei einerseits deren Funktion für die so- ziale Gruppe ermittelt und andererseits für den Gruppenstil relevante „Stil- züge“herausgearbeitet werden sollen (S. 136). Als solche postuliert Gätje die Stilzüge„Reduktion“, „konzeptionelle Mündlichkeit“und„lexikostilistischer Crossover“ (S. 137f.). Die anschließende, mit 100 Seiten Umfang recht de- taillierte Stilanalyse der Texte aus dem„Info“-System (S. 240-340) kann hier nicht in ihren Einzelergebnisse wiedergegeben werden. Als typisch für den Gruppenstil im„Info“-System hebt Gätje folgende Merkmale heraus:

„1. Auf dergraphostilistischen Ebeneist das herausragende und augenfälligste Gestal- tungselement die radikale Kleinschreibung. Auf der mikrostrukturellen Ebene muss darüber hinaus die Verwendung von Schriftauszeichnungen, also von Unterstrei- chungen, Versalisierungen und Sperrungen als charakteristisch für den hier verhan- delten Gruppenstil angesehen werden. Außerdem zu erwähnen ist der Einsatz von Logogrammen als sprachökonomischer Alternative zu verbalisierten Konjunktionen sowie die häufige Verwendung von Schreibabkürzungen. Als ein weiteres Element sind die mittels Interpunktionszeichen und Absatzgestaltung hergestellten rhetorischen Pausenräume zu erwähnen.

2. Saliente Gestaltungselemente auf der morphologisch-phonostilistischen Ebene sind Klitisierungen (Pro- und Enklise) und Elisionen (Synkope und Apokope). Auf der rein morphologischen Ebene ist der Gebrauch von Akronymen und Kurzwörtern zu den prototypischen Elementen des hier thematisierten Stils zu rechnen.

3. Aufsyntaktischer Ebeneist der Einsatz von Ellipsen und Parenthesen als charakteris- tisch für den Gruppenstil anzusehen. Kennzeichnendes Element für die syntaktische Dimension der hier untersuchten Stilgestalt ist zudem die Verwendung hochkom- plexer hypotaktischer Satzkonstruktionen, häufig in Kombination mit graphischen Gestaltungsmitteln.

4. Auf derlexikalischen und phraseologischen Ebenesind in den Texten Lexeme un- terschiedlicher Stilebenen vorzufinden (lexikostilistischer Crossover), die dem Durch- schnittssprecher für unvereinbar gelten.“(S. 223f.)

Im weiteren Verlauf seiner Analyse versucht der Autor diese Stilelemente mit von ihm so genannten ‚kommunikativen Sinnzuschreibungen‘ zu ver- sehen, die nur bedingt überzeugen können. So kann die Klassifizierung der

„Info“-Texte als Briefe durchaus infrage gestellt werden, fehlen in diesem

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Fall doch konstitutive Momente dieser Kommunikationsform und der in ihr realisierten Textsorten. So ist z. B. die Einbindung in das System der Post nicht vorhanden, allenfalls in einem metaphorischen Sinne kann also von‚Briefkommunikation‘gesprochen werden. Zwar ist die Erkenntnis, dass die „Info“-Texte wesentlich für die Aufrechterhaltung der ansonsten stark eingeschränkten bzw. unmöglichen Gruppenkommunikation sind (S. 229), zweifellos zutreffend, allerdings dürfte diese Erkenntnis auch für andere Gruppen inhaftierter Krimineller zutreffen, sofern sie vergleichbare Infor- mationssysteme ausbilden. Wenig überzeugend mutet auch die weitergehen- de Schlussfolgerung an:

„Die Funktion bzw. der Sinn des Gruppenstils der RAF im‚Info‘-System liegt auch und gerade darin, die für die Kommunikationsform ‚Brief‘ konstitutive Medialität der Schriftlichkeit symbolisch zu überwinden, zu kompensieren. Diese symbolische Überwindung wird realisiert durch dieInszenierung von Oralität.“(S. 230)

Lässt man einmal außer Acht, dass Funktion und Sinn keineswegs Synony- me sind, so bleibt dennoch zu fragen, ob eine „Inszenierung von Oralität“

mit der symbolischen Überwindung bzw. Kompensation (wobei es sich ebenfalls um Unterschiedliches handelt) gleichgesetzt werden kann. Viel- mehr scheint die Übertragung eines typischen Stils linker und linkextremer Gruppierungen in mündlichen und schriftlichen Äußerungen auf das „In- fo“-System der RAF vorzuliegen. Um diese Annahme jedoch zu untermau- ern, wäre ein Vergleich mit anderen Texten und Gesprächen linker bzw.

linksextremistischer Provenienz notwendig. Einen Versuch in der angedeu- teten Richtung unternimmt der Verfasser in seiner zweiten Sinnzuschrei- bung, wenn er fragt, in „welcher Relation […] die vorliegende Sprachform zu einer bestimmten sprachstilistischen Mode ihrer Zeit“(S. 231) steht.

Grundsätzlich wird mit der vorliegenden Arbeit ein Weg eingeschlagen, unter Rückgriff auf die authentischen Texte, die vor allem der Gruppen- konstituierung und der Sicherung der Gruppenidentität unter den Bedin- gungen der Haft dienen, ein Bild des kommunikativ-sozialen Selbstver- ständnisses der RAF zu zeichnen, das möglicherweise dazu führen wird, so manchen Mythos sprachlich zu entlarven. Und wo in der Terminologie der Inhaftierten von einer „befreiten Sprache“ die Rede ist (S. 233f.), zeigt sich bei genauerem Hinsehen eher die (sprachliche) Banalität des Bösen.

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