9.3 Taylor-Reihen 361
9.3 Taylor-Reihen
9.3Wir kommen nun zum zentralen Thema dieses Kapitels: die Taylor-Reihen.
Die Aussage des Taylorschen Satzes ist, dass sich fast jede elementare Funktion in der Umgebung eines Punktesx0 durch Polynome beliebig genau ann¨ahern l¨asst. Es zeigt sich sogar, dass diese Funktionen sich durch eine Potenzreihe der Form
∞
X
n=0
an (x−x0)n
darstellen lassen. Neben der Bestimmung der Koeffizientenan werden wir In- formation dar¨uber gewinnen, welcher Fehler maximal auftritt, wenn diese Reihe nach endlich vielen Summationsgliedern abgebrochen wird. Damit erhalten wir zum einen eine Methode, die elementaren Funktionen
ex,sinx,√
x,lnx usw.
mit beliebiger Genauigkeit zu berechnen, zum anderen N¨aherungsformeln f¨ur diese Funktionen.
Beispiel 9.25 (Einf¨uhrung): Nach Beispiel 9.19 gilt f¨ur die geometrische Potenzreihe
1 +x+x2+. . .+xn+. . .=
∞
X
n=0
xn= 1 1−x f¨ur |x| < 1. D.h. die Potenzreihe P∞
n= 0xn stimmt mit der Funktion 1−x1 f¨ur allex∈(−1,1) ¨uberein. Außerhalb dieses offenen Intervalls ist zwar 1−x1 noch definiert(x6= 1),aber nicht mehr die Potenzreihe. Wir leiten eine Formel heuristisch her, die es uns erlaubt, f¨ur elementare Funktionen die zugeh¨orige Potenzreihe aufzustellen.
Herleitung der Taylor-Polynome. Gegeben sei eine Funktion f(x), siehe Abb. 9.3. Gesucht ist eine N¨aherung der Funktion in der Umgebung des Punk- tesx0∈ID.Die Funktionf sei in dieser Umgebung mehrmals differenzierbar.
Abb. 9.3.Funktionfund N¨aherungen in der Umgebung vonx0
362 9. Funktionenreihen
(0.) Die ”nullte” N¨aherungp0an die Funktion erh¨alt man, wenn die konstante Funktion
p0(x) =f(x0)
gew¨ahlt wird. Die Funktion p0 hat mit f nur den Funktionswert an der Stellex0 gemeinsam.
(1.) Die lineare N¨aherungp1an die Funktion erh¨alt man, wenn man die Tan- gente inx0 w¨ahlt:
p1(x) =f(x0) +f0(x0) (x−x0).
Die Tangente hat mit der Funktion sowohl den Funktionswert, als auch die Ableitung an der Stellex0 gemeinsam.
(2.) Gesucht ist eine quadratische Funktion p2, die im Punkte x0 zus¨atzlich die gleiche Kr¨ummung wief aufweist:
Ansatz: p2(x) =f(x0) +f0(x0) (x−x0) +c(x−x0)2. Bedingung: p002(x0)=! f00(x0).
Wegen p002(x) = 1·2·c,folgtp002(x0) = 1·2·c=f00(x0)
⇒ c= 1
2!f00(x0)
⇒ p2(x) =f(x0) +f0(x0) (x−x0) +f00(x0)
2! (x−x0)2.
(3.) Gesucht ist die kubische Funktionp3, die im Punktex0 zus¨atzlichdie 3.
Ableitung mitf gemeinsam hat:
Ansatz:p3(x) =f(x0)+f0(x0) (x−x0)+2!1f00(x0) (x−x0)2+d(x−x0)3. Bedingung: p0003 (x0)=! f000(x0).
Wegen p0003 (x0) = 1·2·3·d=! f000(x0)
⇒d= 1
3!f000(x0)
⇒ p3(x) =f(x0) +f0(x0) (x−x0) +2!1 f00(x0) (x−x0)2 +3!1 f000(x0) (x−x0)3.
9.3 Taylor-Reihen 363 ...
(n.) Eine bessere Approximation an die Funktion f in einer Umgebung des Punktesx0gewinnt man, indem jeweils Terme der Form
1
n!f(n)(x0) (x−x0)n
hinzugenommen werden, so dass das n-te N¨aherungspolynom (das Taylor- Polynom vom Graden) gegeben ist durch
pn(x) = f(x0) +f0(x0) (x−x0) +. . .+ 1
n!f(n)(x0) (x−x0)n
=
n
X
i=0
1
i!f(i)(x0) (x−x0)i.
Visualisierung: Zur Veranschaulichung der Konvergenz der Taylor- Polynome pn an die Funktion f w¨ahlen wir eine Animation f¨ur die Funktion f(x) =
q
6−(x−2.5)2 am Entwicklungspunkt x0 = 1. Dazu be- stimmen wir die ersten 10 Taylor-Polynome.
Durch die Animation erkennt man deutlich, dass mit wachsendem Grad des Taylor-Polynoms der Bereich sich vergr¨oßert, in dem Funktion und Taylor- Polynom graphisch ¨ubereinstimmen. F¨ur N = 10l¨asst sich im Bereich0.5≤ x ≤ 1.7 graphisch kein Unterschied zwischen der Funktion f und dem N¨a- herungspolynom p10 feststellen. Es stellt sich somit die Frage, wie groß die Abweichung der N¨aherungsfunktion pn(x) zur Funktion f in der Umgebung vonx0ist. Aufschluss dar¨uber gibt der folgende Satz.
364 9. Funktionenreihen
Satz von Taylor.Gegeben sei eine inx0∈ID (m+ 1)-mal stetig dif- ferenzierbare Funktionf. Dann gilt dieTaylorsche Formel
f(x) =f(x0) +f0(x0) (x−x0) +. . .+ 1
m!f(m)(x0) (x−x0)m+Rm(x) mit dem Restglied
Rm(x) = 1
(m+ 1)!f(m+1)(ξ) (x−x0)m+1 (x∈ID) undξ einem nicht n¨aher bekannten Wert, der zwischenxundx0 liegt.
Der Satz von Taylor (1685 - 1731) spezifiziert die Zwischenstelleξzwischenx undx0 nicht n¨aher. Daher kann man nicht exakt die Abweichung der N¨ahe- rungsfunktionpn(x)zur Funktionf angeben. F¨ur die konkreten Anwendungen wird diese Tatsache aber keine Rolle spielen, da wir f¨ur das RestgliedRm(x) eine Obergrenze angeben. Wenn das RestgliedRm(x)m→∞−→ 0erf¨ullt, so erh¨alt man
Satz ¨uber Taylor-Reihen. Ist f eine in x0 ∈ ID beliebig oft differen- zierbare Funktion und erf¨ullt das RestgliedRm(x)→ 0 f¨ur m → ∞, so gilt
f(x) = f(x0) +f0(x0) (x−x0) + 1
2!f00(x0) (x−x0)2+. . . . . .+ 1
n!f(n)(x0) (x−x0)n+. . .
=
∞
X
n=0
1
n!f(n)(x0) (x−x0)n.
Diese Potenzreihe heißt die Taylor-Reihe zur Funktion f am Ent- wicklungspunktx0.
Bemerkungen:
(1) Der Konvergenzradius der Taylor-Reihe ist nicht notwendigerweise>0.
(2) Falls die Taylor-Reihe vonf konvergiert, muss sie nicht notwendigerweise gegenf(x)konvergieren.
(3) Die Taylor-Reihe konvergiert genau dann gegenf(x), wenn das Restglied Rm(x)f¨urm→ ∞ gegen Null geht. In diesem Fall stimmen die Funktion