• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Transkranielle Magnet- und Gleichstromstimulation" (27.02.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Transkranielle Magnet- und Gleichstromstimulation" (27.02.2009)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009 143

M E D I Z I N

N

icht invasive Hirnstimulationsverfahren wie die transkranielle Gleichstrom- oder die transkra- nielle Magnetstimulation (TMS), haben in den vergan- genen Jahren zunehmende Bedeutung in der Diagnostik und Therapie neuropsychiatrischer Erkrankungen erhal- ten. Mit ihnen lassen sich kortikale Neuronenverbände erregen.

TMS benutzt hochintense, etwa 1 Tesla starke gepuls- te Magnetfelder, um – anders als dies mit ultrakurzen Stromreizen möglich ist – schmerzfrei Elektrizität durch den intakten Schädel zu transferieren, somit indirekt Stromflüsse im Gehirngewebe und hierüber neuronale Aktionspotenziale auszulösen. Wenn man TMS repetitiv appliziert (rTMS), lassen sich plastische Erregungsstei- gerungen oder Hemmungen umschriebener Hirnareale erzielen, die Stunden über die Stimulationsdauer hinaus anhalten können.

Transkranielle Gleichstromstimulation mit schwa- chen Strömen um 1 mA („transcranial direct current sti- mulation“ [tDCS]) ist seit acht Jahren in der humanen Neuroplastizitätsforschung fest etabliert, nachdem es ge- lungen war, ihre plastizitätserzeugenden Effekte im menschlichen Gehirn mit Hilfe der TMS zu quantifizie- ren (Abbildung 1).

Die physikalische Lücke zwischen gepulster rTMS und gleichförmiger tDCS lässt sich durch transkranielle Wechselstromstimulation (tACS; „transcranial alterna- ting current stimulation“) und transkranielle Rausch- stromstimulation (tRNS; „transcranial random noise stimulation“) schließen. Beide wurden erstmals auf der 3. Göttinger „International Conference on Transcranial Magnetic and Direct Current Stimulation“ im Oktober 2008 in Göttingen vorgestellt.

tACS erlaubt die externe Interferenz mit kortikalen Oszillationen, die vor allem in der sogenannten Bin- dungshypothese bei der temporären Verknüpfung korti- kaler Areale eine Rolle spielen. Hochfrequente tRNS er- zeugt erregende kortikale Nacheffekte, im Vergleich zur anodalen tDCS jedoch unabhängig von der Strom- flussrichtung.

Klinische Anwendungen dieser Techniken waren ein wichtiges Thema dieser Tagung, an der alle fünf Jahre die weltweit aktivsten Forscher auf diesem Gebiet teilneh- men. Mit etwa 90 Vorträgen und 250 Posterbeiträgen für 600 Teilnehmer aus 39 Ländern wurde das Spektrum die- ses Themengebietes abgedeckt (http://www.tms08.uni- goettingen.de/). Der Kongress wurde unter anderem ge- fördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft

(DFG), dem Land Niedersachsen, dem Bundesministeri- um für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie (DGKN) und der Movement Disorder Society (MDS).

Die klinische Anwendung transkranieller Stimulation fokussierte ursprünglich auf die Behandlung depressi- ver Patienten, wozu ein aktueller Überblick gegeben wurde (Padberg, München). Nachdem zahlreiche Pilot- studien zunächst widersprüchliche Ergebnisse zur TMS erbracht hatten, ergab die bisher größte multizentrische Studie an 301 Patienten, die nicht von einer medika- mentösen antidepressiven Behandlung profitiert hatten, dass eine vierwöchige Stimulation mit 3 000 TMS Im- pulsen/Tag als antidepressive Monotherapie einer Pla- zebostimulation mit etwa doppelt so hohen Remissions- raten im Vergleich zur Plazebostimulationsgruppe über- legen war. Dies führte im Oktober zur Zulassung der TMS in den USA durch die „U.S. Food and Drug Admi- nistration“ (FDA) für die Behandlung von Patienten mit Depressionen, die nicht primär auf Medikamente an- sprechen. Eine von der Deutschen Forschungsgemein- schaft (DFG) geförderte Multicenterstudie zu einer et- was anderen Anwendung, nämlich der primären Kombi- nation von TMS und Antidepressiva, ergab hingegen keinen signifikanten Unterschied zu einer Plazebosti- mulation. Kritisch wird derzeit noch die klinische Rele- vanz der erzielten Therapieeffekte diskutiert, wobei Vergleichsuntersuchungen mit etablierten Behand- lungsformen (zum Beispiel Antidepressiva, Lithium, Psychotherapie) weitgehend fehlen. Lediglich zum Ver- gleich mit der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) liegen bereits mehrere Studien vor, die teils eine stärkere Wirk- samkeit der EKT teils keinen Wirksamkeitsunterschied ergaben. Derzeit laufen weitere Multicenterstudien zur TMS bei Depressionen, die eine Beurteilung des Stel- lenwertes der TMS in der Stufentherapie depressiver Erkrankungen ermöglichen sollen. Insgesamt zeichnet sich die TMS durch eine gute Verträglichkeit aus und wird bereits jetzt bei einzelnen Patienten, die unzurei- chend auf Medikamente ansprechen, Medikamente schlecht vertragen oder eine für die medikamentöse Be- handlung problematische Komorbidität zeigen, als anti- depressive Behandlungsform erwogen.

Eine andere Form der Anwendung der TMS bei De- pressionen ist die sogenannte Magnetkonvulsionstherapie (MKT), bei der eine besonders hochfrequente und hochin- tense TMS genutzt wird, um – ähnlich wie bei der EKT – einen antidepressiv wirksamen, generalisierten Anfall zu KONGRESSBERICHT

Transkranielle Magnet- und Gleichstromstimulation

Walter Paulus

(2)

144 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009

M E D I Z I N

induzieren. Zur MKT liegen erste kleinere Pilotstudien vor, größere kontrollierte Studien fehlen noch. Ähnlich ist die Datenlage für die tDCS bei Depressionen, wobei in Göttingen vorläufige Ergebnisse aus mehreren laufenden Studien vorgestellt wurden. Intensiv diskutiert wurden weitere Optimierungsoptionen, sowohl hinsichtlich Rei- zort, Intensität, Frequenz, Stimulationsintervallen, Im- pulsform, Stromflussrichtung (Sommer, Göttingen) und gruppierter Stimulation (sogenannte Theta-Burst-Tech- nik), deren besonderes Potenzial deutlich wurde.

Andere klinische Anwendungsmöglichkeiten neuro- plastizitätsinduzierender Stimulationsverfahren wurden in einzelnen placebokontrollierten Phase-II-Studien unter- sucht, so die Behandlung chronischer Schmerz-Patienten (Antal/Nitsche, Göttingen, BMBF-Kompetenznetz Kopf- schmerz). Beim chronischen Schmerz vermögen sowohl rTMS wie auch tDCS nach etwa zweiwöchiger Stimulati- on ähnliche, wenngleich transiente Besserungen (circa 30 bis 60 % Besserung auf einer visuellen Analogskala) zu erzielen, wie sie von der invasiven Motorkortexstimulati- on bekannt sind. Letztere wird seit etwa 20 Jahren von der Neurochirurgie bei therapieresistenten Schmerzen einge- setzt. Neben vielen internationalen Vorträgen stellten Teil- nehmer Untersuchungen zum Beispiel zum Einsatz bei Tinnitus (Langguth, Regensburg), Schlaganfall und moto- rischer Rehabilitation (Hummel, Hamburg), Schizophre- nie (Falkai und Wobrock, Göttingen, Rekrutierung noch bis Juni 2009) und Epilepsie (Rosenow, Marburg) vor. Be- züglich der Therapie von (fokalen) Epilepsien mit rTMS und tDCS liegen uneinheitliche Ergebnisse vor, welche am ehesten dafür sprechen, dass die fokale Stimulation di- rekt über dem (neokortikalen) epileptogenen Areal zu ei- ner meist innerhalb von wenigen Wochen vorübergehen- den Reduktion der Anfallsfrequenz führen kann. Eine Sit- zung widmete sich der tierexperimentellen Untermaue- rung. So konnte am Beispiel der Epilepsie die erfolgreiche tDCS Anwendung im Rattenmodell gezeigt werden (Lie- betanz, Göttingen). Insgesamt handelt es sich bei den transkraniellen Stimulationsverfahren um nebenwir- kungsarme Therapieverfahren. Bei der rTMS liegt das Hauptrisiko in sehr selten aufgetretenen epileptischen An- fällen, bei der tDCS sind einige wenige lokale reversible Exantheme durch unzureichende Elektrodenkontakte be- kannt geworden. Die wesentlichen Fortschritte der näch- sten Jahre werden von Stromflussmodellierungen (Abbil- dung 2), vom kombinierten Einsatz der transkraniellen Stimulationsverfahren mit assoziierten Messverfahren wie Kernspinspektroskopie, Positronenemissionstomo- grafie sowie der jetzt realisierten Möglichkeit erwartet, auch während der funktionellen Kernspintomografie akti- vierte Hirnareale genauer zuordnen zu können.

Interessenkonflikt

Der Autor gibt geförderte Projekte mit transkranieller Magnet- und Stromstimu- lation durch DFG, BMBF, EU, Volkswagenstiftung, Rose Stiftung sowie diverse industrielle Beratertätigkeiten zur Weiterentwicklung entsprechender Stimula- tionsgeräte an.

Manuskriptdaten

eingereicht: 5. 11. 2008, revidierte Fassung angenommen: 22. 12. 2008

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Walter Paulus Abteilung Klinische Neurophysiologie Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen E-Mail: mkurze@med.uni-goettingen.de

IInntteerrnnaattiioonnaall CCoonnffeerreennccee oonn TTrraannssccrraanniiaall MMaaggnneettiicc aanndd DDiirreecctt CCuurrrreenntt S

Sttiimmuullaattiioonn

Dtsch Arztebl Int 2009; 106(9): 143–4 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0143 Abbildung 1:

Transkranielle Gleichstrom- stimulation (tDCS) des linken Motor- kortex (Elektroden- größe 5 × 7 cm) mit Referenzelektrode über der rechten Orbita.

Abbildung 2: Intrakranielle Stromdichteberechnung nach kathodaler tDCS des Motorkortex (IMK Universität Kassel, BMBF Bernsteinkooperation Verbundprojekt: Transkranielle Stimulati- on, Kassel, Göttingen, Ilmenau).

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

@

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Even though the performed linear regression failed to reveal that frequency mismatch or time mismatch can predict P300 amplitude change, a precise determination of the

Kasten FH, Herrmann CS (2017) Transcranial Alternating Current Stimulation (tACS) 652. Enhances Mental Rotation Performance during and

While there were no effects on participants’ reaction times, performance in the mental rotation task was significantly enhanced in the stimulation group as compared to sham.. This is

Es zeigt sich somit, dass eine erregbarkeitserhöhende anodale tDCS über kortikalen Arealen, die an motorischem Lernen beteiligt sind, und hier insbesondere dem

Letzteres könnte für unsere Studie bedeuten, dass die Probanden, die eine schlechtere Perfor- manz zeigten und somit mit limitierten Ressourcen arbeiteten, durch

Here, we explore whether contrast sensitivity, a main function of the primary visual cortex (V1), can be improved in healthy subjects by repetitive, noninvasive anodal

Bei einer mit Multiple Sklerose assoziierten Spastik konnte nach einer Stimulation über dem Motor- kortex des Beinareals mit 5 Hertz über 2 Wochen eine signifikante Verbesserung

In einer eigenen Studie wurde nun untersucht, ob sich dieser Effekt auch durch direkte dauerhafte elektrische Stimulation durch tDCS über M1 darstellt.. Die in