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Archiv "Zweierlei Strukturwandel" (08.09.1977)

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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR

Zweierlei

Strukturwandel

Wirtschaftstheorien und -ideolo- gien spielen in der aktuellen Poli- tik eine besondere Rolle. Das wird einmal mehr auf dem 12. ordentli- chen Gewerkschaftstag der IG- Metall deutlich werden, der vom 18. bis zum 24. September 1977 in Düsseldorf stattfinden wird.

Bei der Beratung von 1080 Anträ- gen nehmen allein 185 Anträge zu Problemen wie Verkürzung der Lebens-, Jahres-, Wochen-, Ta- ges-,Schicht- und Stundenarbeits- zeit mit vollem Lohnausgleich ei- nen breiten Raum ein. 166 Anträge befassen sich mit der Wirtschafts- politik, mit Fragen der Arbeitslo- sigkeit, der Investitionslenkung, mit der Einrichtung von Investi- tionsmeldestellen oder Überfüh- rung von marktbeherrschenden Unternehmen, Banken und Versi- cherungen, in Gemeineigentum und der Errichtung von „Innova- tionsstellen". Selbstverständlich nehmen auch die Schwierigkeiten der Energie- und Kernkraftpolitik, der konzertierten Aktion und der Steuerpolitik einen bedeutenden Platz ein.

In 123 Anträgen soll die Sozialpoli- tik diskutiert werden. Dabei geht es primär um:

—die Senkung des Rentenalters,

— die „Reorganisation" der Sozial- versicherung,

—einen „Arbeitsmarktbeitrag" der Beamten,

— die „Einschränkung der Kosten"

im Gesundheitswesen und

—die Einbeziehung des gesamten Entgelts in die Sozialversiche- rungspflicht.

Hinter jedem Sachantrag wird die gleiche Zielsetzung sichtbar: den Strukturwandel dazu zu benutzen,

bestimmte „Vorstellungsinhalte, Vorstellungskomplexe", einfacher gesagt: Ideologien durchzusetzen.

Die Begleitmusik von Ideologien ist stets das Streben nach Macht.

Das gilt auch für Gewerkschaften.

Jeder Realist weiß bereits heute, wohin IG-Metall-Funktionärs-Be- schlüsse tendieren werden: in die kollektivistische und sozialisierte Gesellschaft. Mit Sozio-Ökonomie hat dies nichts zu tun. Auch nicht mit einem aufeinander abge- stimmten („integrierten") Gesund- heitssicherungssystem.

Die Bevölkerung in der Bundesre- publik weist 1976 ein Mosaikbild auf, das sich zusammensetzt aus 11,585 Millionen Arbeitern,

9,920 Millionen Angestellten und 3,825 Millionen Selbständigen und Familienangehörigen einer- seits und

12,795 Millionen Kindern unter 15 Jahren,

12,015 Ehefrauen und sonstigen Personen über 15 Jahren und

9,750 Millionen Rentnern.

Die Entwicklung der Bevölke- rungsstruktur, neue Technologien und daraus entstehende neue so- zio-ökonomische Realitäten ver- ändern die gesellschaftliche Land- schaft. Dazu gehören auch Ren- tenversicherung, Gesundheitswe- sen, Arbeitsmarktprobleme und Produktionssicherung.

Loderers Meinung

Eugen Loderer, Boß der IG-Metall, liegt sicher richtig, wenn er sagt:

„Die neuen Technologien werden die Arbeitsproduktivität explodie- ren lassen." Gerade wenn über Medizinökonomie, Medizintechnik und Gesundheitssicherung disku- tiert wird, darf das Phänomen der neuen Technologien nicht überse- hen werden. Der Fortschritt auf diesem speziellen Sektor ist weit- aus progressiver als in anderen Bereichen.

Unter diesen Aspekten müßte sich die Gewerkschaftskritik am Ge- sundheitssystem logischerweise selbst bei rasantestem Kosten- boom primär an der unaufhaltsa- men und von Gewerkschaftsseite gewünschten Technologieent- wicklung und am medizinischen Fortschritt orientieren. Solcher Kritikansatz stünde allerdings in diametralem Gegensatz zum ge- werkschaftsgeförderten „An- spruchdenken" organisierter Ar- beitnehmer.

„Stärkung" der ärztlichen Dienstleistungen

Im Interesse der versicherten Be- völkerung eine bestmögliche am- bulante ärztliche Versorgung si- cherzustellen, war und ist — so der Erste Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, Dr.

med. Hans Wolf Muschallik — stets

„suprema lex" der Organisationen der Kassenärzteschaft gewesen.

Das beinhaltet vor allem auch die Umsetzung gesicherter neuer Me- dizintechnologien in der Arztpra- xis bei gleichzeitiger Stärkung der ärztlichen Dienstleistung für den Patienten. Der diesjährige Slogan von IG-Metall von „Flexibilität, Kreativität, Lern- und Entschei- dungsfähigkeit, Mobilität und schöpferischer Phantasie" — kurz- um: das „life-long-learning" für die Arbeitnehmerschaft — ist für Kassenärzte seit Jahrzehnten reale Selbstverständlichkeit.

Aus den technologiebedingten

„Fehlentwicklungen" läßt sich mit der gleichen Folgerichtigkeit die Notwendigkeit einer vorausschau- enden Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik als spezi- elle Strukturpolitik ableiten. Wenn dem so ist, liegen die Kassenärzte mit den Forschungsvorhaben des Zentralinstituts für die kassenärzt- liche Versorgung in der Bundesre- publik Deutschland (ZI) technolo- gisch weit vorn. Das müßten fairer- weise auch Gewerkschafter als Sozialpartner und komplementäre Vertragspartner in der Kranken- versicherung würdigen. Aber, wer-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 36 vom 8. September 1977 2161

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Die Information:

Bericht und Meinung Zweierlei Strukturwandel

den sie's auch tun? Oder werden sie Systemhetze gegen die Kas- senärzte weiter treiben?

Ebenso wie einerseits Ausweitung staatlicher Forschung von Ge- werkschaftsseite gefördert wird, wird der Versuch unternommen, privat initiierte Forschung einzu- dämmen.

Ein typisches Beispiel dafür:

Pharma-Forschung. Mit gleicher Vehemenz, wie die private Phar- ma-Forschung mit hervorragen- den Erfolgen attackiert wird, wird der „Mangel" staatlicher For- schungsergebnisse von Gewerk- schaftsseite bedauert. Rund 20 Millionen Mark Forschungsmittel für „Sandkastenspiele", die der ehemalige Vizepräsident des Bun- desgesundheitsamtes und führen- de medizinische Gewerkschafts- berater Dr. med. Erwin Jahn ver- braten hat, sprechen allerdings nicht für die vielgepriesene Effi- zienz staatlicher Unterneh- mungen!

Weitere

Machtexpansion angestrebt

Staatliche Förderung ist mehr und besser als staatliche Eigenunter- nehmungen.

Diese Erkenntnis sollte eigentlich auf allen Gebieten — zumindest dort, wo Selbstverantwortung und Selbstverwaltung möglich sind — gelten. Bei der IG-Metall ist dieser Blickwinkel verschoben.

Hier geht es bei den Schlagworten

„Sozio-Okonomie", „Technolo- gie" und „Strukturwandel" um eine weitere Expansion der Macht:

Abbau staatlichen Handelns dort, wo Gewerkschaftshandeln mög- lich, mehr Staatsinterventionis- mus da, wo funktionsfähige plura- listische Gruppierungen anderer ideologischer Einstellung vorhan- den! Das steckt hinter den Ge- werkschaftsforderungen von Düs- seldorf. Dieter Pohl

PRESSESTIMMEN

„Wenn der Arzt zum Büttel wird"

„... Der Psychiater von Dithfurth hat beschrieben, wie die Prozedur einer Zwangsernährung gemein- hin vor sich geht: ,Da betreten vier oder fünf kräftige Männer die Zelle. Sie greifen den sich sträu- benden Häftling an Armen und Beinen, überwältigen ihn und zwingen ihn auf ein Untersu- chungsbett. Zwei setzen sich auf seine Knie, damit er nicht treten kann. Die Arme werden festge- schnallt. Einer hält den Kopf fest, an den Haaren natürlich, denn wie sonst könnte der Mann sicher

Süddeutscheleitung

sein, nicht gebissen zu werden?' Und dann kommt erst die Sache mit der Sonde. Zumutbar für den Gefangenen? Für den Arzt?

Es erweist sich bereits, daß, so in Hamburg, Ärzte durch Verwal- tungs-Ukas verpflichtet werden müssen, an der Zwangsernährung mitzuwirken. Kann ein Arzt, stehe er nun als Anstaltsarzt in einem Dienstverhältnis oder nicht, in der Tat zu solcher medizinischer Büt- telarbeit gezwungen werden? Dies erscheint uns als höchst zweifel- haft: Ärzte haben zu heilen und zu helfen, nichts anderes, auch An- staltsärzte.

Einer der kritischen Punkte in der Debatte um die Zwangsernährung ist und bleibt jene Phase, in der von einem ,freien Willen' des Ge- fangenen nicht mehr gesprochen werden kann, zum Beispiel wäh- rend oder unmittelbar nach einer Ohnmacht, bei äußerst ge- schwächtem Zustand: Hier wird durch Infusionen, allenfalls auch durch sonstige Nahrungszufuhr, jedoch ohne Gewaltanwendung, ärztliche Unterstützung verant- wortbar, ja notwendig sein.

Kommt sie möglicherweise einmal zu spät, geschähe dies in der Re- gel auf Grund eines vorherigen

willentlichen Verhaltens des Ge- fangenen selbst.

Dem gegenwärtigen Hunger- und Durststreik werden die Justizbe- hörden weiterhin mit der bisher gebräuchlichen Praxis begegnen.

Sie wollen und können sich nicht erpressen lassen, sie wollen aber auch keine ‚Märtyrer' schaffen.

Die Haftbedingungen, um die es geht, sie sind unzweifelhaft die Folge anhaltender konspirativer Bereitschaft und Aktivität."

Ernst Müller-Meiningen jr.

Kostendämpfung auf allen Gebieten

„Nach wie vor besteht die Kassen- ärztliche Vereinigung (KV) auf ei- ner Schließung der Hockenheimer Notarztzentrale und ihrer Verle- gung nach Schwetzingen. Daran konnte auch eine Ausspracherun- de zwischen Vertretern der KV und den vier Verwaltungsgemeinden Hockenheim, Reilingen, Neu- und Altlußheim nichts ändern. So ver- tritt die Standesorganisation der Kassenärzte die Meinung, daß der Raum Hockenheim mit seinen rund 35 000 Einwohnern auch von Schwetzingen aus effektiv notärzt- lich versorgt werden könne. Hinzu kämen im Sinne der Kostendämp- fung erhebliche finanzielle Ein- sparungen, die sich auf über

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70 000 Mark im Jahr belaufen sol- len, wie vom KV-Vorsitzenden Dr.

Schichardt verlautbart. Der künfti- ge Notarztbezirk Schwetzingen umfaßte dann rund 100 000 Ein- wohner, für die zwei Notärzte und zwei sogenannte Hintergrundärzte zuständig seien. Damit befänden sich Hockenheim und seine Anlie- gergemeinden in einem Bezirk, der sich in der Größe nicht von anderen Notarztbereichen unter- scheide. Ein Zugeständnis könne man lediglich an Tagen mit Renn- großveranstaltungen in Hocken- heim machen ..." hhs

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