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Reviewed by Claudia Prinz. Published on H-Soz-u-Kult (October, 2011)

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David Wright, Juanita De Barros, Steven Palmer. Health and Medicine in the Circum- Caribbean, 1800-1968. New York: Routledge, 2009. 301 S. $103.00, cloth, ISBN

978-0-203-88020-3.

Reviewed by Claudia Prinz

Published on H-Soz-u-Kult (October, 2011)

Im gleichen Maße, in dem die Aufmerksam‐

keit für die Medizingeschichte seit einigen Jahren wächst, haben sich auch ihre Themen, Fragestel‐

lungen und Methoden erweitert, so dass heute eine produktive Forschung zu politik-, sozial- und kulturhistorischen Aspekten von Gesundheit, Krankheit und Medizin vorliegt. Auch zahlreiche Studien zu Zusammenhängen von Medizin und Kolonialismus sind entstanden. Es überrascht al‐

lerdings, dass neben dem vitalen Forschungsfeld zur demographischen Entwicklung der karibi‐

schen Gesellschaften und zur Epidemiologie der Kolonialisierungen bisher keine Gesamtperspekti‐

ve auf eine Medizingeschichte der Karibik gewagt wurde, während diese Region gleichzeitig in vie‐

len vergleichend angelegten Studien fehlt. So fehlt die Karibik zum Beispiel in David Arnold (Hrsg.), Imperial Medicine and Indigenous Societies, Man‐

chester 1988, oder in Milton Lewis/Roy McLeod (Hrsg.), Disease, Medicine, and Empire: Perspecti‐

ves on Western Medicine and the Experience of European Expansion, New York 1988. In den Bän‐

den Diego Armus (Hrsg.), Avatares de la medicali‐

zación en América Latina, 1870-1970, Buenos Ai‐

res 2005 und ders./Gilberto Hochman (Hrsg.), Cui‐

dar, controlar, curar: Estudos de História da Saú‐

de e da Doença na América Latina e Caribe, Rio de Janeiro 2004 ist die Karibik mit je einem Aufsatz vertreten. Juanita DeBarros/Sean Stilwell (Hrsg.), Colonialism and Health in the Tropics, Special Is‐

sue of Caribbean Quarterly 49(4), 2003 ist sehr knapp und deckt primär die britische Karibik ab.

Der vorliegende Sammelband versucht sich an ei‐

ner integrativen, komparatistischen Perspektive auf die Geschichte von Gesundheit und Krankheit in der Region, und kann in diesem Unterfangen auf eine Vielzahl von Forschungen zu einzelnen karibischen Gesellschaften zurückgreifen. Gerade von der regionalen Perspektive erhoffen sich die Herausgeber, ausgewiesene Kenner der Materie, neue Erkenntnisse zur Sozial-, Kultur- und Politik‐

geschichte der modernen Karibik und zu den Be‐

sonderheiten dieser durch europäischen Kolonia‐

lismus, Sklaverei und Zwangsarbeit, Arbeitsmi‐

grationen, Diasporas und Kreolisierungen sowie Plantagenwirtschaft geprägten Region. So entstan‐

den „hybrid social expressions and configurati‐

ons“, deren Wesen sich im Bereich der Medizin besonders deutlich zeige (S. 1).

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Den großen Überblick über eine gesamt-kari‐

bische Medizingeschichte sucht man in diesem Band vergeblich; die Einleitung liefert nur einen knappen, wenn auch pointierten Ansatz hierzu.

Die Herausgeber wählen einen etwas anderen Zu‐

gang, indem sie zwölf Einzelstudien zu spezifi‐

schen Orten und Themen nebeneinander stellen.

Ein Eindruck von Kohärenz entsteht aus zweierlei Gründen. Zum einen werden nicht konsequent, aber weitgehend mindestens zwei Aufsätze zu ähnlichen Themen nebeneinander gestellt, so dass Vergleiche besser möglich sind und gleichzei‐

tig die Vielfalt der methodischen Zugriffe offenbar wird, die sich eher als Gewinn denn als störender Eklektizismus zeigt. Zum zweiten ziehen sich mehrere rote Fäden durch den Band. Durchge‐

hend wird ein weiter Begriff von Medizin ge‐

wählt, diese als kulturelles System, Wissenschaft, staatliches Machtinstrument in der Gesundheits‐

versorgung und alltägliche Praxis rivalisierender sozialer Gruppen verstanden. Die konfliktreiche, machtdurchzogene und (kolonial)staatlich vermit‐

telte Vermischung afrikanischer, süd- und ostasia‐

tischer, europäischer und schließlich US-amerika‐

nischer medizinischer Traditionen ist somit The‐

ma fast aller Beiträge. Die Geschlechtergeschichte wird in mehreren Beiträgen fokussiert, ebenso die Verschränkungen von moderner Medizin mit ras‐

sistischen Denksystemen.

Mehrere Aufsätze beschäftigen sich mit dem Status verschiedener Berufsgruppen und der Rol‐

le medizinischer Institutionen. Fast durchgehend werden hier Erklärungsansätze gewählt, in denen die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, politische Entwicklungen, soziale Verän‐

derungen und rassistische Strukturen in der Wis‐

senschaftskultur miteinander verbunden werden.

Trotz einer offensichtlich herausfordernden Quel‐

lensituation beschreibt Niklas Thode Jensen das Gesundheitswesen, das die dänische Kolonial‐

macht auf St. Croix zu Beginn des 19. Jahrhun‐

derts einführte. Das Interesse der Plantagenbesit‐

zer, nach dem britischen Verbot des Sklavenhan‐

dels die Kindersterblichkeit zu reduzieren, führte

zur Verstärkung medizinischer Bemühungen. Jen‐

sen fokussiert auf die Konflikte um ökonomischen Gewinn, Status, Autorität und Handlungsmacht zwischen den zertifizierten Ärzten und den nicht formal ausgebildeten Plantagen-Hebammen. Die Versuche der kolonialstaatlichen Institutionen, die Gesundheits- und insbesondere Geburtsprakti‐

ken der versklavten Frauen anhand europäischer Vorstellungen durch Zwang und Gewalt zu än‐

dern sowie deren Widerstand beschreibt Jensen als „a field in which a conflict between an Afro- Caribbean and a European perception and practi‐

ce of health played out“ (S. 33). Dass die Pläne der Regierung aufgrund der Sklavenaufstände in der britischen Karibik gestoppt wurden, stützt Jen‐

sens Interpretation des Gesundheitswesens auf St.

Croix als a „negotiation of power in which none of the parties were in charge, but all engaged in a continuous process of compromises and changes“

(S. 33).

Steven Palmer wählt in seinem Aufsatz „From the Plantation to the Academy“ einen stärker wis‐

senschaftshistorischen Ansatz. Überzeugend ar‐

beitet er heraus, wie Plantagenwirtschaft und Sklaverei den medizinischen „Fortschritt“ in Ha‐

vanna im 19. Jahrhundert beeinflussten und er‐

möglichten. Die Karibik des 19. Jahrhunderts gilt ihm als „Laboratorium“ oder auch „Klinik“ der Moderne, Havanna war eines ihrer reichsten Zen‐

tren. Palmer beschreibt die Ärzte als integralen und notwendigen Bestandteil eines Systems, das auf der rücksichtslosen körperlichen Ausbeutung von Arbeitskräften beruhte, da sie die Sterblich‐

keitsraten auf den Plantagen senkten. Anderer‐

seits waren es die Bedingungen auf den Planta‐

gen, die den Medizinern das „raw material“

(S. 54) für die Produktion medizinischen Wissens auf Kuba lieferten. Die meisten Wissenschaftler begannen ihre Karriere als Plantagenärzte, und ein Großteil der Menschenversuche wurde an Sklavinnen und Sklaven vorgenommen. Leider reflektiert Palmer nicht, dass diese Bedingungen auch über die Karibik hinaus teilweise galten, sein Argument der Einzigartigkeit dieser Region

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im Hinblick auf den Nexus von Sklaverei und Wissensproduktion also nur eingeschränkt gelten kann. Man vergleiche hierzu die Debatten um J.

Marion Sims, den US-amerikanischen „father of gynaecology“, dessen Versuche an versklavten Frauen mittlerweile in einer Reihe von Veröffent‐

lichungen diskutiert wurden, oder die Kontrover‐

sen um die Tuskegee-Syphilis-Studie. Palmers um‐

fassende Darstellung überzeugt aber insgesamt und seiner Forderung nach weiteren Studien zum Zusammenhang von „indigenous knowledge“ der Plantagenarbeiter und der medizinischen Wissen‐

sproduktion der Ärzte ist beizupflichten.

David Sowell wählt eine Langzeitperspektive auf die Entwicklung der Medizin in Yucatán, Me‐

xiko. Die rassistische Stratifizierung der medizini‐

schen Berufe und Praktiker durch die Spanier wird ab dem 16. Jahrhundert beschrieben; die Rhetorik von Rasse, Moderne und Fortschritt ver‐

band sich im Kampf um Autorität der universitär ausgebildeten, staatsnahen Biomediziner des 19.

Jahrhunderts dann zu einer erfolgreichen Strate‐

gie, die ihnen exklusive Rechte gegenüber indige‐

nen Heilern sicherte.

Eine ähnliche, wenn auch anders gelagerte Konkurrenzsituation beschreibt Nicole Trujillo- Pagán in ihrem Aufsatz über die „Politics of Pro‐

fessionalization“ der puerto-ricanischen Ärzte‐

schaft in der Transition von spanischer zu US- amerikanischer Herrschaft am Ende des 19. Jahr‐

hunderts. Während die Ärzteschaft als einheimi‐

sche Elite unter spanischer Herrschaft ihre pro‐

fessionelle Autorität und sozialpolitisches, koloni‐

alstaatskritisches Engagement eng miteinander verband, erforderte die veränderte politische Lage eine Neuausrichtung ihrer kollektiven Iden‐

tität. US-amerikanische Militärärzte übernahmen nun die Führungsrolle im Gesundheitswesen und drangen auf die Marginalisierung der puerto-rica‐

nischen Ärzte. Diese reagierten mit der Trennung von politischen Forderungen und beruflicher Identität; das Staatsverständnis der Ärzte verän‐

derte sich fundamental.

April J. Mayes‘ anschauliche Studie über die Regulierung von Prostitution in der Dominikani‐

schen Republik unter US-amerikanischer Besat‐

zung schließt hier gut an. Dominikanische Eliten und die US-Besatzungsmacht gerieten über die Frage, wie das „soziale Übel“ Prostitution am bes‐

ten reguliert werde, in Konflikt und machten das Thema zum „battleground“ (S. 122) um die Gestal‐

tung der dominikanischen Nation. Die US-Besat‐

zungsmacht setzte sich schlussendlich durch.

Aber die Kämpfe um die Regulierung von Prosti‐

tution trugen mit dazu bei, dass Gesundheitswe‐

sen und -politik allgemein zu einem Feld wurden, in dem dominikanische Eliten die Besatzungs‐

macht wiederholt herausforderten und ihre eige‐

nen Vorstellungen von sozialem Fortschritt arti‐

kulierten – dies, wie das Beispiel zeigt, immer wie‐

der auf dem Rücken (armer) Frauen.

Das Potential von Mikrostudien für eine Sozi‐

al- und Politikgeschichte der Medizin demons‐

triert Denise Challenger in ihrem Beitrag über die Einführung und Durchsetzung des Contagious Di‐

seases Act in Barbados. Sie ergänzt hier Philippa Levines Untersuchung über den CDA in großen Teilen des British Empire. Philippa Levine, Prosti‐

tution, Race and Politics: Policing Venereal Disea‐

se in the British Empire, London 2003. Auch hier fehlt die Karibik. Challenger verdeutlicht den Zu‐

sammenhang von Kolonialherrschaft, Medizin und Gewalt. Interessant ist ihre Beobachtung, dass die Abschaffung der Sklaverei, die viele Frau‐

en zumindest teilweise in (neue Formen der) Pro‐

stitution in den Städten führte, auch zu einer dis‐

kursiven Verschiebung führte: während der Kör‐

per der „Schwarzen Frau“ während der Sklaverei als passives, ausgebeutetes Objekt konzipiert wur‐

de, galt die „Schwarze Frau“ unter dem CDA als aktives und gefährliches Subjekt, das die briti‐

schen Soldaten infizierte und schädigte. Die „Mea‐

ning of Freedom“ (Thomas Holt) für die ehemali‐

gen Sklavinnen und Sklaven in der Karibik wurde bereits aus verschiedenen Richtungen befragt,

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und Challenger liefert hier eine wichtige Ergän‐

zung.

Den mittlerweile zahlreichen Studien zu den Programmen der Rockefeller Foundation in La‐

teinamerika und der Karibik fügt Rosmarijn Hoef‐

te eine weitere hinzu, indem sie die Hookworm- Kampagne auf Surinam untersucht. Als „rather unique“ in der Geschichte der Stiftung beschreibt sie, dass diese nach einem eindeutigen Misserfolg durch generell verweigerte Kooperation aller ein‐

heimischen Instanzen zum Rückzug blies. Steven Palmer hat in einer ganz neuen Monographie ar‐

gumentiert, dass die Erfolge und gerade die Miss‐

erfolge der Rockefeller Foundation in der Karibik diese Institution an sich in hohem Maße geprägt haben. Steven Palmer, Launching Global Health:

The Caribbean Odyssey of the Rockefeller Founda‐

tion, Ann Arbor 2010. Solche Erwägungen spielen bei Hoefte keine Rolle; interessant ist aber die bio‐

graphische Studie zu einer der wenigen Unterstüt‐

zerinnen der Arbeit der Foundation auf Surinam.

Der Band und seine Einzelbeiträge sind auf durchweg recht bis sehr hohem Niveau angesie‐

delt und die Lektüre ist für alle, die sich für kari‐

bische oder lateinamerikanische Medizinge‐

schichte interessieren empfehlenswert. Die Ver‐

bindung einer akteurszentrierten Geschichte mit wissenschaftsgeschichtlichen, sozial- und politik‐

historischen Perspektiven liefert interessante Er‐

gebnisse. Dass einzelne Beiträge (insbesondere der von David McBride über Arbeitsmedizin und Bauxitabbau in Jamaika) die Zäsur der staatlichen Souveränität in die Studie integrieren anstatt sie als Endpunkt zu setzen (wie es der Gesamtband tut, S. 11f), ist ein Gewinn. Bei der Vielfalt der Bei‐

träge leuchtet das Argument der Herausgeber, mit den staatlichen Unabhängigkeiten einen Schluss‐

punkt zu setzen, nicht ganz ein. Die Aufsätze de‐

monstrieren, wie gerade sozialgeschichtliche For‐

schungen dies schon seit vielen Jahren tun, dass die Relevanz politischer Zäsuren eines zweiten Blicks bedarf. Von dieser Ausweitung hätte der

Band profitiert; für den Zeitraum „1800-1968“ bie‐

tet er eine wichtige Bereicherung der Forschung.

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If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/

Citation: Claudia Prinz. Review of Wright, David; De Barros, Juanita; Palmer, Steven. Health and Medicine in the Circum-Caribbean, 1800-1968. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. October, 2011.

URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=34409

This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License.

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