• Keine Ergebnisse gefunden

Neue Gesichtspunkte auf dem Gebiete der

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Neue Gesichtspunkte auf dem Gebiete der"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

1680 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHEIFT.

Nr. 35

Neue Gesichtspunkte auf dem Gebiete der Sehnenüberpflanzung.')

Von Dr. A. Stoffel, Spezialarzt für orthopädischç Chirurgie inManriheim, unter Mitarbeit von Dr. E. Stoffe!, prakt. Aerztin.

Die Mißerfolge, die ich bei Sehnenübrpflanzungeri sah (ich überpflanzte bis Sommer 1912 nur nach der Nikoladoni- schen Methode), veranlaßten mich zu einer Reihe von Unter- suchungen, die ich im Laufe des letzten Jahres in Gemeinschaft

mit meiner Frau anstellte. Diese Untersuchungen förderten für uns manch Neues zutage und brachten einige Ueber- raschungen; manche Vorstellung, die ich von anderer Seite übernommen und an der ich jahrelang festgehalten hatte, da mir die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Nachprüfung fehlte, wurde als absolut falsch erkannt und mußte über Bord

geworfen werden.

Ich wurde vor allem darauf aufmerksam, auf welch unphysiologischen und unlogischen Prinzipien die Methode der Ueberpflanzung von Sehne auf Sehne aufgebaut

ist.

Die Resultate der Untersuchungen waren für mich von

1) Nach einem Vortrag auf dem Orthopiden-Kongreß, Berlin, Ostern 1913.

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

(2)

Verhältnis

zwischen Muskelbauch und Sehne etc. betrifft, nicht dic

geringste

Rücksicht

genommen wurde.

Man wird dann einsehen.

daß ein Muskel, den man aus allen seinen mechanischen Beziehungen herausreißt, den man unter Nicht- achtung seines Ursprunges, der Ver-

laufsrichtung seiner Muskelfasern

etc. einfach an einen anderen Platz hinstellt, in seiner neuen morpholo- gischen Form unmöglich die Funk- tion übernehmen kann, (lie man von ihm verlangt.

1. Man hat den M. M. flex. hail, long.

flexor hallucie longue

zum Ersatz des M. tibia-

lis anticue oder des M.

extensor digitorum longue durch dae Spa-

tium interosseum nach vorn geleitet (Fig. 1).

Gegen dieses Verfah-

Fig. 1.

M. flex. hall.

bug.

großer praktischer Bedeutung, sie haben meine ganze Technik der Sehnenüberpflanzung umgeändert, und nicht zum Schaden meiner Patienten. Auf einen Teil dieser Untersuchungen und auf meine darauf basierende

[Jeberpflanzungsmethode

sei nun näher eingegangen.

Bei der Auswahl des Kraftspenders hat man, soviel ich aus meinen Erfahrungen und aus der Literatur weiß, in der Hauptsache entweder nur darauf Rücksicht genommen, dat3 man einem gut erhaltenen Muskel, dessen Funktionsausfall verschmerzt werden konnte, die Rolle des Kraftspenders über- trug, oder man richtete sich allenfalls noch danach, daß der Kraftspender in der Nachbarschaft des gelähmten Muskels lag und womöglich funktionsverwandt mit ihm war.

Auf ein Moment, das mir sehr wichtig dünkt, hat man aber bisher keine Rücksicht genommen.

Wenn man an dem Unterschenkel einer Leiche die einzelnen Mus- kein betrachtet, so fällt einem sofort die große Verschiedenheit des morphologischen Baues der einzelnen Muskeln auf. Ort und Art des lJrsprunges, Bau, Länge und Dicke des Muskelbauches, Lange und Ver- laufsrichtung der Muskelfasern, Modus des Ueberganges vom Muskel- bauch zur Sehne, Bau, Länge, Dicke und Verlaufsrichtung der Sehne, Entfernung des Muskelursprunges vom Gelenk, Entfernung der Insertion vom Gelenk etc. etc. sind bei den einzelnen Muskeln völlig voneinander verschieden. Sie sind für jeden Muskel so typisch, daß der Kundige auch dann, wenn die Muskeln aus dem Körper entfernt und nebeneinander auf einen Tisch gelegt sind, jeden einzelnen Muskel bestimmen kann

Woher kommt nun die Verschiedenheit der morphologischen Be- schaffenheit der einzelnen Muskeln?

Der anatomische Bau eines Muskels Ist der Ausdruck

seiner Funktion. In der Morphologie des Muskels spiegeln sich die Aufgaben, die der Muskel zu erfüllen hat, wieder. Die Gründe, die zur Muskelsonderung führten, liegen klar. Sie sind entwicklungsmechanischer Natur. In dem Wettbewerb der einzelnen Muskelfasern um mglichst günstige Wirkungsweise werden günstiger verlaufende Fasern, die ver- möge ihies TJrsprunges, Verlaufes und Ansatzes eine besondere mechani- sehe Leistung übernehmen können, bevorzugt, und ungünstig gelegene Teile werden ausgeschaltet. Es findet also eine funktionelle Auslese der einzelnen Fasern statt.

Die Funktion wirkt mithin model-

lierend auf die Form des Muskels. Die Muskelfasern passen sich an die an sie gestellten Ansprüche an und formieren sich in ihrer Gesamt- heit zu einem Gebilde um, das eine ganz bestimmte Form erhält. Diese

Form stellt das Optimum an morphologischer Beschaffen- heit für die betreffende Funktion dar. Da nun die Funktionen

des Fußes mannigfach sind, so wird auch die morphologische Beschaffen- heit der diese Funktionen erfüllenden Muskeln mannigfach sein.

Wenn wir bei einer Sehnenüberpflanzung vor die Auf- gabe gestellt werden, einen Kraftspender auszuwählen, so wird

unsere Wahl auf den Muskel fallen, der auf Grund seines morpho-

logischen Baues am meisten dazu befähigt erscheint. Der best- geeignete Muskel oder besser gesagt derjenige, der auf Grund seines Baues als einziger der höchsten funktionellen Anforde- rung Genüge leisten konnte, ist ja unrettbar verloren. Er ist tota] gelähmt. Aber helfen kann uns der verloren gegangene Muskel immer noch. Er zeigt uns immer noch seinen anatomi- schen Bau und gibt uns dadurch Fingerzeige, die uns für die Auswahl desjenigen Muskels, der ihn ersetzen soll, sehr wert- voll sind. Wir müssen also bei jeder Sehnenüberpflanzung bei der großen Meisterin Natur anfragen, welche Prinzipien bei der Auswahl des Kraftspenders maßgebend sein müssen.

Nur derjenige Muskel, der auf Grund seines anatomi- schen Baues ähnliche Leistungen wie der gelähmte übernehmen kann, darf als Kraftspender Verwen- dung finden.

Bisher hat niemand auf diese Momente Rücksicht genommen,

um die Individualität der Muskeln hat sich niemand gekümmert. Ich stelle jetzt aber die Forderung

auf, bei der Auswahl des Kraftspenders dem in- dividuellen Wert der Muskeln, der in der Morpho- logie zum Ausdruck kommt, im weitesten Maße

Rechnung zu tragen.

Wenn ich hier von der Morphologie eitles Muskels spreche, so meine ich natürlich die Morphologie eines intakten Muskels, also eines Mus- kels, wie ihn die Natur gebaut hat. Künstliche Aenderungen z. B. seines Tlrsprunges können keine Berücksichtigung finden. Lösen wir die Muskel- ursprünge vom Knochen los, so erhalten wir ein viel beweglicheres Muskel- gebilde, dem aber durch die Vernichtung des Punetum fixum eines Teiles seiner Muskelfasern ein großer Schaden zugefügt wurde. Solche frei in der Luft schwebenden Muskeln karin man freilich nach allen Rich-

tungen hin leiten. Ob sie aber vollwertig funktionieren, das ist eine andere Sache. Da ich wie bei allen Operationen so auch hier auf dem

Standpunkte stehe, daß wir physiologisch arbeiten müssen, so

verlange ich auch für die Sehnenliberpflanzung, daß wir nur Muskeln als Kraftspender verwenden, die intakt gelassen sind. Aendern wir z. B.

die Ursprungsverhältnisse, dann schaffen wir einen geschädigten Muskel, der von vornherein seine Leistungsfiihigkeit teilweise eingebüßt hat.

Ich möchte nun an einigen Beispielen zeigen, wie bestimmte

Muskeln unter voller Berücksichtigung ihrer Individualität als Kraftspender benutzt werden können.

Wenn wir uns den Bau des M. extensoi hallucis longus,

der von der Membrana interossea und der Facies medialis fibulae, also von lateral gelegenen Teilen, entspringt, dessen Muskelfasern von pro- ximal und lateral nach distal und medial ziehen, dessen Endsehne von lateral nach medial strebt, vor Augen halten, so erkennen wir sofort,

daß der Muskel sich ausgezeichnet als Ersatz für den M. tibialis anticus eignet.

Schneiden wir den M. extensor hallucis longus peri- pher ab, ziehen ihn aus seinem Faszienfach heraus, leiten ihn durch das Faszienfach des M. tibialis antieus zur Insertionsstelle dieses Muskels, so haben wir eigentlich nur seine Endsehne ein wenig nach medial ver- lagert. Art dem Muskelursprung, der Verlaufsrichtung der Muskeffasern, an der Zugriehtung des ganzen Muskels wurde nichts oder fast nichts

geändert.

Aehnlich günstig liegen die Verhältnisse, wenn wir den M. ex -

tensor hallucis longus zum Ersatz des M. extentor digitorum

longus (inklusive M. peronaeus tertius) benutzen.

IN och besser als durch den M. extensor hallucis longus können

die Funktionen des M. extensor digitorum longus durch den

M. peronaeus longus übernommen werden. Wenn wir die Endsehne des M. peronaeus longus im lateralen Drittel der Planta pedis abschneiden, zur vorderen Muskelgruppe leiten und an der Basis ossis metatarsalis V befestigen, so kopiert der M. peronaeus longus in seinem Bau den M. ex- tensor digitorum longus in der auffallendsten Weise. Die distalen Fasern des M. peronaeus longus ahmen in ihrem Ursprung und in ihrer Verlauf s- richtung die Fasern des M. peronaeus tertius nach, während die pro- ximalen Anteile wie die Fasern des M. extensor digitorum im engeren Sinne ziehen. Mithin kann der M. peronaeus longus in seiner jetzigen Gestalt die Aufgaben, die den Mm. peronaeus tertius et extensor di- gitorum zukommen, voll und ganz übernehmen. Er ist auf Grund seines Baues dazu befähigt wie kein anderer Muskel. Ein wenig ungünstiger liegen die Verhältnisse, wenn der M. peronaeus longus auf den M. tibialis anticus verpflanzt wird, doch kann auch diese Ueberpflanzung nur befür- wertet werden. Mit diesen wenigen Beispielen muß ich mich heute begnügen.

Als Gegenbeispiele bringe ich nun einige Ueberpflanzungen,

bei denen auf den natürlichen Bau der Muskeln, vor allem was Ursprungsverhältnisse, Verlaufsrichtung der Muskelfasern, Zugrichtung des ganzen Muskels,

ren muß ich mehrere schwerwiegende Bedenken äußern. Der Muskel ent- springt sehr weit nach di- stal von der Fibula (Fig. 1).

Schont man nun dieMuskel-

ursprünge peinlichst, wie das unbedingt verlangt werden muß, da man nur auf diese Weise die volle Muskelkraft sich zunutze machen kann, so kann der Muskel nur unter erheblicher Knickung nach vorn gebracht werden. Eine

Der M. flexor hallucis longus ist zum Er- satz des gelähmten M. tibialis anticus durch das Spatium interosseum hindurchgezogen.

Diesem Verfahren haften sehr große Fehler an.

a = Ablösungsstelle des Muskels von der Fibula.

211

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

(3)

M. flex. hail. ong. .\i. peron.

brev.

1682 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSOHRIFT.

Nr. 35

dorsalfiektierende Wirkung kann der Muskel in dieser Gestalt nicht ent- falten. Lösen wir nun die ganze dist ale Hälfte des Muskelursprungs vom Knochen ab, so kann der Muskel immer noch nicht in einer geraden Linie ziehen, er erfährt vielmehr an der Passage durch die Menibrana interossea eine Ablenkung (Fig. 1). Hier reiben sich seine Muskelfasern bei jeder Kontraktion des Muskels. Damit haben wir aber einen ganz unphysiologischen Zustand geschaffen. Denn der Körper placiert regel- mäßig da, wo eine starke Druckwirkung zwischen Muskel und Unterlage stattfindet, Sehnen; die eigentlichen Muskelfasern müssen vor stär- keren seitlichen Einwirkungen mög]ichst geschützt sein. Trotzdem wir also, um eine einigermaßen günstige Verlaufsrichtung des Kraft- spenders zu erhalten, die Hälfte des Muskeluraprunges vom Knochen losgelöst und damit einen beträchtlichen Teil der Muskelkraft geopfert haben, ist es uns nicht möglich, Verhältnisse zu schaffen, die auch nur

Fig. 2. Fig. 3.

aa

Der M. flex, hail. long, ist zum Ersatz des gelähmten M. tib. ant.

über die mediale Fläche der Tibia hin- weg zum M. tib. ant, geleitet. Der Muskel verläuft jetzt in einer Spiral- linie, hat also eine ganz andere Zug- richtung als früher, Das Schlimmste aber ist, daß man, um eine einiger- maßen parallele Verlaufsrichtung der gesunden und der gelähmten Sehne zu sichern, genötigt ist, vier Fünftel des Muskelursprunges zu opfern (a-5:

die Ablösungsstelle von der Fibula).

Dadurch wird aber die Leistungs- fähigkeit des Muskels ungeheuer ein- geschränkt. Der M. flex. hall. long.

kann in dieser Weise keine Verwen- dung zum Ersatze des M. fib, ant, finden.

Das Modell stellt eIne Transplantation des M. peron. brev, auf dem M. fib. ant, dar.

Werden die Ursprünge des M. peron. brev.

peinhichst geschont, wie das zur Erhaltung der vollen Muskelkraft gefordert werden muß, dann erhält der Kraftspender eine sehr erheb- liche Abknickung und eine ganz falsche Zug- richtung. Eine dorsalf lektierende Wirkung kann er nicht entfalten. Der M. peron. brev. eignet sich daher nicht zum Ersatz des M. tib. anticus.

halbwegs den Forderungen der Physiologie und Mechanik der Muskeln Rechnung tragen.

Schuld an allem trägt die

Morphologie des Muskels, die es dem Muskel unmöglich macht, unter diesen neuen Bedingungen zu arbeiten. Der M. flexor halluci

longus ist auf Grund seines Baues zum Durchführen durch die Membrana interossea unbrauchbar.

Es erscheint mir überhaupt sehr fraglich, ob man berechtigt ist, einen Muskel durch das Spatium hindurchzuleiten. Ganz abgesehen davon, daß da Schaffen des Fensters und das Durchführen des Muskels nichts weniger als ein eleganter Eingriff ist, daß der Muskel durch Nachbar- muskeln gedrückt wird, daß das Spatium zu eng ist, daß es unbedingt zu Verwachsungen kommen muß etc. etc., tauchen für mich deswegen Bedenken auf, weil nirgends in der Tierreihe ein Muskel existiert, der durch das Spatium interosseum hindurchtritt. Hochwichtige Gründe, die vor allem in dem Fehlen einer frontal gestellten Knochenursprungs- fläche gipfeln, werden die Natur davon abgehalten haben, einen Muskel in dieser Weise verlaufen zu lassen. Und das sollten wir uns zur Lehre dienen lassen und sollten uns davor hüten, die vornehmsten Gesetze der Muskelbiologie und -physiologie mit Füßen tretend, die Muskeln in neue, unnatfirliche Fahrstraßen zu lenken.

Was hier für den M. flexor hallucis gesagt ist, gilt auch im großen und gänzen für den M. extensor hallucis longus, den man durch das Spatiurn nach hinten geführt hat,

Ein weiteres Beispiel. Man hat den M. flexor hallucis longus über die mediale Fläche der Tibia hinweg zum M. tibialis anticus ge- leitet und hat ihn, wie man aus einer in der Literatur existierenden Zeichnung ersehen kann, eine Verlaufsrichtung, die einer Spiraltour ähnelt, gegeben (Fig. 2). Zu dieser Verlaufsrichtung ist man gezwungen, damit die Sehne des Kraftspenders einigermaßen parallel zu der Sehne

des gelähmten Muskels verläuft. Eine derartige Verlaufsrichtung kann man aber dem M. flexor hallucis nur dann geben, wenn man vier Fünftel seines Ursprunges opfert. Auf Fig. 2 sieht man die Ausdehnung der Ablösung von der Fibula. Es steht also nur das proximale Fünftel des Muskels mit dem Knochen in Zusammenhang, der Rest des Muskels ist ohne Punctum fixum und hängt sozusagen in der Luft. Eine kraf t- volle Aktion des Muskels ist ausgeschlossen.

Wir haben also beim M. flexor hallucis, der zum Ersatz des M. tibi- alis anticus herangezogen werden soll, zwei Möglichkeiten: entweder schonen wir den Muskelursprung vollständig, erhalten dann aber eine fehlerhafte Zugrichtung des maßgebenden Endstückes, oder wir mo- bilisieren den Muskel hoch hinauf, um eben eine gute Zugrichtung der Endsehne zu erzielen, schädigen dann aber den Muskel erheblich. Wie wir uns also drehen und wenden wollen, niemals werden wir den natür-

Fig. 4.

M. peron. long.

(abgeschnitten)

Ablösungsstelle M. flex, hail.

Das Modell stellt eine Transplantation des M. p e-

roo, brevis auf den M. tibialis anticus dar.

Um dem Kraftspender eine einigermaßen günstige Verlaufsrichtung zu geben, wurde über die Hälfte des Muskelursprungs von der Fibula losgelöst.

Damit ist aber eine so erhebliche Herabsetzung der Muskelenergie gegeben, daß von einem Ersatz des M. tibialis anticus durch den M. peronaeus

brevis abgeraten werden muß.

lichen Gesetzen gerecht, da der M. flexor hallucis seinem Bau nach sich zu derartigen Experimenten in keiner Weise eignet. Ganz anders läge die Sache, wenn der Muskel einen weit proximal gelegenen kurzen, kräf- tigen Muskelbauch und eine lange Endsehne besäße. Dann könnte man,

ohne Schaden zu setzen, hoch hinauf mobilisieren.

Unter gleichem Gesichtswinkel ist die Transplantation des

M. peronaeus brevis auf den M. tibialis anticus zu betrachten.

Bei völliger Schonung der Muskelursprünge kann der Muskel nur unter starker Ahknickung und absolut falscher Zugrichtung seiner Endsehne verlagert werden (Fig. 3). Gibt man der Endsehne eine einigermaßen bessere Zugrichtung, dann muß mehr als die Hälfte des Muskelursprungs abgelöst werden (Fig. 4). Es existiert in der Literatur eine Abbildung, die illustrieren soll, wie der M. peronaeus brevis auf den M. tibialis anticus transplantiert werden muß. Beide Sehnen haben auf dem Bilde fast parallelen Verlauf. Das sieht sehr hübsch aus. Sucht man aber an der Leiche einen derartigen Verlauf des M. peronaeus brevis herzustellen, dann muß man den Muskel bis auf seine letzten proximalen Fasern vom Knochen ablösen. Eine starke Reduzierung der Leistungsfähigkeit des Muskels ist die unbedingte Folge eines derartigen Vorgehens. Der M. peronaeus brevis eignet sich eben für den Ersatz des M. tibialis anticus nicht.

Aus diesen wenigen Beispielen, denen ich noch mehrere hinzufügen könnte, geht, glaube ich, in überzeugender Weise

hervor, daß meine Forderung, bei der Auswahl des Kraftspenders

muskelmorphologische Prinzipien walten zu lassen, mit vollem Recht aufgestellt ist. Das sollen auch die Modelle, die ich in meinem Laboratorium anfertigen ließ, zum Ausdruck bringen (Fig. 1-4).

Ich komme nun zu etwas anderem.

Voit enormer Wichtigkeit für das Resultat einer Sehnen-

überpflanzung ist die Frage, welchen Grad von Span-

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

(4)

28. August 1913.

nung der Kraftspender bei der Ueberpflanzung er-.

halten muß.

Bis Sommer 1912 hatte ich die Anspannung so gewählt, wie ich es in der Orthopädischen Operationsiehre mehrmals beschrieben und ab- gebildet habe. Es ist z. B. hei der Quadrizepsplastik zu ieen: ,,Bei der Vernähung (der Kraftspender und des gelähmten M. quadriceps) gehen

wir von dem Prinzip aus, dem Kraftspender eine sehr starke Spannung zu geben So rückt die Patella nach proximal, der Kraft.

spender nach distal und daraus resultiert eine äußerst starke Spannung des letzteren. " In jedem Falle soll nach meiner damaligen Anschauung die Spannung so erheblich sein, daß nach vollendeter Ueberpflanzung das Glied durch die erzielte Sehnenspannung in Mittelstellung oder in leichter Ueberkorrektur ohne Unterstützung stehen bleibt und daß die Sehne des überpflanzten Muskels als Kulisse unter der Haut sicht-

bar wird.

Dieses Vorgehen muß ich heute auf Grund meiner physiologischen Studien und auf Grund von praktischen Erfahrungen als absolut falsch bezeichnen.

Wenn wir eine Antwort auf die Frage, welche Spannung bei der Sehnenüberpflanzung dem Kraftspender erteilt werden muß, haben wollen, so wenden wir uns am besten an die Natur und sehen einmal zu, unter welchem Grad von Spannung ie die Muskeln angeheftet hat. Und wir kommen dann bald zu dem Resultat, daß die Muskeln unter ganz geringer Spannung sich befinden. Der nicht gereizte, also ruhende Muskel, ist ein schlaffes Gebilde, das mit ganz geringer Spannung zwischen seiner Ursprungs- und Insertionsstelle aufgehängt ist. Bringt man den Fuß eines Lebenden passiv in extreme Plantarflexion, sodaß also die In.

sertionspunkte der Dorsalflektoren des Fußes möglichst weit voneinander entfernt werden, so sieht man trotzdem nirgends eine Sehnenkulisse vorpringen. Die Muskeln sind viel zu schlaff zwischen ihren Bof estigungs.

stellen ausgespannt, als daß sie ihre Form, speziell die der Sehne, durch die Haut hindurch nach außen zum Ausdruck bringen könnten. Ganz

anders liegt der Fall, wenn bei einer Sehnenilberpflanzung nach der Ni k o I a do ni chen Methode eineni der Dorsalflektoren eine Spannung verliehen wurde. Bringt man einen derartig operierten Fuß direkt nach der Operation in Plantarfiexion, dann sieht man die Sehne des Muskels, der zu kurz gehalten, also angespannt wurde, mächtig unter der Haut . vorspringen. Dadurch ist ein starker Kontrast zwischen dem Verhalten

normaler und nach gewissen Prinzipien operierter Muskeln gegeben.

Noch klarer sehen wir, wenn wir uns bei einer Operation die Muskeln freilegen und auf ihre Spannung hin prüfen, ein Experiment, das ich jedem, der eine Sehnenilberpflanzung ausführt, dringend empfehlen kann. Wir konstatieren dann sofort, daß der nicht gereizte Muskel ein schlaffes Gebilde ist, das nur eine äußerst geringe Spannung aufweist.

Wir können den Muskel mit der Pinzette hochheben und nach allen Seiten ziehen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Auch dann, wenn wir die Anheftungsstellen möglichst weit voneinander entfernen, ist keine ausgesprochene Spannung im Muskel zu verzeichnen. Schneidet man die Sehne des Muskels entzwei, dann retrahiert sich der proximale Stumpf nur um ein Geringes.

Ganz anders liegen aber die Verhältnisse, wenn man nach einer vollendeten Sehnenüberpflanzung, bei der der Kraftspender so angespannt wurde, daß der Fuß in korrigierter Stellung stehen bleibt, an dem über.

pflanzten Muskel mit der Pinzette zieht. Der Muskel folgt dem Zuge der Pinzette nicht, er verhält sich wie ein stark angespanntes Gummi- band. Würde man seine Sehnen abtrennen, dann wurde sich der Muskel

stark retrahieren, und zwar so weit, bis er seine physiologische Spannung wieder innehätte.

Wir können also sagen, daß der Muskel unter physiologischen Bedingungen das, was wir praktisch unter Spannung verstehen, nicht besitzt.

Versuchen wir nun experimentell zu ergründen, wie der Muskel darauf reagiert, wenn wir ihn unter Sparmung setzen.

Auf die einzelnen Experimente, die ich vor allen Dingen bei Ope- rationen am Menschen anstellte, kann ich hier nicht näher eingehen.

Ich möchte hier nur das Resumee dieser Experimente mitteilen, und das lautet folgendermaßen: Es gibt sehr enge Beziehungen zwischen den elastischen und den kontraktilen Kräften des Muskels. Alle Eingriffe, die den tätigen Muskel elastisch beeinflussen, wirken auf die kontraktilen Kräfte stark modifizierend ein. Reizt man einen menschlichen oder tierischen Muskel, der sich unter physiologischer Spannung befindet, mit dem elektrischen Strom, dann sieht man, daß der Muskel sich um einen bestimmten Wert verkürzt. Bringt man nun den Muskel bei Be- ginn der Zuckung unter eine bestimmte Anspannung, d. h., dehnt man ihn auf einige Minuten um ein bestimmtes Maß und läßt ihn dann frei, dami bemerkt man bei der sofort einsetzenden elektrischen Reizung, daß die Verkürzung stets geringer ausfällt als bei dem ersten Experiment.

Sehr schön kann man das an langfaserigen Muskeln, z. B. an dem M. sar- torius anläßlich einer Quadrizepsplastik, studieren. Schon eine kurz dau- ernde und mäßige Dehnung genügt, um die Verkürzung in geringerem Grade und träger ablaufen zu lassen. Bringt man den Muskel in seine physiologische Spannung zurück, sodaß er die Zuckung mit geringerer Spannung beginnt, so erzielt man eine energische und rasch ablaufende

Verkürzung.

Die Experimente ergeben die Tatsache, daß ein ge.

spanntcr Muskel mit der fortschreitenden Vermehrung der Spannung immer weniger befähigt ist, Verkürzungen zu leisten.

Diese Tatsachen müssen bei Sehnenüberpflanzungen un- bedingt Beachtung finden. Wenn schon eine kurz dauernde Dehnung des Muskels genügt, um seine kontraktilen Fähig- keiten herabzumindern, wievielmehr muß eine Beanspruchung der elastischen Elemente auf die Dauer von Wochen und

Monaten schädigend einwirken !

Wir dürfen den Kraftspender, wollen wir seine Verkürzungsfähigkeit nicht reduzieren oder gar auslöschen, unter keinen Umständen unter eine stärkere Spannung versetzen, sondern müssen ihn unter absolut physiologischer Spannung anheften. Nur dann ist er befähigt, hohe Verkürzungswerte zu schaffen, nur dann kann er den betreffenden Gliedabschnitt kraftvoll in Bewegung

setzen.

Ich habe bisher immer das in diesem Sinne physiologisch nicht ganz korrekte Wort ,,Spannung des Muskels" gebraucht, ich möchte es er- setzen durch Länge des Muskels". Der nicht gereizte und über das physio- logische Maß nicht gedehnte Muskel besitzt immer eine bestimmte Länge;

wird er gedehnt, so wächst seine Länge, wird er gereizt, so vermindert sich seine Länge.

Jeder Muskel hat eine bestimmte Länge, die den physio- logischen Aufgaben, die er zu erfüllen hat, angepaßt ist.

Wird

seine Länge geändert, dann resultiert daraus ein erheblicher Umschwung seiner Lebensäußerungen. Benutzen wir den Muskel bei einer Sehnenüberpflanzung, dann müssen wir ihm seine physiologische Länge erhalten. Ich

kann hier auf Einzelheiten nicht eingehen und will nur an der Hand eines Beispieles den Gedanken näher erläutern:

Bei einer Quadrizepsplastik sollen einige Muskeln zum Ersatz des gelähmten Unterschenkelstreckers herangezogen werden. Die Mm.

sartorius, gracilis, semitendinosus, semimembranosus et biceps stehen zur Verfügung. Von der Voraussetzung ausgehend, daß alle Kraftspender hart an ihrer Insertion abgetrennt werden, bestimmen wir fur jedeis Muskel seine Länge. Wir finden dabei, daß z. B. der M. semitendinosus, der an der Tuberositas tibiae endet, eine größere Länge besitzt als der M. semimembranosus, der schon am Condylus tibiae seine Befestigung findet. Der M. sartorius hat eine bedeutend größere Länge als der M. bi-

ceps etc. Uebertragen wir nun diese Längen auf die Strecken Tuber ischiadicum - Quadriceps, resp. Spina anterior - Quadriceps, resp.

Os pubis - Quadriceps, so werden wir am Quadriceps mehrere Punkte, die in verschiedener Höhe liegen, bestimmen können. Jeder Muskel darf nur bi zu seine m Punkte und nicht weiter nach abwärts geleitet werden, sonst wird er auf Spannung beansprucht. Es ist daher falsch, wenn alle Muskeln an eine m Punkte, z. B. an der Patella, vernäht werden.

Wenn in der Orthopädischen Operationslehre zu lesen ist, daß die in Betracht kommenden Muskeln einer wie der andere mindestens bis zur Mitte der Patella, ja teilweise sogar bis zum Ligamentum patellae proprium hinabgeleitet werden können und daß man bei der Naht von dem Prinzip auszugehen hat, dem Kraftspender eine sehr starke Spannung zu geben, so muß ich heute diese Worte widerrufen.

In ähnlicher Weise, wie hier für die Quadrizepsplastik ausgeführt wurde, können wir für alle Muskeln die physio- logische Länge und die Stelle, an der sie bei der Ueberpflanzung Befestigung finden müssen resp. die Stelle ihrer Sehne, an der die Befestigung vorgenommen werden muß, ermitteln.

Weitere Studien über diesen Punkt sind im Gang.

Bei einer Sehnenüberpflanzung warten unserer oft zwei

Aufgaben:

die eine besteht darin, daß der gelähmte Muskel durch einen gesunden ersetzt werden soll, die andere hat die Beseitigung der Deformität zum Gegenstand.

Bei einer Lähmung des M. tibialis anticus z. B. ist neben dem Ersatz des gelähmten Muskels der Knickplattfuß zu korrigieren. Beide Aufgaben hat man, das gilt in erster Linie für die Ni colado ni sehe Me- thode, durch einen Eingriff, nämlich durch die Ueberpflanzung selbst lösen zu können geglaubt. Man hat, um bei unserem Beispiel zu bleiben, die Sehne des M. extensor hallucis auf die des M. tibialis anticus gesetzt und beide Muskeln unter einer derartigen Spannung miteinander ver- bunden, daß der Fuß, der eventuell vorher schon redressiert war, nicht mehr in die alte falsche Stellung sinken konnte. In der Orthopädischen Operationslehre heißt es: Von größter Wichtigkeit ist es, daß nach vollbrachter Ueberpflanzung das Glied durch die erzielte Sehnenspannung in Mittelstellung oder leichter Ueberkorrektur oh ne Unterstützung stehen bleibt."

Dem M. extensor hallucis werden also durch die Ueberpflanzung zwei Aufgaben zudiktiert: erstens soll er die Funktion des M. tibialis

211 *

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

(5)

anticus übernehmen, kontraktile Eigenschaften also entfalten, und zweitens soll er durch die Spannung, die man ihm zuteil werden ließ, den Fuß in korrigierter Stellung festhalten.

Dieses Vorgehen muß ich nach meinem heutigen Wissen als falsch bezeichnen. Denn das Eine schließt das Andere aus.

Ich habe vorhin schon auseinandergesetzt, daß ein Muskel nicht angespannt werden darf. Wenn wir einen Muskel derart unter Spannung setzen, daß er den Fuß in korrigierter Stellung festhalten kann, so schädigen wir die kontraktilen Elemente des Muskels ungeheuer und berauben sie der Fithigkeit, Ver- kürzungen zu leisten. Es widerspricht vollkommen dem Wesen, den Eigenschaften des Muskels, Spannung auf 1ingere Zeit leisten zu können. Er ist dazu absolut ungeeignet. Ein Ge- bilde, bei dem die Hauptbestandteile, nämlich die kontraktilen Elemente, bei Beanspruehung der elastischen Elemente eine ganz außerordentliche Schädigung erfahren, kann zur Sicherung einer verloren gegangenen Gliederform nicht herangezogen

werden.

Aber wir müssen bei einer Sehnenüberpflanzung eine bestehende Fußdeformität korrigieren und in Korrektur fest-

halten.

Wie werden wir dieser Forderung gerecht l

Ich will nun schildern, wie ich jetzt eine Sehnenüber- pflanzung ausführe und dabei den verschiedenen Postulaten, die ich aufstellte, gerecht werde. Um es kurz zu rekapitulieren,

so verlange ich folgendes : 1 . bei der Auswahl des Kraftspenders

der Morphologie der Muskeln Rechnung zu tragen ; - 2. dem Kraftspender eine absolut physiologische Länge zu geben, eine Anspannung des Muskels also zu vermeiden; - 3. die Sicherung der Gliederform nicht dem Kraftspender, der sich dazu garnicht eignet, zu übertragen.

Ich schicke voraus, daß ich von der Nikoladonischen Methode, der Teberpflanzung von Sehne auf Sehne, ganz ab- gekommen bin, da der Methode große Fehler anhaften, die mangelhafte Resultate nach sich ziehen. Einige dieser Fehler habe ich in Vorstehendem schon besprochen, die anderen sollen in einer späteren Arbeit nach Abschluß der nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen kritisch beleuchtet werden.

Ich überpflanze jetzt periöstal und lehne mich, was

die Art der Durchführung der Sehne betrifft, an andere Autoren an, betone aber, daß in anderen, sehr wichtigen Punkten mein Verfahren sich von den bisher geübten ganz bedeutend unter-

scheidet.

Als Paradigma sei wieder eine Läh mung des M. tibialis anticus gewählt. Der M. extensor hallucis longus, der sich in seiner morphologi- schen Form ausgezeichnet zur Deckung des M. tibialis anticus eignet, sei als Kraftspender auserwählt.

Zuerst gilt es, die Fußdeformität zu korrigieren und den Fuß in Korrektur festzuhalten. Zu diesem Zwecke wandle ich die Sehne des gelähmten M. tibialis anticus in ein künstliches Ligament um. Die Sehne wird so stark angespannt, daß der Fuß leicht überkorrigiert steht, und nun wird die Sehne an das Periost der Tibia und die Fascia cruris befestigt. Diese Befestigung geschieht möglichst distal, um die Länge des Ligamentes zu reduzieren und dadurch seine Zugfestigkeit zu er- höhen.

Jetzt erst, nachdem der Fuß absolut fest und sicher in der Kor- rektur steht, wird die IJeberpflanzung vorgenommen. Die Sehne des M. extensor hallucis wird auf dem Fußrücken abgeschnitten, aus der TJnterschenkelwunde herausgezogen, durch das Faszienfach des M. tibi- alis anticus durchgeführt und zur Insertion des M. tibialis anticus geleitet.

Nachdem ich mich überzeugt habe, daß der M. extensor hallucis unter einer physiologischen Anspannung sich befindet, wird die Sehne mit der Insertion des M. tibialis anticus verbunden, wobei die Nadel durch Periostteile hindurchgeht.

Auf diese Weise haben wir nun einen neuen Muskel geschaffen, der seinem Bau nach die Funktion des gelähmten übernehmen kann, der seine physiologische Länge besitzt und der mit der Erhaltung der Fußforni nicht das Geringste zu tun hat, seine kontraktilen Kräfte also sofort nach der LTeberpflanzung in Aktion treten lassen kann.

Mein Verfahren besteht also aus zwei Akten: der Schaffung der richtigen Fußform durch die Bänderplastik und dem Er- satz des gelähmten Muskels durch die Ueberpflanzung.

Der

erste Akt der Operation beschäftigt sich nur mit Gebilden, die einigermaßen dazu geeignet sind, den Fuß in korrigierter

Stellung zu halten; im zweiten Akt der Operation werden nur Gebilde behandelt, deren kontraktile Eigenschaften ausgenutzt

werden sollen.

In analoger Weise verfahre ich beim paralytischen Klump-,

Spitz- und Hackenfuß. Auf die spezielle Technik kann ich hier nicht näher eingehen.

Ich habe ungefähr ein halbes Hundert Transplantationen nach meiner Methode ausgeführt und war mit den Resultaten ganz außerordentlich zufrieden. Auf jeden Fall überragen meine jetzigen Resultate die früheren, mit der Nikoladonischen Methode erzielten ganz gewaltig.

Wenn von einem guten Erfolge einer Sehnenüberpflanzung die Rede sein soll, so verlange ich, daß der überpflanzte Muskel bei seinen aktiven Kontraktionen sieht- und fühlbar unter der Haut vorspringt, daß ddr Muskel isoliert in Tätigkeit gesetzt werden kann, daß das Glied also durch die Kontraktion dieses Muskels in die neue Stellung gebracht und darin festgehalten werden kann und daß die Deformität beseitigt ist. Bei einer

Qu.adrizepsplastik z. B.

müssen die überpflanzten Beuger, wenn sie in Tätigkeit gesetzt werden, als dicke Wülste unter der Haut vorspringen, die Patella muß durch diese Muskeln kräftig in die Höhe gezogen werden, der Unterschenkel muß aus der Beugensteilung in der Luft völlig gestreckt werden können (Fig. 5). Wird durch die Sehnenüberpflanzung nur

Fig. 5.

O. H., 7 J., schwere Kinderlähmung, u. a.Lähmung d. r. M. quadriceps. Nach der Operation (Transplantation der Mm. sartorius, semitendinosus und biceps auf den total gelähmten M. quadriceps). Das Kind streckt den Unterschenkel mit großer Kraft bis zur Geraden. Die überpflanzten Muskeln springen bei

der Kontraktion wulstartig vor.

eine Art Fixation des Gliedes in besserer Stellung erzeugt, sind nur mäßige oder keine selbständigen Kontraktionen

möglich, die nur einen geringen oder gar keinen Bewegungseffekt hervor-

bringen, so bezeichne ich das als schlechtes Resultat einer

Sehnenüberpflanzung.

Derartige Resultate erlebte ich nicht selten mit der Nikoladonischen Methode.

Ich möchte noch einige Worte über die operative Be- handlung von überdehnten Muskeln einfügen.

Um

einen überdehnten Muskel in richtige Spannungsverhältnisse zurückzuversetzen, hat man ihn verkürzt, wobei ich wiederum anf die orthopädische Operationslehre verweise. Man hat

z. B. bei einem paralytischen Klumpfuß nach dem Redressement

die beiden Mm peronaei, die nicht gelähmt, sondern nur über- dehnt waren, stark verkürzt und glaubte dadurch den über- dehuten Muskeln die natürliche Spannung wiederzugeben.

Dieses Vorgehen muß ich als falsch bezeichnen.

Wenn

ein Fuß allmählich in Varusstellung sinkt und dabei die Mm.

peronaei immer mehr gedehnt werden, so geht die Verlängerung dieser nicht gelähmten Muskeln im Bereiche des Muskel- bauches vor sich. Die Sehnen der Muskeln werden in ganz geringem Maße oder vielleicht garnicht verlängert. Der Muskel- bauch wird also verlängert, gedehnt, und dadurch wird das Kontraktionsvermögen der Muskeln so ungeheuer herabgesetzt.

Redressieren wir nun diesen Klumpfuß und betrachten die Mm. peronaei in der offenen Wunde, so sehen wir, daß sie in der neuen Fußstellung als zu lang imponieren. Nichts ist nun verkehrter, als diese Muskeln zu verkürzen.

Denn dadurch bringen wir ja den Muskelbauch wieder unter die nämliche verderbenbringende Anspan-

1684 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSOHRIFT.

Nr. 35

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

(6)

28. August 1918.

flung, der er während des Bestehens der Deformität ausgesetzt war. Ergo dürfen wir den Muskel nicht ver- kürzen, sondern müssen ihn intakt lassen.

Ich gehe bei Ueberdehnung eines gesunden Muskels folgen- dermaßen vor :

Ich reize in der Wunde den Muskelbauch mit einem stärkeren elektrischen Strom. Der Muskel zieht sich zusammen und gleicht dadurch schon zu einem großen Teil die Verlängerung aus. Von selbst wird er nun in der neuen

Fußstellung seine physiologische Länge wiederherstellen, wobei

ich ihn durch bald nach der Operation einsetzendes Elektri- sieren unterstütze. In einigen Fällen habe ich bei der Operation an die Nervenbahn des Muskels einen dünnen Metalldraht angeschlossen, den ich aus der Wunde und dem Gipsverbande

herausleitete.

Dieser Draht wird mehrmals am Tage mit der Kathode in Verbindung gebracht und bleibt zehn bis zwölf

Tage liegen.

Nur auf diese Weise ist die natürliche Länge des Muskels,

die

für energisches Funktionieren unbedingtes

Erfordernis

ist, herzustellen. Alle anderen Eingriffe sind verboten.

Auf keinen Fall darf der überdehnte Muskel zur Wieder- herstellung der normalen Fußform herangezogen werden. Wenn es z. B. bei einem Klumpfuß wünschenswert ist, die neue Fuß-

form zu sichern, so dürfen die Mm. peronaei, die man zu diesem

Zwecke maximal verkürzt hat, dazu nicht benutzt werden, sondern wir müssen diese Aufgabe Bändern übertragen. In unserem Falle wird sich z. B. ein künstliches Band empfehlen, das analog der Sehne des wichtigsten Pronators, des M. pero- naeus brevis, zieht, also zwischen Metatarsus V und Fibula ausgespannt ist.

Schließlich möchte ich noch einer Maßnahme, die mir würdig scheint,

in

die Operationstechnik der Sehnenüber- pflanzung aufgenommen zu werden, einige wenige Worte wid- men, und zwar ist dies die elektrische Untersuchung der Muskeln während der Operation. Wir wissen, daß das Muskelkolorit nicht immer als Index für die Gute des Muskels gelten kann. Um nun ganz sicher zu sehen, in welchem Grade ein Muskel kontraktionsfähig ist, untersuche ich ihn während der Operation mit dem elektrischen Strom, indem ich

den Muskel selbst oder seine freigelegte Nervenbahn mit der Nadelelektrode, die ich für Nervenuntersuchungen angegeben habe, berühre. Erst dann, wenn die in Betracht kommenden Muskeln mittels des elektrischen Stromes geprüft sind, stelle ich den Operationspian auf. Ich bin dann sicher, daß der oder die Muskeln, die als Kraftspender ausgewählt sind, auch wirk- lich leistungsfähig sind. Ich möchte bei keiner Sehnenüber- pflanzung den elektrischen Strom missen und betrachte ihn als unentbehrliches Hilfsmittel für eine exakte Muskeldiagnose.

Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE