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Vortrag vor LeiterInnen der "Exerzitien im Alltag"

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Jesus Christus – Tür zum Leben in Fülle Exerzitien im Alltag

31. Jänner 2015

Leben in Fülle

Leben, leben wollen die Leute schon. Ich will doch etwas vom Leben haben, hat mir vor kurzem einer gesagt, der nie mit seinen Finanzen auskommt. Ich will endlich le- ben, eine Frau, die es in der Ehe und in der Familie nicht mehr aushält, als Korsett empfindet. Ich möchte einmal richtig leben, mich ausleben. Das Wort Leben hat ei- nen guten Klang. Auch vital, biologisch, life, vita haben in der Werbung, die ja sehr nahe an den Gefühlen der Leute ist, Konjunktur. Und doch ist es nicht so einfach, das richtige, das gute Leben zu finden und zu leben. Manche machen sich und ande- re vor lauter Hunger und Durst nach Leben kaputt. Das Individuum „erfährt den Dop- pelsinn, der in dem lag, was es tat, nämlich sein Leben sich genommen zu haben; es nahm sich das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod.“ (G.F.W. Hegel)

„Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein und ausgehen und Weise finden. … ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10,9-10) Im Glauben nimmt der Christ teil an der Vorliebe Gottes für Mensch und Welt (Weish 11,23-26; Dtn 30,15-20; Joh 10,10; 2 Kor 1,20; 2 Kor 8,9). Glauben ist Hören und Annehmen des endgültigen Ja Wortes, der irrever- siblen Zusage. Die christliche Botschaft ist biophil, sie ist eine Chiffre für schöpferi- sche Lebensfreundlichkeit. Die Bejahung ist der Grundakt des christlichen Kultes:

Amen, Alleluja, eucharistia. Die Frucht des Festes ist Geschenk. Deshalb gibt es auch „Glückwünsche“, Segenswünsche und „Alles Gute“ zum Fest. „Wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt.“ (Eph 1,12) Der Mensch ist geschaffen, Gott zu lo- ben? Wer würde auf die Fragen: Wozu sind wir da? Wozu sind wir auf Erden? Was ist der Sinn des Lebens?, mit dieser Antwort kommen. Lebenssinn soll in der Ver- herrlichung, im Lob Gottes liegen? Loben bedeutet im Geist der Hl. Schrift verherrli- chen, preisen, bekennen als Ausdruck der Bewunderung vor der Herrlichkeit Gottes.

Er schafft im Herzen des Menschen Freude, die im Lob überströmt. Solche Freude ist dann die Stärke des Menschen (Neh 8,10).

Loben entspringt der Liebe und der Freude. In unseren sprachlichen Wurzeln gehö-

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ren lieben, loben, glauben und leben zusammen. Das Lob ist Sprache des Glaubens.

Gott ist ja nicht zuerst ein moralischer Imperator, kein Peitschenknaller, kein Über- wacher. Gott ist kein Vampir, der dem Menschen den Lebenssaft aussaugt. Er ist kein Rivale und kein Konkurrent des Menschen. Im Gegenteil: Er ist ein Freund und Liebhaber des Lebens (Weish 11, 26). Jesus ist gekommen, damit wir Leben in Fülle haben (Joh 10,10). Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch (Irenäus von Lyon). Im Glauben wird uns zugesagt, was wir uns selbst nicht sagen kann: nämlich von ande- ren, von Gott gut geheißen zu werden. Durch eigenes Leisten und Machen, durch Kreisen in uns, auch durch Grübeln ist das nicht zu erreichen. Wo nicht mehr gelobt wird, wird nicht mehr gelebt: Die Toten loben Gott nicht mehr (Ps 115,17). Die Unter- drückung des Lobes ist die Unterdrückung der Liebe. Lob ist hörbare innere Ge- sundheit. Lob und Anerkennung bewirken eine reale Veränderung in positiver Rich- tung. Wohlwollende Anerkennung lässt wachsen und reifen. Ein nörgelndes und mit allem unzufriedenes Zeitalter bringt kranke Menschen hervor. Ohne Lob wird der Mensch krank. Man kann auf Dauer nicht recht und gesund Mensch sein, wenn man nicht selber loben kann und nicht gelobt wird. Das Gegenteil von Lob ist nicht die Klage, sondern Abstumpfung, Dumpfheit, Erwartungslosigkeit, ist die Flucht vor dem Leben bzw. Ablenkung und eine Nullbockmentalität.

Das ist alles andere als naiv und idealistisch miss zu verstehen: „Ich will Gott preisen mit dem Antlitz, das er mir gegeben hat.“ (Franz von Sales) Mit unserer Lebensge- schichte, mit unserem G’schau, mit der Nase, die wir haben, mit unseren Rosen und Neurosen können wir Gott loben und danken. Wofür Gott danken? Zuallererst für das Leben, weil das Leben selbst ein Geschenk ist. Dieses Bewusstsein ist vielen Chri- sten fremd. Erst in extremen Situationen kommt der Gabecharakter des Lebens in die Erfahrung. Erst an Knotenpunkten, in Sternstunden oder auch in Stunden der Gefährdung, der Krankheit und des Scheiterns leuchtet auf: es gibt mich und es ist nicht selbstverständlich, dass es mich gibt. Dankbare liebende Aufmerksamkeit rich- tet sich auf Momente tiefer innerer Freude, des Glücks, auf Ereignisse gelungenen Lebens und der Liebe.

Zu einem Fest gehören Freude, Lob und Dank. Dankbarkeit befreit von dem zwang- haften und verfehlten Bemühen, das Leben und die Freude selbst „machen“ zu wol- len. Martin Heidegger erinnert daran, dass Denken und Danken aus derselben Wur-

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zel stammen. Undankbarkeit ist Gedankenlosigkeit und umgekehrt1. In der Sprache der Heiligen Schrift: Das Gute vergessen bringt den Menschen in das „Land der Fin- sternis“ (Ps 88,13). Undankbarkeit und Vergessen sind die große Sünde der „Hei- den“. Sie verfinstern das Herz (Röm 1,21). Deswegen sagt der Psalmist: „Meine See- le, vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ (Ps 103,2) Dankbarkeit hat eine befrei- ende Wirkung. Sie befreit von selbstbezogener Enge und Ängsten; sie öffnet den Blick auf andere.

„Das Leben zu feiern ist wichtiger als die Toten zu beweinen.“2 Das schreibt einer, der selbst durch die Hölle von Auschwitz gegangen ist. In Elie Wiesels Mund ist es keine Anweisung zum seligen Vergessen. Es ist Appell einer Hoffnung, die das Ge- heimnis der Menschen verteidigt, dass sie mit Gott eins seien und eins sein werden3. Wer vom Geheimnis dieses Wesentliche erahnt hat, den drängt es zur Dankbarkeit - trotz allem. Wenn der Mensch aber dankbar wird, dann ist er menschlich - genauso wie wenn er schwach wird, Fehler macht, enttäuscht ist, lacht und liebt. Denn wer

„unfähig ist zur Dankbarkeit, ist kein Mensch.“4

Und ein Fest wurzelt im Staunen: „Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten:

Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt uns dies gleichsam ent- gegen. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen. Wir erleben sie nicht durch bis zu dem Punkt, an dem sie aus Gott hervorströmen. Das gilt für das Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, liebende Antwort.“ (Alfred Delp) Staunen heißt die Welt als Wunder sehen. Mit dem Staunen verbinden sich Ehrfurcht vor dem Leben. Das Staunen steht am Anfang der Philosophie (Warum ist überhaupt etwas und nicht lie- ber nichts?), es begleitet den Weg der Religion und des Glaubens. Im Staunen ver- liert die uns umgebende und begegnende Wirklichkeit ihre Selbstverständlichkeit und offenbart ihren Geschenkcharakter.

1 Martin Heidegger, Was heißt Denken? Tübingen 1954, 91ff.

2 Martin Heidegger, Was heißt Denken? 94.

3 Elie Wiesel, Chassidismus – ein Fest für das Leben. Legenden und Portraits. Aus dem Französi- schen von Hans Bücker, Freiburg-Basel-Wien 2000, 15.

4 Elie Wiesel, Die Weisheit des Talmud. Geschichten und Prtraits. Aus dem Französischen von Hanns Bücker, Freiburg-Basel-Wien21996,187

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Schließlich hat das Fest viel mit dem Spiel zu tun. Das Spiel stellt das das Leben aus dem Umsonst dar. Das Spiel ist unverzweckte Lebendigkeit, jenseits von Kosten- Nutzen Rechnungen, jenseits aller Verzweckung und aller Strategie in einer heiligen Warumlosigkeit und Freundschaft. „Die Ros’ ist ohn’ Warum / sie blühet, weil sie blü- het / sie acht nicht ihrer selbst / fragt nicht, ob man sie siehet.“ (Angelus Silesius) Es geht beim Staunen, bei der Dankbarkeit, beim Spiel und bei der Erfahrung von Gnade nicht um den Abbau einer sekundären Welt zugunsten einer primären. Das Menschliche wird nicht gegen die Technik, nicht gegen die Arbeit und schon gar nicht gegen die Freiheit gerettet. Ohne Dankbarkeit, ohne Staunen und ohne Spiel wird das Leben aber oberflächlich, eindimensional, leer und auch beziehungslos. Eine Gesellschaft, die sich von der Kindheit losreißt und von den Kindern abschneidet, vergreist.

Ich bin die Tür zu den Schafen

wussten sie schon, dass die nähe eines menschen gesund machen, krank machen, tot und lebendig machen kann

wussten sie schon, dass die nähe eines menschen gut machen, böse machen traurig und froh machen kann

wussten sie schon, dass das wegbleiben eines menschen sterben lassen kann dass das kommen eines menschen wieder leben lässt

wussten sie schon, dass die stimme eines menschen einem anderen menschen, der für alles taub war wieder aufhorchen lässt

wussten sie schon, dass das wort oder das tun eines menschen wieder sehend ma- chen kann, einen, der für alles blind war, der nichts mehr sah, der keinen sinn mehr sah in dieser welt und in seinem leben

wussten sie schon, dass das zeithaben für einen menschen mehr ist als geld mehr als medikamente, unter umständen mehr als eine geniale operation5

Ein Mensch hat eine Aura, ein Kraftfeld: positiv oder negativ. Er zieht an, lässt gleichgültig und kalt, oder stößt ab. Die Nähe eines Menschen baut auf oder drückt

5 Wilhelm willms, wussten sie schon?

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nieder. Andere können für uns Räume, Lebensräume eröffnen oder auch alles zu- schnüren.

„Der Mensch wird am Du zum Ich, alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ (Martin Bu- ber) Geliebt zu werden, das lässt sich nicht durch die eigene Sehnsucht, nicht durch Machen, Leisten oder Denken erreichen. Wir finden als Menschen unsere Erfüllung nur dann, wenn wir nicht um den eigenen Bauchnabel kreisen, nicht im eigenen Ego stecken bleiben, sondern aus uns heraustreten und lieben, wenn wir unser Dasein als Mitsein mit den anderen verstehen. Leben wird als sinnvoll erfahren, wen es sich in Liebe verschenkt. „Der Himmel, das sind die anderen.“ (Gabriel Marcel) - Freilich gibt es auch die andere Erfahrung: die anderen sind nicht das Geschenk der Freiheit und der Liebe, sie grenzen ein, machen das Leben schwer und hart. Beziehungen werden mühsam, Begegnungen anstrengend. Jean Paul Satre: „Die Hölle, das sind die anderen.“

Was sind wir füreinander: Himmel oder Hölle, Segen oder Fluch, Freunde oder Fein- de, Hirten oder Wölfe, Brüder oder Gegner, Wohlwollende oder Neidhammel, Groß- zügige oder kalkulierende Geschäftsleute?

Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Kain entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? (Gen 4,9) – Die Botschaft der Heiligen Schrift mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, füreinander Verantwortung tragen, einander Hüter und Hirten sind. Dies nicht in einem schwärmerischen Sinn, dass wir einfach die Millionen zu umschlingen hätten, auch nicht in der Weise, dass wir für alles und für alle zuständig sind. "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40)

Das ist nicht zuerst ein Imperativ: Der Mensch „hat“ Christus in der Gnade und in der Selbstmitteilung nicht. Ignatius will das Christusereignis so empfangen, dass das, was empfangen wird, auch mit vollzogen wird. Nur im Mitvollzug der Liebe kann ich die Liebe annehmen. – „Deus vult condiligentes. Gott will Mitliebende!“6 - Der Christ ist nicht schon einfach Nutznießer der Erlösung, der Früchte er empfängt. Er ist als Mitwirkender hinein genommen in das Erlösungswerk. Wir sind Gottes Mitarbeiter.

Einer trage des anderen Last. Beim Aufräumen sind alle dabei. Es helfen alle zu- sammen. Der Zusammenhalt ist einzigartig. Ich habe hier gespürt, dass das alte Flo-

6 Duns Scotus, Opus Oxoniense III d.32 q.1 n.6.

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rianiprinzip gerade nicht gilt, das heißen würde: beschütze das eigene Haus, zünd andere an, lass andere kaputt gehen. Da gibt es kein kaltes Mein und Dein, weder im Hinblick auf materielle Güter, auch nicht im Hinblick auf das Tragen der Lasten.

Denn: „Einer trage des anderen Last.“ (Gal 6,2). Manche Lasten kommen erst nach und nach: Müdigkeit und Erschöpfung, die Leere, das Loch, das innere Chaos, die Verzweiflung. Ihr seid einander Bruder, Schwester, Hirte, Hüter, Anwalt, und das mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Es ist im übertragenen Sinn so wie bei der Geschichte eines afrikanischen Mädchens, das seinen kleinen Bruder auf den Rük- ken trägt. „Da trägst du aber eine schwere Last!“ sagt ihr ein Vorbeikommender. „Das ist keine Last, das ist mein Bruder!“ erwidert das Mädchen. So gesehen geschieht die Arbeit, das Tragen der Lasten aus einer inneren Verbundenheit und Freude heraus.

Das ist etwas Urchristliches: Wir nehmen die anderen mit. Stellvertretung heißt:

Räume des Gebetes, der Hoffnung und der Liebe eröffnen und offen halten, wo die- se bei anderen verschlossen sind, wo nichts mehr erwartet ist, weil der Schmerz zu groß, die Erschöpfung zu stark, die Zumutung des Leidens zu massiv war. Stellver- tretung heißt auch: Ins Leere, ins Umsonst hinein lieben, damit andere wieder liebes- fähig werden und einen Lichtblick sehen.

Es gilt analog das, was Dietrich Bonhoeffer vom Verhältnis eines Pastors zu seiner Gemeinde sagt: „Ein Pastor soll nicht über seine Gemeinde klagen, schon gar nicht vor Menschen, aber auch nicht vor Gott; nicht dazu ist ihm eine Gemeinde anver- traut, dass er vor Gott und Menschen zu ihrem Verkläger werde. ...der tue in der Er- kenntnis eigener Schuld Fürbitte für seine Brüder, der tue, was ihm aufgetragen ist und danke Gott.“7

Bist du es, der kommen soll

Bist du es, der da kommen soll oder müssen wir auf einen anderen warten? (Mt 11) Genügt uns Gott? In der Geschichte vom Sündenfall wird dem Menschen von der Schlange suggeriert, dass Gott nicht genügt, dass er etwas vorenthält, dass er ei- gentlich neidig und nicht großzügig ist. Wie viele Menschen fühlen sich zu kurz ge-

7 Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel (WW hg. von E. Bethge, Bd. 5 hg. von G.L. Müller) München 1987, 26.

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kommen, ungerecht behandelt, zu wenig geliebt?! Zu wenig Geld, zu wenig Schön- heit, zu wenig Ansehen, zu wenig Macht…

Sünde ist dabei oft ein falsches Ideal vom Ich und vom Leben, ein falscher Daseins- entwurf: sei es, dass man durch Genuss, Macht, Erkenntnis, Erlebnisse oder Strate- gien gottgleich sein will, sei es, dass man die eigenen Grenzen nicht anerkennen will oder kann. Sünde ist ja nicht einfach gleich ein Nein zu sich, zum Leben, zu den an- deren, zu Gott, sondern ein Zu-kurz-Greifen von Entwürfen und Gütern im Hinblick auf Sinn. Auch und gerade in der Sünde will sich der Mensch Freude, Glück, Befrie- digung, Identität verschaffen. Er will es dabei aber allein, ohne Gnade, ohne andere, ohne Gott, und er will es mit falschen Mitteln. Die Mittel sind nicht in sich schlecht.

Sie greifen aber im Hinblick auf den Lebenssinn zu kurz, sie sind zu wenig. Verabso- lutiert führen sie zu Destruktion, Identitätsverlust und Zerstörung. „Das Furchtbare ist, dass man sich nie genügend betrinken kann.“8

Genügt Jesus? Als Kaplan hatte ich einmal Dienst in einem Krankenhaus. Dabei wurde ich von Angehörigen eines Schwerkranken zu diesem geschickt, um ihn auf den Empfang der Sakramente vorzubereiten. Das Gespräch verlief anfangs recht gut. Als ich dann auf die Sakramente und auf die Eucharistie zu sprechen kam, erwi- derte er: Ich habe das einmal bei einem Bettnachbarn erlebt. Da ist ein Priester ge- kommen, hat einige unverständliche Worte gemurmelt, ein kleines weißes Ding her- vorgeholt, dazu gesprochen: der Leib Christi oder so ähnlich... Ich muss sagen: es war insgesamt eine recht enttäuschende Angelegenheit. – Diese insgesamt recht enttäuschende Angelegenheit ist für die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikani- schen Konzils Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens (LG 11), worin sich Leben, Sterben und Auferstehung Jesu bündeln. Ist nicht Jesus für manche Zeitgenossen zu wenig im Vergleich zu dem, was sie sich sonst vom Leben verspre- chen?

Jesus genügt, seine Gnade genügt: „Meine Gnade genügt dir“ (2 Kor 12,9), bekommt Paulus in seiner Schwachheit, in seiner Ohnmacht, in seinen Nöten und Ängsten zu hören. - Ist damit die Suche nach Glück, nach Gerechtigkeit, Freiheit und Leben schon überflüssig, ist die Sehnsucht nach der Fülle der Zeit schon erledigt? Es wäre ein Gespenst unserer Projektion, wenn wir Jesus beziehungslos, weltfern, zeitentho- ben, leibverneinend denken und glauben würden. Jesus genügt mit seiner Proexi-

8Andre Gide, Tagebuch 1889-1939, Bd.I, Stuttgart 1950, 105.

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stenz, er genügt mit der Geste der Fußwaschung, er genügt mit den Seligpreisungen.

Er hat sich gerade nicht heraus gehalten aus der Zeit, sich nicht entzogen den Äng- sten und Angründen, sich nicht zynisch gezeigt gegenüber den Bedürfnissen der Menschen. Gegenüber gnostischer Verachtung der Zeit und des Leibes liegt die Dy- namik Jesu in der Einfleischung, in der Realisation der Liebe und des Heiles in ge- schichtlicher Stunde. Es wäre für Jesus eine Versuchung gewesen, sich herauszu- halten, sich die Hände nicht schmutzig zu machen, sich nicht hineinzubegeben in die Sehnsüchte und Ängste, in die Konflikte und Nöte der konkreten Menschen. „Sich der Zeit entziehen“ würde „Sünde bedeuten“ (Simone Weil). „Wenn wir unser Evan- gelium in Händen halten, sollten wir bedenken, dass das Wort darin wohnt, das in uns Fleisch werden will, uns ergreifen möchte, damit wir – sein Herz auf das unsere gepfropft, sein Geist dem unsern eingesenkt – an einem neuen Ort, zu einer neuen Zeit, in einer neuen menschlichen Umgebung sein Leben aufs neue beginnen.“ (Ma- deleine Delbrel) Inkarnation ist geprägt durch Präsenz und Solidarität: „Egal, was wir zu tun haben: ob wir einen Besen oder eine Füllfeder halten. Reden oder stumm sein, etwas flicken oder einen Vortrag halten, einen Kranken pflegen oder auf einer Schreibmaschine hämmern. All das ist nur die Rinde einer herrlichen Realität, der Begegnung der Seele mit Gott in jeder erneuten Minute.“ (Madeleine Delbrel)

Das Sich-Einlassen im Sinne der Inkarnation ist zugleich das Sich-Loslassen des Gekreuzigten. Im Sich-Inkarnieren in der Zeit und Sich-Loslassen als Bewegung auf Gott und die anderen hin, wird „die Zeit über die Zeit hinausgeführt“ (Simone Weil).

So geschieht in dieser Bewegung der Verleiblichung von Liebe in der Zeit Transfor- mation, Verwandlung, Rettung der Zeit. Daher ist die Zeit als das Divergierende und als das Widersprüchliche nicht einfach das zu Überwindende. Christus rettet uns nicht aus der Welt und nicht von der Zeit, sondern in der Zeit.

Gott ist in Jesus kein Zeitkiller, kein Zeitfresser, kein Überflieger; er will auch nicht Zeit einsparen nach dem Motto: „Zeit ist Geld“ (Benjamin Franklin). Gott geht in der Heilsgeschichte nicht den Weg der Abkürzung wie es das Ockham’sche Rasiermes- ser vermittelt, wenn nach dem Ökonomieprinzip nichts Überflüssiges getan werden soll. Der Weg der Nachfolge Jesu ist nicht die Gerade einer Autobahn, die mit Erfah- rungsverlust, Beziehungsverlust, Wirklichkeitsverlust verbunden wäre. In Jesus Chri- stus hat Gott Zeit; er ist Quelle und Fülle der Zeit. Gott ist Zeitgabe, für den kleinen Jungen und für den alten Mann. Neutestamentlich heißt lieben so viel wie Zeit haben (vgl. Lk 10,25-37).

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Gott genügt: Das ist bei Johannes vom Kreuz so zu verstehen, dass Jesus genügt:

„Da er uns seinen Sohn schenkte, der sein einziges Wort ist - ein anderes besitzt er nicht -, hat er zusammen und ein für allemal in diesem Wort uns alles gesagt, und er hat uns weiter nichts zu sagen ... Auf Christus allein sollen sie ihre Augen richten. In ihm hat er schon alles gesagt, da er uns alles gab - in seinem Sohn. „Wer demnach jetzt noch Gott befragen oder irgendeine Vision oder Offenbarung wünschen wollte, beginge nicht nur eine Torheit, sondern fügte Gott eine Beleidigung zu, da er die Au- gen nicht ganz auf Christus richtet, ohne etwas anderes oder Neues zu verlangen. … Willst du ein Trostwort, blick hin auf meinen mir unterworfenen Sohn, und du wirst meine Antwort daraus ersehen. … Wer also gegenwärtig irgendetwas auf übernatür- lichem Wege erfahren will, der zeiht Gott eines Mangels, so als hätte uns dieser in seinem Sohne nicht alles zur Genüge gegeben.“9

„Richte deine Augen allein auf ihn (meinen Sohn), denn in ihm habe ich dir alles ge- sagt und geoffenbart, und in ihm wirst du noch weit mehr finden, als du jetzt bittest und begehrst. … Wenn du die Augen auf ihn richtest, wirst du sie in Fülle finden, denn er ist meine Einsprechung und meine Antwort, und er ist meine ganze Vision und meine ganze Offenbarung. Alles habe ich euch gesagt, beantwortet, kundgetan und geoffenbart, da ich ihn euch gab als Bruder, als Freund und Lehrer, als Löse- preis und als Lohn..., in Christus sollen sie jegliches Gut finden... Du hast keinen Grund, mich um Offenbarungen oder Visionen zu bitten oder sie zu wünschen.

Schau nur ihn gut an, denn in ihm findest du all das erfüllt und gegeben und noch viel mehr... Wenn du willst, dass ich dir ein Wort des Trostes sage, dann schau auf mei- nen Sohn..., du wirst sehen, wie viele Antworten er dir geben wird. … Wenn du wei- terhin Offenbarungen und Visionen wolltest, so schau auf ihn, der Mensch geworden ist; darin findest du mehr als du denkst... Jetzt darf man nicht mehr auf jene Weise Gott befragen, denn er hat abschließend den ganzen Glauben in Christus uns gesagt und hat darüber hinaus nichts an Glauben uns zu offenbaren noch wird er es jemals haben.“ (Aufstieg, 2, Buch)

Nach Christus ist nichts mehr zu erwarten, und mehr als Jesus ist auch nicht zu er- warten. Jesus genügt: Das liegt auf der Linie der Demut und der Verborgenheit Got- tes bei der Geburt, beim einfachen Leben in Nazareth, in der Gegenwart im Gering-

9Johannes vom Kreuz unterstreicht die Christozentrik in der Beurteilung außergewöhnlicher mysti- scher Phänomene. Mit Berufung auf Hebr 1,1 schreibt er: (Empor den Karmelberg (SW 1.Bd.) Ein- siedeln 1964, 169)

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sten, in der Verborgenheit Gottes am Kreuz. Betrachten wir es von innen her, ist es auch sehr tröstlich. Johannes vom Kreuz meint, es müsse um seinen Glauben sehr schlecht bestellt sein, wenn er auf besondere mystische Erfahrungen und Visionen aus sein würde, ihm genüge das heiligste (Altar-)Sakrament; mehr wolle er nicht se- hen (BMC 14,333)10. Diese Weise der Gotteserfahrung kann durchaus enttäuschend sein. Wer hat es denn noch nicht erlebt, dass er sich nach Menschen oder nach Gott gesehnt hat und angeklopft hat in der nächsten Minute ein Sandler? Nach Christus ist nichts mehr zu erwarten. Andere Menschen als die konkreten Menschen sind auch nicht zu erwarten. “Nobis curiositate opus non est post Christum Jesum nec inquisitione post evangelium. Cum credimus, nihil desideramus ultra credere. – Nach Christus Jesus brauchen wir keine Neugier mehr und nach dem Evangelium kein Weiterfragen. Wenn wir glauben, dann wollen wir über das Glauben hinaus nichts weiter.“ (Tertullian)

„Gott allein genügt.“ (Teresa von Avila) Anders als in Jesus Christus wird sich Gott nicht mehr aussagen. Er nimmt nichts zurück von seiner Selbstmitteilung, von sei- nem Mögen, von seiner Liebe. Gott wird nicht spannender, wenn er unberechenba- rer, böser, willkürlicher, launischer gedacht wird; er wird auch nicht dadurch ganzheit- licher, wenn man das Dunkle, die Gewalt und die Aggression in ihn hinein projiziert.

Jesus genügt, seine Gnade genügt: „Meine Gnade genügt dir“ (2 Kor 12,9), bekommt Paulus in seiner Schwachheit, in seiner Ohnmacht, in seinen Nöten und Ängsten zu hören. - Ist damit die Suche nach Glück, nach Gerechtigkeit, Freiheit und Leben schon überflüssig, ist die Sehnsucht nach der Fülle der Zeit schon erledigt?

Karl Rahner sieht anonyme Suchbewegungen auf Christus hin und bedient sich hier einer „appellativen“ Rhetorik, die auf die innere Beteiligung des Adressaten zielt und auf die implizit gelebte „Christologie“ in bestimmten Daseinsvollzügen hinweist. Als Zugänge auf Christus hin benennt er: Der andere (der Nächste), der Tod und die Zu- kunft. Der erste Zugang ist die Liebe zum Nächsten. Jesus selbst deutet dies bei Mt 25 durch die Identifizierung zwischen ihm und unserem Nächsten an. „Wer fragt, wie man den Nächsten bedingungslos lieben und seine eigene Existenz radikal für ihn einsetzen könne, wie solche Liebe auch durch den Tod nicht ungültig wird, ob man hoffen könne, im Tod nicht das Ende, sondern die Vollendung in der absoluten Zu-

10Vgl. dazu Karl Deuringer, Die Beurteilung außergewöhnlicher mystischer Phänomene beim hl. Jo- hannes vom Kreuz, in: GuL 32 (1959) 106-115.

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kunft zu finden, die Gott genannt wird, der sucht mit dieser Frage, ob er es weiß oder nicht, Jesus.“

In welchen Suchbewegungen können wir heute einen Zugang auf Jesus Christus hin erschließen: In der Sehnsucht nach dem Weg und dem Aufbruch, in der Sehnsucht nach einem Namen und nach unverwechselbarer Individualität, in der Sehnsucht nach Freiheit, in der Sehnsucht nach einem Obdach für die Seele, in der tiefen Sehnsucht nach Heimat und Beziehung? Bei aller anonymen Christologie dürfen wir aber nicht die Liebe zur Person Jesus aus den Augen verlieren. Kriterium, Maß und Norm aller Spiritualität, aller Theologie und Moral ist Jesus Christus, das Reich Got- tes in Person. „Wer die Schrift kennt, kennt Gottes Herz.“ (Gregor der Große) „Wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht.“ (Hieronymus)

Beziehung zu Jesus Christus

Von Jesus Christus her ist der Zeuge die der Offenbarung angemessene Vermitt- lungsgestalt.11 Zeugen erinnern an Jesus. Dabei entspringt das Zeugnis nicht primär einem asketischen Programm. Zeugen sind von Jesus Christus angesehene: „Und weil das Auge dort ist, wo die Liebe weilt, erfahre ich, dass Du mich liebst. … Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und wie Dein Blick mich aufmerksam betrachtet, dass er sich nie abwendet, so auch Deine Liebe. … Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da Dein Sehen Dein Sein ist, bin ich also, weil Du mich anblickst. … Indem Du mich an- siehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. … Und nichts anderes ist Dein Sehen als Lebendigmachen. … Dein Sehen bedeutet Wirken.“12 Zeugnis wurzelt im Ansehen Gottes. Zeugen haben von Gott her ein Ansehen und können so dem Evangelium ein Gesicht geben.

Im fünften Kapitel von „Evangelii gaudium“ legt Papst Franziskus eine Spiritualität, ja Mystik der Evangelisierung vor, die vom Gebet lebt und auf diese Weise immer neu die Beziehung zu Jesus Christus erneuert und vertieft, in der er uns alle vom Egois- mus und der individualistischen Neigung befreit (EG 263). Christus will uns in tiefer

11 Vgl. dazu: Hermann J. Pottmeyer, Zeichen und Kriterien der Glaubwürdigkeit des Christentums, in:

HFTh 4, 373-414, bes. 400-406.

12 Nikolaus von Kues, De visione Dei/Die Gottesschau, in: Philosophisch-Theologische Schriften, hg.

und eingef. Von Leo Gabriel. Übersetzt von Dietlind und Wilhelm Dupré, Wien 1967, Bd. III, 105-111.

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Verbundenheit mit seinem Volk, den Menschen, besonders den Leidenden, die seine Wundmale sind, sehen (EG 270; 271). Deshalb bedeutet missionarisch sein, die Lie- be zu leben, die immer das Wohl des anderen sucht, das Glück des anderen will (EG 272). Diese Mission, die ich bin, ist der Grund meiner Existenz (EG 273).

Grundoption des Papstes ist die Freude am Evangelium aus einer persönlichen Be- ziehung zu Jesus Christus, Mitte seines missionarischen Programms ist die ständige Erneuerung unserer Beziehung zu Jesus Christus. „Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine per- sönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen.“

(EG 3). In dieser Begegnung lernen wir zu lieben, was Jesus liebt, und aus seinen Quellen zu leben. Mitte und Prinzip seiner Verkündigung ist die Botschaft vom barm- herzigen und allzeit verzeihenden Vaters (EG 3), der uns immer wieder einen Neuan- fang schenkt. Diese Freude ist nicht billig, bisweilen hart und anspruchsvoll, im Schatten des Kreuzes also. Evangelii Gaudium ist eine Ermutigung, Jesus auch ganz naiv zu lieben (EG 264) und dem ganzen Leben Jesu (265) auf der Spur zu bleiben.

Gottsuche

Wer ist der, den wir den einzigen lebendigen Gott nennen? Madeleine Delbrel hat dies in einem säkularen, damals kommunistischen Umfeld formuliert. Sie war übri- gens der Überzeugung, dass kaum etwas dem Glauben und dem Christwerden dien- licher ist als eine atheistische Umwelt. „Aber“, so sagt sie, „wir verkünden keine gute Nachricht mehr, weil das Evangelium keine Neuigkeit mehr für uns ist. Wir sind daran gewöhnt. Der lebendige Gott ist kein ungeheures, umwerfendes Glück mehr, er ist bloß noch ein gesolltes, die Grundierung unseres Daseins.“ „Wir (wir Christen, wir Kirchenleute) verteidigen“, so sagt sie, „Gott wie unser Eigentum, wir verkünden ihn nicht mehr wie das Leben allen Lebens. Wir sind keine Erklärer der ewigen Neuigkeit Gottes sondern nur noch Polemiker, die einen kirchlichen Besitzstand verteidigen.“

Das Evangelium neu entdecken: habe ich Gründe, ein/e Christ/In sein zu wollen und - was ich noch viel spannender finde - habe ich Gründe, ein/e Christin bleiben zu wol- len und welches sind diese Gründe? Warum konvertiere ich nicht zum Buddhismus oder zum Judentum oder zum Islam oder in irgendeine Gestalt des neoreligiösen

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religionsfreundlichen Atheismus, wie er postmodern auf dem Markt der Sinnangebote in unterschiedlichen Mischungen zugänglich ist? Warum denn Christin sein, warum sich denn gerade darin orientieren? Meine Antwort: Weil das Evangelium ein Schatz ist, für den es auf der ganzen weiten Erde absolut keine bessere Alternative gibt!

Daraus resultiert das Selbstbewusstsein der Christen und Christinnen! Das äußert sich nicht durch elitäre inflationäre Aufgeblasenheit, sondern in einer Praxis der Soli- darität, der Toleranz, der konfliktfähigen Nächstenliebe, ja Feindesliebe, in der ver- rückten Geduld, an das Gute in jedem Menschen zu glauben. Gerade die gegenwär- tige Krisenstunde ist so gesehen als eine Wachstumsgeschichte zu begreifen, in der wir bewusster, entschiedener und dann auch ausstrahlungsfähiger das bezeugen, was nur die haben dürfen, die sich Christinnen nennen - nämlich den wahnsinnigen, den unglaublichen Glauben, dass das wahr sein könnte mit Jesus von Nazareth und dass dieses Bekenntnis zur Auferweckung des Gekreuzigten tatsächlich der Schlüs- sel zur Wirklichkeit ist und dass deshalb auch eine Sterbestunde und gerade diese Sterbestunden der Kirche, die durch uns hindurchgehen, in Wahrheit die Kehrseite von Geburtsszenarien sind, in denen ein erwachsenes, ein weltbejahendes, gottver- liebtes, deshalb weltveränderndes Christentum entsteht.

„Die Schönheit der Welt ist Christi zärtliches Lächeln für uns durch den Stoff hin- durch. Er ist wirklich gegenwärtig in der Schönheit des Alls. Die Liebe zu dieser Schönheit entspringt dem in unserer Seele niedergestiegenen Gott und geht auf den im Weltall gegenwärtigen Gott. Auch sie ist etwas wie ein Sakrament.“ (Simone Weil) -

Papst Franziskus spricht von einer Kirche, die dem Geheimnis Gottes Raum gibt;

eine Kirche, die dieses Geheimnis in sich selbst beherbergt, so dass es die Leute entzücken und sie anziehen kann. Allein die Schönheit Gottes kann eine Anzie- hungskraft ausüben. „Wenn wir, wie Augustinus sagt, nur das lieben, was schön ist, dann ist der Mensch gewordene Sohn, die Offenbarung der unendlichen Schönheit, in höchstem Maß liebenswert und zieht uns mit Banden der Liebe an sich. Dann wird es notwendig, dass die Bildung in der via pulchritudinis sich in die Weitergabe des Glaubens einfügt.“13 Das Ergebnis der pastoralen Arbeit stützt sich nicht auf den Reichtum der Mittel, sondern auf die Kreativität der Liebe. Sicher sind auch Zähigkeit, Mühe, Arbeit, Planung, Organisation nützlich, allem voran aber muss man wissen,

13 Papst Franziskus, Evangelii Gaudium Nr. 167.

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dass die Kraft der Kirche nicht in ihr selbst liegt, sondern sich im Geheimnis Gottes verbirgt. Bei unseren Aufbrüchen soll das Gepäck nicht zu schwer sein. Ist der Ruck- sack voll mit Bürokratie, mit Rechthaberei, mit Sicherheitsdenken oder auch mit ma- teriellen Ansprüchen, würde sich sehr bald Müdigkeit und Erschöpfung einschlei- chen. Papst Franziskus spricht von einer „Grammatik der Einfachheit“, ohne die sich die Kirche der Bedingungen beraubt, die es ermöglichen, Gott in den tiefen Wassern seines Mysteriums zu „fischen“.

Es braucht in einer sich ins Subjektive und Beliebige weiter verlierenden Moderne eine Spiritualität, die dem einzelnen Christen Stehvermögen verleiht und ihm hilft, sich dennoch anderen Positionen gegenüber als dialogfähig zu erweisen. Die alte Selbstverständlichkeit gewinnt wieder neue Evidenz: Nur die Beter werden als Chri- sten bestehen. Eine Kirche, die im Gottesgeheimnis fest verwurzelt ist, bleibt auch heute für die Menschen interessant.

Option für die Armen

Papst Franziskus unterstreicht in seinem Apostolischen Lehrschreiben ,Evangelii Gaudium‘14 seine Forderung nach einer gerechteren Welt und nach einer Kirche im Dienst der Armen. „Mir ist eine ‚verbeulte’ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinaus gegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die Sicherheiten zu klammern krank ist.“ „In der Wurzel ungerecht” nennt Papst Franziskus das aktuelle ökonomi- sche System (59). Diese Form der Wirtschaft töte, denn in ihr herrsche das Gesetz des Stärkeren. Der Mensch sei nur noch als Konsument gefragt, und wer das nicht leisten könne, der werde nicht mehr bloß ausgebeutet, sondern ausgeschlossen, weggeworfen. Diese Kultur des Wegwerfens habe etwas Neues geschaffen. „Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“.“ (53) Die Welt lebe in einer neuen Tyrannei des „vergötterten Marktes“, die manchmal sichtbar, manchmal virtuell sei. Hier regieren die Finanzspekulation, die Korruption und Ego- ismen, die sich etwa in Steuerhinterziehung ausdrückten (56).

14http://de.radiovaticana.va/news/2013/11/26/papstschreiben_evangelii_gaudium:_eine_zusammenfas sung/ted-750010

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Die Armen seien für die Kirche zuerst eine theologische Kategorie, dann erst eine soziologische oder politische. „Aus diesem Grund wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen.“ (198) Jede Gemeinschaft in der Kirche, welche die Armen vergesse, stehe in der „Gefahr der Auflösung“ (207), weil das religiöse Tun fruchtlos werde und in einer „spirituellen Weltlichkeit“ aufgehe. Papst Franziskus lädt zu einer Sorge um die Schwächsten ein: Die Kirche müsse den „neuen Formen von Armut und Hinfäl- ligkeit – den Obdachlosen, den Drogenabhängigen, den Flüchtlingen, den eingebo- renen Bevölkerungen, den immer mehr vereinsamten und verlassenen alten Men- schen usw.“ Aufmerksamkeit schenken. Mit Blick auf Migranten ruft der Papst zu ei- ner „großherzigen Öffnung auf, die, anstatt die Zerstörung der eigenen Identität zu befürchten, fähig ist, neue kulturelle Synthesen zu schaffen.“ (210) Ein brennendes Thema seien auch die neuen Formen der Sklaverei, die unsere Gesellschaft hervor- bringe, so der Papst. Die neuen Sklaven seien diejenigen, die wir jeden Tag um- brächten durch Arbeit in illegalen Fabriken, im Netz der Prostitution, in den zum Bet- teln missbrauchten Kindern. „Es gibt viele Arten von Mittäterschaft. Die Frage geht alle an! Dieses mafiöse und perverse Verbrechen hat sich in unseren Städten einge- nistet, und die Hände vieler triefen von Blut aufgrund einer bequemen, schweigenden Komplizenschaft.“ (211)

Zu den Schwächsten, derer sich die Kirche annehme, gehörten auch die ungebore- nen Kinder, denen die Würde des menschlichen Lebens verweigert würde (213). In diesem Punkt werde die Kirche gerne ins Lächerliche gezogen, indem man „ihre Po- sition häufig als etwas Ideologisches, Rückschrittliches, Konservatives“ darstelle.

Doch sei die Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechtes verbunden. Die Kirche werde ihre Einstellung in der Frage der Abtreibung nicht ändern, stellte der Papst klar. Der Schutz des ungebore- nen Lebens sei keine Frage der „Modernität“, der sich die Kirche anpassen müsste.

Wahr sei aber auch, „dass wir wenig getan haben, um die Frauen angemessen zu begleiten, die sich in sehr schweren Situationen befinden“, etwa nach Vergewalti- gungen: „Wer hätte kein Verständnis für diese so schmerzlichen Situationen?“

Gott selbst trifft diese Option für die Armen.15 Die Einheit von Gottes- und Nächsten- liebe (Mt 22,34-40) ist auf den verschiedenen individuellen, wirtschaftlichen, gesell- schaftlichen und globalen Ebenen zu konkretisieren. Sie wird realisiert in leiblichen

15 Gustavo Gutierrez, Theologie der Befreiung. Mit einem Vorwort von Johann Baptist Metz, München- Mainz 1973, 268ff.

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und geistigen Werken der Barmherzigkeit, in Caritas und Diakonie, in kirchlicher So- zial- und Entwicklungsarbeit, in Kollekten und Hilfsmaßnahmen, in Solidaritätsaktio- nen, durch Güterausgleich oder in Selbsthilfegruppen, im prophetisch kritischen Ein- satz für Menschenwürde, durch Freiheit und Gerechtigkeit auf nationaler und interna- tionaler Ebene. So haben z.B. lateinamerikanischen Basisgemeinden und Bischöfe Repression und Unterdrückung angeprangert, Gewaltregime, Denunzierungen, Ver- letzungen der Menschenrechte, maßlosen Druck, Machtmissbrauch, Folter, abhängi- ge Justiz, ideologische Doktrin, Landesverweisungen und Verhaftungen angeklagt und verurteilt. Kirche sieht es als ihre Aufgabe, die fundamentalen Rechte der Armen (Brot, Arbeit, elementare Gesundheit, Wohnung, Alphabetisierung) und Meinungs- freiheit, Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit einzuklagen. Die Option für die Ar- men erschöpft sich aber nicht in der kritischen Anklage. Die Option Gottes für das Leben wird mit vollzogen in Projekten für Bewässerung, in Volksküchen, in Kam- pagnen für die Alphabetisierung, in Bewusstseins- und Erziehungsarbeit. Gruppen für Menschenrechte helfen in der juristischen Verteidigung, begleiten Betroffene, lei- sten Bewusstseinsarbeit für die Menschenrechte und initiieren Kampagnen für Ver- schwundene.

Es gibt auf allen Kontinenten Menschen, die Würde geben, Zeit haben, die anschau- en und Ansehen geben, die berühren und beten. Hilfe ist hier medizinisch, materiell und sozial, sie ist auch spirituell.16 Kirche arbeitet für den Schutz des Lebensraums durch Aufforstung, Erosionsschutzmaßnahmen, Sicherung und Verbesserung des Grundwasserspiegels durch den Bau von Wasserrückhaltebecken, Trinkwasserver- sorgung durch den Bau von Brunnen in der Nähe der Rückhaltebecken, Verbesse- rung der Nahrungsmittelproduktion durch einen standortgerechten Land- und Gar- tenbau, Kleintier- und Fischzucht, Aus- und Fortbildung von einheimischen Berate- rinnen und Beratern, Frauenförderung und Alphabetisierung. Sie arbeitet im sozialen Bereich, als Bildungsinstitution, als Friedensstifterin und Verkünderin der Botschaft Christi. Die Herausforderung ist es, einen Lebensraum in Todeszonen zu erarbeiten und zu eröffnen: Leben im Todesraum Wüste, wo es fast kein Wasser gibt, kein Brot;

Leben bei Fehl- und Unterernährung, wenn die Regenzeit ausfällt, wenn eine Heu- schreckenplage die Ernte vernichtet. Es gehört zur Diakonie Lebensraum zu eröff-

16 Vgl. dazu eindrucksvoll den Bildband des Fotografen und Autors Hans-Günther Kaufmann, 24 Stunden im Leben der katholischen Kirche, München 2005.

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nen, wenn Menschen verstoßen werden und keine Beziehungen mehr haben, wenn sie verachtet und verurteilt werden, Lebensraum zu geben bei Krankheit und Krieg.

Armut im Sinne des Evangeliums kann nie nur „im Geiste“ und bloß innerlich sein.

Sie muss sich in einer Lebensform verleiblichen. Die Konkretion wird je nach persön- licher, gesellschaftlicher oder kirchlicher Situation sehr unterschiedlich ausschauen.

Der Akzent kann z.B. auf der Askese (als Protest gegen den Konsumismus oder ge- gen die ökologische Zerstörung), auf der Solidarität mit den sozial Schwachen oder in der Gütergemeinschaft (als Gegengewicht zum postmodernen Individualismus) liegen. Jede geschichtliche Stunde bringt neue und jeweils andere Herausforderun- gen und Profilierungen der Armut mit sich.

Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck

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