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Archiv "Unendliche Geschichten um die Klüngel-Klinik in der St.-Jürgen-Straße" (27.10.1988)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT KURZBERICHTE

Unendliche Geschichten um die Klüngel-Klinik in der St.-Jürgen-Straße

Seit Anfang des Jahres kommt das größte Bremer Krankenhaus nicht mehr aus den Schlagzeilen der Lokalpresse heraus. Die Korrup- tions- und Bestechungsaffäre im Verwaltungs- und Beschaffungsbe- reich des Zentralkrankenhauses St.- Jürgen-Straße kommt nicht nur der in Bremen oppositionellen CDU zu- paß, die den „sprichwörtlichen SPD-Filz" auf allen politischen Ebe- nen wuchern sieht. Nachdem im Verlauf des Skandals fast die gesam- te Klinik-Spitze ausgewechselt wer- den mußte und sogar ein Parlamen- tarischer Untersuchungsausschuß in der Bremischen Bürgerschaft die Arbeit aufnahm, werden auch den Journalisten fast wöchentlich neue, kaum glaubliche Details über Ver- strickungen ehemals hochrangiger Verwaltungs- und Parteifunktionäre in die Affäre serviert. Der Sumpf um das Krankenhaus („Schwarz- geld-Klinik") könnte selbst die so- zialdemokratische Regierungsspitze Bremens in Bedrängnis bringen.

Obwohl die Wurzeln des Skan- dals weit in die 80er Jahre zurückzu- reichen scheinen, konkretisierten sich die Verdachtsmomente in der Öffentlichkeit erst im Januar dieses Jahres. Damals begann die Gesund- heitsbehörde wegen dubioser Desin- fektionsmittel im Wert von 120 000 DM zu ermitteln, die von der Wirt- schaftsabteilung der Klinik ange- schafft worden waren. Das Mittel er- wies sich als nicht verwendungstaug- lich. Der Gesellschafter der gerade neugegründeten Lieferfirma war zu- vor bei einem Konkurrenz-Unter- nehmen beschäftigt gewesen. Kurz nach seiner Entlassung dort soll die Klinik einen Liefervertrag mit die- sem Konkurrenten rückgängig ge- macht haben.

Ins Zentrum der sich anbahnen- den Affäre rückte schnell der noch vom früheren Gesundheitssenator Herbert Brückner eingesetzte, im Dezember 1987 dann fristlos entlas- sene ehemalige Verwaltungsdirektor der Klinik, Aribert Galla, der nicht nur für die nutzlose Großlieferung verantwortlich war. Vielmehr stand

er schon seit 1983 behördenintern in dem Ruf, Aufträge für den Klinik- bedarf nicht nach rein betriebswirt- schaftlichen Kriterien vergeben, die zuständige Beschaffungsstelle oft souverän übergangen und statt preiswerter Produkte und Großgerä- te teurere Konkurrenz-Angebote berücksichtigt zu haben. So wurden 1986 Narkosegeräte für knapp 300 000 DM angeschafft, während auch ein um 51 000 DM billigeres Angebot vorlag. 1987 wurden 42 Kaffeemaschinen zum Stückpreis von 2009 DM gekauft, obwohl das Gerät eines anderen Herstellers 900 DM billiger angeboten wurde.

Beschaffungspraxis schon vor Jahren gerügt

Bereits Mitte Februar forderte die CDU-Bürgerschaftsfraktion die Einrichtung eines Parlamentari- schen Untersuchungsausschusses, zumal mittlerweile ans Licht gekom- men war, daß bereits 1984 dem da- maligen Gesundheitssenator und heutigen SPD-Landesvorsitzenden Herbert Brückner ein Gutachten vorgelegen hatte, in dem die Be- schaffungspraxis gerügt wurde. Auf- grund dieses Gutachtens hatten sich die Krankenkassen damals gewei- gert, alle Krankenhauskosten zu übernehmen. Für den Fehlbetrag von 200 bis 300 Millionen DM muß- te ein anderer Geldgeber aufkom- men: der Bremer Senat — oder bes- ser: der Steuerzahler.

Am 2. März konstituierte sich der Ausschuß, dem fünf Sozialde- mokraten, zwei Christdemokraten, ein Freidemokrat und ein Grüner angehören. Die Kriminalpolizei setzte eine vierköpfige Sonderkom- mission ein. Die Staatsanwaltschaft bezichtigte Galla (der aus Gesund- heitsgründen mit 43 Jahren über Nacht frühpensioniert wurde), bei Auftragsvergaben fünfstellige Beste- chungssummen angenommen zu ha- ben.

Unterdessen tauchten immer neue Merkwürdigkeiten aus der

Verwaltungspraxis der Klinik auf.

Ins Zwielicht geriet nun der „För- derkreis St .-Jürgen-Straße e.V." , dem ebenfalls Aribert Galla vor- stand und dem unter anderem zahl- reiche Chefärzte, Pharmafirmen und Lieferanten des Krankenhauses an- gehören. Spenden und andere Zu- wendungen flossen auf die Vereins- konten, auf denen sich immerhin 345 000 DM ansammelten.

In der Klinik wurde aus Rönt- genfilmen und Fotochemikalien im Recycling-Verfahren Silberoxyd hergestellt, das für hohe Summen verkauft wurde. Ein Teil des Erlöses

— 135 000 DM — landete in „schwar- zen Kassen” , um damit wiederum Gerät für die Klinik anzuschaffen.

An Gremien und Behörden vorbei wickelte Galla zudem Pacht- und Nutzungsverträge für diverse Immo- bilien ab.

Nach so intensivem Wirken für das Krankenhaus lieferte der schei- dende Verwaltungsdirektor selbst mit seinem Abgang noch Stoff für Skandale — und Nährstoff für die CDU-Spekulationen über Genos- sen-Filz: Bürgermeister Dr. Hen- ning Scherf, der zuvor als Nachfol- ger von Brückner kommissarisch In- terims-Gesundheitssenator in der Hansestadt war, wollte nämlich Gal- la nach dessen Abschied goldene Brücken bauen. In einem Schrift- stück vom 23. Dezember 1987 hat- ten Scherf und Galla abgemacht,

„. . . die Förderungsmöglichkeiten des Herrn Galla für den Fall zu kon- kretisieren, daß dieser später beab- sichtigt, eine bei seinem Gesund- heitszustand mögliche selbständige Tätigkeit auszuüben."

Die Zeugenanhörungen vor dem Untersuchungsausschuß, dem allgemein gründliche und unvorein- genommene Arbeit bescheinigt wird, gehen weiter. Galla selbst ver- weigerte bei seinem ersten Auftritt jede Aussage. Im weiteren Verfah- ren wird es auch um in der St.-Jür- gen-Straße offenbar gebräuchliche Kompensations- und Koppelge- schäfte gehen. In Bremen gibt es ei- ne neue Klinikleitung und eine neu- gewählte Gesundheitssenatorin. Der Gesamtschaden, den der Klüngel in der Klinik angerichtet hat, läßt sich noch nicht beziffern. OD Dt. Ärztebl. 85, Heft 43, 27. Oktober 1988 (23) A-2963

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