Hans-Joachim Hacker, Klaus-Dieter Müller u. a.: „Die Vergangenheit läßt uns nicht los . . .“. Haftbedingungen politi- scher Gefangener in der SBZ/
DDR und deren gesundheitliche Folgen. Erweiterte Berichte der gleichnamigen Fachtagung in Hamburg für Ärzte, Psycholo- gen, Gutachter, Juristen der So- zialgerichtsbarkeit und Mitarbei- ter der Landesversorgungsämter, 240 Seiten, kartoniert, Schutz- gebühr 5 DM, Bestelladresse: Ge- denkstätte für die Opfer politi- scher Gewalt, Postfach 74, 39082 Magdeburg, Tel und Fax 03 91/
2 52 34 58
In der Veröffentlichung werden Fragen zu den Haft- bedingungen, den Haftfolgen, den gezielten psychologi- schen Verfolgungsmaßnah- men sowie den sich daraus er- gebenden Aspekten der ärzt- lichen Begutachtung von Fol- geschäden erörtert. Klaus- Dieter Müller belegt anhand umfangreichen Materials, welche Situationen und Be- dingungen für die politischen Gefangenen besonders trau- matisierend wirkten. Die aus- geprägte Willkür und Recht- losigkeit, die sofort mit der Verhaftung einsetzte und in der Phase der Verhöre extrem ausgeprägt war, wird von vie- len Betroffenen als eine der nachhaltigsten traumatischen Erfahrungen beschrieben.
Dazu kam die Todesangst, die nicht wenige der Betroffenen in den ersten Stunden, Tagen und Wochen nach der Inhaf- tierung durchzustehen hatten.
Während der Verneh- mungsphase waren Drohun- gen und Demütigungen ge- genüber den politischen In- haftierten weit verbreitet. Im Beitrag von Müller wird an- schaulich belegt, wie die direk- te körperliche Folter, die in den 50er Jahren noch weit ver- breitet war, im Laufe der Jahr- zehnte zwar abnahm, wie aber die verschiedensten Formen psychischer Folter bis zum Ende der DDR-Zeit weiterhin allgemein verbreitet waren.
In der Regel wurden die Inhaftierten vor der Entlas- sung aus dem Gefängnis bei erneuter Haftandrohung da- zu verpflichtet, nicht über ih- re Haftzeit zu reden. Sehr vie- le Betroffene hielten sich aus Angst an dieses Schweige- gebot. Wie man aus psycho- logischen Untersuchungen weiß, ist das Einhalten dieses Schweigegebots ein „idealer“
Nährboden für eine chronifi- zierte psychische Störung bei den Personen, die sich zwar mit ihren dramatischen Erin- nerungen zwangsläufig aus- einandersetzen, diese aber nicht mitteilen können.
Traumata kön- nen eine Vielzahl von psychischen und psychosoma- tischen Folge- krankheiten her- vorrufen. Unter den psychischen Folgen der politi- schen Haft in der DDR ist die post- traumatische Be- lastungsstörung regelmäßig anzu- treffen. Die Be- troffenen quälen sich buchstäblich mit ihren unaus- löschlichen Erin- nerungen, sie rea- gieren ängstlich und aversiv auf al- les, was sie noch heute an ihre Haft erinnert, und ha- ben eine deutlich
herabgesetzte Lebensqualität aufgrund von Schlafstörungen sowie einer Vielzahl von psy- chischen und somatischen Symptomen. Allerdings ist es eher ein „stilles“ Leiden. Die Betroffenen sind oft von ei- nem grundlegend vorgegebe- nen Mißtrauen gegenüber ihren Mitmenschen geprägt, das sie zu sozialem Rückzugs- verhalten veranlaßt.
Klaus Behnke und Stefan Trobisch beschreiben, daß
diese psychischen Verände- rungen im wesentlichen de- nen von anderen Traumaop- fern entsprechen. Doris De- nis schildert das Störungsbild der posttraumatischen Bela- stungsstörung im Detail. De- nis zeigt, daß eine Reihe von Bewältigungsversuchen kei- ne Erleichterung bringen.
Einen wichtigen Aspekt der psychischen Dynamik traumatischer Erinnerungen greift Friedhelm Boll heraus.
Er untersucht die Art und Weise der Erzählungen, in de- nen ehemalige politische Ge- fangene von ihren Hafter- fahrungen berichten. Er be- schreibt zwei Personentypen mit unterschiedlichen Erzähl- formen: Die einen erzählen repetitiv von immer dem Gleichen, wobei dies meist an der sachlich dokumentari- schen „Oberfläche“ verbleibt.
Die anderen sind eher da- durch gekennzeichnet, daß sie über die Haftzeit nur bruch- stückhaft berichten können – bei ihnen liegen Erinnerungs- blockaden vor. Beiden Er- zähltypen ist bei genauerer Analyse das Fragmentarische und das Vermeiden des Er- zählens zentraler Leidenser- fahrungen gemeinsam.
Es stellt sich die Frage, wie den Betroffenen geholfen werden kann. Internationale
Erfahrungen bei anderen Gruppen von Traumaopfern haben gezeigt, daß es einen allgemeinen heilungsfördern- den Faktor neben spezifi- schen therapeutischen Me- thoden gibt. Dieser allgemein heilungsfördernde Faktor ist die öffentliche Würdigung der Opfer – begleitet von der Ächtung der Täter.
Neben der öffentlichen Würdigung wird in vielen Fäl- len die medizinisch-gutach- terliche Anerkennung der Gesundheitsschäden der Be- troffenen angebracht sein.
Michael Bauer beschreibt ei- nige Probleme bei der Begut- achtung von psychischen Störungen nach politischer Haft in der DDR. Er zeigt auf, daß erst in den letzten Jahren ein Umlernprozeß bei den Gutachtern in Gang ge- kommen ist, die Haftzeiten in der DDR als traumatische Geschehen zu sehen und die dadurch verursachten psychi- schen Beeinträchtigungen zu erkennen.
Der geschichtliche Ver- gleich zu den zunächst ebenso zögerlich vorgehenden Be- gutachtungen von KZ-Op- fern hat gezeigt, daß viele der Betroffenen durch inadäqua- te Gutachten gleichsam dop- peltes Unrecht erlitten. In vielen Fällen machen es aller- dings auch die ehemaligen politischen Opfer den Gut- achtern nicht leicht. Sie stel- len körperliche Störungen in den Vordergrund und rekla- mieren Haftschädigungskau- salitäten ausschließlich im körperlichen Bereich. Das ei- gentliche psychische Leiden wird dagegen von den Betrof- fenen oft dissimuliert.
Die Veröffentlichung geht leider kaum auf die therapeu- tischen Möglichkeiten ein, die in den letzten Jahren in- ternational für Gewaltopfer entwickelt wurden und die er- mutigende Ergebnisse er- brachten. Dennoch kann die Broschüre sehr empfohlen werden, da sie eine Reihe wichtiger Bausteine zur Auf- arbeitung der Folgeschäden politischer Haft enthält.
Andreas Maercker, Dresden
A-1574 (14) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 25, 19. Juni 1998
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