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Archiv "Frauen und Kinder als Opfer häuslicher Gewalt: Häusliche Gewalt von beiden Geschlechtern" (09.03.2007)

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A658 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 10⏐⏐9. März 2007

M E D I Z I N

Niedrigschwellige Angebote auch für Männer

Es mag derzeit dem Mainstream entsprechen, Frauen (schon in der Überschrift) grundsätzlich als Opfer zu definieren. Wenn der Autor des Artikels als Beleg für die 90 % Opferrolle der Frauen eine Arbeit zitiert, die sich explizit mit Gewalt gegen Frauen beschäftigt, lässt er jedoch wissenschaftliche Objektivität vermis- sen.

Mindestens ein Dutzend Untersuchungen belegen übereinstimmend ein fast ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern, zum Beispiel 103 185 durch Männer verübte häusliche Gewalttaten und 116 122 häusliche Gewalttaten, die von Frauen begangen wurden (1, 2).

Wie der Autor zu Recht erwähnt, sind die meisten Gewalttäter selbst Opfer von Misshandlungen in der Kinder- und Jugendzeit gewesen. Während es ein dichtes Netz frauenspezifischer Hilfsangebote gibt (Frauenhäuser, Kompass), sind Jungen von einer Hil- fe weitgehend ausgeschlossen, zumal sie sich un- gleich schwerer tun, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Selbst Patienten, die von ihren Ehefrauen mit Messern angegriffen worden sind oder mit kochendem Wasser übergossen wurden, scheuen den Gang zur Polizei aus der realistischen Angst heraus, dort ausgelacht zu werden. Hier muss dringend ein niederschwelliges Angebot für Jungen und Männer überhaupt erst aufge- baut werden, gerade auch zur künftigen Gewalt- prävention.

Eine einseitige Abstempelung als 100 % Opfer und 100 % Täter mag bequem sein. Sie widerspricht aber sämtlichen Konflikttheorien und wird der Konflikt- dynamik gerade im vielschichtigen häuslichen Um- feld selten gerecht.

Nur eine Betrachtung des Gesamtsystems, das auch psychische Gewalt mit einschließt, bietet eine Chance auf Deeskalation und Befriedung.

LITERATUR

1. Archer J: Sex differences in physically aggressive acts. Aggression und Behaviour 2002; 7: 313–51.

2. Bock: Sicherheit und Kriminalität LZ für politische Bildung BW 2003; Heft 1.

Dr. med. Ulrich Mors Bahnhofstraße 11 73235 Weilheim/Taunus

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Männer sind auch Gewaltopfer

Einen mir wichtigen Punkte möchte ich hinzufügen:

Es gibt auch häusliche Gewalt gegen Männer. Ich ha- be kürzlich Fotos von Bisswunden, Prellungen, Bril- lenhämatom von einem jungen Mann erstellt, der vor den Augen des dreijährigen Sohnes von seiner Frau misshandelt wurde. Ein Mann wird es sehr schwer ha- ben, die Angriffe einer ansonsten sehr lieben und bra- ven Frau nachweisen und eventuell vor Gericht glaub- haft machen zu können. Die Dunkelziffer dürfte bei tätlichen Angriffen von Frauen gegen Männer sehr hoch sein, weil sich jeder Mann schämt, dass so etwas zu Hause vorkommt.

Als Hausärztin habe ich immer wieder mit häusli- cher Gewalt zu tun. Die Angstschwelle der Frauen, sich aus dieser Beziehung zu lösen, ist oft sehr hoch, unter anderem weil die Partner mit Gewalt gegen die im Haushalt lebenden Kinder drohen. Auffallend ist auch, dass misshandelte Frauen relativ häufig ihren Hausarzt wechseln. Sie wollen anscheinend, dass möglichst niemand über ihr Problem zu Hause Be- scheid weiß.

Dr. med. Maria Hussain Allgemeinärztin Fürstenrieder Str. 95 80686 München

Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Häusliche Gewalt von beiden Geschlechtern

In ihrer Arbeit zur Gewalt gegen Frauen berichten Seifert und Kollegen, dass „obwohl [...] auch Männer Opfer häuslicher Gewalt werden können [... sind.]

mehr als 90 Prozent der Opfer weiblich.“ Hierbei wird ein Bericht von Prof. Carol Hagemann-White zitiert, der im Auftrag des nordrhein-westfälischen Landtags erarbeitet wurde. Angaben zu dem prozentualen An- teil von Frauen oder Männer als Opfer fehlen jedoch in diesem Bericht, der sich mit häuslicher Gewalt ge- gen Männer – abgesehen von einer Fußnote auf Seite 16 – überhaupt nicht befasst.

Dieses Fehlzitat macht darauf aufmerksam, dass der Anteil an häuslicher Gewalt gegen Männer oft unterschätzt wird. So kam eine im Jahre 2004 vom Bundesfamilienministerium durchgeführte Studie mit dem Titel „Gewalt gegen Männer“ zu dem Ergebnis, dass „jedem vierten der Befragten [...] einmal oder mehrmals mindestens ein Akt körperlicher Gewalt durch die aktuelle oder letzte Partnerin [widerfuhr.]“

Hiervon hatten „etwa fünf Prozent der Befragten in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt mindestens einmal eine Verletzung davon getragen“ (1). Andere deutsche (2) sowie österreichische (3) Erhebungen ge- zu dem Beitrag

Frauen und Kinder als Opfer häuslicher Gewalt

von Dr. med. Dragana Seifert, Dr. med. Axel Heinemann, Prof. Dr. med. Klaus Pü- schel, in Heft 33/2006

DISKUSSION

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 10⏐⏐9. März 2007 A659

M E D I Z I N

hen ebenfalls davon aus, dass beide Geschlechter etwa gleich oft häusliche Gewalt ausüben. Zwar führt die häusliche Gewalt von Männern wesentlich häufiger zu schweren körperlichen Verletzungen, dennoch sind schwere Verletzungen von Männern durch häusliche Gewalt durchaus keine Seltenheit.

Seifert tut recht daran, uns auf das weit verbreitete Problem der häuslichen Gewalt gegen Frauen auf- merksam zu machen. Das Bewusstsein für die Mög- lichkeit häuslicher Gewalt beim verletzten Mann darf jedoch hierbei nicht aus dem Blick geraten, zumal Männer oft Schwierigkeiten haben, sich als deren Op- fer zu bekennen.

LITERATUR

1. Jungnitz L, Lenz H-J, Puchert R: Gewalt gegen Männer:

Personale Gewaltwiderfahrnisse von Männern in Deutschland – Ergebnisse einer Pilotstudie 2004. Leverkusen: Budrich Verlag 2007.

2. Krahé B, Berger A: Sex differences in relationship aggression among young adults in Germany. Sex Roles: A Journal of Research 2005; 52: 829–38.

3. Österreichische Bundesregierung. Gewalt in der Familie. 2001;

300–1. Online verfügbar:

http://bmsgk.cms.apa.at/cms/site/attachments/9/6/0/CH0098/

CMS1056453530966/gewaltbericht_neu.pdf.

Prof. Dr. med. Paul Cullen Kanalstr. 33

48147 Münster E-Mail: cullen@web.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Kinder sind in erster Linie Opfer

Gut, dass Hilfe für Gewaltopfer als ärztliche Aufga- be gilt. Leider erwähnen die Autoren des Artikels die am schwersten betroffenen Opfer nur als Anhängsel der Mütter. Während nach dem Frauengesundheitsbe- richt der Bundesregierung 4 % (Ost) beziehungsweise 6 % (West) der Frauen im Lebensverlauf schwere häus- liche Gewalt erleiden, ermittelte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen, dass jährlich eines von 6 Kindern unter 12 Jahren Misshandlungen oder schwere Züchtigungen durch Eltern erlebt (1).

Immer noch wird gegen diese Missstände zuwenig getan. Kinderschutz und Jugendhilfe wollen „Hilfe statt Strafe“, was die Kette der Gewalt oft nicht bricht.

Frauenpolitikerinnen meiden das Thema, weil Krimi- nalstatistik und Forschung belegen, dass vor allem Mütter die häusliche Züchtigungspraxis bestimmen, die ebenso häufig oder noch häufiger als Väter zu- schlagen, wobei die Mehrheit der Väter auf Initiative oder in Abstimmung mit den Müttern schlägt. Dies geht auch aus der von der Bundesregierung finanzier- ten Begleitforschung zum neu geschaffenen Kinder- recht auf gewaltfreie Erziehung nach § 1631 Bundes- gesetzbuch (2) hervor. Knaben sind häufiger Opfer von leichten bis zu tödlichen Züchtigungsformen als Mädchen.

Und die Ärzte? Jüngst befürchtete der Kinderärzte- verband, die Einführung von Pflichtvorsorgeuntersu- chungen könnte bei misshandelten Kindern die Ärzte in juristische Zwickmühlen zwischen Schweigegebot und Kindeswohl bringen. Das Thema sollte am besten Hebammen und Sozialpädagogen überlassen werden.

Nur 3 500 Misshandlungsfälle jährlich werden ange- zeigt, viel mehr sehen auch die Jugendämter nicht.

Selbst in Berlin als einzigem Bundesland mit einem Kriminalkommissariat für Misshandlungen an Schutz- befohlenen erfahren die Behörden nur von 10 % der Fälle. Die meisten kindlichen Opfer häuslicher Gewalt bleiben ohne Schutz und Hilfe.

LITERATUR

1. Pfeiffer C, Wetzels P, Enzmann D: Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihre Auswirkungen. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Forschungsbericht Nr. 80, Seite 10 www.kfn.de/fb80.pdf

2. Evaluation des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung.

Forschungsreports 2001-2005 an der Universität Halle: http://buss- mann.jura.uni-halle.de/forschung/familiengewalt/index.de.php 3. Zahlen zu Kindesmisshandlung in Berlin: www.welt.de/

data/2006/02/16/846723.html.

Prof. Dr. phil. Dr. med. Ulrich Mueller

Institut für Medizinische Soziologie und Sozialmedizin Philipps-Universität Marburg

Busenstraße 2 35033 Marburg

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Schlusswort

Gewalt gegen Männer gibt es zweifelsohne, wir stim- men den Leserbriefschreibern zu, dass Männer selte- ner bereit sind, sich als Opfer häuslicher Gewalt er- kennen zu geben als Frauen. In der vom Bundesfami- lienministerium durchgeführten Studie mit dem Titel

„Gewalt gegen Männer“ wird ausgeführt: „Kein einzi- ger der Männer, die angeben, häusliche Gewalt durch die Partnerin erfahren zu haben, hat die Polizei geru- fen, obwohl einige der Meinung waren, dass die Part- nerin dafür bestraft werden sollte.“

Zurzeit gibt es keine verlässlichen Daten aus Deutschland; die Autoren der genannten Pilotstudie führen in der Einleitung zu ihrem Bericht auf, dass die Ergebnisse ihrer Pilotstudie wegen der geringen Fall- zahl keine tragfähige Verallgemeinerung auf die Grundgesamtheit aller Männer in Deutschland zulas- sen. Tjaden und Thoennes haben in ihrem im Jahr 2000 veröffentlichten Bericht ausgeführt, dass sie 8 000 Frauen und 8 000 Männer in den Vereinigten Staaten zu ihrer Gewalterfahrung befragt haben. Davon gaben 20,3 % der Frauen und 7,7 % der Männer an, Gewalt in heterosexueller Partnerschaft erlebt zu haben. Hinge- gen gaben 15 % der homosexuellen Männer an, durch ihren Partner Gewalt erlebt zu haben. Daraus schließen die Autoren, dass Gewalt in Partnerschaften häufiger von Männern ausgeübt wird als von Frauen. Max Hal-

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