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EuGH Report 2/09

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2/09

A Direkte Steuern

I EuGH, Urteil v. 27.1.2009 – Rs. C-318/07 (Persche)1

Abzugsfähigkeit von

grenzüberschreitenden Spenden

1. Macht ein Steuerpflichtiger in einem Mitgliedstaat die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden an Einrichtungen geltend, die in einem anderen Mitgliedstaat ansäs- sig und dort als gemeinnützig anerkannt sind, fallen solche Spenden auch dann un- ter die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr, wenn es sich um Sachspenden in Form von Gegenständen des täglichen Gebrauchs handelt.

2. Art. 56 EG steht der Regelung eines Mit- gliedstaats entgegen, wonach bei Spenden an als gemeinnützig anerkannte Einrich- tungen nur Spenden an im Inland ansäs- sige Einrichtungen von der Steuer abgezo- gen werden können, ohne jede Möglichkeit für den Spender, nachzuweisen, dass eine Spende an eine Einrichtung, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, die nach dieser Regelung geltenden Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Vergünsti- gung erfüllt.

MWST-Experte FH, Walder Wyss & Partner AG, Zürich

Stefan Oesterhelt Rechtsanwalt, LL. M., dipl. Steuerexperte, Homburger AG, Zürich

Maurus Winzap Rechtsanwalt, LL. M., dipl. Steuerexperte Walder Wyss & Partner AG, Zürich

1 Ausgangssachverhalt

Herr Persche, der in Deutschland wohnhaft ist, spendete dem in Portugal ansässigen Cen- tro Popular de Lagoa Bett- und Badwäsche, Spielzeugautos und Rollatoren im Wert von insgesamt EUR 18 180.–. Beim Centro Popular de Lagoa handelt es sich um eine nach portu- giesischem Recht steuerbefreite gemeinnützige Organisation.

Schenkung

Centro Popular D

1 ABl. EU, C 69 vom 21.3.2009, 8; noch nicht in Slg. P

veröffentlicht.

(2)

Da der Spendenempfänger nicht in Deutsch- land ansässig ist, verweigerten die deutschen Steuerbehörden bei der Veranlagung der Ein- kommenssteuer von Herrn Persche den Spen- denabzug. Der in der Folge angerufene Fi- nanzgerichtshof legt die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor2.

2 Aus den Entscheidungsgründen

Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit

Der EuGH hält zunächst fest, dass nicht nur Geldspenden, sondern auch Sachspenden in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gemäss Art. 56 EG-Vertrag fallen. Der EuGH beruft sich dabei auf seine Rechtsprechung zu Erbschaften, wo auch nicht zwischen Sach- und Geldwerten unterschieden wird3.

Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit

Die deutsche Regelung gewährt bei der Veran- lagung der Einkommenssteuer den Abzug von Spenden, welche an eine in Deutschland an- sässige gemeinnützige Organisation gemacht werden. Eine solche Regelung hält in Deutsch- land wohnhafte Personen davon ab, an nicht in Deutschland ansässige gemeinnützige Personen zu spenden. Dies stellt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar.

Vergleichbarkeit

Der EuGH hält fest, dass jeder EU-Staat eigen- ständig definieren kann, für welche gemeinnüt- zigen Tätigkeiten er einen Steuerabzug gewäh- ren will. Das EU-Recht schreibt einem EU-Staat somit nicht vor, eine in einem anderen EU-Staat als gemeinnützig anerkannte Organisation ebenfalls als gemeinnützig anzuerkennen. Er- füllt die ausländische Organisation jedoch die

Voraussetzungen, welche ein EU-Staat an eigene gemeinnützige Organisationen stellt, so muss diese anerkannt werden. Eine Unterscheidung bloss nach dem Sitz der gemeinnützigen Orga- nisation ist mit der Kapitalverkehrsfreiheit nicht vereinbar.

Rechtfertigung

Der Rechtfertigungsgrund der Wirksamkeit der Steueraufsicht vermag die festgestellte Be- schränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Die Steuerbehörden können vom Steuerpflichtigen die Beibringung stichhaltiger Belege verlangen, durch die die Gemeinnüt- zigkeit der ausländischen Organisation sowie seiner Spende belegt wird. Zudem können rele- vante Informationen gestützt auf die Amtshilfe- richtlinie4 verlangt werden.

3 Anmerkungen

Bereits zum zweiten Mal muss sich der EuGH mit der steuerlichen Behandlung einer gemeinnüt- zigen Stiftung auseinandersetzen In der Rechts- sache Centro die Musicologia Walter Stauffer5 war vom EuGH die Frage zu beurteilen, ob eine in Italien als gemeinnützig anerkannte Stiftung für ihre in Deutschland erzielten Mieteinnah- men aus Immobilien dort Gewinnsteuern ent- richten müsse. Bereits damals hat der EuGH ent- schieden, dass die Besteuerung in Deutschland gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstösst, wenn die ausländische Stiftung nach deutschem Recht als «gemeinnützig» zu qualifizieren sei.

Im vorliegend besprochenen Urteil dehnt der EuGH diese Rechtsprechung auch auf die prak- tisch ungleich bedeutsamere Frage der Abzugs- fähigkeit grenzüberschreitender Spenden aus.

In beiden Urteilen hält der EuGH aber klar fest, dass jeder EU-Staat den Begriff der Gemeinnüt- zigkeit frei festlegen kann, sofern er inländische

(3)

Stiftungen diesbezüglich nicht privilegiert. Mit- hin muss die Qualifikation des anderen Staates betreffend Gemeinnützigkeit vom Ansässigkeits- staat des Spenders nicht übernommen werden.

Vielmehr muss nach dem Recht im Wohnsitz- staat des Spenders beurteilt werden, ob die aus- ländische Stiftung – wäre sie im Wohnsitzstaat des Spenders ansässig – gemeinnützig ist oder nicht.

Da die Kapitalverkehrsfreiheit auch gegenüber Drittstaaten wie der Schweiz anwendbar ist, ist das in der Rechtssache Persche ergangene Urteil auch mit Bezug auf Spenden anwendbar, wel- che gegenüber einer in der Schweiz ansässigen gemeinnützigen Organisation oder Stiftung ausgerichtet werden. Der EuGH hält diesbe- züglich aber fest, dass ein Ausschluss von an in Drittstaaten ansässigen Organisationen zuläs- sig sei, wenn eine vertragliche Verpflichtung des Drittstaates zur Gewährung von Informationen fehlt. Somit dürften schweizerische gemeinnüt- zige Stiftungen und Organisationen in der Regel

noch nicht vom in der Rechtssache Persche er- gangenen Urteil profitieren können. Dies wird sich voraussichtlich in naher Zukunft ändern, wenn die Schweiz in die Doppelbesteuerungs- abkommen mit den EU-Staaten eine Amtshilfe- klausel i.S.v. Art. 26 OECD-MA aufnimmt.

Im Übrigen muss angemerkt werden, dass die schweizerische Regelung betreffend Abzugsfä- higkeit von Spenden an gemeinnützige Orga- nisationen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstossen würde, wäre die Schweiz EU-Staat.

Art. 33a DBG und Art. 9 Abs. 2 lit. i StHG sehen nämlich eine Abzugsmöglichkeit nur für Spen- den an gemeinnützige Institutionen mit Sitz in der Schweiz vor. Dies ist auch dann der Fall, wenn Spenden an schweizerische Betriebsstätten ausländischer gemeinnütziger Organisationen, wie von der Lehre gefordert6, als gemäss Art. 33a DBG und Art. 9 Abs. 2 lit. i StHG abzugsfähig angesehen werden.

2 ABl. EU, C 247 vom 20.10.2007, 3.

3 Vgl. EuGH, Urteil v. 23.2.2006 – Rs. C-513/03 (van Hilten-van der Heijden), Slg. 2006, I-1957, Rz. 42.

4 Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern.

5 Vgl. EuGH, Urteil v. 14.9.2006 – Rs. C-386/04 (Centro Musicologia Walter Stauffer).

6 Vgl. Markus Reich, Gemeinnützigkeit als Steuerbefreiungsgrund, ASA 58 (1989/1990), 465 ff., 481; Markus Reich, in: Zweifel/Athanas (Hrsg.), Kommentar zum StHG, Basel 2002, Art. 9 N 52;

Zigerlig/Jud, in: Zweifel/Athanas (Hrsg.), Kommentar zum DBG, 2. Aufl., Basel 2008, Art. 33a N 5; Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 2. Auflage, Zürich 2006, § 32 N 35; Daniel Aeschbach, in:

Klöti-Weber/Siegrist/Weber (Hrsg.), Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 3. Auflage, Muri b. Bern 2009,

§ 40 N 191.

Inhaltsübersicht

A Direkte Steuern

I EuGH, Urteil v. 27.1.2009 – Rs. C-318/07 (Persche)

Abzugsfähigkeit von grenzüberschreitenden Spenden

II EuGH, Urteil v. 22.1.2009 – Rs. C-377/07 (STEKO Industriemontage)

Wertberichtigung von ausländischen Portfolio-Beteiligungen

III EuGH, Urteil v. 12.2.2009 – Rs. C-138/07 (Cobelfret)

Ausgestaltung des Beteiligungsabzugs bei der Mutter-Tochter-Richtlinie

IV EuGH, Urteil v. 12.2.2009 – Rs. C-67/08 (Block)

Doppelbesteuerung bei Erbschaften mangels Erbschafts-DBA

B Mehrwertsteuer

EuGH, Urteil v. 19.2.2009 – Rs. C-1/08 (Athesia)

Ortsbestimmung bei Leistungen auf dem Gebiet der Werbung

(4)

7 ABl. EU, C 69 vom 21.3.2009, 8, noch nicht in Slg.

veröffentlicht.

8 ABl. EU, C 283 vom 24.11.2007, 7.

9 Vgl. EuGH, Urteil v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 (Rewe Zentralfinanz), Slg. 2007, I–2647, Rz. 67.

10 Vgl. EuGH, Urteil v. 18.12.2007 – Rs. C-436/06 (Grønfeldt), Slg. 2007, I-12357.

11 Vgl. EuGH, Urteil v. 18.12.2007 – Rs. C-101/05 (A), Slg. 2007, I-11531.

12 Vgl. zu dieser Problematik eingehend Stefan Oesterhelt, Bedeutung der Kapitalverkehrsfreiheit für die Schweiz, ST 2008, 256 ff.

II EuGH, Urteil v. 22.1.2009 – Rs. C-377/07

(STEKO Industriemontage)7

Wertberichtigung von ausländischen Portfolio-Beteiligungen

Bei einer Sachlage wie der des Ausgangsver- fahrens, bei der eine inländische Kapitalge- sellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft mit weniger als 10% beteiligt ist, ist Art. 56 EG dahin auszulegen, dass er einer Regelung entgegensteht, wonach ein Verbot des Abzugs von Gewinnminderungen im Zusammen- hang mit einer solchen Beteiligung für Betei- ligungen an einer ausländischen Gesellschaft früher in Kraft tritt als für Beteiligungen an einer inländischen Gesellschaft.

1 Ausgangssachverhalt

STEKO, eine GmbH mit Sitz in Deutschland hielt im Jahre 2001 in ihrem Anlagevermögen Aktien ausländischer börsenkotierter Gesell- schaften. Die Beteiligungen lagen unter 10%.

Es muss davon ausgegangen werden, dass auch Aktien von in Drittstaaten ansässigen Gesell- schaften gehalten wurden.

In der Bilanz per 31.12.2001 nahm STEKO auf diesen Aktien wegen Kursrückgangs eine Wert- berichtigung vor. Diese Wertberichtigung wurde von den deutschen Steuerbehörden steuerlich nicht anerkannt, da im Jahr 2001 Wertberich-

tigungen auf ausländischen Beteiligungen steuer lich nicht abzugsfähig waren. Wertberich- tigungen auf deutschen Beteiligungen waren in diesem Jahr steuerlich abzugsfähig. Der in der Folge angerufene Bundesfinanzhof legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor8. 2 Aus den Entscheidungsgründen Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit Im Jahre 2001 befanden sich Gesellschaften mit im Wert gesunkenen Aktien ausländischer Aktien in einer steuerlich ungünstigeren Situa- tion als solche mit inländischen Aktien. Eine solche unterschiedliche Behandlung nach dem Kapitalanlageort vermag inländische Ge- sellschaften davon abzuhalten, ausländische Beteiligungen zu halten. Insofern liegt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vor.

Dass diese Ungleichbehandlung nur für das Jahr 2001 bestand und im nächsten Jahr korri- giert wurde, spielt dabei keine Rolle.

Keine Rechtfertigung

Unter Verweis auf die in der Rechtssache REWE Zentralfinanz ergangene Rechtsprechung9 hält der EuGH fest, dass die Möglichkeit, später in der

Dritt- staaten STEKO

D

EU

< 10% < 10%

(5)

Höhe der nicht berücksichtigten Wertberück- sichtigung einen steuerfreien Kapitalgewinn zu erzielen, keine Rechtfertigung unter dem Ge- sichtspunkt der Kohärenz ermögliche.

Mit Bezug auf den ebenfalls angerufenen Recht- fertigungsgrund der Notwendigkeit, eine effek- tive Steuerkontrolle herzustellen, hält der EuGH fest, dass dieser Rechtfertigungsgrund jedenfalls dann nicht greife, wenn der Wertverlust von Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften die Folge eines Börsenverlustes ist.

3 Anmerkungen

Das in der Rechtssache STEKO Industriemonta- ge ergangene Urteil des EuGH betrifft die deut- sche Übergangsregelung, welche den Übergang Deutschlands vom Vollanrechnungs- zum Halb- einkünfteverfahren regelt. Dieser Systemwech- sel war deshalb notwendig geworden, weil das Vollanrechnungsverfahren ausländische Inve- stitionen steuerlich benachteiligt hatte, da bloss die von einer Gesellschaft in Deutschland ent- richteten Gewinnsteuern an die Einkommens- steuer angerechnet wurden. Wie bereits im in der Rechtssache Grønfeldt ergangenen Urteil kommt der EuGH zum Schluss, dass auch eine Übergangsregelung vor den im EG-Vertrag ent- haltenen Grundfreiheiten standhalten muss und zwar selbst dann, wenn die Gesetzesände- rung gerade das Ziel verfolgt hat, ein Steuer- sys tem langfristig europarechtskonform zu gestalten10.

Aus schweizerischer Sicht von Interesse sind insbesondere die Ausführungen des EuGH zur Drittstaatenwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit.

Während das in der Rechtssache Grønfeldt er- gangene Urteil des EuGH nämlich die Veräusse- rung einer Portfolio-Beteiligung von 2,1% an ei- ner in Dänemark ansässigen Gesellschaft durch eine in Deutschland ansässige Person (und so- mit einen rein innereuropäischen Sachverhalt)

betraf, betrifft das Urteil STEKO Industriemon- tage auch Beteiligungen an in Drittstaaten (wie z. B. der Schweiz) ansässigen Gesellschaften.

Dabei handelt es sich um eines der ersten Ur- teile, in denen der EuGH zum Schluss gelangt ist, dass die Regelung eines EU-Staates mit Be- zug auf Investments in Drittstaaten gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstösst.

Bemerkenswert ist dabei die lapidare Aussage des EuGH, dass der Rechtfertigungsgrund der Notwendigkeit, eine effektive Steuerkontrolle herzustellen, dann nicht greife, wenn der Wert- verlust von Beteiligungen an ausländischen Ge- sellschaften die Folge eines Börsenverlustes sei.

Diese Bemerkung zielt auf die Frage des vorle- genden Gerichtes ab, ob nicht zumindest mit Be- zug auf Beteiligungen aus Drittstaaten (wie z. B.

der Schweiz) eine allfällige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt sein kön- ne. Während der EuGH in der Rechtssache A zum Schluss gelangte, dass gegenüber Drittstaaten unter dem Titel «Notwendigkeit steuerlicher Kontrolle» ein anderer Massstab gelten könne als im innereuropäischen Verhältnis, da dies- bezüglich die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (Amtshilferichtlinie) sowie die EU-Harmonisierungsmassnahmen auf dem Gebiet der Buchführung nicht gelten11, fehlt im Urteil STEKO Industriemontage eine derartige Unterscheidung12.

Zumindest mit Bezug auf Wertberichtigungen auf Beteiligungen an börsenkotierten schwei- zerischen Gesellschaften ist somit das Urteil STEKO Industriemontage ebenfalls anwendbar.

Ob mit Bezug auf Wertberichtigungen auf Betei- ligungen nicht börsenkotierten schweizerischen Gesellschaften gestützt auf die in der Rechtssa- che A ergangene Rechtsprechung etwas anderes gilt, ist dagegen nicht auszuschliessen.

(6)

13 ABl. EU C 82 vom 4.4.2009, 3, noch nicht in Slg.

veröffentlicht.

14 ABl. EU C 117 vom 29.5.2007, 14.

15 So bereits EuGH, Urteil v. 12.12.2006 – Rs. C. 446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Slg.

2006, I-11753, Rz. 43 f.

16 Dadurch werden die Verwaltungskosten pauschal mit 5% abgegolten, was nach Art. 4 Abs. 2 Mutter-Tochter- Richtlinie zulässig ist.

III EuGH, Urteil v. 12.2.2009 – Rs. C-138/07 (Cobelfret)13

Ausgestaltung des Beteiligungsabzugs bei der Mutter-Tochter-Richtlinie

Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtli- nie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mut- ter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der die von einer Muttergesellschaft be- zogenen Dividenden in ihre Besteuerungs- grundlage einbezogen werden, um davon anschliessend zu 95% abgezogen zu werden, soweit in dem entsprechenden Besteuerungs- zeitraum nach Abzug der anderen steuer- freien Einkünfte ein positiver Gewinnsaldo verbleibt.

Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richt- linie 90/435 ist unbedingt und hinreichend genau, um vor den nationalen Gerichten geltend gemacht zu werden.

1 Ausgangssachverhalt

Die in Belgien ansässige Cobelfret NV bezog in den Jahren 1992 bis 1998 Dividenden aus Be- teiligungen an in Grossbritannien ansässigen Gesellschaften.

In den Jahren, in denen Cobelfret Verluste erzielte, konnte sie in Belgien keinen Beteili- gungsabzug geltend machen. Das belgische Recht ermöglicht es auch nicht, den insofern verlorenen Beteiligungsabzug auf die Folge- jahre zu übertragen. Da Cobelfret der Auffas- sung ist, dass dies nicht mit der Mutter-Toch- ter-Richtlinie vereinbar ist, legte sie gegen die entsprechenden Veranlagungen Einsprache ein.

Der in der Folge angerufene Hof van beroep te Antwerpen legte die Sache dem EuGH zur Vor- abentscheidung vor14.

2 Aus den Entscheidungsgründen Methodendualismus von Art. 4 Abs. 1 Mutter-Tochter-Richtlinie

Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie sieht vor, dass, wenn eine Muttergesellschaft als Teilhaberin ihrer Tochtergesellschaft ausge- schüttete Gewinne bezieht, der Mitgliedstaat, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, diese Gewinne entweder nicht besteuert oder zulässt, dass die Muttergesellschaft auf die Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne entrichtet, und gegebenenfalls die Quellensteuer, die der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft erhebt, bis zur Höhe der entsprechenden innerstaatlichen Steuer anrechnen kann.

Dividende Cobelfret

B NV

GB

(7)

Die Mutter-Tochter-Richtlinie lässt somit dem Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft aus- drücklich die Wahl zwischen einem Befrei- ungs- und einem Anrechnungssystem, wobei die beiden Systeme für den Steuerpflichtigen durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können15.

Befreiungsmethode in Belgien

Belgien hat sich gemäss ausdrücklicher Er- klärung für das Befreiungssystem (Art. 4 Abs.

1 ers ter Gedankenstrich der Mutter-Tochter- Richtlinie) entschieden. Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich (Befreiungsmetho- de) macht die Freistellung der Dividenden von der Bemessungsgrundlage im Ansässigkeitsstaat nicht davon abhängig, ob Gewinne vorliegen oder nicht.

Da nach dem belgischen Beteiligungsabzug Dividendenerträge in Verlustjahren den Verlust- vortrag verringern, werden sie indirekt in den Folgejahren besteuert. Eine solche Regelung verstösst gegen Art. 4 Abs. 1 erster Gedanken- strich Mutter-Tochter-Richtlinie.

3 Anmerkungen

Die Mutter-Tochter-Richtlinie soll die steuer- lichen Nachteile beseitigen, welche Unterneh- men mit Tochtergesellschaften in anderen EU-Staaten erleiden. Konkret sieht die Mutter- Tochter-Richtlinie folgende Erleichterungen vor:

– Quellensteuern, welche auf Ausschüttungen von Beteiligungen erhoben werden, können gemäss Art. 5 Mutter-Tochter-Richtlinie voll- ständig zurückgefordert werden;

– Dividenden von Beteiligungen sind im Ansäs- sigkeitsstaat der Muttergesellschaft gemäss Art. 4 Mutter-Tochter-Richtlinie steuerlich zu entlasten. Dabei können die EU-Staaten

wahlweise ein Befreiungs- oder ein Anrech- nungssystem vorsehen.

Die vom EuGH vorliegend untersuchte Dividen- denfreistellung in Belgien ist dem Beteiligungs- abzug helvetischer Prägung nicht unähnlich:

Beteiligungserträge werden in einem ersten Schritt zur Bemessungsgrundlage hinzugerech- net. In einem zweiten Schritt können 95%16 der Beteiligungserträge wieder von der Bemessungs- grundlage abgezogen werden, solange ein posi- tiver Gewinnsaldo verbleibt. Wie beim schweize- rischen Beteiligungsabzug führt dies dazu, dass der Beteiligungsabzug in Verlustjahren ins Leere fällt, da die Beteiligungserträge den vorzutra- genden Verlust verringern.

Dass ein solcher Beteiligungsabzug keine echte Dividendenfreistellung bewirkt und so- mit gegen Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Mutter-Tochter-Richtlinie verstösst, ist ein- leuchtend. Interessant ist aber, dass es für den EuGH keine Rolle spielt, dass das den EU- Staaten in Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Mutter-Tochter-Richtlinie alternativ zur Verfügung stehende Anrechnungssystem zu einem ähnlichen Ergebnis führt. Der EuGH ist diesbezüglich klar: Entweder ein Staat ent- scheidet sich für das Anrechnungssystem oder er entscheidet sich für das Befreiungssystem, tertium non datur.

Mit Bezug auf Dividenden, welche eine schwei- zerische Tochtergesellschaft an eine in einem EU-Staat ansässige Muttergesellschaft ausrich- tet, kann man sich nicht auf das Urteil Cobel- fret berufen. Die Mutter-Tochter-Richtlinie ist nämlich nur im innereuropäischen Verhältnis anwendbar. Während die EU in Art. 15 Abs. 1 ZBstA der Schweiz auch die Befreiung von Di- videndenquellensteuern und somit eine Art. 5 Mutter-Tochter-Richtlinie vergleichbare Rege- lung gewährt hat, wurden der Schweiz bislang nicht die Vorzüge von Art. 4 Abs. 1 Mutter-Toch- ter-Richtlinie gewährt.

(8)

17 ABl. EU C 82 vom 4.4.2009, 6, noch nicht in Slg.

veröffentlicht.

18 ABl. EU C 107 vom 26.4.2008, 19.

19 Vgl. EuGH, Urteil v. 11.12.2003 – Rs. C-364/01 (Barbier), Slg. 2003, I–15013, Rz. 58; EuGH, Urteil v. 11.9.2008 – Rs. C-43/07 (Arens-Sikken), Rz. 30;

EuGH, Urteil v. 11.9.2008 – Rs. C-11/07 (Eckelkamp), Rz. 39; EuGH, Urteil v. 27.1.2009 – Rs. C-318/07 (Persche), Rz. 30 f.

20 Vgl. EuGH, Urteil v. 23.2.2006 – Rs. C-513/03 (van Hilten-van der Heijden), Slg. 2006, I-1957, Rz. 44; EuGH, Urteil v. 17.1.2008 – Rs. C-256/06 (Jäger), Slg. 2008, I-123, Rz. 31; EuGH, Urteil v.

11.9.2008 – Rs. C-43/07 (Arens-Sikken), Rz. 37;

EuGH, Urteil v. 11.9.2008 – Rs. C-11/07 (Eckelkamp), Rz. 44.

IV EuGH, Urteil v. 12.2.2009 – Rs. C-67/08 (Block)17

Doppelbesteuerung bei Erbschaften mangels Erbschafts-DBA

Die Art. 56 und 58 EG-Vertrag sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der bei der Berechnung der Erbschaftsteuer, die von einem Erben mit Wohnsitz in diesem Mit- gliedstaat auf Kapitalforderungen gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut geschuldet wird, die in dem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaft- steuer auf die im erstgenannten Mitgliedstaat geschuldete Erbschaftssteuer nicht angerech- net wird, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz im erstge- nannten Mitgliedstaat hatte.

1 Ausgangssachverhalt

Die in Deutschland wohnhafte Margarethe Block ist Alleinerbin einer Person, deren letz- ter Wohnsitz ebenfalls in Deutschland war. Der

Nachlass bestand im Wesentlichen aus Kapital- vermögen, das zu einem Teil (DM 144 255.–) in Deutschland und zu einem anderen Teil (DM 994 494.–) bei in Spanien ansässigen Ban- ken angelegt war. Für das in Spanien angelegte Vermögen bezahlte Frau Block dort umgerech- net DM 207 565.– Erbschaftssteuern.

Die in Spanien geschuldete Erbschaftssteuer wurde von den deutschen Steuerbehörden als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt. Entge- gen dem Antrag von Frau Block wurde die spa- nische Erbschaftssteuer nicht an die deutsche Erbschaftssteuer angerechnet. Der in der Folge angerufene Bundesfinanzhof legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor18.

Margarethe Block D

E

DM

DM

(Besteuerung)

21 EuGH, Urteil v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 (Kerckhaert und Morres), Slg. 2006, I-10967.

22 EuGH, Urteil v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 (Columbus Container Services), Slg. 2007, I-10451.

23 Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten.

24 Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (der Hinweis des EuGH im besprochenen Urteil auf Richtlinie 2003/48/EG vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen ist wohl ein Versehen).

25 ABl. EU, L 157, 38.

(9)

2 Aus den Entscheidungsgründen

Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit

Unter Bezugnahme auf seine bisherige Recht- sprechung hält der EuGH zunächst fest, dass es sich beim Erwerb von Todes wegen um Kapital- verkehr i.S.v. Art. 56 EG-Vertrag handelt (egal, ob er Geldbeträge, unbewegliche Güter oder beweg- liche Güter betrifft), es sei denn, ein Fall weise mit keinem seiner wesentlichen Elemente über die Grenzen eines EU-Staates hinaus19. Vererbt eine Person mit letztem Wohnsitz in Deutsch- land Kapitalforderungen gegen eine in Spanien ansässige Bank, handelt es sich nicht um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt, weshalb der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegend erschlossen ist.

Keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit

Weiter hält der EuGH fest, dass mit Bezug auf Erbschaften Massnahmen, die eine Wertminde- rung des Nachlasses desjenigen bewirken, der in einem anderen Staat ansässig ist als dem EU- Staat, in dem sich die betreffenden Vermögens- gegenstände befinden und in dem deren Erwerb von Todes wegen besteuert wird, praxisgemäss als Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gelten20.

Der EuGH räumt ein, dass der Umstand, dass die in Spanien erhobene Erbschaftssteuer nicht an die in Deutschland geschuldete Erbschaftssteuer angerechnet werde, dazu führe, dass die Steu- erbelastung höher sei, wenn der Erblasser ein spanisches Bankkonto vererbe als wenn er ein deutsches Bankkonto vererbe. Dieser Nachteil folgt aber daraus, dass sowohl Deutschland wie auch Spanien ihr Besteuerungsrecht parallel zueinander ausüben.

Die Vermeidung einer solchen Doppelbe- steue rung ist nicht Sache des EU-Rechts, sondern soll – wie in Art. 293 EG-Vertrag vor- gesehen – durch den Abschluss von bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen sichergestellt werden. Mithin ist vorliegend keine Beschrän- kung der Kapitalverkehrsfreiheit gegeben.

3 Anmerkungen

Wie bereits in den Rechtssachen Kerck haert und Morres21 und Columbus Container Services22 hält der EuGH fest, dass die Ver- meidung einer Doppelbesteuerung, welche aus der parallelen Ausschöpfung der Besteue rungs- befugnis durch zwei EU-Staaten erfolge, durch bilaterale Doppelbesteuerungsabkom men si- chergestellt werden müsse, nicht dass die im EG-Vertrag enthaltenen Grundfreiheiten dies- bezüglich nicht angerufen werden können.

Das Europarecht schreibt bei seinem gegenwär- tigen Entwicklungsstand somit keine Grundsätze für die Verteilung der Steuerkompetenzen vor.

Ausnahmen bilden bloss die in der Mutter-Toch- ter-Richtlinie23, der Zins-/Lizenzrichtlinie24 sowie im Übereinkommen vom 23. Juli 1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen25 enthaltenen Bestimmungen.

Im in der Rechtssache Block ergangenen Ur- teil dehnt der EuGH die in den Rechtssachen Kerckhaert und Morres bzw. Columbus Con- tainer Services für die Einkommens- bzw. Ge- winnsteuer begründete Rechtsprechung auch auf die Erbschaftssteuer aus. Da es zwischen den EU-Staaten vergleichsweise wenige Dop- pelbesteuerungsabkommen im Bereich der Erbschaftssteuer gibt, sind in diesem Bereich Doppelbesteuerungen bei grenzüberschreiten- den Sachverhalten häufig, weshalb das in der Rechtssache Block ergangene Urteil erhebliche praktische Bedeutung hat.

(10)

B Mehrwertsteuer26 EuGH, Urteil v. 19.2.2009 – Rs. C-1/08 (Athesia)27

Ortsbestimmung bei Leistungen auf dem Gebiet der Werbung

Art. 9 Abs. 2 Bst. e der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EWG28 ist dahin auszulegen, dass der Ort bei Leistungen auf dem Gebiet der Werbung grundsätzlich der Sitz des Dienst- leistungsempfängers ist, wenn dieser ausser- halb der Gemeinschaft ansässig ist. Die EU- Mitgliedstaaten können jedoch von diesem Grundsatz abweichen und von der Möglich- keit in Art. 9 Abs. 3 Bst. b der 6. MWST-Richtli- nie 77/388/EWG29 Gebrauch machen und den Ort der Leistung als im Inland erbracht be- trachten. Diese Abweichung findet jedoch nicht auf Dienstleistungen im Bereich der Werbung Anwendung, die ein ausserhalb der Gemein- schaft ansässiger Leistungserbringer gegen- über seinen eigenen Kunden erbracht hat.

Der Besteuerung nach Art. 9 Abs. 3 Bst. b der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EG30 steht ein all- fälliger Erstattungsanspruch nicht ent gegen.

1 Ausgangssachverhalt

Athesia Advertising GmbH («Athesia») ist eine Werbeagentur mit Sitz in Innsbruck. In den Jah- ren 1993 und 1994 (also vor dem EU-Beitritt Österreichs31) erwarb sie im eigenen Namen und für ihre österreichischen und deutschen Kun- den Werbeflächen in italienischen Medien (Zei- tungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen).

Athesia übte ihre Geschäftstätigkeit unmittelbar von Österreich aus und besass keine feste Nie- derlassung in Italien. Sie verfügte jedoch über eine italienische Tochtergesellschaft, die als ihre Steuervertreterin agierte. Die bezogenen Wer- beleistungen wurden Athesia mit italienischer

Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt. Über ihre Steuervertreterin beantragte Athesia deren Er- stattung nach der 13. MWST-Richtlinie 86/560/

EWG32.

1999 erhielt Athesia einen Nacherhebungs- bescheid der italienischen Mehrwertsteuerbe- hörden betreffend Nachsteuern für die in den Jahren 1993 und 1994 gegenüber ihren öster- reichischen und deutschen Kunden erbrachten Werbeleistungen, welche sie in Italien nicht ver- steuert hatte. Nach erfolgloser Anfechtung dieses Bescheids führte der Rechtsweg schliesslich zum Corte suprema di cassazione, welcher das Ver-

26 Im Weiteren sei noch auf folgende in den

Berichtszeitraum vom 1.1.2009 bis 31.3.2009 fallende Urteile des EuGH zur Mehrwertsteuer verwiesen:

EuGH, Urteil v. 15.1.2009 – Rs. C-502/07 (K-1) zur Festsetzung einer «Strafsteuer» bei unzutreffender MWST-Abrechnung; EuGH, Urteil v. 12.2.2009 – Rs. C-515/07 (Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie) zum anteiligen Vorsteuerabzug bei gemischter Verwendung; EuGH, Urteil v. 5.3.2009 – Rs. C-302/07 (JD Wetherspoon) zu Rundungsregeln bei Mehrwertsteuerbeträgen.

27 ABl. EU, C 90 vom 18.4.2009, 5, noch nicht in Slg.

veröffentlicht.

28 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 Bst. b der MWST-System- Richtlinie 2006/112/EG.

29 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

30 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

31 Der EU-Beitritt Österreichs erfolgte per 1.1.1995.

32 Vgl. Richtlinie 86/560/EWG des Rates betreffend das Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige v. 17.11.1986, ABl. EU Nr. L 326 v. 21.11.1986, 40.

33 Vgl. Corte suprema di cassazione (Italien), Vorabentscheidungsersuchen v. 20.09.2007, ABl. EU C 64 v. 8.3.2008, 28.

34 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 Bst. b der MWST-System- Richtlinie 2006/112/EG.

35 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 Bst. b der MWST-System- Richtlinie 2006/112/EG.

(11)

fahren aussetzte und den EuGH um Vorabent- scheidung nach Art. 234 EG ersuchte33. Gegenstand der Vorlage ist im Kern die Fra- ge, wie der Ort einer Leistung auf dem Gebiet der Werbung zu bestimmen ist, und zwar zum einen,

• für eine Werbeleistung, welche von Leistungs- erbringern mit Sitz innerhalb der EU (italie- nische Medien) an einen Leistungsempfän- ger ausserhalb der Gemeinschaft (Athesia) als deren Zwischenhändler erbracht werden, der im EU-Mitgliedstaat des Leistungser- bringers einen Steuervertreter hat, und zum anderen

• für die entsprechende Werbeleistung, welche der erste Leistungsempfänger und Zwischen- händler mit Sitz ausserhalb der Gemein- schaft (Athesia) an seine Abnehmer mit Sitz innerhalb und ausserhalb der EU (Endab- nehmer) weiterverrechnet.

2 Aus den Entscheidungsgründen Empfängerortsprinzip bei Werbeleistungen

Einleitend hält der EuGH fest, dass nach Art. 9 Abs. 2 Bst. e zweiter Gedankenstrich der 6. MWST-

Richtlinie 77/388/EWG34 als Ort von Leistungen auf dem Gebiet der Werbung, die an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch aus- serhalb des Landes des Leistungserbringers ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort gilt, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Einrichtung hat, für welche die Dienst- leistung erbracht worden ist, oder bei Fehlen eines solchen Sitzes oder Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

Geltung des Empfängerortsprinzips auch bei «indirekter» Werbeleistung

Der EuGH bestätigt ferner seine bisherige Rechtsprechung, dass vom Empfängerorts- prinzip des Art. 9 Abs. 2 Bst. e zweiter Gedan- kenstrich der 6. MWST-Richtlinie 77/388/

EWG35 nicht nur solche Werbeleistungen er- fasst seien, welche der Leistungserbringer unmittelbar an einem Werbetreibenden er- bringe und in Rechnung stelle, sondern auch solche, welche nur mittelbar für den Werbetrei- benden ausgeführt und einem Dritten in Rech- nung gestellt werden, der die Werbeleistung

Steuervertreter IT

AT

DE

Kunden Werbung

Werbung

Werbung Medienhäuser

ATHESIA

(12)

seinerseits an den Werbetreibenden weiterfak- turiert36.

Abweichende Leistungsortbestimmung durch nationalen «Use and enjoyment override»

Abweichend von der Regelung in Art. 9 Abs. 2 Bst. e der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EG37 räu- me Art. 9 Abs. 3 Bst. b derselben Richtlinie38 den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, den Ort einer Dienstleistung, der gemäss Art. 9 Abs. 2 Bst. e der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EG39 aus- serhalb der Gemeinschaft liegt, so zu behan- deln, als läge er im Inland, wenn dort die tat- sächliche Nutzung oder Auswertung erfolgt. Für die in Rede stehenden Werbeleistungen hält der EuGH fest, dass als Ort der tatsächlichen Nut- zung oder Auswertung das Land zu verstehen, von welchem aus die Werbung verbreitet wer- de. Angewendet auf den Ausgangssachverhalt bedeute dies, dass die tatsächliche Nutzung oder Auswertung der in italienischen Medien veröffentlichten Werbebotschaften als in Italien erfolgt zu betrachten sei.

Habe folglich ein EU-Mitgliedstaat – wie vorlie- gend Italien – von der in Art. 9 Abs. 3 Bst. b der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EWG40 eingeräum- ten Möglichkeit der abweichenden Ortsbestim- mung nach dem Kriterium der Nutzung und Auswertung Gebrauch gemacht und liege eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens vor (Verbreitung der Werbebotschaften von diesem EU-Mitgliedstaat aus), so könnten die Steuer- behörden des betroffenen EU-Mitgliedstaates die von einem im Inland Steuerpflichtigen er- brachten Werbeleistungen nach Art. 9 Abs. 2 und 3 der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EWG41 als im Inland steuerbare und steuerpflichtige Dienst- leistungen betrachten.

Dies gelte aber nicht für Werbeleistungen, wel- che ein ausserhalb der Gemeinschaft ansäs- siger Zwischenhändler seinen eigenen Kunden

gegenüber erbracht habe. Vielmehr scheide in diesem Fall eine Verlagerung des Leistungsorts ins Inland über eine abweichende Ortsbestim- mung nach dem Ort der tatsächlichen Nutzung oder Auswertung im Rahmen einer nationalen Regelung in der Kann-Bestimmung des Art. 9 Abs. 3 Bst. b der 6. MWST-Richtlinie 77/388/

EWG42 aus, weil die Leistung eines ausserhalb der Gemeinschaft ansässigen Leistungserbrin- gers überhaupt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Bst. e der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EG43 falle.

Bestellung eines Steuervertreters ohne Einfluss auf die Leistungsortbestimmung

Der EuGH betont in diesem Zusammenhang, dass die Bestellung eines Steuervertreters als solche keine Auswirkung auf die Frage habe, ob die von dem vertretenen Steuerpflichtigen be- zogenen oder erbrachten Leistungen der Steuer unterliegen, da die Steuervertretung den natio- nalen Steuerbehörden lediglich die Möglichkeit eines lokalen Ansprechpartners bieten soll, wenn die steuerpflichtige Person im Ausland ansässig ist. Eine andere Situation ergäbe sich allen- falls, wenn der Steuervertreter bei den in Rede stehenden Leistungen eine wirtschaftliche

36 Vgl. EuGH, Urteil v.15.3.2001 – Rs. 108/00 (SPI), Slg.

2001, I-2361 Rz. 22; EuGH, Urteil v. 5.6.2003 – Rs. C-438/01 (Design Concept), Slg. 2003, I-5617, Rz. 17.

37 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 Bst. b der MWST-System- Richtlinie 2006/112/EG.

38 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

39 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 Bst. b der MWST-System- Richtlinie 2006/112/EG.

40 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

41 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 und Art. 58 Bst. b der MWST- System-Richtlinie 2006/112/EG.

(13)

Funktion ausübe. Dies sei nach den Feststel- lungen des vorlegenden Gerichts jedoch nicht der Fall.

Kein Ausschluss des Mehrwertsteuer- Erstattungsanspruchs

Abschliessend hält der EuGH fest, dass einem Erstattungsanspruch der Arthesia gegenüber der italienischen Steuerverwaltung nach der 13. MWST-Richtlinie 85/560/EG nicht entge- genstehe, dass die von den italienischen Medien bezogenen Werbeleistungen lediglich infolge eines «use and enjoyment override» im Sinne von Art. 9 Abs. 3 Bst. b der 6. MWST-Richtlinie 77/388/EWG44 der Mehrwertsteuer unterlegen hätten, sofern Athesia die allgemeinen Voraus- setzungen des Erstattungsverfahrens erfülle.

3 Anmerkung

Ein Fall wie Athesia konnte wohl nur aus den Untiefen des italienischen Mehrwertsteuerrechts emporsteigen. Zum einen, weil Italien – neben Spanien – eines der wenigen EU-Mitgliedstaaten ist, das von der Möglichkeit der Einführung einer umfassenden Regelung zur Verlagerung des Leistungsorts an den Ort der tatsächlichen

Nutzung und Auswertung Gebrauch gemacht hat, zum anderen, wegen der beachtlichen Ver- fahrensdauer45 bis zum Vorlagebeschluss durch den Corte suprema di cassazione. Der Ausgangs- streitfall ist so alt, dass er sich auf Steuerpe- rioden vor dem EU-Beitritt Österreichs (1995) bezieht.

In einem ersten Schritt kommt der EuGH zu dem Schluss, dass Werbeleistungen italienischer Medien an eine österreichische Werbeagentur, die diese Werbeleistungen ihrerseits an ihre eigenen Kunden, die eigentlichen Werbetrei- benden, weiterfakturiert, bei Anwendung der gemeinschaftsrechtlich optionalen Regeln über die Verlagerung des Ortes einer Katalog- leistung an den Ort der tatsächlichen Nutzung und Auswertung in Italien zu versteuern sind, da die Werbung «aus Italien verbreitet» werde.

Der gewählte steuerliche Anknüpfungspunkt der Nutzung und Auswertung «in dem Land, von dem aus die Werbung verbreitet» wird, kann möglicherweise die Vorzüge der einfachen Prak- tikabilität für sich in Anspruch nehmen. Ganz zu überzeugen vermag er jedoch nicht. Näher hätte es wohl gelegen, an das Land anzuknüp- fen, in dem das Werbematerial verbreitet wird, auch wenn dies in der Rechtssache Athesia im Ergebnis keinen Unterschied bedeutet hätte.

Aber auch mit dieser Formulierung wird die Problematik der Bestimmung des Orts der tat- sächlichen Nutzung und Auswertung zugedeckt, die hier zum einen mit dem immateriellen Charakter von Werbung zusammenhängt, und zum anderen damit, dass in den italienischen Medien keine Waren und Dienstleistungen von Athesia beworben wurden, sondern die ihrer Kunden.

Überzeugend ist hingegen die restriktive Aus- legung des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 3 Bst. b der 6. MWST-Richtlinie 77/388/

EWG46 sowie darauf basierender nationaler Regelungen zur Verlagerung des Leistungsorts

42 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

43 Vgl. neu: Art. 56 Abs. 1 Bst. b der MWST-System- Richtlinie 2006/112/EG.

44 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

45 Zwischen der zunächst beantragten Mehrwertsteuer- erstattung (für die Jahre 1993/94) und dem Nacherhebungsbescheid der italienischen Steuer- verwaltung (1999) liegen fünf bzw. sechs Jahre; für den nationalen Instanzenzug bedurfte es weiterer acht Jahre.

46 Vgl. neu: Art. 58 Bst. b der MWST-System-Richtlinie 2006/112/EG.

(14)

nach dem Kriterium der tatsächlichen Nut- zung und Auswertung, d. h. die Feststellung des EuGH in Athesia, dass die von einem Unter- nehmen mit Sitz ausserhalb der EU von einem Unternehmen mit Sitz in der EU bezogenen Werbeleistungen bei ihrer entgeltlichen Wei- tergabe nicht in den Anwendungsbereich einer solchen Ortsverlagerungs regel fallen.

Damit wird der Anwendungsbereich be- schränkt auf Fälle, in denen der Leistungs- erbringer bereits über einen steuerlichen

Anknüpfungspunkt (Sitz oder feste Nieder- lassung) im betroffenen EU-Mitgliedstaat ver- fügt.

Begrüssenswert ist ferner die Klarstellung, dass die Benennung eines Steuervertreters als solche zu keiner Verlagerung des Orts der Besteuerung in das Land führt, in welchem ein Steuervertre- ter bestellt wurde, und damit das Gespenst einer allfälligen Attraktivkraft durch Fiskalvertretung wohl endgültig aus dem Gemeinschaftsrecht vertrieben wird

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