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Wi derstan d al s u topi sch es Fel d

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Academic year: 2022

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Wi dersta n d

a l s u topi sch es Fel d

An jedem Ort dieser Gesellsch aft wirken die versch iedenen M u ster der Fremdbestimm u ng, seien es H ierarch ien, N ormen, Disku rse, ökonomisch e Zwänge oder Erwartu ngsh altu n- gen. N icht nu r Staat u nd Konzerne, son dern alle M ensch en kön nen als Au sfü h rende u n d M itträgerI nn en solch er B eh errsch u ngen wirken − u n d tu n es au ch regelmäßig. Gleich es gilt fü r Organ isationen u nd alle Kräfte in gesellsch aftlich en Su bräu m en. Sch on von dah er besteht eine u nm ittelbare Verbindu ng zwisch en politisch er B ewegu ng u nd den h errsch en- den Verh ältn issen, denn jede Gru ppe, Partei oder Organisation, au ch N etzwerke u nd ein- zelne P rojekte sind ein gesellsch aftlich er Su brau m, in u nd an dem die „ N orm“alität wirkt.

Genau desh alb aber kann jeder Teil politisch er B ewegu ng n icht n u r Forderu n gen stellen u nd fü r Verbesseru n gen eintreten, son dern au ch selbst zu r Kampfzone u m B efreiu n g u n d Selbstentfaltu n g werden . H ierarch ien, Wertlogiken u nd Disku rse strah len ü berall h inein, sin d also au ch dort zu finden, wo wir u n s versamm eln, u m politisch aktiv zu sein. I mmer- h in sind diese Orte nicht, so wie viele andere in dieser Gesellsch aft voller H ierarch ien, Fu n ktionseliten u n d gesteu erten Disku rse, u nserem Einflu ss fast vollständig entzogen , son- dern werden von u ns m itgeprägt. Eine P riorität, h ier anzu fangen , erwäch st darau s nicht − aber waru m sollte mensch die M öglich keiten au slassen , die besonders n ah eliegen d sin d?

Dazu geh ört die politisch e B ewegu ng selbst. Die Zu sam menh än ge, von denen I mpu lse zu r Veränderu ng von Gesellsch aft, deren Su bräu men u n d Disku rsen au sgeh en sollen, könn en einer der Veränderu ngspu nkte sein. Sonst wäre er nu r Veränderu ngen einfor- dernd, selbst aber ein Spiegelbild der N orm alität − u nd damit, weil „ N orm“alität n u r exis- tiert, wenn sie sich als M isch u ng von Deu tu ngen u nd Verh altensweisen du rch viele P u nkte der Gesellsch aft zieht, selbst ein Teil der Ursach e.

N orm alsein im Zeitalter globaler Um brü ch e

Können Sie sich n och (gesetz dem Fall, Sie sind alt gen u g) an die Zeit sch ein barer Alterna- tivlosigkeit erinnern? Als der Sieg des M arktkapitalismu s ü ber den als Sozialismu s oder gar Komm u nism u s verklärten Staatsm onopolkapitalismu s zu m von der britisch en P rem ier- m in isterin Th atch er au sgeru fenen TI N A-Syndrom („ th ere is no alternative“ ) fü h rte? Alles war der totalen Verwertu ngslogik, der „ An betu ng“ von M arkt u n d P rofit u nterworfen. Dann kam ab 1 994 in Ch iapas (M exiko) der Au fstand der Zapatista, später (1 999) in den Straßen von Seattle der Überrasch u ngserfolg gegen die WTO, mit dem sich die Erstarru ng spät, aber imm erh in sogar in den I ndu strienationen löste. I n zwisch en h at sich der Wille zu r Ver- än deru ng allerdings wieder gelegt oder wu rde kanalisiert in freu ndlich e N ormalität au s- strah len den N GOs. Dabei wäre aller Anlass zu einer kämpferisch en Stimm u ng gegeben.

Der Kapitalismu s wirkt krisengesch ü ttelt, zu m indest verlor er seine blinde Gefolgsch aft in Parlam enten u nd M edien. Selbst die so m ächtig ersch einenden B anken gerieten ins Sch lingern. Doch was gesch ah? Fast alle weinten, zeterten u nd verbreiteten H iobsbotsch af- ten , als die ersten Geldh äu ser „ bank“ rott gin gen − statt zu feiern. Ob lin ke Parteien oder die Akteu rI nn en der selbsternannten Zivilgesellsch aft: Fast alle wollten die Rettu ng der B an- ken − wenn au ch au f u ntersch iedlich e Art.

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Wer fordert h eu te noch andere M obilitätssystem e u nd freu t sich ü ber eine siech en de Au to- m obilin du strie? Stattdessen kam die Umweltprämie, eine als Ökoh it versch leierte Su bven- tionsmaßnah m e fü r die Au tobau er. Umweltverbän de sch reiben Ranglisten ü ber wen iger krasse Umweltverpester u nd ru fen die P resse zu spenden gierenden Kooperation sprojekten m it Au tokonzern en.

Die M ensch en sin d au fgesogen in neu e, P rotest verwaltende Organ isationen. M ontags- demon strantI n nen gingen in der Partei Die Linke au f, P roteste gegen Atomkraft u n d Stu tt- gart 21 werden von starken M agneten wie grü ner Partei u nd m odernen B ewegu n gsagentu - ren angezogen . Das Spiel, Unzu friedenh eit in Spenden , M itgliedsch aften u nd Wäh lerI n- nenstimm en u m zu wandeln, beh errsch en die modernen Fü h ru ngsapparate perfekt. Sie tre- ten , legitimiert du rch n ichts, sondern einfach Kraft ih rer privilegierten Kontakt zu M edien u n d M u ltiplikatorI nnen wie selbstverständlich als Sprach roh re der M assen au f. Wie leicht sich solch e Vereinn ah mu ngen dann wiederu m selbst vereinn ah men lassen, zeigte brillant die Sch lichtu ng du rch H einer Geißler im S21 -Konflikt. Geißler war CDU- u n d Attac-M it- glied, eine sich er praktisch e Kom bination beim Ziel der H armon isieru n g des Konfliktes.

Sein e „ Sch lichtu n g“ bot viel An sch au u ng, u m kritisch ü ber die B in nenstru ktu ren u nd Stra- tegien politisch er B ewegu ngen nach zu denken . Denn waru m sollen eman zipatorisch e I deen au sgerech net bei den internen Stru ktu ren H alt m ach en, obwoh l die Um setzu ngs- m öglich keiten dort besonders gu t u n d nötig wären? Gilt die Parole „ Eine andere Welt ist m öglich“ n u r fü r die Anderen?

E m an zi patori sch e

Organ i si eru n g u n d Strategi e

H errsch afts- u nd Unterdrü cku ngsverh ältnisse besteh en in u ntersch iedlich en Formen. Poli- tisch e B ewegu n g entsteht au s P rotest gegen diese oder ih re konkreten Ersch einu ngsfor- m en u n d Folgen − seien es N azis, Castortransporte oder der Entzu g von Teilh abe am ge- sellsch aftlich en Reichtu m. Etwas zu kritisieren, fü h rt aber nicht au tomatisch dazu , selbst an- dere Ersch einu n gsformen zu wäh len , also in innerer Organisieru ng u nd Aktionsmeth oden selbst den geforderten u nd nötigen Wandel zu vollzieh en. Das wäre eine große Au fgabe, denn jede politisch e B ewegu ng ist selbst von h errsch aftsförmigen M u stern du rch zogen.

Ein emanzipatorisch er Wandel der B innenverh ältnisse bedeu tet mindestens den Abbau der H ierarch ien, den gleich en Zu gang zu allen Ressou rcen u nd den Verzicht au f Stellvertre- tu ng, Vereinnah mu n g u nd B ildu ng kollektiver I dentitäten . Positiv au sgedrü ckt h eißt das die Sch affu ng einer B ewegu n gswelt, in der viele Welten P latz h aben , die aktive Stärku ng von H an dlu ngsfäh igkeit der Einzelnen u nd ih rer Zu samm ensch lü sse, die Öffnu ng aller Ressou rcen fü r alle u n d vieles meh r. Es werden Fragen zu stellen sein, die bislang in politi- sch er B ewegu ng seh r fremd sind, obwoh l sie angesichts der Forderu ngen nah e liegen wü r- den: Wie steht es u m Zeit- u nd Reichtu msu ntersch iede zwisch en den B eteiligten? Wie wir- ken gesellsch aftlich e Disku rse au ch im I n neren? Wo verfü gen Apparate u nd Fu n ktionärI n- nen ü ber P rivilegien u n d besseren Zu gang zu den Ressou rcen einer Organisation? Wo h errsch en darü ber h inau s formale H ierarch ien?

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Em anzipatorisch e Bewegu ngen u nd P rojekte

Es gab u nd gibt M ensch en, die sich organisieren, u m gemein sam weitreich ende em anzi- patorisch e Ziele u m zu setzen , oh n e darau f zu warten, dass alle mitmach en oder die Revolu - tion (sch einbar) der Utopie zu m Du rch bru ch verh ilft. Solch e Gru ppen teilen Ziele wie den Abbau von H errsch aft u n d Verwertu n gszwang. Sie wollen eine Gesellsch aft, in der die M en sch en wirklich konkret selbstbestim mt h andeln können, oh ne du rch persön lich e oder sach lich e H errsch aft eingesch rän kt zu sein. Dieser Anspru ch besteht in der Regel au ch fü r die B innenverh ältnisse in den Gru ppen u nd Vernetzu ngen. Paslak (1 990) h at sich die Dy- n amik selbstorganisierter B ewegu ngen angeseh en u n d fü r positive Fälle folgende typisch e Entwicklu ngen besch rieben:

• Die Kraft inform eller bzw. selbstorgan isierter P rozesse geht ü ber die Dynam ik ein zel- n er Gru ppen h inau s u nd fü h rt zu m Au fbau ein es komplexen N etzwerkes von I nitiativ- gru ppen ;

• Die selbstorganisierten Stru ktu ren werden n icht von „ objektiven” Au ßen einwirku ngen geformt, sondern entsteh en au s jeweils inn eren eigenen Entsch eidu ngen ü ber die B e- wertu ng von Situ ationen u n d P roblemen;

• Die interne H andlu ngskoordination ist stets labil u nd flexibel änderbar. Die Fortset- zu ng der Stru ktu r ist an die gem einsame B indu ng u nd Weiterentwicklu ng gemeinsa- m er Vorstellu n gen u n d Ziele gebu nden.

Löst sich die Aktivität der „ Gru ppe” von diesen Zielen, wird sie zu m Selbstzweck. Dies ist die aku teste u nd h äu figste Gefah r, der Gru ppen u nd B ewegu n gen u nterliegen. Das kom mt leider − aber au ch nachvollzieh barerweise − bei vielen P rojekten vor, sobald sie sich

„ etabliert” u nd „ etwas zu verlieren” h aben. Au ch die „ sozialen Erfin du ngen” können sich m it einer „ Spielwiese” innerh alb der gesellsch aftlich en B edingu n gen zu friedengeben − Zu ku nftswerkstätten verloren z. B. den politisch -alternativen An spru ch ih res „ Erfinders”, Ro- bert Ju ngk, weitestgeh end.

Kippt die in nere Dynam ik in Richtu n g au f den bloßen Selbsterh alt als Selbstzweck u m, dann ist die I ntegration in die h errsch ende Verwertu ngs- u n d Geldmasch inerie n u r noch ein kleiner Sch ritt. Sch nell gewinnt die N otwendigkeit, den kapitalistisch en Geldzyklen ei- n ige Tropfen fü r den Selbsterh alt abzu rin gen , die Oberh and. Sobald Einzelne oder Teile der B ewegu ng sich so wichtig finden, dass sie vor allem u m ih re eigen e Existenz kämpfen, entwickeln sich au ch u ntereinan der neu e Verh ältnisse. Es geht dan n n icht m eh r daru m , die an deren B eteiligten als au tonome Su bjekte zu betrachten, sondern sie werden zu r Kon ku r- renz oder h öch stens noch instru mentalisiert, u m dem vorgeblich „ Gan zen” zu dienen. Die Verfolgu ng individu eller I nteressen, die einst M otor der B ewegu ng waren, wird fü r den Gelderwerb u n d M achterh alt eingespannt − die B ewegu n g wird zersetzt, integriert, bü ro- kratisiert.

Dem Umkippen der Dyn amik kan n m it klarem Kopf u nd B ewu sstsein der Gefah r begegnet werden . Es gibt niem als u nh intergeh bare N otwendigkeiten , au ch Gru ppen u nterliegen n icht der Determ ination du rch die B edin gu ngen : Es h an delt sich im mer u m Entsch eidu n- gen. Und Entsch eidu ngen lassen sich so oder anders fällen. I m Ernstfall mu ss ggf. sogar die Existenz der Gru ppe oder z. B. ih r wirtsch aftlich er Erfolg in Frage gestellt u nd au fgege- ben werden, wenn die Weiterexistenz den realen I nteressen der B eteiligten zu widerläu ft.

Ein B eispiel: I n der „ Sozialistisch en Selbsth ilfe M ü h lh eim” (SSM ) entwickelte sich au s der

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Ju gen darbeit ein recht erfolgreich er „ alternativer B etrieb”, der Entrü m pelu n gen u sw.

du rchfü h rte. „ Arbeit” wu rde definiert als „ alle Tätigkeiten , deren Au sfü h ru n g die Gem ein- sch aft fü r wichtig h ält” (B au m aßnah m e am eigen en H au s, Abfassen eines B riefes, Flu g- blattes, eine politisch e Aktion, Essen koch en fü r die Gemeinsch aft u sw. ). Dann entstand ein

„ richtiger” B au betrieb − m it Anforderu ng an „ m öglich st h oh e Leistu ng in möglich st ku r- zer Zeit au sgedrü ckt du rch m öglich st viel Geld”. Es zeigte sich , dass das nu r fu nktioniert, wenn die eigentlich en Ziele, nämlich die realen B edü rfn isse der M ensch en (z. B. nach stressfreier Arbeit! ) au fgegeben werden u nd der B etrieb normal-kapitalistisch du rch gezo- gen wird. Die SSM verzichtete au f den m öglich en wirtsch aftlich en „ Erfolg” u n d ließ lieber ein „ Sch eitern” dieser M öglich keit zu , als den I nteressen der M ensch en zu wider zu h an- deln (Kippe 1 998, 9f).

Wichtige Kriterien fü r das B innenverh ältnis em anzipatorisch er B ewegu ngen sind also:

• B indu ng an individu ell vertretene Ziele, keine Verselbständigu ng von sich institu tiona- lisierenden Teilen der B ewegu ng als Selbstzweck,

• Verh inderu ng der I nstru mentalisieru ng von M ensch en fü r Zwecke anderer, Sch affu ng von Stru ktu ren fü r Au fbau u nd Au frechterh altu ng intersu bjektiver B ezieh u n gen.

Dazu geh ört der offene Umgan g mit Dissen s. Das Streben n ach Konsens u n d H arm onie kann dazu fü h ren , dass inh altlich e Position en u nterdrü ckt werden , die sich diesen „ B au ch - gefü h len” nicht u nterordnen. So entstand au f den Ju gend-Umwelt-Kon gressen (Ju kß) bis zu m Jah reswech sel 1 999/2000 eine Situ ation, in der die geforderte Unterwerfu ng u nter

„ Konsen s & H armonie” zu einer Entpolitisieru ng fü h rte. Die Position „ Kein Streit, wir lie- ben u ns doch alle. . .” fü h rte zu r „ M achtergreifu ng von Kreisen, die politisch nichts oder we- nig wollen , die aber Umweltbewegu ng als Familienersatz u nd N estwärme wollen” (B erg- stedt, 2000b). Dem gegen ü ber fordert B ergstedt (2000c): „ M ein Ziel ist, Verh ältn isse zu sch affen , die Gleich berechtigu ng sch affen, bei den en die M ensch en aber au ch au th entisch sein können u n d n icht in dieser beklemm en den Atmosph äre des ‘ I ch darf niemandem zu nah e treten' agieren. Das ist zu erreich en u .a. du rch :

• Dezentralisieru n g weg vom P lenu m

• offene, sich ständig verändernde Stru ktu ren

• P latz fü r Streit u n d kreative P rozesse

• Au tonom ie fü r M ensch en u nd Gru ppen

• Kläru ng in den Disku ssion sru nden , au f was ALLE achten (nicht die Verantwortu n g einer M oderation absch ieben ) − som it Einleitu ng eines Lern prozesses aller”.

Speh r (1 999) kennzeich net die gegen die H errsch aft kämpfenden u nd sich deren H and- lu ngslogik entzieh en den Gru ppen als „ M aqu is”. M it ih ren oben genannten Eigen sch aften, dem Verwerfen von Fü h ru ng u n d Avantgardean spru ch sowie dem Du rch setzen von Eman- zipation u nd freier Kooperation au ch in den eigenen Reih en , stellen sie ein e völlig neu e Qu alität dar, was den B eteiligten oft gar nicht so deu tlich bewu sst ist.

P raktisch ergeben sich au s den Erfah ru n gen bish eriger alternativer B ewegu ngen weiterge- h ende Au fgaben (B ergstedt, H artje, Sch m idt 1 999):

• Sch affu n g u nabh ängiger Stru ktu ren (neu e Aktionsstru ktu ren − politisch e Gegen - stru ktu ren au fbau en),

èèè èè èè

I n der französisch en Résistance bezeich - nete der Maquis ( der „ Busch” ) jene Ge- gend, die nicht von N azis oder Kol l abo- rateuren beh errscht wurde. Auch in der StarTrek-Serie „Voyager” gibt es m it dem Maquis eine Zone des Widerstands.

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• Au frechterh altu ng der selbstbestimmten Aktionsfäh igkeit (Flexibilität, Effizien z, Vernet- zu ng, Kooperation),

• klare Ziele innerh alb u mfassender Konzepte,

• Sch affen von Kristallisationspu nkten.

Da die in B ewegu n gen Aktiven so u ntersch iedlich sind wie M ensch en ü berall anders au ch , h aben sie au ch u ntersch iedlich e Fäh igkeiten. Das M aß des Engagem ents wird versch ieden groß sein. Es ist oft so, dass einige M ensch en eine Art „ Kraftfeld” u m sich h eru m entwi- ckeln. Sie rü cken au fgru nd ih res Wissens, ih rer Organisationsfäh igkeit oder ih res m en sch - lich en Verh altens ins Zentru m des Gesch eh ens, au ch wenn sie dies vielleicht verm eiden wollen. M anch mal ist es jedoch fü r die anderen einfach bequ emer, die „ ExpertI nnen” ma- ch en zu lassen. Eine informelle Elite entsteht.

Eliten stellen „ an sich” kein P roblem dar. Es ist ja gerade das Ziel der neu en Gesellsch aft, dass sich jedeR Ein zelne maximal entfaltet, dass − wenn man so will − alle an irgendein er Stelle zu r Elite geh ören. Doch wenn alle dazu geh ören, ist die Elite im bü rgerlich en Sin ne sch on keine meh r. Eliten kom men au s den Gesellsch aften, in denen die Entfaltu n gsm ög- lich keiten nu r fü r Wenige u nd nu r au f Kosten Anderer vorh anden sind. Das ist au ch das größte P roblem fü r em anzipatorisch e B ewegu ngen. Sobald Einzelne ih ren Wissen svor- spru ng u nd die entwickelten Fäh igkeiten dazu verwenden , eigene partielle I nteressen au f Kosten an derer du rch zu setzen , kippt die individu elle Genialität in Elitarismu s u m . I nfor- m elle Eliten bilden sich leicht in Gru ppen h erau s, in denen der Selbsterh alt der Gru ppe zu m Selbstzweck geworden ist. B eide Aspekte bedingen einander, denn sie sin d Resu ltat der sch rittweisen I ntegration der Gru ppe in die su bjektlosen Selbsterh altu ngsstru ktu ren der Wertmasch in e. Au ch das ist wiederu m kein persönlich er M angel der Aktiven, son dern n achvollzieh bares Resu ltat der Tatsach e, das die M ensch en − au ch die Aktiven in B ewe- gu ngen − zu erst ih re individu elle Reprodu ktion absich ern mü ssen. Versch ränken sich in- dividu elle Reprodu ktion u nd Selbsterh alt der Gru ppe, so etwa bei bezah lten An gestellten in der B ewegu ng, dann liegen die I nteressenkonflikte nah e.

Em anzipatorisch e Bewegu ngen u nd P rojekte in einer „ zivilen” Gesellsch aft

H errsch aft ist h eu tzu tage kau m noch offen sichtlich , sondern versteckt sich in den sch ein- bar normalen u nd n atü rlich en alltäglich en Leben szwän gen . Diese Wirku ngsweise fü h rt da- zu , dass es in den kapitalistisch en Kernländern au ch in Krisensitu ationen , bei ansteigender Erwerbslosigkeit u nd sogar Verelen du ng selten zu spontanen Aktionen oder B efreiu n gs- sch lägen kom mt. Speh r kennzeich net die M eh rh eit der „ norm alen Leu te” als „ Zivilisten”, die „ einfach vor sich h in (m ach en), oh ne zu ü berblicken, was vor sich geht” (Speh r 1 999, 1 67). Sie h aben au ch „ kein P roblem damit, dass die Entsch eidu ng von anderen getroffen werden” (ebd. , 1 68). Wer kennt diese Leu te nicht, h at sich nicht sch on oft ü ber sie geärgert oder geh ört selbst (zu m in dest zeitweise) dazu . Das P roblem fü r emanzipatorisch e B ewe- gu ngen sin d aber neben den M achtzentren au ch jene, die diese M acht nicht h interfragen, sondern akzeptieren, kein e Fragen stellen u nd die h errsch enden Verh ältnisse rechtfertigen:

„ Sie tu n einem gar nicht so viel; sie lassen einen nu r an der Welt u n d ih rer Zu ku nft zwei- feln” (Speh r 1 999, 1 71 ).

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Politisch e B ewegu n gen werden ob des geringen P rotestpotentials leicht ü berh eblich u n d m einen, fü r die an deren denken u nd entsch eiden zu können. Sie werden zu Stellvertretern, die n ach Gu tdü nken ih re eigenen partialen I nteressen im vorgeblich en „ I nteresse der M eh rh eit” du rch setzen . Aber „ es geh ört zu den Grau sam keiten im M aqu is, dass sein Fort- sch ritt sich daran festmacht, ob er in der Lage ist, Zivilisten abzu werben” (Speh r 1 999, 265).

Doch was h eißt „ abwerben” ? Es gibt keinen an deren Gru nd sich „ abwerben” zu lassen, als die in dividu elle Vorstellu ng von einem besseren Leben. Waru m sonst sollte sonst jeman d in den M aqu is, den „ B u sch”, geh en , als au fgru n d der Vorstellu ng, dass dort bessere M ög- lich keiten der eigenen Entfaltu ng warten u n d die Risiken nicht so groß sind wie das Elen d des kü m merlich en Leben s in der „ zivilen” Gesellsch aft. Keiner will missioniert werden, es existiert keine objektive Richtigkeit irgendein er Vision . Es gibt kein e Garantie, son dern nu r die M öglich keit ein es besseren Lebens im „ M aqu is”. Der Widerspru ch zwisch en der N ot- wendigkeit, massenh aft Leu te in den „ M aqu is” abzu werben u nd der realen geringen Au s- strah lu ng des „ M aqu is” besteht (noch ). Das mü ssen wir au sh alten. Es feh lt jede B erechti- gu ng, nu r Andere fü r ih r H andeln zu geißeln − au ch nicht die „ Zivilisten”. Sich abwerben lassen fü r neu e I deen , fu n ktioniert nu r au f der B asis eigener Entsch eidu ngen, u nd das m u ss jede/r selbst tu n . Wer nicht will, will n icht, h at seine Grü nde dafü r u nd ist in Ru h e zu lassen . Will ich , dass m eine Grü nde fü r m ein H an deln akzeptiert werden, so mu ss ich die B egrü ndeth eit anderen H an delns au ch akzeptieren − ich mu ss die Grü nde ja nicht teilen u n d kan n sie kritisieren. Das ist intervention istisch e Politik. Aber die Au tonom ie des H an- delns gilt nicht nu r im B innenverh ältnis, sondern au ch gegenü ber den „ Zivilisten”.

Die „ M aqu is” können in der Welt der „ Zivilisten” nu r schwer ü berzeu gend wirksam wer- den. Vermitteln d wirken pu nktu elle soziale B ewegu ngen, in denen sich Aliens, Zivilisten u n d M aqu is verm isch en − Speh r verwendet dafü r das B ild eines Erlenmeyerkolben s, ein Reagenzglas mit ein em sch malen H als u nd einem breiten Fu ß, das m an zu m M isch en h er- u m schwenken kann. I n u nd m it diesen B ewegu n gen sin d die gesellsch aftlich en Eingriffs- m öglich keiten größer als im Rah m en der bü rgerlich en Dem okratieformen. Sie setzen N eu es in die Welt, sind aber au s der Sicht des „ M aqu is” begrenzt: „ Eine Friedensbewe- gu ng ist zu näch st ein e B ewegu ng fü r Frieden, n icht fü r Em anzipation” (Speh r 1 999, 247).

Das B ild der Untersch eidu n g zwisch en „ M aqu is” u nd Erlenm eyerkolben kann bei der Orientieru n g nü tzlich sein. Wen n sich der „ M aqu is” isoliert, h at er keine

Ch ance − wenn im Erlen meyerkolben zu wenige „ M arqu is” sind, verlieren sie ih re potentielle Dynamik. Konsequ enter Widerstand u nd soziale/ökolo- gisch e B ewegu ngen werden sich imm er in einem Spannu ngsverh ältnis be- wegen − aber bewegen mü ssen sie sich ! Zu r Orientieru n g, welch e konkre- ten Konzepte u nd Aktivitäten diese B ewegu ng in die Richtu ng fü h ren, die wir brau ch en, können die oben gen annten Kriterien dienen: Kein Zu rü ck in die Wertvergesellsch aftu ng, kein Streben u nser P rojekte nach ökonomi- sch em Erfolg innerh alb des Systems sowie Verh inderu ng instru m enteller B ezieh u ngen u ntereinan der u nd gegenü ber an deren M en sch en. Fü r ein e

„ Politik der Au tonom ie“ (Speh r 1 999, 261 )!

èèè èè

Maquis bezeich net ur- sprüngl ich den undurch - dringl ich en Buschwal d in den Mittel m eerl ändern.

Da sich im Maquis tradi- tionel l Banditen und Ge- setzl ose versteckt h aben, wird der Begriff h äufig al s Synonym für U ntergrund- bewegung verwendet.

www.de.wikipedia.org

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Wi derstan d . . . oh n e si ch

an Mach tkäm pfen zu betei l i gen

Ch ristoph Speh rs symbolträchtiges B ild des Alien s als H andlu ngsm u ster in u ns, das u ns imm er wieder zu r Akzeptanz u nd zu r Reprodu ktion der „ N orm“alität bringt, sch u f ein Sym- bol fü r die M isch u ng au s H ierarch ie, Disku rs u nd sozialer Zu richtu n g, die alle M ensch en du rch sch ü ttelt u nd den Willen zu r Veränderu ng immer wieder erlah men lässt. Speh r selbst ist dem von ih m besch riebenen Code längst verfallen u nd m acht h eu te Karriere bei der Par- tei Die Lin ke − u m so entsch lossener, je m eh r diese an emanzipatorisch em I n h alt verliert u nd an M acht gewinnt. Viele au s den eh emals h errsch aftskritisch en Kreisen, die wichtige B ü ch er zu r Kritik der N ach h altigkeit u nd m oderner H errsch aftsregime verfasst h aben, ge- h en mit ih m die Stu fen der Etablieru ng h inau f.

Dieses person alisierte Einzelbeispiel ist ch arakteristisch fü r politisch e B ewegu ng. Au ßer ei- n em wenig zu samm en h ängenden H au fen meist jü ngerer M ensch en, die ih r Dagegen- Sein als Gru ppen identität au fbau en , aber statt selbstorganisierter Gegenku ltu r ih ren P rotest als (meist ku rze) Lebensph ase zwar verständlich er Angewiderh eit vom System, aber nu r widerstan d simu lieren der Gleich gü ltigkeit au sleben. Es agieren nu r wenige, verspen kelte u nd oft von son stigen politisch en B ewegu ngen isolierte Grü ppch en, die sich an den Spie- len u m M acht u nd B eteiligu ng an Ressou rcen n icht beteiligen. Überall anders h errscht ka- pitalistisch er Geist. M it imm er perfideren P R-Gags werden P roteststimmu ngen erzeu gt u nd dann in nu tzbare Ressou rcen (Spenden , M itglieder, Wäh lerI nnenstim men) gewandelt.

Wer glau bt, in den Apparaten von N GOs u nd B ewegu ngsagentu ren wü rden idealistisch e Ziele verfolgt, täu scht sich . Da sitzen vor allem VerbandsegoistI n nen u nd B etriebswirt- sch aftlerI nnen, die Aktion en u nd I nh alte n ach ih rer Wirku n g au f die benan nten Ressou rcen au swäh len . Das Personal ist längst au stau sch bar geworden, denn M arketingstrategien kön- n en an Universitäten oder im Selbststu diu m erworben werden. Die wen igen verblieben en I dealistI n nen kön nen die N GOs dann gu t verkraften oder zu I m agegrü nden in die Kam eras h alten .

P rotestlabel sind wie Coca-Cola-Sch riftzü ge: Sie sollen innere Werte, Vertrau enswü rdigkeit u nd mitu nter weitere Qu alitäten vermitteln . Wie bei anderen M arken au ch kommt es nu r au f den Ru f, nicht au f die dah intersteh enden Realitäten an. Das ist M arketin g wie in ande- ren Firm en au ch . Von den − fast ü berall nu r noch h au ptamtlich en − M itarbeiterI nn en wer- den Effizienz u n d gewinnorientiertes Arbeiten verlangt. Der politisch e Erfolg gerät in den H intergru nd oder dient als M ittel zu neu en Akqu ise von Spenden u nd Zu sch ü ssen bzw. als Förderu ng des eigenen M arkenn amens. N icht anders steht es u m die B innenstru ktu ren.

Die m ü ssen kapitalistisch e Effizienz h ervorbringen. Experimentieren fü r eine bessere Welt ist woanders.

Alternativen au fbau en, oh ne im Besteh enden h ängen zu bleiben

Wen n N GOs u nd B ewegu ngsagentu ren P roteste initiieren, anh eizen oder n u tzen, u m die dort entstanden e En ergie in fü r ih ren Selbsterh alt nü tzlich e Ressou rcen zu wandeln, so werden sie selbst zu ein em integralen B estan dteil der Totalität von Verwertu ngslogik. I h r M arktsegment ist der P rotest, au f den sie die kapitalistisch en Logiken vollzieh en. Zu ge- spitzt könnte mensch sagen: Sie geh ören zu den Gewin nern der Krisen u nd Zerstöru ngen,

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denn der P rotest gegen Kriege, Gentech nik, Globalisieru ng, Atomkraft oder Stu ttgart 21 wandelt sich in ih ren H änden zu einem profitablen Gesch äft. Wie in Konzernen au ch wird das zu m Selbstläu fer, typisch kapitalistisch sogar zu einem, der stän dig wach sen m u ss.

Denn die sich vergrößernden Gesch äftsstellen sch reien nach h oh en Geldeinnah men, da- m it Löh n e u nd Au sstattu n g weiter finan ziert werden könn en . Die Werbeetats steigen , wie in anderen Teilen der großen Verwertu n gsm asch ine au ch .

Die B asisgru ppen u nd M itglieder der Organisationen, so noch welch e vorh an den sin d (m oderne B ewegu ngsagentu ren verzichten au f eine „ B asis“ u n d setzen nu r au f h au ptamt- lich gefü h rtes M anagement), bekomm en von all dem wen ig mit. I h nen gegen ü ber werden Kampagnen inh altlich begrü ndet − so wie es den ein zu fangenden M itgliedern u n d Spen- derI nnen au ch präsentiert wird.

M anch ältere N GOs h aben ih r M anagement n icht modernisiert, sondern verh arren in den ü blich en Organisationsm u stern der 80er u nd 90er Jah re. H ier waren staatlich e Fördergel- der eine wesentlich e B asis des finanziellen Überleben s u n d Lobbyarbeit der zentrale P u nkt politisch er Einflu ssnah m e. Fü r beides ersch ien n ü tzlich , zu m in dest in den Spitzenpositio- nen ein e h oh e personale Du rch dringu n g mit Parteien u n d Ämtern, m itu nter au ch mit der Wirtsch aft zu h aben. Dieses setzte sich bis in die B asisgru ppen großer Verbände fort. Doch wer finanziell abh ängig u n d personell verstrickt ist, wird P rotest nu r woh ldosiert abgeben können − eben als klassisch er Akteu r in einer h errsch aftsförmig organisierten Gesell- sch aft. Gewerksch aften sin d h ier typisch e B eispiele, wobei die h ier besch riebenen B licke fü r die mittel-, vielleicht au ch fü r die nordeu ropäisch e P rotestku ltu r prägend sin d. Je nach Gesch ichte von P rotest u nd den gesellsch aftlich en B edin gu ngen sin d im weltweiten Ver- gleich erh eblich e Untersch iede zu verzeich nen − gerade au ch abh ängig davon, wie die Staatsmacht mit P rotest u m geht, sprich : abweh rt, zersch lägt oder au fsau gt.

Em anzipatorisch er P rotest m u ss sich im mu n mach en dagegen, assim iliert oder selbst zu ein em Abbild h errsch ender Verh ältnisse verändert zu werden.

Au s H a rdt, Mich a el /N egri, An ton io (2 004): „Mu l titu de“, Ca m pu s Verl ag in F ran kfu rt (S. 383)

Zu Beginn des dritten Abschnitts dieses Kapitels haben wir gesehen, dass Souveränität einer Wechselbeziehung zwischen zwei Parteien bedarf, nämlich zwischen den Herrschenden und den Beherrschten, und dass diese Aufteilung innerhalb der Souveränität ein ständiges Krisenpotenzial in sich birgt. Zur Trennung kommt es dort, wo die Multitude als Subjekt in Erscheinung tritt und verkündet: »Eine andere Welt ist möglich«, indem sie aus der Bezie- hung zum Souverän flieht und es sich selbst zur Aufgabe macht, diese Welt zu schaffen.

B eitra g von Stefa n Meretz au f Open th eory „Al l es fü r al l e“

Aber wie bei allen Projekten besteht das Problem der Ankopplung an die Wertsphäre: Ob beim Wiki, beim Umsonstladen, bei Freier Software − irgendwie muss das gelöst werden.

Wichtig finde ich, darauf zu achten, dass (a) die Schnittstelle möglichst klein ist − also nicht x

Baustellen bestehen, die geldmäßig abgesichert sein müssen; (b) möglichst wenig perma- nenter Geldfluss erforderlich ist − etwa regelmäßige Mietzahlungen; (c) es möglichst keine Abhängigkeiten von Geldfluss und Projektinhalt gibt − etwa bestimmte Themen, die vor- handen sein müssen, um eine Förderung zu bekommen etc. In diesem Sinne ist Freie Soft- ware (um das mir vertraute Beispiel zu nehmen) günstig: Ich muss „nur“ je mich über Was- ser halten und in großen Abständen je mein Produktionsmittel auf meinem Schreibtisch.

(9)

P raktisch bedeu tet das vieles. Unter anderem . . .

• H ierarch ien m ü ssen verschwinden , gleich berechtigte Entsch eidu ngsfin- du ngs- u nd Kom mu n ikationsmeth oden au sprobiert werden.

• Ressou rcen u mzu verteilen, darf nicht eine Forderu ng an die große Politik sein, sondern ist intern ebenfalls u m zu setzen. B ewegu ng darf nicht länger in privilegierte M ach erI nn en u n d M itläu ferI nnen au fgeteilt bleiben. Wer meh r mach en u nd wer eh er − möglich erweise ja au ch nu r bei einem bestimmten P rojekt − m itlau - fen will, entsch eiden die M en sch en selbst. Es darf nicht du rch die Verteilu ng der H andlu n gsressou rcen wie Geld, I nfrastru ktu r, Wissen, Kontakte, Adress- u nd P resse- verteiler gesteu ert sein.

• Verzicht au f Labels in der Au ßen darstellu n g. Das h at gleich m eh rere emanzipatori- sch e Effekte: Die M en sch en werden nicht meh r, ü berwiegend ja u n gefragt, als M asse u nter dem Einh eitsban ner begriffen. Die inh altlich e B otsch aft gerät meh r in den Vor- dergru nd u nd die Apparate der labeltragenden Organisation en oder Parteien verlieren m eh rere M öglich keiten, ein e Aktion u m zu widmen zu r Jagd nach M itgliedern, Spen-

derI nnen oder Wäh lerI nnen.

• B efreiu n g au s den Zwängen des Alltags, u nter anderem der ständigen Angst vor feh lenden m ateriellen Ressou rcen. Dazu kan n der Au sgleich von Reichtu msu ntersch ieden oder die Stärku ng der Unabh ängigkeit geh ören.

M u ss der Weg dem Ziel entsprech en oder h eiligt der Zweck die M ittel?

Dazu lau fen mitu nter bizarre Debatten. B eson ders innig gefü h rt wird sie an der Gewaltfra- ge, die h ier als B eispiel dienen soll. H eißsporne beider Lager erklären ih ren Dispu t zu m Knackpu nkt von B ü ndnisfäh igkeiten. Damit bieten sie M edien u nd politisch e Eliten eine einfach e M öglich keit der Spaltu n g. Doch waru m Gewaltfreih eit oder M ilitan z so viel wichti- ger sein sollen als andere Fragen der Organisieru ng, erklären beide „ Seiten“ nicht. Wenn

„ Gewaltfreie“ h andgreiflich gegen M ilitante werden oder mit bezah lten GewalttäterI nn en wie der Polizei kooperieren, stellen sich ebenso einige Fragen wie bei der B eobachtu ng von militanten Aktionen, die eh er au s sch lechter Vorbereitu ng u n d Oh nmacht entspringen denn au s strategisch er B efü rwortu n g solch er Konzepte. Seh r sch nell widerlegt sich der Verweis au f die Parole „ Der Zweck h eiligt keine M ittel“, weil selbst bei der Verbreitu ng der Parole u mweltzerstörend h ergestellte Geräte, käu flich e Software oder Atom strom gen u tzt werden . Offenbar sind die M ittel doch eh er eine Sach e der Abwägu ng u n d damit einer ty- pisch mensch lich en Fäh igkeit, der Dogmen widersprech en. M itu nter werden Persönlich - keiten zitiert, z. B. M ah atma Gandh i. Doch das der absolu te Gewaltfreih eit gepredigt h aben soll, ist frei erfu nden .

Ein kritisch er B lick au f die sich bildenden Lager bei solch en Au seinandersetzu ngen zeigt aber noch etwas Anderes: Das h eiß u mkämpfte Th em a ist vorgesch oben. Dah inter lagern schwere Kämpfe u m Vorm achtstellu ngen in politisch er B ewegu ng. M it ih rem Gerede von

„ Gewaltfreih eit“ sch affen es B asisdem okratI nnen (manch e h alten sich − trotz Unverein- barkeit − gleich zeitig sogar fü r Anarch istI nnen), tief in bü rgerlich e, sogar ch ristlich e Kreise einzu drin gen . Dort lagern gesellsch aftlich e Einflu ssmittel u n d volle Konten .

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E ine umfangreich e

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Meth oden- und I de- ensam m l ung bieten der Reader „ H ier- arch N I E ! “ und www.

h ierarch nie.de.vu.

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I nfos und Tipps zu al ternati- ven Quel l en für Lebensm ittel , Kl am otten, H äuser, Mobil ität usw. geben der Reader

„ Sel bstorganisierung“ und www.al l tagsal ternative.de.vu.

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Das alles keh rt bei anderen Th em en wider. Dogmen sind imm er ein M ittel der M achtau sü bu ng, denn sie sollen dem einzelnen M ensch en seine Selbstbestim mu n g rau ben. Es ist wie das kapitalistisch e „Tu was Du willst, aber sei profitabel“, n u r dass h ier andere H andlu ngsim perative be- nan nt werden.

Typisch m en sch lich wäre die Abwägu ng in jedem Einzelfall − sch on al-

lein, weil keine Situ ation vorh ersagbar ist. Wer M ittel au swäh lt oder au ssch ließt, oh ne zu wissen , wie die Lage sein wird, besch ränkt sich selbst. Die Abwägu ng aber ist etwas Wichti- ges: Was ist angemessen? Welch es M ittel erreicht welch e Wirku n g? Was wird dadu rch im Detail u nd was im Allgemein en gefördert? Darf ein Erfolg im Kleinen mit ein er Versch lech - teru ng im Großen , z. B. der B ejah u n g oder Versch ärfu ng von H errsch aftsverh ältnissen ein- h ergeh en?

Diese u nd an dere Aspekte m ü ssen debattiert werden. Au s em anzipatorisch er Sicht wird im- m er wieder bedeu tend sein , ob politisch es H andeln B efreiu ng bringt oder H errsch aftsver- h ältnisse legitim iert bis stärkt. Taktisch e Überlegu ngen komm en h inzu , ob sich P rojekte u n d Vorsch läge au fsau gen lassen vom darin geü bten demokratisch en Rechtstaat, der Kritik erst ignoriert, dann bekämpft u nd, wen n das imm er noch n icht reicht, integriert.

U n d was h ei ßt das prakti sch ?

(1 ) Rau sgeh en au s Verwertu ngsstru ktu ren: Wenn wir erken nen , dass die su bjektlose Verwertu ngsm asch ine des Kapitalismu s u nsere Leben sbedin-

gu ngen zerstört, können wir n icht die politisch e Arbeit gegen den Kapitalismu s au f seinen Verwertu ngsstru ktu ren au fbau en . Am B eispiel: Zu näch st sollte der Verkau f politi- sch er B ü ch er die politisch e Arbeit finan zieren, dann sollte der Verkau f politisch er B ü ch er den Verlag fin anzieren u nd sch ließlich wu rden die Krimis entdeckt, die viel meh r Geld brachten als die politisch en B ü ch er. N u n mu ss jedes B u ch selbst sein e Kosten „ erwirtsch af- ten”, denn au ch die (Selbst-) Angestellten wollten „ bezah lt” sein, u nd die politisch en B ü - ch er starben au s. − Andere B eispiele sin d Abh ängigkeit von Spenden oder gar staatlich en Su bventionen, u m „ den Laden am Lau fen” zu h alten. N atü rlich kostet politisch e Arbeit au ch Geld, u nd Geld zu n eh men ist nichts Verwerflich es. Doch der Ru bikon wird ü ber- sch ritten, wenn die eigen e, individu elle Existen z von der Existenz der Gru ppe abh ängig wird, was bedeu tet, den Erh alt der Gru ppe im eigenen partialen Überlebensinteresse als Selbstzweck zu betreiben. Politisch e Gru ppen m ü ssen oh ne existenziellen Sch aden ih rer M itglieder u ntergeh en kön nen, u nd M itglieder mü ssen Gru ppen verlassen könn en , oh n e dass ih re Existenz in Frage steht. Das geht nu r in au tonomen Stru ktu ren, die nicht nach Verwertu ngsprinzipien fu nktionieren.

(2) I ndividu elle Selbstentfaltu ng als Gru n dlage der B ewegu ng: Das Dom in antwerden von partiellen I ndividu alinteressen au f Kosten anderer u nd das Entsteh en inform eller Eliten kön- nen weder du rch bü rokratisch e Verfah ren wie Wah len noch moralisch e Appelle („ Du sollst nicht in stru mentalisieren” ) verh indert werden. Die einzige fu n ktionieren de Gru n dlage ist die Selbstentfaltu n g der beteiligten I ndividu en, die Du rch setzu ng ih rer allgemeinen I nteres- sen . Das sch ließt ein, allen die Ch an ce, den Rau m u nd die M öglich keit zu r Selbstentfal- tu ng zu lassen , denn wer weiß sch on von vornh erein, wie das geht! Das M öglich keiten-las-

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„ Zwöl f Th esen über Anti- Macht“ von Joh n H ol l oway auf www. buko. info/buko25/

h ol l oway. htm l

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Texte zur Gewal tdebatte unter www. projektwerkstatt.de/

debatte/gewal t. htm l . Zudem gibt es eine Brosch üre zum Th em a unter www.aktionsversand.de.vu.

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sen ist jedoch nicht die Verantwortu ng bestim mter Person en − etwa, der „ Sch lau eren”. Ge- rade ein e solch e Verantwortu ngsh altu ng Weniger festigt die person alisierten Stru ktu ren, die sie zu bekämpfen meint: Es gibt niem anden, der das Recht h at, anderen M öglich keiten zu lassen − genau so wie niem and das Recht h at, M öglich keiten zu neh men. Das eine sch ließt das andere logisch m it ein ! Es ist die Sach e aller u nd jedes Ein zelnen, Stru ktu ren zu sch affen, in den en das Lassen u nd N eh men von M öglich keiten keine Frage m eh r ist!

Dort, wo sich M ensch en u n besch ränkt entfalten, ist fü r Eliten kein P latz meh r.

(3) Kritik u n d Reflexion der B edin gu ngen , nicht der Personen: Wir sch reiben im mer wie- der gegen die M oralisieru ng in emanzipatorisch en B ewegu ngen an. Wie aber sollen sich Su bjektbezieh u ngen du rch setzen, wenn es keine m oralisch en Leitlin ien gibt, an die sich die M ensch en h alten können? Su bjektbezieh u ngen setzen sich n u r dann du rch , wenn ich es will. Will ich die Selbstentfaltu ng, dann geht das nu r in intersu bjektiven kooperativen B e- zieh u ngen. Was aber ist, wen n diese th eoretisch e Erken ntnis sich praktisch nicht du rch - setzt? Dan n gibt es keine andere Ch ance, als die Grü nde fü r das Unterlau fen anzu spre- ch en, u nd die stru ktu rellen Ursach en , die das Unterlau fen nah elegen, au fzu decken . Das geht nu r in offener Kritik u nd Reflexion des eigenen Tu ns. Jedes Zu rü ckh alten u nd Unter- lassen von Kritik u m der H arm onie willen ist kontraprodu ktiv − jede Unterdrü cku ng erst Recht. Eine u nterbliebene Kritik ist ein e vertan e Ch ance − fü r m ich u nd alle. P roblema- tisch ist jedoch personalisieren de Kritik. Es geht niem als u m Sch u ld, son dern immer u m die Grü nde fü r m ein H andeln. Es gibt kein u nbegrü ndetes Verh alten, sei es au ch noch so daneben . Es gibt im mer n u r das N och -nicht-Kennen der Grü nde fü r das H an deln des An- deren. Über das Ken nenlern en der Grü nde können wir die individu ellen P rämissen fü r das H andeln versteh en , die au f die B edingu n gen verweisen. Diese B edingu n gen sind Gegen- stand der Analyse. I h re Rolle als stru ktu relle H an dlu ngsvorau ssetzu ng ist au fzu decken. Ge- rade die Offenh eit u n d Kritikfäh igkeit entlastet mich von der N otwendigkeit, die anderen au ch zu mögen . Wen n Gru ppen nu r noch ü ber Sympath ien fu n ktionieren u n d sich ver- sch iedene sympath iegetragene Klü n gel bilden, ist etwas fau l.

(4) Kooperation u nd Entsch eidu ngen: Die B eteiligu n g an oder Grü n du ng von Gru ppen au f der Gru ndlage der individu ellen I nteressen ist die eine Sach e. Eine andere ist es, Ent- sch eidu n gen fü r das gemein sam e H andeln zu finden . N icht imm er liegt au f der H and, ob diese oder jene Entsch eidu n g im allgemeinen oder nu r partiellen I nteresse liegt. Den noch m u ss entsch ieden werden , will die Gru ppe nicht zu r einer „ Gru ppe au f dem Papier” m u tie- ren. Speh r sch lägt ein „ collective leadersh ip” vor: „ Es reicht nicht, dass alle ih re I nteressen form u lieren u nd in ih rer Untersch iedlich keit einbringen; irgend jeman d mu ss den jeweils n äch sten Sch ritt formu lieren, der darau s folgt, u n d in einer freien Kooperation sollte diese Fäh igkeit soweit wie möglich kollektiviert sein” (Speh r 1 999, 302). Es ist aber fraglich , ob dadu rch nicht zu viel Su bjektstatu s in die Gru ppe kommt u nd die Einzelnen zu au stau sch - baren Teilen degradiert. Dah er ist im mer wichtig, erst zu prü fen, ob ü berh au pt Entsch ei- du n gen fü r Aktive getroffen werden m ü ssen . Kollektivierte Entsch eidu ngsformen, wenn bzw. wo sie den n u nerlässlich sin d, kann es viele geben . Wichtig ist, dass sie der Lage an- gem essen u nd leicht veränderbar sind: Delegationen m it M andat, Rotationen in Entsch ei- du n gspositionen, zeitlich e B efristu ngen fü r bestimmte Au fgaben etc. Wichtiges M erkm al ist h ierbei, dass n icht immer alle alles entsch eiden, das wäre viel zu u neffektiv, sondern das es ein transparentes Verfah ren fü r Entsch eidu ngen gibt.

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Wir sind nicht frei, aber wir können wäh len zwisch en M öglich keiten − u nd sie sch affen!

Wer politisch aktiv ist, also etwas verändern bzw. als n egativ empfu n dene Veränderu ngen verh in dern will, kan n imm er zwisch en versch iedenen Strategien wäh len. Denkbar ist zu - dem, neu e H an dlu ngsmöglich keiten zu entwickeln.

• Ebenso kann gewäh lt werden zwisch en erstens dem Versu ch , die eigenen Stru ktu ren h ierarch iefrei zu h alten u nd allen B eteiligten gleich en Zu griff au f die gem einsamen Ressou rcen zu geben, oder zweitens − z. B. in der H offnu ng, dann m eh r Sch lagkraft zu h aben − der Reprodu ktion ü blich er gesellsch aftlich er Organisation sform en m it Leitu ngsgremien , Disziplinieru ng u n d N ormieru ng.

• Gleich es gilt fü r Gesch lechterrollen , Alterspyramiden u nd vieles m eh r: M ensch kann sie h in neh men u nd dadu rch reprodu zieren − oder zu ü berwinden versu ch en .

• Vereinnah m u ng u nd Stellvertretu n g sin d Form en der B eh errsch u n g, die in fast allen politisch en Gru ppen ein e große Rolle spielen. Erforderlich ist das nicht. Jede Gru ppe u nd jedeR Akteu rI n kann fü r sich entsch eiden, etwas Anderes zu wollen oder das N ormale zu tu n.

• M it dem Verzicht au f Einh eit innerh alb politisch er B ewegu ng kann diese zu m Experi- m entierfeld werden. Labels u nd zentrale Gremien verlören an B edeu tu n g zu gu nsten besserer H andlu ngsm öglich keiten der Vielen. Dann kan n au s der bislang gepriese- n en Einh eitlich keit u n d Gesch lossenh eit, die aber vor allem Steu er- u nd B erech en- barkeit bedeu tet, eine P rotestwelt entsteh en, in der viele Welten P latz h aben.

• Unversöh nlich gegen ü ber steh en sich die Pole der optimalen N u tzu n g besteh ender M achtverh ältnisse fü r die eigenen Zwecke u nd die Überwindu n g dieser, weil sie als Ursach e der P robleme em pfu n den werden. Viele politisch e Strömu ngen entzweien sich an diesem Gegen satz. Wer jedoch ein e klare, selbstbestimmte Position u nd H andlu n gsfäh igkeit h at, kann sich au ch au f Verh andlu n gen m it den I nh aberI nnen form aler M acht einlassen − oh ne allerdings die eigen e Fäh igkeit zu m P rotest au fzu - geben. Wer abh än gig ist vom gu ten Willen der M ächtigen, kann nu r n och appellie- ren. Das ist zu wenig.

Au s emanzipatorisch er Sicht kommt es im mer au f die Qu alität, also die I n h alte u nd die Strategie an, nicht so seh r au f den Sch ein oder eine form ale Regelu ng. Letztere wären nu r so em anzipatorisch , wie sie mit Leben gefü llt wü rden. Ob ein Fü h ru n gsgremiu m Vorstan d oder Koordinieru ngskreis h eißt, ob klein e oder große Sch ritte gemacht oder gefordert wer- den, ist nicht so entsch eiden d. Es zäh lt, was tatsäch lich passiert oder an H errsch aftsverh ält- nissen besteht. Große, eman zipatorisch e Sch ritte sind sch ön , können aber eh er ganz sch eitern oder sogar u nversu cht bleiben, weil der revolu tionäre Path os bereits das Gru p- penleben ganz au sfü llt u nd der Drang zu r tatsäch lich en Verän deru ng h inter den Parolen von Umstu rz versandet. Kleine, em anzipatorisch e Sch ritte könn en ebenso im Alltagsge- sch eh en u ntergeh en , wen n die Wirku ng irgendwann gar n icht m eh r spü rbar ist oder das stän dige Denken im System so abstu mpft, dass die Frage n ach dem emanzipatorisch en Fortsch ritt irgendwann im Alltagstrott des politisch en Klein-Klein s h inten ru nterfällt.

Die Absch affu n g von Vorständen ist gu t, aber wenn das nu r in intransparente H intergru nd- M achtzirkel m ü ndet, h ilft es wenig oder gar n ichts. So bietet politisch e B ewegu ng in jeder

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Seku n de u nd an jedem Ort selbst die M öglich keit zu r Veränderu ng. Viele M öglich keiten sin d sch on „ erfu nden“, aber fü r eine h orizontale B ewegu ngsku ltu r wird es au ch darau f an- komm en, weitere soziale I nnovation voranzu bringen .

Kein Appell, sondern direkte Aktion

Gesellsch aftlich e Einzel-M issstände, die m eist im Foku s von P rotest liegen, h än gen mit da- h intersteh en den H ierarch ien , P rivilegien, Diskriminieru ngen oder anderen, gru ndlegen- den H errsch aftsverh ältn issen zu sam men. Diese bilden tiefere Ursach en. Es wäre dah er fa- tal, au sgerech n et die als RetterI nnen anzu ru fen, die solch e M issstän de h ervorgeru fen oder willentlich Rah menbedingu ngen gesch affen h aben, die zu ih nen fü h rten. Dah er kann ap- pellativer P rotest an die M ächtigen nie emanzipatorisch sein, weil er die M acht legitimiert, wen n sie au ch anders au sgefü h rt werden soll. Ebenso kan n ein Personenwech sel an der M acht nicht Ziel em anzipatorisch er Aktion sein, da h ierdu rch H errsch aftsverh ältn isse nicht abgebau t, sondern sogar zu sätzlich legitim iert werden.

Das bedeu tet n icht, au f klare Worte an Konzernleitu n gen, Au fsichtsbeh örden oder Regie- ru ngen zu verzichten, aber sie sin d nicht das primäre Ziel. Dieses liegt in der Veränderu ng gesellsch aftlich er Verh ältnisse, die das ermöglich en oder fördern, was kritisiert wird. KeinE AktivistI n m u ss trau rig sein, wen n die willigen VollstreckerI nn en in H errsch aftsposition en politisch e Forderu ngen u m setzen, z. B. weil der öffentlich e Dru ck zu groß wu rde. Aber da- du rch entsteht kein verlässlich er Wandel. Jeder Personenwech sel oder sch on der Wandel in den I nteressen derselben Personen könn en ein mal Erreichtes wieder in Frage stellen.

Der Appell an die M ächtigen legitimiert diese. Eine Akzeptan z oder gar Freu de, wen n sie au f P rotest n ach geben , darf gerne Teil von Widerstandsku ltu r sein − prägen d sollten aller- dings das Ringen u m gru ndlegen dere Veränderu ngen u nd der Wille sein, die Verh ältnisse oh ne Stärku ng h öh erer M ächte zu verändern .

Wen iger entsch eidend ist die Frage, ob wir u n s an kleine Veränderu ngen oder große Ent- wü rfe mach en. Oft werden die Wörter Reform u nd Revolu tion gewäh lt, u m diesen Unter- sch ied zu verdeu tlich en, doch besch reibt dieses B egriffspaar keinen emanzipatorisch en Konflikt. Denn eine sch lau e Reform wäre au ch ein Sch ritt zu r Überwindu ng der Verh ältnis- se, wäh rend eine au toritäre Revolu tion rü ckwärtsgewan dt sein kann oder nu r den Wech sel der M achtin h aberI n nen, nicht aber ein en Systemwech sel oder n u r einen Wech sel zu ein er an deren Form der B eh errsch u ng an strebt. Die Forderu n g nach revolu tionärer Umwerfu ng kann Reform en au slösen. Viele Reformen können zu sammen einer Revolu tion gleich kom- m en − u nd sollten das. Entsch eidend ist, ob etwas befreiend wirkt oder H errsch aftsverh ält- n isse legitimiert bzw. m odernisiert.

Viele I deen kon kreter, direkter Aktion sind sch on entwickelt u nd au sprobiert worden. Unü berseh bar viele weitere wü rden in politisch er B ewegu ng, die ih re eigenen N ormen, H ierarch ien u nd Abh ängigkeiten absch ü ttelt, erst noch erdacht werden . Eine Übersicht ü ber die Vielfalt der M öglich keiten lässt sich an den vielen B eispielen plu s praktisch en H andlu n gstipps au f den Direct-Action-Seiten im I nternet u nd dem Direct-Action-Reader erse- h en.

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Berichte und Beispiel e wie Kom m unikationsgueril l a, kreatives Straßenth eater, Besetzen und Bl ockieren, kreatives Dem onstrieren, Sabotage und Mil itanz auf www.direct-action.de.vu.

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Au s ein em I n terview m it J an Reh m an n , in : J u n ge Wel t, 3.1 . 2008 (fa u l h eit&arbeit, S. 1 f. ) Die erste Falle ist eine abstrakte Ideologiekritik, die die ideologischen Felder wie Religion, Moral, Recht frontal von außen angreift, statt in sie einzugreifen. Dadurch verliert sie den Kontakt zur Bevölkerung und isoliert sich. Die zweite Falle besteht darin, dass man seine Forderungen in den herrschenden Diskursen ausdrückt und sich dabei an die hegemonialen Ideologien anpaßt. Das ist dann die Schleimspur, auf der man ausrutscht. Um diese Fallen zu vermeiden, braucht man eine kritische Ideologietheorie, die in der Lage ist, das Ensem- ble der ideologischen Normen und Werte so zu analysieren, dass man die Bruchstellen fin- det, an denen man effektiv intervenieren kann. Man kann eine solche Intervention als »in- terruptiven Diskurs« bezeichnen.

Au s Can tzen , Rol f (1 995): „Wen iger Sta at − m eh r Gesel l sch aft“, Trotzd em -Verl ag in Gra- fen au (S. 238)

Im Rahmen einer integralen, d. h. alle gesellschaftlichen Teilbereiche einbeziehenden mehr- dimensionalen Transformationsstrategie ist auch auf vielfältige Widerstands- und Protest- formen nicht zu verzichten. Hier sind die von Anarchisten und revolutionären Syndikalisten propagierten »direkten Aktionen« wie Betriebsbesetzungen bei Konkurs, Hausbesetzungen und andere Maßnahmen sowie Aktionen zur Bloßstellung von Autoritäten heute durchaus von systematischer Bedeutung. Auf der Basis solcher nicht-frontalen und mehrdimensiona- len Strategien der Gesellschaftsveränderung lassen sich die anarchistischen Entwürfe einer herrschaftsfreien Gesellschaft auf die heutigen hochkomplexen Industriegesellschaften be- ziehen. Die Vermittlung von utopischen Gesellschaftsentwürfen und der gesellschaftlichen Realität ist möglich, auch wenn der Gedanke eines alles verändernden revolutionären Um- sturzes aufgegeben wird.

Aktion u nd Utopie

Ein besonderes An sinnen ist, direkte Aktion en so zu organisieren, dass sie nicht nu r fü r Änderu ngen im kritisierten Detail werben, sondern fü r weiterge- h ende Verän deru ngen in der Gesellsch aft. Oder die Debatte u m Utopien an- zetteln. Das gelingt dann leichter, wen n tragende P feiler h errsch aftsförm iger Gesellsch aft an gegriffen werden: Eigentu m , Strafe, Kategorien der Au ssch lie- ßu ng, P rivilegien oder die alles du rch zieh enden M ech anismen, also Gesetze, Dis- ku rse u sw. als Gesamtes.

Dezentral, vernetzt − von u nten organisiert

Echte N etzwerke h aben Knoten pu nkte, aber keine Zentralen. Die Ku n st ist, trotzdem Kom- m u nkationsflü sse u nd Kooperationsanbah nu n g zu gewäh rleisten, so dass oh ne die Rolle der H ierarch ien sch affenden Apparate ein M iteinander immer möglich ist − in der Aktion, bei der effizienten N u tzu ng von Ressou rcen , beim Au stau sch von Wissen u nd Erfah ru ngen sowie fü r gegen seitige H ilfe. Das ist keine leichte Au fgabe angesichts der starren H ierar- ch ien u n d dem Kon ku rren zkampf u m Spenden gelder, öffentlich e Au fmerksam keit, Adress- u n d P resseverteiler, Zu gang zu den Tisch en der Reich en u nd M ächtigen u sw. Politisch e B ewegu n g mu ss au f den Kopf gestellt werden. Es gilt nicht meh r als primäres I nteresse, starke zentrale Gesch äftsstellen zu sich ern u nd das eigene Label einh eitlich zu vermarkten, sondern eine bu nte, gu t vernetzte Vielfalt h andlu ngsfäh iger Teile des Ganzen au fzu bau en

− von B asisgru ppen bis zu selbstorgan isierten ü berregion alen P rojekten u n d Aktionen .

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Aktionsideen für U topien unter www.

projektwerkstatt.de/

h oppetosse/dan/

utopien. htm l

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Au s dem F l u gbl att „E in ige N otizen zu au fstä n d isch em An arch ism u s“

Autonome Aktion: die Selbstverwaltung des Kampfes bedeutet dass die, die kampfen auto- nom sind in ihren Entscheidungen udn Aktionen; dies ist das Gegenteil einer Organisation der Synthese, die immer versucht, die Kontrolle des Kampfes zu übernehmen. Kämpfe die synthetisiert sind, durch eine einzelne kontrollierende Organisation, sind einfach integrier- bar in die Machtstrukturen der gegenwärtigen Gesellschaft. Selbstverwaltete Kämpfe sind in ihrer Natur unkontrollierbar, wenn sie über das soziale Terrain verbreitet werden. . . . Deshalb sind kleine, leicht reproduzierbare Aktionen, die einfache Mittel erfordern, welche allen zugänglich sind, durch ihre Einfachkeit und Spontanität unkontrollierbar. Diese ma- chen sogar die meist vorangeschrittensten technologischen Entwicklungen der Aufstands- bekämpfung zum Gespött.

Den Alltag zu r Aktionsfläch e m ach en!

Politisch er Widerstand ist oft au f große Events orientiert. Das zeh rt an Kräften, den n diese sin d au fwendig u n d m ü ssen kom plett inszeniert werden . Zu dem sind sie anfällig fü r Verein- n ah mu n g u nd h ierarch isch e Stru ktu ren. Der Alltag bietet andere Ansatzpu nkte: Er ist im- m er da, m ensch m u ss nicht au fwendig zu ih m h inkom men. I n ih m spiegelt sich die Totali- tät von H errsch aft. Die M en sch en verfü gen ü ber ein Kn ow-H ow des Umgan gs m it ih m u n d könn en Veränderu ngen dah er u nmittelbar au sprobieren , die Wirku ngen prü fen u nd ei- gene Strategien weiterentwickeln . Die M ensch en sind von ih rem eigenen H an deln selbst betroffen. Das ist wichtig. Politisch e Strategien sch affen h eu te im mer wieder Orte, die ge- fah rlos betreten werden können, weil sie m it dem eigenen Leben wen ig bis nichts zu tu n h aben. Wer den Alltag zu m Kampffeld m acht, wird Widersprü ch e u nd den entsteh enden Dru ck direkt spü ren. Das kann veru nsich ern, zeigt aber, dass es h ier u m tatsäch lich e Veränderu ngen geht, nicht nu r u m sym bolisch e oder

gar n icht verbale Politikform en .

Wer im Alltag agiert, läu ft Gefah r, nu r fü r sich zu h andeln u nd sich in ein er N isch e zu isolieren. Kooperation ist dah er besonders interessant, denn sie sch afft konkrete Kom mu n ikation, ist stark du rch die M ensch en selbst steu erbar u nd kann an onym e Kooperationen zu rü ckdrängen. Die eigene H an dlu n gsm acht nimmt zu − im gü nstigen , n ämlich erfolgreich en Fall au ch die H andlu ngsmöglich keiten du rch bessere m aterielle Absich eru ng, I nfrastru ktu r u nd meh r Zeit.

Au s Ch ristop h Speh r (2 003): „Gl eich er al s an d ere“, Karl D ietz Verl ag in B erl in (S. 1 07) Dies ist gleichbedeutend mit der Frage »Wer soll das alles durchsetzen?«, die sich gewöhn- lich an Ausführungen über politische Utopie anschließt. So kompliziert und vielschichtig Herrschaft ist, so vielschichtig und vielgliedrig sind auch die Prozesse der Befreiung. Wir können uns heute kein historisch privilegiertes Subjekt mehr vorstellen, das die Verände- rung der Verhältnisse bewirkt − keine nach Funktion, Ideologie oder Identität ausgewie- sene Klasse, Gruppe, Organisation. Wir können uns heute auch keinen privilegierten Ort und keine privilegierte Form dieser Auseinandersetzung vorstellen. Und wir können uns nicht mehr vorstellen, dass dieser Prozess von formalen politischen Organisationen domi- niert wird. Es geht um ein ganzes Bündel von Prozessen, einen komplexen Prozess, in dem Organisationen und soziale Bewegungen, Alltagsabsprachen und kulturelle Bewegungen, soziales Experimentieren, kulturelles Imaginieren und politische Kämpfe eine Rolle spielen und einander nicht untergeordnet werden können.

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Aktionsbesteck für den widerständigen Al l tag:

www. projektwerkstatt.de/

h oppetosse/dan/

werkzeug. htm l

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Wer sch afft den Wan del ?

Es werden neu e Kreise sein, die diese Verkru stu ng du rch brech en kön nen − aber nicht m it reinem Aktionismu s, sondern in ein em kreativen, ständig weiter entwickelten Arbeitsstil, in dem Vielfalt, Offen h eit, direkte Aktion u nd Kom mu nikation gelten − B ewegu ng von u n- ten . N u r sie ist ein e Alternative zu m B esteh en den. N u r sie kann sich so entwickeln, dass ih re I deen u nd Aktionen zu ein er Gefah r fü r die h errsch enden Verh ältnisse werden . Der B lick ü ber den Tellerran d in andere Länder zeigt, dass die politisch e Organisieru ng in Deu tsch land eh er zu rü ckliegt. N irgendwo sonst setzen soviele politisch e Akteu rI nnen au f die H eilu ngskräfte des M arktes oder das Gu te in den Regieru ngen − u n d entwickeln ih re Vorsch läge entsprech en d vor allem marktgän gig oder als Appell an die jeweils Regieren- den. Ebenso gibt es nu r in wenigen Län dern u nter denen, die Politik wenigstens als Ak- tionsform gegen H errsch aft u nd Kapitalismu s begreifen, eine so klare Dominanz derer, die an alten Stru ktu ren festh alten, P raxisfeindlich keit zeigen u nd au f N eu eru ngen derart ableh - nend reagieren.

Selbstverständlich ist nichts gu t, bloß weil es neu ist. Aber N eu es ist es imm er wert, offen disku tiert u nd au sprobiert zu werden. Politisch e B ewegu ng brau cht m eh r M u t, meh r I deenreichtu m, m eh r Experim ente, meh r Risikofreu de, meh r direkte Aktion u nd selbstbe- stimmte Kom mu nikationsformen.

Die Disku ssion h at erst begonn en . Die Um setzu ng beginnt gleich zeitig. Die P raxis ist nicht nu r Teil der Verän deru ng, sondern au ch eine Gru ndlage der Disku ssion u m Strategien u n d Position en. Kein gesellsch aftlich er Wandel entsteht n u r au s Aktion ismu s oder nu r au s der Debatte u m Th eorien . Die Verkn ü pfu ng wird eine Ku n st sein. Die spannendsten Politikfor- m en entsteh en dort, wo inh altlich -strategisch e Debatten gefü h rt werden u nd eine politisch e P raxis der direkten Aktion u nd Öffentlich keitsarbeit gefu nden wird. Wer dann loslegt, m acht Feh ler. Eine au fmerksame Reflektion wandelt diese in strategisch en Fortsch ritt u n d Ansporn, es besser h in zu kriegen. I mmer weiter. Fragend voran.

Das war's.

Das Ende des Lesens ist (spätestens) der Anfang des eigenen Denkens − u nd H andelns.

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