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Academic year: 2022

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Dr. Matthias Lange

(29.07.1950 – 19.06.2006)

Dr. Matthias Lange, Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Flüchtlingsrats Niedersachsen. Nach ihm ist der Fluchthilfepreis benannt.

Dr. Matthias Lange war Mitbe- gründer und langjähriger Vor- sitzender des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V.. Im Mittel- punkt seines Denkens und Han- delns stand die Durchsetzung des Rechts eines jeden Menschen, Rechte zu haben, unabhängig von gesellschaftlichem Status oder Gruppenzugehörigkeit. Sein Ide- al war eine Gesellschaft, in der verschiedene gesellschaftliche Gruppen über die Grenzen der eigenen Gruppe hinaus politisch aktiv werden und füreinander eintreten. Im Jahr 1998 formulier- te er es so:

’Wir sollten uns gemeinsam auf die Suche nach einem politischen Weg begeben, der hin führt zu ei- ner Kultur der Gleichberechtigung und der Solidarität: Zu einer Politik der Zivilisierung, die den Vergleich und die Differenz gleichermaßen aus- halten kann und lebendig werden lässt [...], eine Politik der Zivilisie- rung jenseits von identitätspoliti- schen Konstruktionen [...]’

Das Eintreten für das Asylrecht von Flüchtlingen, von Menschen also, die sich zwischen zurück- gelassener Heimat und ungewis- ser Zukunft befinden, war für ihn gerade vor dem Hintergrund der

deutschen Geschichte ein wichti- ger Beitrag im Kampf um Demo- kratie und Menschenrechte. Statt zwischen Geflüchteten und Ein- heimischen zu unterscheiden, un- terstrich er, was sie miteinander verbindet:

’Es gibt einen grundlegenden poli- tischen Gleichklang in den Interessen der ”Heimlichen” und der ”Normal- bevölkerung”, und zwar das Interes- se an einer demokratischen Verfasst- heit des Staatswesens, das man be- wohnt. Der Gleichklang, den dieses [...] ”Demokratisierungsinteresse”

erzeugt, entspringt aus der Beobach- tung, dass die zunehmende Illega- lisierung von Menschen natürlich auch an der inneren Verfasstheit des Staates nicht spurlos vorbeigehen kann.’

Der Umgang von Gesellschaf- ten mit denen, die Zuflucht vor Tod und Elend suchen, mach- te für ihn besonders augenfällig, wie gesellschaftliche Strukturen insgesamt Ungleichheit zwischen Menschen herstellen und aufrecht erhalten.

’Keine Grenze hat in der Praxis eine für jeden Menschen gleicher- maßen gültige Bedeutung. Es macht einen entscheidenden, und immer häufiger über Leben und Tod ent-

scheidenden Unterschied, ob man sie als ManagerIn, als AkademikerIn, als junge/r Arbeitslose/r, als Flüchtling überschreitet. [...] Grenzen haben ei- ne alptraumhafte Allgegenwart und zugleich sind sie durchlässig und un- sichtbar – und für wen sie im konkre- ten Fall die Bewegungsfreiheit ein- schränken, das richtet sich nach den Interessen der Einschränkenden.’

Unsere Aufgabe – als Individu- en wie auch als Gesellschaft – ist es seiner Ansicht nach, den Zu- stand des ”Dazwischenseins” der Flüchtlinge zu überwinden und jene ”Alltäglichkeit zu stiften” die ein Ankommen und einen Neu- beginn erst möglich macht. Für dieses Recht auf Alltäglichkeit setzte er sich Zeit seines Lebens ein, sowohl innerhalb wie ausser- halb der Institutionen. Befasste er sich bereits in seiner Dissertati- on mit der grundlegenden Frage nach den Möglichkeiten fürPoliti- sche Handlungsfähigkeit(Göttingen 1982), so verband er im Lauf sei- nes Lebens immer wieder grund- sätzliche Überlegungen mit sehr praktischer, konkreter und stets politischer Arbeit.

Bereits in den 80er Jahren war Matthias Lange als Leiter der Flüchtlingsunterkunft ”Hotel As-

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toria” in Göttingen in der Flücht- lingsarbeit engagiert. 1982 war er Mitbegründer des Göttinger AK zur Unterstützung von Asylsu- chenden, der vor allem aus der Unterstützung für Flüchtlinge im

”Hotel Astoria” hervorging. Auf Landesebene war Matthias Lange einer der Mitbegründer des nie- dersächsischen Flüchtlingsrats im Jahr 1984. Mit seinen Analysen, Interventionen, Publikationen und Initiativen hat er das Selbst- verständnis des Flüchtlingsrats als demokratische, solidarische, kritische Menschenrechtsorgani- sation entscheidend geprägt. Als im Jahr 1986 die Bundesarbeitsge- meinschaft PRO ASYL gegründet wurde, engagierte er sich auch dort über viele Jahre im Vorstand als wichtiges Bindeglied zu den Flüchtlingsräten.

Von 1991 bis 1998 arbeitete Matthias Lange im Beratungs- zentrum für Flüchtlinge, das – von ihm mitinitiiert - über das Land Niedersachsen finanziert wurde. Parallel beteiligte er sich an der Entwicklung von Projek- ten, z.B. einem ESF-finanzierten Kosovo-Projekt zur Förderung von Flüchtlingen aus dem Koso- vo, v.a. Roma, das von 1995 bis 1997 umgesetzt wurde. Von 1998 bis 2004 war er bei der Stadt Göt- tingen beschäftigt. Dort initiierte er ein Projekt zur interkulturel- len Öffnung der Stadtverwaltung mit dem Ziel, den legitimen An- spruch von Geflüchteten auf Zu- gang zu allen gesellschaftlichen Ressourcen zu gewährleisten.

Voraussetzung für eine tatsäch- liche Teilhabe von Migrant innen am Alltag und am Gemeinwesen war eine ’auf Wechselseitigkeit und Anerkennung gründende

”zivilgesellschaftliche Infrastruk- tur”’. Deren wichtigste Aufgabe war es für ihn damals – und sollte es bis heute sein –, identitäre Fest- legungen und ’kulturalistische Wahrnehmungsstörungen aktiv und effektiv aufzulösen’ und ver- meintlich ’kulturelle’ Festlegun- gen in ’Situationen der Offenheit umzumünzen’:

’Die Fähigkeit, mit dem Problem des sozialen Ausschlusses gegensteu- ernd umzugehen, ist ein wesentlicher Aspekt interkultureller Kompetenz.

Denn ohne diese spezifische Kompe- tenz besteht die Gefahr, dass sich der interkulturelle Focus ’der Kultur’

als einer Macht bedient, Unterschei- dungen zu treffen und Zuweisungen bzw. Festlegungen auf Gruppen von Menschen zu projizieren. Auf diese Weise können dann die ’kulturellen Unterscheidungen’, die der interkul- turelle Focus auf Gruppen projiziert, auch dazu dienen, von jeweils ’kul- turinternen’ Unterschieden abzulen- ken und Schwierigkeiten mit inner- gesellschaftlichen Unterschieden auf sogenannte Problemgruppen abzu- wälzen, [...] die Vielfältigkeit der über die Gruppengrenzen hinausreichen- den Bindungen und Erfahrungen zu vernachlässigen und drittens die Gleichzeitigkeit verschiedener Iden- titäten und Perspektiven wenn nicht zu leugnen, so doch in ihrer lebens- praktischen Bedeutung kleinzureden’

Teilhabe gelingt vor allem über Verständigung. So ist es nur fol- gerichtig, dass in diese Zeit auch die Etablierung eines Dolmet- scherpools fällt, der insbesonde- re das Recht auf eine adäqua- te Teilhabe von Ausländer innen an Beratungs- und Hilfeangebo- ten zum Ziel hatte.

Matthias Lange war gut und

vielfältig vernetzt und immer ge- sprächsbereit. Doch so wie er sich für das Recht auf Individuali- tät eines jeden Menschen einsetz- te, so liess er auch sich selbst von keiner Gruppe vereinnah- men. Auch dem eigenen Handeln gegenüber bewahrte er jene kri- tische Distanz, durch die Selbst- reflexion erst möglich wird. Ge- rade im Hinblick auf ehrenamt- liches Engagement formulierte er aus, warum über alle guten Ta- ten hinaus immer auch politisches Engagement notwendig ist:

’[Ehrenamtliche Hilfe] ist Hilfe in einer Notsituation, die deshalb gebraucht wird, weil der Staat die- se Not politisch und administrativ

”produziert”. [Hier] liegt eine der in der Praxis wohl wichtigsten Fallen von Ehrenamtlichkeit: Wer dort hilft,

”wo es am nötigsten ist”, der über- sieht nur allzu leicht, dass das Ehren- amt auf diese Weise als Ausfallbürge von Politik mobilisiert wird.’

Matthias Langes kritischer Geist hat viele inspiriert; anderen aber war er zu unbequem. Nach Konflikten in der Göttinger Stadt- verwaltung und einer schäbigen öffentlichen Auseinandersetzung um die Ergebnisse seiner Arbeit wurde es ruhig um ihn. Er wurde arbeitslos, zog sich zurück, ließ nur noch wenige Menschen an sich heran. Am 19.06.2006 starb Matthias Lange – viel zu früh.

Zitierte Texte von Matthias Lange:

’Interkulturelle Kompetenz: Überlegungen zu kommunalen Ansätzen und Strategien einer interkulturellen Öffnung’, in Migration und Soziale Arbeit, 2000 Nr. 1, S. 10-15 (mit N. Pagels)

’Staatlich produzierte Not. Engagement für Flüchtlinge: Das Ehrenamt in der Opposition’

’Grenzen, Gewalt und Identitätspolitik’ inFLÜCHTLINGS- RAT – Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 55, Juli 1998

’Flüchtlingspolitik angesichts zunehmender Illegalisierung’

in FLÜCHTLINGSRAT Niedersachsen, Rundbrief 31/32 Son- derheftHeimliche Menschen - Illegalisierte Flüchtlinge Politische Handlungsfähigkeit(Göttingen 1982) Nachruf für Matthias Lange des AK Asyl Göttingen

Referenzen

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