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184 Furthmann, Katja: Die Sterne lügen nicht. Eine linguisti- sche Analyse der Textsorte Pressehoro- skop.

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Furthmann, Katja:

Die Sterne lügen nicht. Eine linguisti- sche Analyse der Textsorte Pressehoro- skop. Göttingen: V&R unipress, 2006. – ISBN 978-3-89971-323-7. 546 Seiten, 67,90 Euro

(Lutz Köster, Bielefeld)

Massenmediale Horoskope als Gegen- stand einer Dissertation? Der Skepsis ge- genüber einer wissenschaftlichen Beschäf- tigung mit dieser Textsorte des Infotain- ments ist auch Katja Furthmann begegnet.

Inspiriert u. a. von Adornos Kritik an den gesellschaftsstabilisierenden Botschaften des Horoskops, hat sie sich das Ziel ge- setzt, »das Desiderat einer allgemeinen und umfassenden Beschreibung der Textsorte Horoskop zu schließen« (34).

Aufgrund des defizitären Forschungs- stands (Kap. 1) will sie nicht nur eine lin- guistische, textinterne Analyse liefern, sondern ebenso die »textexternen […] Be- sonderheiten von Horoskopen exempla- risch am Beispiel eines Ausschnitts aus der gegenwärtigen Presse heraus[zu]ar- beiten« (34). In ihren »Schlussbetrachtun- gen« (Kap. 10) wird sie zu Recht feststellen können, dass Horoskope aus linguisti- scher Sicht

»eine sehr vielschichtige und perspektiven- reiche Alltagstextsorte [darstellen], die auf allen Ebenen der Textbeschreibung zu auf- schlussreichen Erkenntnissen hinsichtlich des Funktionierens menschlicher Kommu- nikation unter einer spezifischen kommuni- kativen Einschränkung – der Pseudoindivi- dualisierung – verhilft« (509–510).

Das Vorgehen ist sachlogisch und äußerst akribisch: Nach Klärung der Terminologie und Entwicklungsgeschichte von Horo- skop und Astrologie (Kap. 2) geht sie auf textlinguistische Voraussetzungen ein (Kap. 3), diskutiert – charakteristisch für ihre Arbeitsweise – ausführlich die zu- grunde gelegten Begriffe etwa von Text, Textsorte oder Textmuster, analysiert in

Kap. 4 das situativ-kommunikative Um- feld von Pressehoroskopen; ihr Korpus besteht aus 240 Gesamthoroskopen, also aus insgesamt 2880 Kurztexten, die 24 ver- schiedenen Zeitungen und Zeitschriften entnommen wurden, ergänzt um eine schriftliche Befragung von 100 Personen zu ihren Rezeptionsgewohnheiten. Katja Furthmann bringt in diesem Kapitel den

»undurchsichtig[en]« (143) Produktions- kontext mit Rezeptionsgewohnheiten zu- sammen, letztere sind dadurch gekenn- zeichnet, »dass ein Großteil der Menschen ihm [dem Horoskop, L. K.] Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit abspricht« (122).

In Kap. 5 beschäftigt sie sich mit der Textfunktion; wiederum setzt sie sich mit Blick auf Begrifflichkeit und Behandlung des Horoskops mit der Literatur kritisch auseinander, geht die Hypothesen Infor- mationstext, Appelltext oder Kontakttext akribisch durch, weist schließlich die eindeutige Bestimmung einer dominan- ten Textfunktion zurück (181). Polyfunk- tionalität und Mehrfachadressierung sind, wie sie weiter ausführt, gekoppelt mit der Bereichsfunktion (Gansel/Jürgens) Unterhaltung, der sie einen Exkurs wid- met. Die Unterhaltungsfunktion impli- ziert, »dass die kommunikative Absicht dann nicht erfolgreich ist, wenn kein positiver/unterhaltender Kontakt zum Rezipienten hergestellt wird […]« (190);

horoskoptypische Inhalte (Kap. 6: The- matizität) und sprachliche Realisierun- gen (Kap. 7: Formulierungsadäquatheit) sorgen für diesen unterhaltenden Kon- takt zum kollektiven und zugleich indivi- duellen Rezipienten.

Diese beiden zentralen Kapitel der Arbeit benötigen 250 spannend zu lesende Sei- ten, um ihre Datenanalyse aufzubereiten.

Erste Stichworte sind hier (gesellschaft- lich konventionelle oder zielgruppenspe- zifische) Topoi mit (deskriptiver oder narrativer) Themenentfaltung, denen Handlungsempfehlungen und Voraussa-

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gen für bestimmte Referenzbereiche (hier: Liebe) zugeordnet werden:

»Topos des (un)angemessenen Verhaltens:

[…] Sie können die Liebe nicht planen. Und schon gar nicht den Partner umkrempeln.

Ein bisschen mehr Toleranz, und alles wird gut.« (236)

Jedes Kapitel endet mit einer Zusammen- fassung, das 6. Kapitel weist außerdem noch auf genauer zu untersuchende Be- reiche hin. Besonders erwähnenswert finde ich hier die in Horoskopen nachzu- weisenden Rollenauffassungen von Frauen und Männern (Stuckard 2000), die ich noch um genderzugeordnete Sprachmittel (Phraseme; vgl. Piirainen 2001) ergänzen würde, sowie eine für DaF interessante genauere Betrachtung kulturspezifischer topischer Strukturen.

Basis der Analyse sprachlicher Mittel in Kap. 7 bilden vier Kategorien von Aphek/

Tobin (1989), deren omniscopus-Ansatz Katja Furthmann mit Pinkals Modell semantischer Unbestimmtheit (1985) zu- sammenbringt, und die sie um drei wei- tere Kategorien oder Prinzipien ergänzt;

ich füge einige Stichworte zur Konkreti- sierung hinzu:

(1) Prinzip der erschöpfenden Themen- präsentation (Formulierungsmuster, die ein breites thematisches Konti- nuum ermöglichen, jeden potentiellen Leser ansprechen und vor Falsifizie- rungen schützen: Verknüpfung gegen- sätzlicher Aussageinhalte wie eigent- lich – aber, Modalitätsmarker wie viel- leicht, Heckenausdrücke wie ziemlich);

(2) Prinzip der Allgemeinheit durch

»umbrella terms« (Verwendung allge- meiner Rahmenwörter, die Basis für individuelle Präzisierung durch Rezi- pienten sind: Nomen wie Engagement, Hyperonyme wie Unannehmlichkeiten, Leerstellen durch nicht aktualisierte Ergänzungen Warten Sie nicht darauf, dass der Zufall die ersehnte Begegnung herbeiführt, 313);

(3) Prinzip der Skala der Relativität (rela- tive Ausdrücke und randbereichsun- scharfe Wörter wie groß, erfolgreich und ihre Komparative, Quantoren und quantifizierende Orts- und Zeit- adverbien wie manche, manchmal, über- all, derzeit);

(4) Prinzip allgemeiner und zeitloser Wahrheit (Formulierungsmuster mit universaler Wahrheit: Sprichwörter wie Ohne Fleiß kein Preis, Gemeinplät- ze wie Handeln zahlt sich aus, Aber vorbei ist vorbei, nicht-phraseologische und nicht falsifizierbare Aussagen über andere Personen wie Auf ein- flussreiche Männer wirken Sie jetzt be- sonders anziehend);

(5) Prinzip der Anschaulichkeit und scheinbaren Präzisierung (Phraseolo- gismen in ihrer Synthese von Unbe- stimmtheit und Anschaulichkeit, oft mit emotionalen Konnotationen wie den Dreh raus haben, sich aus dem Fenster lehnen, und Metaphern (361–

382) beispielsweise zum Konzeptbe- reich WEG: LEBEN ALS WANDE- RUNG Ausgetretene Pfade werden ver- lassen. Der Alltagstrott hat Sie in letzter Zeit doch arg genervt, jetzt haben Sie genug Power, um neue Wege zu gehen (365), sowie Intertextualitätssignale Akte Ex ungelöst? und unspezifische Präsuppositionen Versuchen Sie, alle Ihre Pflichten zu erfüllen, 398);

(6) Prinzip der pseudowissenschaftlichen Evidenz (Vortäuschung von Wissen- schaftlichkeit durch pseudoastrologi- sche Lexik, Inszenierung von Kausal- zusammenhängen und Personifizie- rung: Liebesplanet Venus, Opposition, der positive Saturn-Uranus-Einfluss deu- tet darauf hin …);

(7) Prinzip der Inszenierung von Nähe und emotionaler Beteiligung (ziel- gruppenadäquate, z. T. jugendsprach- liche Ausdrücke sowie ›konzeptionell mündliche‹ (Koch/Oesterreicher) For-

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mulierungsmuster: Modalpartikeln, Interjektionen, Routineformeln wie in Verabreden Sie sich endlich mal: Sie sind doch kein Mauerblümchen!, Anglizis- men wie in Achten Sie auf das richtige Timing!).

Das 8. Kapitel stellt unterschiedliche ko- gnitive Leistungen des Rezipienten vor, durch Kontextualisierung, i. e. die indivi- duelle Einordnung eines massenmedial zugeschnittenen Textes in seine spezifi- sche Lebenswelt, einen für sich kohären- ten Text zu erzeugen. Zu diesen kogniti- ven Effekten gehören der Barnum-Effekt (Tendenz, sich mit vagen Persönlichkeits- beschreibungen zu identifizieren), der Halo-Effekt, der selektives Wahrnehmen beschreibt, und mehrere andere kogni- tive Mechanismen.

Kapitel 9 schließlich geht nach idealtypi- scher Einteilung in vier Erscheinungsfor- men des Horoskops in den Massenme- dien der Frage nach, wie sich Horoskope in unterschiedlichen Medien präsentie- ren. Eine Textsortenvariante stellt Katja Furthmann am Beispiel einer TV-Sen- dung exemplarisch dar, verweist aber eindrücklich auf den Forschungsbedarf in diesem Bereich.

Die Anschlussfähigkeit an DaF ist da- durch gegeben, dass interkulturelle Un- tersuchungen der Textsorte Horoskop kulturspezifische und universelle Merk- male (gesellschaftliche Konventionen, Rollenerwartungen) herausarbeiten könnten und Horoskope sprachvermitt- lungsrelevante Elemente auf allen lingui- stischen Ebenen aufweisen, die sie für den Fremdsprachenunterricht Deutsch interessant machen (Köster 2001).

In ihrem Vorwort formuliert Katja Furth- mann die Hoffnung, dass ihre »Arbeit eine intensivere linguistische und inter- disziplinäre Auseinandersetzung mit astrologischen, vulgärastrologischen und auch okkultistischen Texten und Textsor- ten anregen« möge (5; meine Hervorhe-

bung, L. K.) – nach gut 500 Seiten bin ich überzeugt, dass die Autorin zu beschei- den aufgetreten war, diese Arbeit ist zumindest schon die definitive Analyse der Textsorte Pressehoroskop.

Literatur

Aphek, Edna; Tobin, Yishai: The Semiotics of Fortune-Telling. Amsterdam: Benjamins, 1989.

Köster, Lutz: »›Vorsicht: Sie könnten andere mit Ihren Ansprüchen vor den Kopf stoßen.‹ Phraseologismen in populären Kleintexten und ihr Einsatz im DaF- Unterricht.« In: Lorenz-Bourjot, Martine;

Lüger, Heinz-Helmut (Hrsg.): Phraseolo- gie und Phraseodidaktik. Wien: Edition Praesens, 2001, 137–153.

Piirainen, Elisabeth: »›Der hat aber Haare auf den Zähnen!‹ Geschlechtsspezifik in der deutschen Phraseologie.« In: Hoberg, Rudolf (Hrsg.): Sprache-Erotik-Sexualität.

Berlin: Schmidt, 2001, 283–307.

Pinkal, Manfred: Logik und Lexikon. Die Semantik des Unbestimmten. Berlin: de Gruyter, 1985.

Stuckard, Bettina: Das Bild der Frau in Frauen- und Männerzeitschriften. Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung über Geschlechtsstereotype. Frankfurt a. M.:

Lang, 2000.

Gamm, Hans J.; Keim, Wolfgang; Kirch- höfer, Dieter; Steffens, Gerd; Uhlig, Christa (Hrsg.):

Infantilisierung des Lernens? Neue Lernkulturen – ein Streitfall. Frankfurt a. M.: Lang, 2007 (Jahrbuch für Pädago- gik 2006). – ISBN 987-3-631-56116-4. 358 Seiten, € 32,00

(Ewa Andrzejewska, Gdañsk / Polen) Das Jahrbuch für Pädagogik 2006 beschäf- tigt sich mit der Frage nach der heutigen Bildung in Deutschland und untersucht neue Lernkulturen, die – nicht ohne Fragezeichen – der Begriff Infantilisie- rung kennzeichnet. Nach den einleiten-

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