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Immer mehr Demenzerkrankungen? Inzidenzentwicklung spricht dagegen

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Academic year: 2022

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Demenzerkrankungen sind weltweit die Hauptursache von Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit älterer Men- schen. Aufgrund der steigenden Le- benserwartung rechneten Experten auch mit einer starken Zunahme der Erkrankungshäufigkeit. Aus neueren Schätzungen geht jedoch hervor, dass die altersspezifische Inzidenz in Län- dern mit hohem Einkommen sogar rückläufig sein könnte.

Claudia Satizabal von der Boston University School of Medicine (USA) und ihre Arbeitsgruppe untersuchten nun die Inzidenz von Demenzerkran- kungen im Verlauf von 30 Jahren bei den Teilnehmern der Framingham Heart Study. Im Rahmen dieser Kohorten studie wird seit 1975 neben der körper lichen Gesundheit auch der kognitive Status der untersuchten Per- sonen dokumentiert.

Das Forscherteam schloss 5205 Perso- nen ab einem Alter von 60 Jahren in die Untersuchung ein. Zunächst bestimm- ten die Wissenschaftler die kumulierte

alters- und geschlechtsbereinigte 5-Jah- res-Inzidenz der Demenz in vier Zeit - abschnitten (1977 bis 1983; 1986 bis 1991; 1992 bis 1998; 2004 bis 2008).

Des Weiteren untersuchten sie die Ein- flüsse des Apolipoprotein-E-(APOE)- epsilon-4-Status und des Bildungsstan- des sowie die Auswirkungen vaskulärer Risikofaktoren und kardiovaskulärer Erkrankungen auf die zeitliche Ent- wicklung der Demenzinzidenz.

In jeder Zeitperiode standen die Daten von 2000 bis 2500 Teilnehmern zur Verfügung. Das durchschnittliche Alter lag im ersten Zeitabschnitt bei 69 Jah- ren (Bereich 60–89) und im vierten Zeitabschnitt bei 72 Jahren (Bereich 60–101). Die durchschnitt lichen Aus- gangsergebnisse des Mini-Mental-Sta- tus-Tests (MMST) waren in allen vier Zeitabschnitten vergleichbar.

Demenzinzidenzen sanken kontinuierlich

Im Verlauf der 30 Jahre beobachteten die Forscher einen Trend zu einem höheren Bildungsniveau. Gleichzeitig ging die Prävalenz der meisten vaskulä- ren Risikofaktoren zurück – nur die Häufigkeit von Adipositas und Diabe- teserkrankungen nahm zu. Die Präva- lenz von Schlaganfällen und anderen kardiovaskulären Erkrankungen war im Verlauf der 30 Jahre ebenfalls rück- läufig. Die Verbesserung der kardiovas- kulären Gesundheit zeigte sich jedoch nur bei Teilnehmern mit einem High- School-Abschluss.

Insgesamt fanden die Forscher 371 De- menzerkrankungen. Das durchschnitt- liche Alter zum Zeitpunkt der Diagnose stieg von 80 Jahren im ersten Zeit -

abschnitt bis zu einem Alter von 85 Jahren im vierten Zeitintervall an (p < 0,001 für den Trend).

Während des ersten Zeitabschnitts be- trug die kumulative 5-Jahres-Hazard- Ratio (HR) für eine Demenz 3,6 pro 100 Personen. Während der zweiten Periode lag das HR bei 2,8 pro 100 Per- sonen, in der dritten Periode bei 2,2 und in der vierten bei 2,0 pro 100 Per- sonen. Im Vergleich zum ersten Zeit - abschnitt hatte die Inzidenz im zweiten Zeitabschnitt somit um 22 Prozent, im dritten um 38 Prozent und im vierten um 44 Prozent abgenommen. Der Rück- gang der Demenzinzidenz wurde je- doch nur bei Personen mit einem High- school-Abschluss beobachtet (HR 0,77;

95%-Konfidenzintervall [KI] 0,67–0,88).

Die Inzidenz der Alzheimer-Demenz verringerte sich langsamer und weniger ausgeprägt (von 2,0% auf 1,4%) als die der vaskulären Demenz (von 0,8%

auf 0,4%).

Das Alter, das Geschlecht oder der APOE-epsilon-4-Status der Teilnehmer beeinflusste die zeitlichen Trends der Demenzinzidenz nicht. Ein rechneri- scher Abgleich vaskulärer Risikofak - toren oder eine Berücksichtigung der Schlaganfälle und anderer kardiovas- kulärer Erkrankungen veränderten die Ergebnisse ebenfalls nicht signifikant (1).

Ursachen sind unklar

In der Framingham Heart Study war der Rückgang der Demenzerkrankun- gen und die Verbesserung der kardio- vaskulären Gesundheit nur bei Perso- nen mit einem High-school-Abschluss zu beobachten. Somit könnte das zu- nehmende Bildungsniveau zu der Ver- schiebung des Erkrankungsbeginns um fünf Jahre beigetragen haben. Des Wei- teren vermuten die Autoren, dass die frühzeitigere Diagnose und die effekti- vere Behandlung von Schlaganfällen und Herzerkrankungen an der rückläu- figen Entwicklung der Demenzinzidenz beteiligt sein könnten. Dies gilt vor allem für die vaskuläre Demenz.

Die Prävalenz der meisten vaskulären Risikofaktoren ist zwar im Verlauf der 30 Jahre zurückgegangen, und das De menzrisiko im Zusammenhang mit Schlaganfall, Vorhofflimmern oder Herz- insuffizienz hat sich ebenfalls verringert.

Im rechnerischen Modell konnte jedoch keiner dieser Trends vollständig den Rückgang der Demenzinzidenz erklären.

ARS MEDICI 222016

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STUDIE REFERIERT

Immer mehr Demenzerkrankungen?

Inzidenzentwicklung spricht dagegen

Bei den Teilnehmern der Framingham Heart Study ist die Inzidenz der Demenzerkrankungen in den letzten 30 Jahren trotz zunehmender Lebens- erwartung deutlich zurückgegangen. Zudem erkranken die Patienten heute durchschnittlich fünf Jahre später als im Jahr 1977. Diese positiven Entwicklungen wurden allerdings hauptsächlich bei Personen mit hohem Bildungsstand beobachtet.

New England Journal of Medicine

Die Häufigkeit von Demenzerkran - kungen hat in den letzten 30 Jahren abgenommen.

Das durchschnittliche Erkrankungs - alter ist von 80 Jahren auf 85 Jahre angestiegen.

Die Inzidenz vaskulärer Demenzen ver- ringerte sich schneller und ausgepräg- ter als die der Alzheimer-Demenz.

MERKSÄTZE

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Als Einschränkung ihrer Studie werten die Wissenschaftler daher, dass andere mutmassliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz – wie die Ernährung und die körperliche Bewe- gung – nicht als mögliche Erklärungen des zeitlichen Verlaufs der Demenzinzi- denz untersucht werden konnten (1).

Wird der Trend anhalten?

In einem Kommentar weisen David Jones von der Harvard Medical School in Boston (USA) und seine Arbeits- gruppe darauf hin, dass nicht zum ers- ten Mal eine unerwartete Umkehrung in der langfristigen zeitlichen Entwick- lung einer chronischen Erkrankung be- obachtet wird. Auch die Raten korona- rer Herzerkrankungen haben sich trotz gegenteiliger Prognosen verringert.

Da die Häufigkeit chronischer Erkran- kungen von komplexen Zusammen- hängen vieler Faktoren beeinflusst wird, kann nicht prognostiziert werden, ob ein Trend anhält oder sich wieder umkehrt. So könnte die Zunahme an Adipositas und Diabeteserkrankungen die Anzahl koronarer Herzerkrankun- gen wieder ansteigen lassen. Da koro- nare Herzerkrankungen und Demenz gemeinsame Risikofaktoren aufweisen, könnte dies auch die Demenz betreffen.

Die rückläufige Demenzinzidenz zeigt jedoch zumindest, dass die Erkrankungs- häufigkeit beeinflussbar ist. Da her ist es nach Ansicht der Kommentatoren von grosser Bedeutung, die Ursachen für den Rückgang der Demenz inzidenz zu ermitteln, um gezielt in entsprechende Verhaltensänderungen, Medikationen und andere gesundheitliche Interventio- nen investieren zu können (2). Petra Stölting

Quellen:

1. Satizabal CL et al.: Incidence of dementia over three decades in the Framingham Heart Study. N Engl J Med 2016; 374 (6): 523–532.

2. Jones DS, Greene JA: Is dementia in decline? Historical trends and future trajectories. N Engl J Med 2016;

374(6): 507–509.

Interessenkonflikte: Die referierte Studie wurde vom National Heart, Lung, and Blood Institute Framingham Heart Study, dem National Institute on Aging und dem National Institute of Neurological Disorders and Stroke finanziert. Zu potenziellen Interessenkonflikten der Auto- ren und Kommentatoren sind keine Angaben vorhanden.

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ARS MEDICI 222016

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