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DER ANTHROPOMORPHISMEN IM PENTATEUCH

Von Gerhard Wedel, Berlin

Wenn man sich mit theologischen Schriften des orientalischen Mittelalters

befaßt, wird man immer wieder darauf stoßen, daß es für philosophisch ge¬

bildete Theologen ein Ärgernis bedeutete, sich mit den Anthropomorphis¬

men in den Offenbarungsschriften auseinandersetzen zu müssen.

Schon zur Zeit des Hellenismus wurden die anthropomorphen Darstellun¬

gen Gottes zum Problem, und aus diesem Grund hatte man in der Septua¬

ginta und in den Targumen die als anstößig empfundenen Textstellen zu ent¬

schärfen versucht, eine Tendenz, die bereits der samaritanische Pentateuch

aufweist.'

Zu einer theologischen Diskussion dieser Frage auf breiter Ebene kam es

allerdings erst in islamischer Zeit. Die Rezeption der hellenistischen Philoso¬

phie führte zur Ausbildung einer systematischen islamischen Theologie. Die

Vertreter dieser Theologie, die sich rationaler Argumente griechischer Den¬

ker bedienten, entwickelten einen abstrakten und transzendenten Gottesbe¬

griff.

Mit den Konsequenzen dieser Entwicklung für den Umgang mit Anthro¬

pomorphismen mußten sich auch die Theologen der älteren Offenbarungs¬

religionen auseinandersetzen. Sie standen unter dem Druck, ihre bisherigen

naiven Gottesvorstellungen zu revidieren, ohne dabei den Wortlaut und die

Autorität ihrer Offenbarungstexte anzutasten. Das konnte nur gelingen,

wenn sie sich wie bestimmte islamische Theologen eine philosophische Argu¬

mentationsweise aneigneten. 2

' Loewenstamm, Avala und John macDonald: Pentateuch, Samaritan.

In: Encyclopaedia Judaica (EJ). Jerusalem 1972. Bd. 13, Sp. 264—268.

2 Zobel, M.: Anthropomorphismus. In: Encyclopaedia Judaica. Das Ju¬

dentum in Geschichte und Gegenwart. Berlin 1928. Bd. 2, Sp. 885—905.

— Werblowsky, R. J. Zw\: Anthropomorphism. In: Encyclopaedia Ju¬

daica 1972, Bd. 3, Sp. 50—56. — Halkin, Abraham Solomon: Bible,

Arabic. In: Encyclopaedia Judaica 1972,Bd. 4, Sp. 863 f. — Halkin, A.

S., Israel Moses Ta-Shma, Eli Davis und Abraham Meir Haber¬

mann; Saadiah Gaon. In; Encyclopaedia Judaica 1972, Bd. 14, Sp.

543—555. — Jervell, Jacob: Bild Gottes. I. In; Theologische Realen¬

zyklopädie. Berlin 1980. Bd. 6, S. 491—498; Maier, Johann; Bild Got¬

tes. II. In; Theologische Realenzyklopädie. Bd. 6, S. 502—506. —

Lanczkowski, Günter; Gott. 1. In; Theologische Realenzyklopädie.

Bd. 13, 1984, S. 601—608; Schmidt, Werner H.; Gott. II. In; Theolo¬

gische Realenzyklopädie. Bd. 13, S. 608—626; Thoma, Clemens; Gott.

III. In; Theologische Realenzyklopädie. Bd. 13, S. 626—645. — Watt,

(2)

Selbst eine kleine Religionsgemeinschaft wie die Samaritaner, die eher nur

lokal eine Rolle spielte, konnte sich dieser Anschauungsweise nicht entzie¬

hen, wollte sie nicht ihre Anhänger verlieren. Die Samaritaner beteiligten

sich kaum an den aktuellen Diskussionen, und erst im 11. Jahrhundert be¬

ginnt mit Abü 1-Hasan as-Sürl^ die schriftliche Überlieferung der samaritani¬

sehen Theologie in arabischer Sprache. Sein um 1050 verfaßtes Kitäb at-

Tabbäh steht in der Nachfolge der rabbanitischen und karäischen Literatur,

die bereits im 9. und 10. Jahrhundert von so bedeutenden Gelehrten wie

Saadya Gaon (882—942) und Ya'qüb al-Qirqisäni (frühes 10. Jh.) vertreten

wurde.

Das Kitäb at-Tabbäh enthält neben philosophischen Traktaten auch zahl¬

reiche Abhandlungen zu Detailfragen der Exegese uiid der Halacha. In ihm

werden also nicht nur Lehrmeinungen islamischer Theologenschulen adap¬

tiert und diskutiert, sondern auch die Unterschiede der Samaritaner zu den

ihnen näherstehenden Rabbaniten und Karäern. Daneben erteilt Abü 1-

Hasan seinen Reiligionsgenossen Belehrungen zur religiösen Praxis, um die

Identität und den Zusammenhalt seiner Gemeinde zu sichern.

Das Thema, wie die Samaritaner die Anthropomorphismen im Mittelalter

behandelten, ist bisher wenig beachtet worden. Hauptsächlich im Zusam¬

menhang mit den Textvarianten, die den samaritanisehen Pentateuch vom

jüdischen unterscheiden, und den Übersetzungsfragen in den Targumen wur¬

de von verschiedenen Autoren diese Frage angesprochen Da die theologi¬

sche Literatur der Samaritaner, die fast ausschließlich in Mittelarabisch vor¬

liegt, bisher kaum ediert wurde, gibt es auch nur wenige Autoren, die sich

W. Montgomery und Michael Marmura: Der Islam. II. Pohtische

Entwicl<lungen und theologische Konzepte. Stuttgart 1985 (= Die Reli¬

gionen der Menschheh. Bd. 25,2), S. 252—254. — Werblowsky, R. J.

Zwi: Anthropotnorphism. In: The Encyclopedia of Religion. London

1987, Bd. 1, S. 316b—320a.

3 Wedel, Gerhard: Kitäb at-Tabbäh des Samaritaners Abü l-Hasan as-

Süri. Kritische Edition und kommentierte Übersetzung des ersten Teils.

Berlin 1987 (Diss. -Druck, FU Berhn).

Vgl. die Zusammenfassung der Thesen von Gesenius (1815) in: Loe¬

wenstamm, Ayala: Pentateuch, Samaritan. In: Encyclopaedia Judaica

1972, Sp. 265. — Geiger, Abraham: Nachgelassene Schriften. Hrsg.:

Ludwig Geiger. Berhn 1876, Bd. 4, S. 61—63, 117—119, 128 f., 130 f.

— Kahle, Paul: Die arabischen Bibelübersetzungen. Texte mit Glossar

und Literaturübersicht. Leipzig 1904, S. 24—26. — Ben-Hayyim,

Ze'EV: Some Problems of a Grammar of Samaritan Hebrew. In; Biblica

52 (1971), S. 230—232. — Macuch, Rudolf; On the Problems ofthe

Arabic Translation of the Samaritan Pentateuch. In; Israel Oriental Stu¬

dies 9 (1979), S. 168, 153—155. — Tal, Abraham; The Samaritan Tar¬

gum ofthe Pentateuch. A critical edition. Part 111. Tel Aviv 1983, S. 84.

(3)

ausführlicher zur samaritanisehen Auffassung über die Anthropomorphis¬

men im Pentateuch geäußert haben, wie Halkin^.

In einem eigenen Kapitel mit dem Titel , .Angriff auf den Text der heiligen Thora" (fol. 92a — 94b)'' setzt sich Abü 1-Hasan mit dem Anthropomorphis¬

mus tagsim, ,, Verkörperung"'' auseinander. Er stellt die These eines unge¬

nannten, vermutlich muslimischen Theologen vor, der auf anthropomorphe

Darstellungen Gottes im Pentateuch hinweist und behauptet, daß diese Schil¬

derungen der Vernunft widersprechen und daher nur durch Textfälschungen

in den Pentateuch gelangt sein können. In seiner Antithese (gawäb, ,, Ant¬

wort") wehrt sich Abü 1-Hasan gegen diesen Vorwurf und erläutert sein eige¬

nes , .rationales" Gottesbild.

Der sogenannte Widersacher (muhälif) wirft den , .Anhängern der Thora"

vor, daß in ihrem Text Gott ,, unerlaubte Attribute" beigelegt werden, was

auf Verfälschungen des Offenbarungstextes hindeute. Die von ihm ange¬

führten Beispiele, nach denen Adam Gottes Stimme hörte, als Gott im Para¬

dies umherlief (Gen. 3.8). oder daß Jakob Gott auf der Leiter stehen sah

(Gen. 28.13) und eines Tages mit Gott rang (Gen. 32,26), oder daß Gott

selbst im Stiftszelt wohnte (Ex. 33,9) und die Israeliten Gott vor dem Stifts¬

zelt stehen sahen (Ex. 33,10), zeigen Anthropomorphismen, über die Gott er¬

haben sei (fol. 92a/b).

Abü 1-Hasan geht in seiner Widerlegung nicht sogleich auf diesen Vorwurf

ein, sondern stellt zunächst seine eigene theologische Position dar. Sie be¬

sagt, daß die Offenbarung nichts verkünde,

,,was dem vernüftigen Denken entgegensteht, sonst widerspräche sie (Gottes) Weisheit, denn der Erhabene isl der Schöpfer und Ordner der Vernunft"

(fol. 92b).

In seiner Offenbarung habe Gott bewiesen, daß er

,, einer (wähid) und ewig (qadim) ist, daß die geschaffenen Dinge nicht in ihm

vorhanden sind (lä tahulluhü l-hawäditj, daß er keinen Raum einnimmt

(tahayyuz) und daß er kein Ebenbild (sibh) hat und keine Gestalt (süra) be¬

sitzt" (fol. 93a).

5 Halkin, Abraham S. : The Relaüons of the Samaritans to Saadia Gaon.

In: Saadia Anniversary Volume. Vol. II. New York 1943 (Nachdruck Je¬

rusalem 1970), S. 283—291.

* Alle Zitate nach der Folüerung der Handschrifl: Sam 9 A, John Rylands Library, Manchester; datiert 1692—1711; Basistext meiner Edition. Ka¬

talog: Edward Robertson, Manchester 1938.

' Zur Terminologie siehe: Strothmann, R.: Tashbih. In: El'. Bd. IV,

S. 742a—744b; ders. in: Handwörterbuch des Islam. Leiden 1941. ^ 1976,

S. 740b—743a. — Watt und Marmura: Islam II (wie Anm. 2), S. 19oi

253, 289, unterscheiden tagsim ,,Korporealismus" von lasbih ,, Anthro¬

pomorphismus", wörtlich ,, Verähnlichung".

(4)

Alle diese erlaubten Attribute, die zum großen Teil negative Bestimmun¬

gen sind, belegt Abü 1-Hasan aus dem Pentateuch. Für die Ewigkeit Gottes

führt er an: ,,Ich bin, der ich bin." (Ex. 3,14); für die Einzigkeit: ,,Höre Is¬

rael! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist nur einer!" (Dt. 6,4); für die Verneinung

der Räumlichkeit: ,,daß Jahwe Gott ist im Himmel oben und drunten auf

Erden." (Dt. 4,39); für die Verneinung von Ebenbildlichkeit und Gestalt:

,, Jahwe redete zu ihm mitten aus dem Feuer heraus; den Schall der Worte

hörtet ihr, nur den Schall allein, eine Gestalt aber konntet ihr nicht wahrneh¬

men." (Dt. 4,12).

Ehe Abü 1-Hasan den Vorwurf widerlegt, greift er den ,, Widersacher" di¬

rekt an. Er behauptet, daß dieser bei der Auslegung einer bestimmten Koran¬

stelle (Sure 5,64) die dort enthaltenen Anthropomorphismen metaphorisch

interpretiert habe. Offensichtlich gehört dieser Theologe damit der mu'tazi-

Htischen Richtung an. Abü 1-Hasan verwahrt sich gegen einen Vorwurf des

Anthropomorphismus im Pentateuch von dieser Seite und bezeichnet das als

Schmähung seiner Religion, zumal dieser Theologe selbst Anthropomorphis¬

men hinwegdeuten muß, ,, falls der äußere Wortsinn den Regeln der Ver¬

nunft widerspricht" (fol. 93b).

Das Recht auf umdeutende Interpretation (ta'wil) nimmt nun Abü 1-

Hasan für sich selbst in Anspruch und wendet sich den Beispielen des ,, Wi¬

dersachers" zu. In der zuerst genannten Textstelle: ,,Und sie hörten das Ge¬

räusch (der Tritte) Jahwes, des Gottes, der im Garten umherging" (Gen. 3,8)

versteht Abü 1-Hasan das Wort ,, Geräusch" (qöl) wörtlich als ,, Stimme"

Gottes und das Partizip ,, umhergehen" (mithallek) bezieht er im Sinne von

,,sich ausbreitend" auf die Stimme Gottes, so daß der Vers jetzt folgender¬

maßen aufzufassen sei: ,,Und sie hörten die Stimme Gottes, die sich im Gar¬

ten ausbreitete." Welche theologische Position sich dahinter verbirgt, wird

weiter unten klar. Das Ringen Jakobs mit Gott läßt Abü 1-Hasan mit einem

Engel ausfechten, da Gott den Engel mit , .seinem Namen" ausstattete:

,,Mein Name ist in ihm" (Ex. 23,31).

Am Ende dieses Kapitels lehrt Abü 1-Hasan, daß alle anthropomorphen

Texte in dieser Art zu interpretieren seien. Dadurch werde das Verständnis

der Texte nicht beeinträchtigt. Denn Gott rede zu seinen Geschöpfen in einer

Weise, die ihrer Vernunft entspreche (fol. 94b). Damit bleibt aber zunächst

offen, weshalb Anthropomorphismen dann ein Problem darstellen.

Abü 1-Hasan befaßt sich zwar in dem besprochenen Kapitel mit der Pro¬

blematik der Anthropomorphismen, er erläutert aber darin seinen Stand¬

punkt nicht erschöpfend. Notwendige Ergänzungen finden sich im Kitäb at-

Tabbäh an verschiedenen Stellen. Faßt man alle diese Aussagen zusammen,

so treten drei Hauptgesichtspunkte hervor:

1. die Auseinandersetzung mit anthropomorphen Textstellen;

2. die Attribute Gottes;

3. das VerhäUnis von Offenbarung und Vernunft.

(5)

50

1. Die Auseinandersetzung mit anthropomorphen Textstellen

Wie bereits klar wurde, lehnt Abü 1-Hasan ein anthropomorphes Gottes¬

bild prinzipiell ab. Die TextsteUen, die seinem Gottesbild widersprechen,

leugnet er nicht, sondern deutet sie um. In seinem Kapitel mit dem Titel:

,,Über die Widerlegung der Juden hinsichtlich ihrer Lehre, daß die Samarita¬

ner keine Israeliten sind" (fol. 55b — 58a) legt Abü 1-Hasan dar, daß nur die

Samaritaner gesetzestreu leben und den Text der Thora unverfälscht bewah¬

ren. Die Juden bezichtigt er sowohl der Abweichung vom Gesetz Gottes (fol.

56a) als auch der falschen Textüberlieferung (fol. 58a).

Zu den gegenseitigen Vorwürfen der Textverfälschung zwischen Juden (2

Kg. 17,34) und Samaritanem kommt noch hinzu, daß von islamischer Seite

ebenfalls diese Beschuldigung gegen die Juden erhoben wurde (Sure 5,13).

Diese Beschuldigung haben dann einige muslimische Theologen laut Abü 1-

Hasan auf die anthropomorphen TextsteUen in der Thora bezogen. Von die¬

ser Seite stammt auch der Vorwurf, gegen den er in seinem Kapitel polemi¬

siert.

Es fällt auf, daß Abü 1-Hasan nur vom hebräischen Text ausgeht und in

seiner Argumentation nicht den samaritanisch-aramäischen Targum heran¬

zieht, in dessen Text die Anthropomorphismen stärker entschärft wurden.

Spätere arabische Pentateuchübersetzungen tilgen ebenfalls entsprechende

TextsteUen. Soweit man weiß, steUte Abü 1-Hasan keine eigene arabische

Übersetzung her,^ sondern fügte nur wenige ad-hoc-Übersetzungen in seinen

Text ein. Er wäre zu einer Übersetzung des Pentateuch ins Arabische fähig

gewesen, da er alle seine Abhandlungen in dieser Sprache schreibt. Er über¬

nimmt dabei nicht nur die Termini aus der muslimischen Theologie, sondern

auch deren Interpretationsmethoden, allerdings ohne darauf hinzuweisen.

Halachische Texte schließt Abü 1-Hasan von umdeutender Interpretation

aus (fol. I03b), da er den Wortlaut der göttlichen Gebote und Verbote nicht

antasten will. Konsequent wendet er die Umdeutungen an, wenn im Text

zum Beispiel Epiphanien dargestellt werden. In dem Zitat ,,sie sahen den

Gott Israels" (Ex. 24,10) versteht Abü 1-Hasan das Wort ,,Gott" als

„Engel".

* Robertson, Edward: The Relationship of the Arabic Translation of

the Samaritan Pentateuch to that of Saadya. In: Saadya Studies. Hrsg.:

E. 1. J. Rosenthal. Manchester 1943, S. 167—171. — Halkin, A. S.:

77?e Scholia to Numbers and Deuteronomy in the Samaritan-Arabic Pen¬

tateuch. In: Jewish Qarterly Review N. S. 34 (1943/44), S. 42. — Kahle, Paul: Die Pentateuchübersetzungen der Satnaritaner. In: Die Kairoer

Geniza. Berlin (Ost) 1962, S. 58—60. — Macuch: Problems (wie Anm.

4), S. 148, 153 f.

(6)

In einem eigenen Kapitel erörtert er das Wesen der Engel (fol.

I23b — 127a). Danach bestehen die Engel aus den beiden Elementen Feuer

(nach Ex. 24,17) und Luft (nach Ex. 24,10). Außerdem besitzen sie körperli¬

che Organe zum Hören, Sehen, Stehen und Greifen (nach Num. 22,31). Da

Engel schon vor der Existenz der Nahrungsmittel geschaffen wurden (nach

Gen. 1,2: ,,der Geist Gottes schwebte über dem Wasser"), können sie keine

Verdauungsorgane besitzen (fol. I25b).

Die Interpretation dieses Verses offenbart in zweifacher Hinsicht Abü 1-

Hasans Denkweise. Zum einen versteht er hier das Wort , .Geist" (rü'ah)

als ,, Engel", wie er auch an anderen Stellen Wörter wie ,,die Herrhchkeit"

(käböd) und ,,der Name" (has-sem) als Hypostasen Gottes in Form von

Engeln begreift. Zum anderen will er den himmlischen Wesen in ihrer erha¬

benen Würde keine ,, niederen Körperfunktionen" wie die Verdauung zu¬

muten.

Eine der wichtigsten anthropomorphen Textstellen, die heftige Diskussio¬

nen verursachte, läßt er allerdings außer Betracht: ,, Lasset uns Menschen

machen, ein Bild das uns gleich sei." (Gen. 1,26) und ,,Gott schuf den Men¬

schen zu seinem Bilde." (Gen. 1,17). Unverständhch bleibt auch, weshalb

Abü 1-Hasan die wichtigste anti-anthropomorphistische TextsteUe nicht als

Argument einsetzt: ,,Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis ma¬

chen, weder von dem was oben im Himmel ..." (Ex. 20,4).

2. Die Attribute Gottes

Anthropomorphismen in Offenbarungstexten wörtlich zu nehmen, gilt

denjenigen Theologen als naiv und Gottes nicht würdig, die einen entwickel¬

ten, abstrakten Gottesbegriff voraussetzen. Dieser Gottesbegriff kristallisier¬

te sich in der Diskussion um die Attributenlehre heraus und besagt, daß es

verbotene anthropomorphe und erlaubte abstrakte Attribute Gottes gebe. In

diesem Zusammenhang stritt man sich darüber, in welchem Verhältnis die

Attribute zum Wesen Gottes stehen sollen. Den Hintergrund dieser Ausein¬

andersetzung bildete die mu'tazilitische Lehre von der absoluten Einheit

Gottes (tauhid), die kaum Attribute zuließ.

Abü 1-Hasan erörtert, ob wesentliche Attribute wie ,, einer", ,,ewig", , .mächtig", ,, wissend" und ,, lebend" dem Wesen Gottes anhaften oder

einen anderen Charakter tragen.

,,Die wesentlichen Attribute sind nicht das Wesen (selbst) und nicht anders als das Wesen. Vielmehr gehören sie zu den Erfordernissen des Wesens. Denn

falls sie anders als das Wesen wären, dann würde ihm etwas anhaften, was

dem Wesen des kompositen Körpers anhaftet. Das führte darauf hin, daß

eines das andere benötigte: das Attribut das Bezeichnete und das Bezeichnete das Attribut." (fol. 98b)

(7)

52

Die Attribute „einzig" und „ewig" weist AbQ 1-Hasan in der Thora nach (Ex. 3,14; Dt. 6,4; fol. 93a). Seine starke Betonung der Einheit Gottes stellt

ihn in eine Reihe mit mu'tazilitischen Theologen. Er geht dabei über die Vor¬

stellungen in der Thora hinaus, da in ihr lediglich gefordert wird, daß man in

Israel Jahwe allein verehren soll, alle anderen Götter aber wegen ihrer Ohn¬

macht vernachlässigen kann.

Von der Existenz der Schöpfung schließt Abü 1-Hasan auf den Schöpfer.

Der Schöpfer muß ,,ewig" sein, da er allen geschaffenen Dingen vorausgeht.

Es kann nur ,, einen" Schöpfer geben, da eine Konkurrenz mehrerer Götter

zur gegenseitigen Behinderung führen würde. Er muß , .allmächtig" sein, da

er alles Tun bestimmt. ,, Allwissenheit" ist die Voraussetzung für vollkom¬

menes Tun. Gott ist ..lebend", weil er , .allmächtig" und ..allwissend" ist.

Er ist ,,ohne Mangel", da er der Schöpfung nicht bedarf (fol. 142b — 143b).

In einem längeren Kapitel (fol. 160a — I63a) behandelt Abü 1-Hasan das

Thema der Rede Gottes (kaläm Alläh), das von den islamischen Theologen

unter dem Aspekt der Erschaffenheit oder der Ewigkeit des Korans disku¬

tiert wurde. Nach Abü 1-Hasan schafft Gott die Rede, ohne selbst Sprech¬

organe zu besitzen, denn Gott ist körperlos (fol. 160b). Die Rede kann nicht

im Wesen Gottes als Form (ma'nä)'^ bestehen, weil die Form nicht aus sich

selbst bestehen kann und daher erschaffen ist (fol. 161a). Hiermit liefert

Abü 1-Hasan seine Erklärung für die Art und Weise, wie Gott im Paradies

den Adam anredete (fol. 92a/94a; Gen. 3,8).

Weiterhin lehrt Abü 1-Hasan. daß die Rede Gottes nicht ewig ist. weil die

Buchstaben und Laute gegensätzlich sind und gegensätzliche Dinge tragen

die Möglichkeit der Nichtexistenz in sieht. Beim Sprechen kann erst das

nächste Wort folgen, wenn das vorhergegangene vergangen (verklungen) ist

(fol. I62b). Diese Ablehnung der Ewigkeit der Rede Gottes entspricht eben¬

falls der mu'tazilitischen Lehre, nach der die Rede ein , .aktives" aber kein ..wesentliches" Attribut Gottes ist.

3. Das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft

Wenn Gott jede physische Eigenschaft abgesprochen wird, dann führt das

zu einem , .entleerten" Gottesbegriff, nach dem eine sinnliche Erfassung

Gottes unmöglich wird. Abü 1-Hasan folgt dieser Vorstellung und beschreibt

Gott folgendermaßen:

' Vgl. Watt und Marmura: Islam II (wie Anm. 2) zu den verschiedenen

Übersetzungen des Wortes ma'nä: ,,Form" (S. 251), ,, Bedeutung" (S.

282), „Sinngehah" (S. 283), „Attribut" = sifa (S. 285).

(8)

„Er hat weder Ebenbild noch Form" (laisa lahü sibh wadä süra |fol 93a|);

„er kann unmöglich einen Raum einnehmen" (lä yagüzu 'alaihi t-tahayyuz Ifol. 95a|);

„die geschaffenen Dinge sind in ihm nicht vorhanden (lä tahulluhü l-hawädit Ifol. 93a|).

Zu diesem abstrakten Gottesbegriff gehören nach Abü 1-Hasan vernünf¬

tige Menschen, die diesen Gott erkennen können. So wurde Adam im Alter

von zwanzig Jahren mit ,, vollkommener Vernunft und Gefühlen geschaf¬

fen" (fol. 2a). Abü 1-Hasan betont in verschiedenen Traktaten, daß der

Mensch vernünftig geschaffen wurde (fol. 140b) und daher mittels philoso¬

phischer Spekulation (na^ar |fol. 160a|) Gott erkennen kann.

,,(Gott) setzte die Vernunft als Beweismittel für seine Welt, er schickte die

Propheten und Gesandten zur Leitung der Gemeinde, er offenbarte das Ge¬

setz als Licht und Glanz seines Volkes und er brachte den (Schrift-)Beweis."

(fol. 164a)

Abü 1-Hasan bringt hier die Überzeugung zum Ausdruck, daß die Ver¬

nunft als Anleitung für die religiöse Praxis nicht ausreicht und daher Pro¬

pheten durch das göttliche Gesetz die Lebensregeln übermitteln und festlegen

müssen, obwohl im Bereich der Erkenntnis die Vernunft den Vorrang hat.

Der Offenbarungstext enthäh für Abü 1-Hasan nichts, was der Vernunft wi¬

derspricht (fol. 92a/b). Die Offenbarungsinhalte stimmen mit den Vernunft¬

beweisen überein.

,,(Gott) hat mit den mündlich geoffenbarten Texten über seine Attribute auf

das hingewiesen, was mit den Vernunftbeweisen übereinstimmt und was

durch die philosophische Spekulation und Schlußfolgerung deutlich wird."

(fol. 93b)

Betrachtet man das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft im Kitäb

at-Tabbäh, so würde dem philosophisch gebildeten Theologen seine Ver¬

nunft zur Gotteserkenntnis und richtigen Textinterpretation ausreichen.

,,Zwar bestätigt schon die Vernunft ('uqül) die Einheit Gottes (tauhid) und seine Existenznotwendigkeit. Das kann man aber nur durch philosophische Spekulation (nazar) und Schlußfolgerung (istidläl) erkennen. Das ist aber eine Methode, die vielen Menschen (Geschöpfen, lialq) unmöglich ist zu er¬

reichen. Daher wurde das göttliche Gesetz durch jemanden offenbart, dessen

Glaubhaftigkeit und Echtheit seiner Prophetenschaft durch Wunder bewie¬

sen wurde, um zur Kenntnis zu bringen, daß (Gott) einzig ist, und damit das auch denjenigen bekannt wird, die das nicht mit der Methode der Schlußfol¬

gerung erreichen können." (fol. 136a).

Hier klingt das Vorhandensein einer doppelten Wahrheit an, auch wenn

Abü 1-Hasan feststellt:

,,daß die Bekanntgabe (der Thora) durch mündliche Offenbarung zusätzlich zu dem geschieht, was schon durch die Vernunft bewiesen ist, so daß sie wie zwei Beweise für das eine Bewiesene erscheint." (fol. 163a/b).

Auf das Problem der Anthropomorphismen im Pentateuch bezogen heißt

das, daß die Theologen den Gläubigen beim Verstehen der Texte durch die

(9)

54

„richtige" Interpretation helfen müssen. Allein auf sich gestellt würden un¬

gebildete Gläubige anthropomorphe Textstellen wörtlich nehmen und sich

Gott als Körper vorstellen, was einem Theologen wie Abü 1-Hasan als Frevel

erschiene.

(10)

CHRISTLICH-PALÄSTINISCHEN ARAMÄISCH*

Von Christa Müller-Kessler, Berlin

Das Thema ,,Die Überlieferungsstufen des christlich-palästinischen Ara¬

mäisch" bedarf einiger Vorbemerkungen. In der wissenschaftlichen Litera¬

tur zum CPA finden sich immer wieder erhebliche inhaltlich-chronologische

Unzulänglichkeiten, wenn Einzelfragen zur Grammatik oder zum Lexikon

dieses Dialektes erörtert werden. Die Ursache hierfür liegt in den Standard¬

werken, der Grammatik und dem Wörterbuch von Friedrich Schult¬

hess'; denn bis auf wenige Ausnahmen sind ihnen fast überhaupt keine

exakteren Hinweise zu entnehmen, welcher Sprachschicht jeweils die diver¬

sen Belegzitate zuzuordnen sind. Jedoch ist es gerade diese Information, die

hilft, den Stellenwert der einzelnen Belege einzuschätzen.

Viel zu selten findet so Berücksichtigung, daß für das CPA zwei deutlich

verschiedene schriftliche Überlieferungsperioden vorliegen.

Zum einen ist dies die Periode des noch lebenden Dialektes, die ca. vom 5.

bis zum 8. Jh. n. Chr. reicht. Chronologisch am wichtigsten, jedoch wegen

ihrer extremen Kürze sprachlich leider weniger ergiebig, ist eine größere An¬

zahl epigraphischer Zeugnisse, darunter Inschriften, die sich aufgrund ihrer

Fundorte — byzantinische Klöster, Kirchen und Friedhöfe — teilweise exakt

datieren lassen. Besonders hervorzuheben wären hierzu die Inschrift aus der

St. Georgs-Kirche in Hirbet el-Muhayyat am Berge Nebo (535/36 n. Chr.)

mit den drei Worten <nyh swzb> UawXa"^ (Sä'öla hier in griechisch geschrie¬

ben, wobei der Palato-Alveolar im Griechischen mit Sigma wiedergegeben

wird) ,, schenke Sä'öla Ruhe und rette (ihn)"; die Mosaikinschrift aus Neil'

Wadi in 'Ayün Müsa', ebenfalls am Berge Nebo gelegen, die gleichzeitig mit

einer dort entdeckten griechischen Medailloninschrift in den Beginn des 6.

Jh.s n. Chr. eingeordnet werden kann. Durch einen erfreulichen Neufund

wurde in den Überresten einer byzantinischen Kirche in 'Evron, südlich von

Nahariya gelegen, eine Mosaikinschrift freigelegt, für die sich nun als das äl-

* Der Behrag wurde um Fußnoten und kleinere Änderungen erweitert.

' Friedrich Schulthess: Grammatik des Chrisdich-Palästinischen Ara¬

mäisch. Enno Littmann (Hrsg.). Tübingen 1924; idem: Lexicon Syro¬

palaestinum. Berlin 1903.

- J. T. Milik: Notes d'epigraphie et de topographic jordaniennes. In: Li¬

ber Annuus. Studium Biblicum Franciscanum 10 (1959/60), S. 159—160

u. Abb. 5.

' Cf . E. Puech : L 'inscription christo-palestinienne d' 'Ayoun Mousa (Mont

Nebo). In: Liber Annuus. Studium Biblicum Franciscanum 34 (1984)

S. 319—328 u. Ph. 12.

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