DIE STELLUNG DER VINAYA-TlKÄS
IN DER PÄLI-LITERATUR
Von W. B. Bollee, Bonn
Die Ursache der Meinungsverschiedenheiten im Buddhismus, die manch¬
mal Anlaß zur Sekten- und Schulenbildung gewesen sind, lagen bekanntlich
weniger auf dem Gebiet der Lehre als auf dem der Ordensregeln, die durch
ihre Zahl und Konkretheit, und später dmch die Anpassung des Sahgha an
seine außerindische Umgebung bei Festhalten an den alten Regeln eher
kasuistischen Fragen und scholastischen Spekulationen ausgesetzt waren als
die abstrakte Meditationspraxis des Erlösungsweges. Es nimmt denn auch
nioht wunder, daß nicht nur schon bei dem wohl ältesten Teil des Vinaya,
dem Pätimokkha, das Bedürfnis nach Exegese aufkam, sondern auch, daß
der Vinaya auch später am häufigsten resümiert und diskutiert wurde, und
Themen für Traktate lieferte. Der Pätimokkha-Kommentar gehört einer
so frühen Zeit an, daß er in den Kanon aufgenommen wurde. Danach fand
die Vinaya-Auslegung offenbar jahrhundertelang nicht mehr auf Päli statt.
In der Zeit des nach-kanonischen oder sekundären Päli entstehen dann
aber vom 5. Jh. an die atthakathäs von Buddhaghosa, Buddhadatta usw., und
später die tikäs, von denen im folgenden vier besprochen werden sollen,
nämhch die tikä des Vajirabuddhi, die Kahkhävitarani-poränatikä, Säri¬
puttas Säratthadipanl und etwas später Coliya Kassapas Vimativinodani.
Die Literaturgeschichten behandeln die tikäs ziemlich summarisch und
uneinheitlich; so rechnet z. B. Geiger Buddhaghosa und Vajirabuddhi zur
älteren Kommentarperiode und läßt mit Säriputta in der zweiten Hälfte
des 12. Jh.s eine neuere Periode anfangen*. Malalasekeba widmet Säri¬
putta drei Seiten^, erwähnt die Vjb* fast sechzig Seiten später und sagt
dann nur, daß sie in der Kalyäni-Inschrift (Pegu 1476) aufgeführt wird*.
Die älteste tikä ist die undatierte, aber von den anderen zitierte Vjb.
Ihre Entstehungszeit wird sehr unterschiedhch angesetzt, z. B. von Saddha-
* Pali Literatur und Spraclie, Straßburg 1916, S. 23 ff.
2 The Pali Literature of Ceylon, Colombo 1928, SS. 190-192.
3 Die hier verwendeten Abkürzungen sind die ties Critical Päli Dietionary I
(Epilegomena), Copenhagen 1948. Die tikäs werden nach der birmanischen
Konzilausgabe zitiert: Vjb, Sp-t und Vmv, Rangoon 1960; Kkh-pt, Rangoon
1961.
* A. a. O., S. 258.
TISSA in der späteren Anuradliaperiode*, von Bode*, Malalasekeba'' und
Phouvong Phimmasone* im 15. Jh. Ebenfalls undatiert, und dazu anonym,
ist die Kkh-pt.
Säriputta lebte unter Paräkramabähu I. (1153-86) und war an seinem Hof
ein großer Gelehrter, wie sein Ehrenname Sägaramati 'dessen Geist wie ein
Ozean ist', beweist*. Von ihm sind mehrere Kommentarwerke, wie z. B. die
Säratthamanjüsä und der Vinayasangaha, bekannt. Kassapa aus Cola
schheßlich war wohl ein jüngerer Zeitgenosse von Säriputta; ihm wird u. a.
auch die Mohavicchedani zugeschrieben.
Rahula bemerkt, daß der Terminus tikä erst während der Polonna-
ruvaperiode, d. h. im 10. oder 11. Jh. unter Sanskriteinfluß aufkam. In die¬
ser Zeit sei die erste tikä, Änandas Mülatikä, entstanden*" ; demnach könnte die Vjb nicht früher sein.
Die in Rede stehenden tikäs heißen so nur in den Titeln der gedruckten
Ausgaben, nicht aber in üiren Einleitungen oder Kolophonen; allerdings
spricht Säriputta Sp-t I 8,9 von Vajnabuddhi (vgl. I 36,22) und 367,17
von Dhammapäla** u. a. als tikä-kärä. Was den letzteren betrifft, ist es
bei aller Vorsicht einem Argumentum ex nüiilo gegenüber nicht uninteres¬
sant, daß Vajirabuddhi - in Gegensatz zur Sp-t und Vmv - außer Buddha¬
ghosas Kommentaren zwar Dhp-a, die er Dhammavatthu nennt (Vjb 161,19;
vgl. 351,17; 354,4), und Jätaka-nidäna-vannanä (Vjb 425,11* ff.), ab^
nicht Dhammapäla zitiert. Obwohl die Lebenszeit der vier im Gandhavamsa
(60,5 und 30; 67,1 und 15) aufgeführten Dhammapälas und was sia ^
einzelnen geschrieben haben, nicht feststeht*^, bleibt üir Fehlen unter c^n
Quellen der Vjb auffälhg, um so mehr, weil Sp-t 1 41,2 ein Zitat als Linatt]^-
pakäsiniyam äcariya-Dhammapäla-ttheren'eva vuttarn, bezeichnet und 9p-t
III 274,20 ein Subkommentar zur Mätika-atthakathä (d. h. Kaiikhävitar
ni) namens Linatthapakäsinl erwähnt wird, der uns weiter nicht bekannt ist.
Hierbei handelt es sich doch wohl um denselben Text; somit hat also ein
vor Säriputta lebender Dhammapäla sich zum Vinaya geäußert und könnte
darum von Vajirabuddhi herangezogen sein, hätte er auch vor diesem ge-
5 Upäsakajanälankära, London 1965, S. 54.
° Pali Literature of Burma, London 1909, S. 39 f.
' Dietionary of Pali Proper Names, London 1938.
8 In: Presence du Bouddhisme, Saigon 1959, S. 894.
' Malalasekera, PLC, S. 190.
*" History of Buddhism in Ceylon, Colombo 1956, S. xxviii. A. a. O., S. xxix
schreibt er dann aber: „the Mahavamsa-tikä which belongs approximately to
about the 9th century A. C. . . .".
** Sohon Dhammapäla benutzt das Wort tikä Sv-pt I 1961 234, 28 . . .
ti ädayo Visuddhimagga-tikäyarn, . . . vittliäritä und Spk-pt II 1961 253,16
sväyarn attho Atthasälini-tikäyarn vibhävito.
*2 Siehe auch Geiger, a. a. O., S. 23.
826 W. B. BOLLÖB
lebt. Darüber ist aber den drei von der Vjb und Sp-t kommentierten Sp-
Stellen, wo die Sp-t Dhammapäla zitiert, nichts zu entnehmen**. Die Vjb
wird in den Dhammapäla zugeschriebenen Texten einschheßhch der tikäs
nicht genannt. Theoretisch kann sie deswegen auch nach ihm geschrieben
worden sein**. Was dies betrifft, deutet möglicherweise die Schärfe, womit
Säriputta gegen Vajirabuddhi polemisiert - ich komme hierauf später noch
zurück - daraufhin, daß die beiden Subkommentatoren zeitlich nicht sehr
entfernt waren ; vielleicht wird diese Frage durch die Identifizierung weite¬
rer Zitate einmal geklärt. Wenn Franke mit seiner Datierung von Kaccäyana
recht hat**, bildet das 7. Jh. durch ein Zitat dieses Grammatikers** die
untere Grenze für die Verfassungszeit der Vjb. Nach Bode*' u. a. soll sie
ein Singhalese verfaßt haben. Gv 60,21 und 66,28 aber führt in einer Liste
von zehn festländischen äcariyas einen Mahävajirabuddhi, Autor eines
Vinayagandhi, auf, und dieser könnte mit unserem Vajirabuddhi identisch
sein, der sein Werk im Kolophon Samantapäsädikäya Ganthipadädhippäya-
-ppakäsanä nennt**. In der Vjb selbst fehlen Angaben über den Autor und
seine Zeit. Säriputta zitiert ihn oft, aber in ungewöhnlicher Weise, nämlich mit kenaci . . . vuttam, wovon er zu Anfang erklärt ,, überall, wo gesagt wird :
,von irgendeinem', ist das zu verstehen als ,vom Autor der Vjb'"*°. Wo er
seine Auffassungen explizit erwähnt, lehnt er sie nahezu immer ab; wir
werden unten noch hierauf zurückkommen. Es hat damit den Anschein,
als wolle Säriputta sich bewußt gegen seinen Vorgänger persönlich oder
als Exponent einer Schule oder Sekte richten, wobei seine Kritik von der
*' a) Sp-t I 367,17 ff. und Vjb 46,23 ad Sp 149,4. Säriputta spricht hier von
Dhammapäla und anderen Subkommentatoren [yarn pana vuttam tikä-kärehi
äcariya-Dhammapäla-ttherädihi); was Dhammapäla angeht, bezieht sieh das auf
Vism-mht B« I I960 182,12. - b) Sp-t I 386, 9 und Vjb 49,27 ad Sp 158,6. Die
gegen Buddhaghosas jhänapatiläbha-paccanikänam adoptierte Lesart Dhamma¬
pälas jhäna-patiläbha-paccayänam wird von Vjb als Verschreibung einiger
Handschriften verworfen (katthaci . . . potthakesu pätho . . .; so pamädalekho). - c) Sp-t II 427,15 (etwas anders zitiert Vmv I 348,1) und Vjb 267,3 ad Sp 702,24.
Auch die zweite Dhammapäla-Stelle in Vmv (II 184,17) ist ein Zitat aus Sp-t
(III 295,4).
** Für den <iÄ;ä-Autor Dhammapäla nimmt Wabdeb, Introduktion to Pali,
London 1963, S. 383 mit einem Fragezeichen das 9. Jh. an.
*' R. O. Franke, Oeschichte und Kritik der einheimisclien Pali-Orammatik
umä Lexicographie, Straßburg 1902, S. 11. Geiger, a.a.O. § 45, schließt sich
ihm an.
*• Kacc 300 (Vjb 36,2).
*' Siehe oben Anm. 6.
*' Ein Vinayaganthipada wird in der Pagan-Inschrift von 1442 erwähnt, siehe
Bode, a. a. O. Der Säsanavamsa nennt auf S. 33 die Vjb und die - in der Sp-t
zitierte - CuUa-, Majjhima- und Mahä-ganthipadas.
*° Sp-t I 8,9 sabbattha „kenaci" ti vutte Vajirabuddhi-tikä-kärenä ti gahetabbam.
Mitteilung, Vajirabuddhi verkünde nur seine eigene Meinung*" oder etwas
Unannehmbares^! bis zu dem groben Vorwurf reicht, Vajirabuddhis Erklä¬
rung sei nur die Blendung anderer durch einen, der selbst ein vollkommener Wirrkopf ist**.
Sowohl der Vmv als auch der von Buddhanäga, einem Schüler des Säri¬
putta, verfaßte Kankhävitaranl-abhinavatikä ist diese Einstellung fremd,
während die KankhävitaranT-puränatlkä ab und zu sogar ganze Seiten aus
der Vjb übernimmt.
Vajirabuddhi soll dem Mahä vihära angehört haben**; Säriputta lehrte
im Jetavana in Polonnaruva**.
Bisher hat sieh m. W. nur Saddhatissa mit den Ymaya-tikäs beschäftigt,
indem er den darin zitierten ganthipadas, die den Übergang bilden zwi¬
schen atthakathäs und tikäs, im Vorwort seiner Upäsakajanälankära-Aus¬
gabe einige Seiten widmete**. Da nun die Quellen der tikäs für ihre Bedeu¬
tung als Träger der Vinaya-Exegese natürlich von besonderem Gewicht¬
sind, werden folgende Punkte in der gegenwärtigen Ausführung das Unter¬
suchungsobjekt bilden:
1. Das Fortleben der Quellen Buddhaghosas in den tikäs.
2. Andere Quellen der tikäs.
3. Chronologie der Quellen.
Buddhaghosa benutzte für seinen Vinayakommentar Samantapäsädikä
neben anonymen äcariyä, poränä, keci und eke drei Gruppen namenthch
genannter Quellen, nämlich:
a) Atthakathäs in singhalesischer (Mahä-atthakathä, die spätere Mahäpac-
cari, Kurundi usw.) oder dravidischer Sprache (Andhakatthakathä)
insgesarat etwa 180 Zitate.
b) Die Lehren einzelner autoritativer Mönche, wie Mahäpaduma, Mahä-
sum(m)a, Upatissa u. a., zusammen etwa 75 Zitate.
c) Die bhänakas, Speziahsten der, jedenfalls bis zum IV. Konzil, oralen
Tradition, die nicht nur als Digha-, Majjhima- usw. bhänakas auf¬
geführt werden, sondern von denen wir gelegenthch auch einzelne
Naraen hören**, welche z. T. mit den unter b) genannten theras iden-
2° tarn tassa matimattam, z. B. Sp-t I 7,19; 13,14; 49,1.
21 na tarn särato paccetabbam, z. B. Sp-t II 267,7; vgl. Sadd 7.1.1.3.
22 Sp-t I 434,13 tarn pana sayam sammülhassa paresam moh'-uppädanamattarn.
23 Pitakat Thamaing § 238.
21 Sp-t III 496,11*.
25 A. a. O., S. 52 fF., wo eine unvollständige und gelegentlich falsche Aufzäh¬
lung der Ganthipada-Stellen in Vjb gegeben und etwas näher auf die Culla-
ganthipada-Stellen in Sp-t eingegangen wird.
2* Die einsclilägigen Stellen wurden von B. C. Law, Buddhaghosa, Bombay
1946, S. 49 ff. und E. W. Adikabam, Early History of Buddhism in Ceylon, Co¬
lombo 1953, SS. 24-32 ZusammengesteUt und diskutiert.
828 W. B. Bollee
tisch sind. Die Lehren beider Gruppen waren wahrscheinhch in der
Mahä-atthakathä enthalten*'.
Vor hundert Jahren wurde von Mudaliyar Comrilla Vijasinhe in einer Mit¬
teilung an Childers angenommen, daß nach Buddhaghosa dessen alte Quollen
in Vergessenheit geraten und verschollen seien**, und dieser Auffassung ist
m. W. bisher nicht widersprochen worden. Im Gegensatz hierzu zeigen nun
die tikäs durch eigene, nicht in Sp oder Kkh vorkommende Zitate, daß die
meisten dieser Quellen in irgendeiner Form zu ihrer Zeit noch vorhanden
waren. Dadurch wird die Zahl der auf uns gekommenen, ins Päli übertrage¬
nen Fragmente der alten Kommentare bisweilen beträchtlich vergrößert
und damit zugleich die Bedeutung der tikäs für die Vinaya-Auslegung.
So erwähnt Buddhaghosa z. B. mit Bezug auf die erste Gruppe 16 mal
die Auffassung der Andhakatthakathä**; die Vjb überliefert uns zusätzlich
17 andere Zitate**, die Sp-t eins**, die Vmv keins und die Khk-pt zwei**. Der
Zuwachs ist bei den anderen alten Kommentaren nicht so markant, zeigt
aber doch, daß sie benutzt wurden**.
Die zweite Gruppe war schon in der Sp geringer vertreten als die erste;
es ist deshalb nioht verwunderlich, daß Zitate der Lehrmeinungen einzel¬
ner theras in den tikäs selten sind**.
*' Für die Gruppe B siehe z. B. Sp 283,18 fF. Mahäatthakathäyam pana: „yo
cankamanto muccitvä patito tatth'eva supati, tassdpi avasattä äpatti na dissati.
Äcariyä pana evam na kathayanti. Tasmä : ,äpatti yevä' ti Mahäpadumattlierena vuttarn . . ." ti. Für die dritte Gruppe siehe unten S. 829.
" JRAS NS 5 (1870) S. 298 „thus it wül be seen that the information furnished to us by the Glossarists [d. h. <iÄ;ö-Autoren] respecting these lost works [nämlich
die alten von Buddhaghosa erwähnten Vinayakommentare] is very meagre and
leads us to suspect that their time almost all traces of them had disappeared".
Ähnlich Malalasekeba, Vamsatthappakäsinl, London 1935, S. cviii: ,,It is
weU known that soon after Buddhaghosa compiled his commentaries in Pali . . .
the original Sinhalese commentaries feU into disuse and before long completely disappeared".
2» Siehe Sp C 1929-1945 (S. Hewawitarane Bequest Series), Worthidex, und
H. Kopps Sp-index (in Vorbereitung für die PTS).
"0 Du-ekt: Vjb 82,3; 117,20; 123,10; 186,27 f.; 289,25; 294,15; 300,21; 358,13 f.;
359,23 f,; 370,2; 430,15; 441,23; 460,27; 468,16; 471,15 und 21; indirekt als
Anu-gp Zitat 307,15. ** Sp-t III 30,3. »2 Kkh-pt 31,20; 33,4.
33 Z. B. Mahä-atthakathä: Vjb 56, 24; 133,16; 143,11; 187,1: 188,7; 205,19;
207,8; 467,3; 490,18. Eine wahrscheinlich von Vjb 56,24 sattaha-karanlyena gantvä ratticchedo vä vassacchedo vä eka-bhikkhuno pi na kato unabhängige Über¬
setzung zeigt Sp-t I 433,15 sattäha-kiccena gantvä eka-bhikkhunäpi ratticchedo vä
na kato. Weiter Sp-t I 28,15; II 136,20; 321,8. - Kurundi: Vjb 127,9; Sp-t II
274,25; 355,30; 390,8. - Mahäpaccari: Vjb 207,7; 223,18-25 (em Teil dieses
Zitats ist Sp 644,19 f. ähnhch).
31 Z. B. Mahäpadumatthera-väda : Vjb 118,16,27 cf. Sp 283,21; Mahäsum(m)a- tthera: Vmv I 259,15 ff. (etwas kürzer Sp-t II 318,8 ff.).
Das allmähliche Abnehmen der Atthakathä-Zitate in den tikäs und die
vielen Fälle, wo Vmv und Kkh-pt die Erklärungen ihrer Vorgänger ab¬
schreiben, deuten wohl darauf hin, daß am Ende des 12. Jh.s die Vinaya-
Scholastik ihren Höhepunkt überschritten hatte und daß die alten Kommen¬
tare, neben denen im Laufe der Zeit nach Buddhaghosa viele ganthipadas
in singhalesischer Sprache entstanden waren und diese vielleicht z. T. ersetz¬
ten, in Vergessenheit gerieten und schließlich verschwanden.
Was die bhänakas, die dritte Gruppe von Quellen Buddhaghosas, an¬
belangt, so erwähnt sie die Vjb merkwürdigerweise nur einmal und das nur
indirekt, in einem Zitat Änandäcariyas**.
Wichtigor für unsere Kenntnis dieser Traditionsgolehrten sind die Vmv
und besonders die Sp-t, die nicht nur einige uns bisher noch unbekannte
Unterschiede zwischen zwei oder mehr Gruppen von bliänakas überliefern,
sondern auch drei Namen von bhänaka-Arten, die bei Buddhaghosa nicht
vorkommen.
Zur ersten Kategorie gehört ein Unterschied zwischen Vinayadharas,
den Überlieferem des Vinaya, und Majjhimabhänakas. Sp 731,3 wird er¬
klärt, daß, wenn ein vihära keine Umzäunung hat, die Stelle dafür von der
allerersten Wohnstatt, dem Essensraum, permanenten Versammlungsplatz,
Bodhi-Baum oder cetiya aus, auch wenn dieser weit von der Wohnstatt
liegt, ausgemessen werden muß**.
Sp-t bemerkt hierzu, daß das die Meinung der Vinayadharas ist. Nach den
Majjhimabhänakas aber soll die Ausmessung einen Steinwurf von der Wohn¬
statt usw. entfernt anfangen*'.
Bisweilen wußten wir durch Buddhaghosa, daß über einen bestimmten
Punkt der Lehre die Auffassungen auseinandergingen, kannten jedoch nicht
ihre Vertreter. So lesen wir Sp 437,25, und ähnlich Vibh-a 21,31, daß das
menschhche Embryo in der ersten Woche nur den Umfang eines an einem
feinen Wollfaden hängenden öltröpfchens hat. In einem anderen Kommen¬
tar von Buddhaghosa, Spk I 300,25, heißt es aber: der Fötus ist so groß
'5 Dies betrifft einen Sp 428,12 mitgeteilten Divorgenzpurdct der Digha- und
Majjhimabhänakas mit Bezug auf das Aufkommen der Nacherscheinung (ni-
mitt'-upattluina) in der Praxis der änapäiiasati-M.edita,tion; siehe Adikabam, a. a. O., S. 28.
3° Sace vihäro aparikkhitto hoti, yam, sabba-patliamam, senäsanam vä bhatta- sälam vä dhuva-sannipäta-tthänam vä bodhim vä cetiyam vä düre ce pi senäsanato hoti, tarn paricchedam katvä minitabbam,
" Sp-t II 446,22 ff. idarri ca Vinayadharänam matena vuttam; Majjhimabhäna-
känarn matena pana: senasanädinarn upacäre thitassa eka-leddu-pätam muncitvä
minitabbarn, ti. Majjhimabliäviakä vadanti: Ten'eva Majjhimanikäy'-atthakathä- yarn: viJiärassa pi gämass' eva upacärarn niliaritvä ubhinnarn leddu-pätänarn antarä minitabbarn ti vuttarn.
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wie ein Tropfen öl, der sich am Ende eines aus drei Fasern bestehenden
Wollfadens befindet. An keiner Stelle wird hier die Quelle dieser Erklärun¬
gen erwähnt. Sp-t II 252,13 fF. teilt uns aber mit, daß die erstgenannte die
Meinung der Khuddakabhänakas, die zweite die der Samyuttabhänakas
wiedergibt.
Einen ähnlichen Fall stellt die Autfassung der Dighabhänakas dar über
das, was mit Mahävana gemeint war**. Hierin waren sie anderer Ansicht
als die Majjhima- und Samyuttabhänakas, wie Sp-t II 172,4 lehrt.
Die soeben erwähnten Khuddakabhänakas sind eine Gruppe, die m. W.
in der älteren nicht-kanonischen Päli-Literatur nur Mil 342,1 in einer Liste
von Traditionalisten vorkommen. Wir begegnen ihnen auch Sp-t II 254,23 ff.,
wo sie mit den Sarnyuttabhänakas gegen die Majjhimabhänakas in ihrer
Anschauung über den Begriff der Kontinuität mitgehen ; die letzten beiden
werden Vism 431,19 ff. und As 420,4 ff. genannt. Dieses Beispiel zeigt neben¬
bei, daß die bhänakas sich keineswegs nur mit ihrem Spezialgebiet beschäf¬
tigten*'.
Eine bisher unbekannte Gruppe bilden die Khandhakabhänakas, offen¬
bar das Gegenstück zu den Ubhatovibhahgabhänakas** für den Mahä- und
Cullavagga des Vinaya. Sie waren sich sowohl mit den Digha- wie mit den
Ahguttara- und auch mit den Samyuttabhänakas uneinig über die Aus¬
legung von vassa-sahassam (Vin II 256,12), den tausend Jahren, die der
Buddha dem Änanda als Fortbestchungszeit für seine Lehre vorausgesagt
hatte, falls keine Nonnen zugelassen wären, wie man der Sp-t III 439,28
entnehmen kann. Da ich oben schon einige Beispiele der Theraväda-Scho-
lastik gegeben habe, kann ich auf die Einzelheiten verzichten.
Säriputta erklärt hierzu am Ende seiner Aufzählung der verschiedenen
Meinungen, man müsse wohl annehmen, daß Buddhaghosa hier (Sp 1291,18)
nur den Khandhakabhänakas, in seinen Kommentaren zu den Nikäyas**
den diesen entsprechenden Traditionalisten folgte, sonst wäre er Wider¬
sprüchen anheimgefallen, was im allgemeinen auch wohl unseren Befunden
entspricht. Vmv II 264,5 ff. schließt sich diesem an und bemerkt noch, daß
Buddhaghosa nur die schriftliche Überlieferung der singhalesischen Attha¬
kathäs übernommen habe**, denn solche formalen Widersprüche täten der
** Sp 393,13; Sv 309,7 ff.; Ps I 73,4; Spk III 265,12 ff.
3° Vgl. auch Adikabam, a. a. O., S. 25.
*" Diese Kenner des bhikkhu- und bhikkhuni-vibhanga werden in Buddha¬
ghosas Kommentaren nur Sp 644,10 erwähnt.
" Sv 899,20 ff.; Mp I 87,9 ff.; Spk II 202,16 ff.
*2 . . . Tarn sabbam annam-aüna-virvddham pi tam-tam-bhänakänam matena
likhita-Silialatthakathäsu ägata-nayam eva gahetvä äcariyena likhitam idise
kathä-virodhe säsana-pariliäniyä ahhävato sodhan'-upäyäbhävä ca. Paramattha- virodho eva hi suttädi-nayena sodhaniyo, na kathä-magga-virodho.
Lehre keinen Abbruch und es gäbe keine Mittel, sie zu bereinigen. Ntn ein
inhaltlicher Widerspruch sei mit Hilfe der Suttas usw. zu beseitigen, nicht
jedoch einer der sprachlichen Wiedergabe.
Sollte diese Aussage der Vmv hinsichtlich der Form, worin die Lehren
der bhänakas Buddhaghosa zugänglich waren, wirklich zutreffen, könnte
man hiermit Adikabam widerlegen, wenn er sagt (a. a. 0., S. 32) ,,nor is
there now a way of ascertaining definitely in what form of record the views
of the bhänakas were available to Buddhaghosa".
Schließlich sind nach Sp-t I 66,1 die Khandhakabhänakas gemeint, wenn
es Sp 17,17 heißt, daß keci mit den Dhammapadabhänakas geringfügig di¬
vergierten hinsichtlich des ersten Verses, den der Buddha gesprochen haben
sollte.
Der Name der letzten neuen hier zu besprechenden Kategorie von
bhänakas, die die Sp-t (II 267,23) uns überliefert, betont vielleicht die
unterschiedliche Gelehrsamkeit und damit auch unterschiedhches Ansehen.
Adikabam (a. a. 0., S. 25) sagt, daß für den älteren Buddhismus die Rezita¬
toren und Traditionalisten der Suttas nicht bhänakä, sondern suttantikä ge¬
nannt wurden. Sp-t II 267,23 heißt es aber: ,,als Suttantikattheras werden
die Suttantabhänakas bezeichnet, die (oder: weil sie) der Hauptsachen des
Vinaya unkundig sind. Man sagt auch, daß der Ausdruck ,suttantikattherä'
zum Spott für die Lehrer der Mahä-atthakathä gebraucht wird, weil sie
den Vinaya nicht kennen"**.
Daß die bhänakas niedriger eingestuft wurden als z. B. Vinayadharas oder
Suttantikas, die ein umfangreicheres Wissen hatten, leuchtet ein, ebenso
wie es Unterscliiede gab zwischen den 6MwaÄ;o-Gruppen, wie aus der
Sp 789 überlieferten Prüfungsordnung hervorgeht: für Anguttarabhänakas
z. B. reichte der 4. oder 5. Nipäta, während Jätakabhänakas nicht nur das
Jätaka mit Kommentar, sondern - nach der Mahäpaccari - auch die Dham-
mapada-Geschichten kennen mußten. Unsere Sp-t Passage unterscheidet
sich durch ihre Überbetonung des Vinaya auch für Nicht-Vinayaspezialisten
auf Kosten der suttas von der von Mahinda IV. zwei Jahrhunderte vorher ge¬
machten Wichtigkeitsordnung des Tipitaka, worin das Vinaya-pitaka nach
Abhidhamma- und Sutta-pitaka rangiert**.
Bisher war von den Prä-Buddhaghosa-Quellen die Rede. Bevor wir zu
den späteren Quellen übergehen, sei hier noch kurz erwähnt, daß die tikäs
gelegenthch auch die anonymen keci und eke bei Buddhaghosa identifizie-
" Suttantikattlierä ti Vinaye apakatannuno Suttantabhänakä. Mahä-aUhaka- thäcariya-tthere yeva sandhäya: 'Vinayam te na jänanti ti upahäsa-vaaena suttan- tikattherä ti vuttam' ti pi vadanti.
" E. Z. I S. 85'.
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ren, z. B. als Mahäyänisten**. Dasselbe gilt für Anspielungen auf damals
offenbar allgemein bekannte Geschichten**.
Wenden wir uns nun dem zweiten Punkt, den anderen Quellen der tikäs,
zu. Für die Vjb sind das hauptsächlich der Poräna-gp*', der Ganthipada des
Dhammasiri, der Anu-gp des Vajirabuddhi, und - als Autoritäten, von denen
kein Buch genannt wird - Änandäcariya aus Kalasapura** und Upatissa.
Sie werden oft nicht namentlich zitiert: häufig erfolgt der Hinweis auf die
Quelle mit Angaben, die wegen ihrer Doppeldeutigkeit nicht immer ohne
weiteres klar sind ; so ist mit äcariyä einmal Buddhaghosa**, einmal Änanda**
gemeint. Atthakathä bezieht sich sowohl auf Kommentare von Buddhaghosa
wie auf andere. Ab Vjb 131,3 soll man Zitate mit . . . ti vuttam als aus dem
Anu-gp stammend auffassen, während solche mit . . . ti likhitarn dem
Ganthipada entnommen sind (Vjb 132,5). Es ist anzunehmen, daß wo . . . ti
Dhammasiri-tthero usw. gesagt wird, dies für die entsprechenden ganthipadas steht, und daß diese - wie die meisten in der Sp-t - in singhalesischer Sprache
abgefaßt waren, was die Vjb aber nicht, wie die Sp-t (I 8,11), explizit mit¬
teilt.
Dhammasiri zitiert den Poräna-gp**, ist also später als dieser; seinerseits
wird er von Änanda** und Vajirabuddhi** zitiert. Upatissa, der, weil er
meistens Buddhaghosa zitiert, nicht derselbe sein kann wie dessen oben
erwähnte gleichnamige Quelle, kommt zweimal in einem Anu-gp-Zitat vor**
und wird Vjb 147,9 zusammen mit Buddhamitta und Dhammasiri als
Schüler Buddhaghosas genannt**. Upatissa und Dhammasiri zitieren ein¬
ander nicht und kommen gelegentlich zusammen, aber mit verschiedener
Meinung, vor**. Waren sie und Buddhamitta, oft als äcariyä erwähnt, viel¬
leicht Zeitgenossen ? Wir kennen zwei oder drei Träger des letzten Namens :
Keci ti Abhayagiri-väsino, Vjb 323,12 (Sp 846,27); keci ti MaM-sanghikä,
Vjb 157,1 (Sp 441,1). Andere Identifikationen: Mahä-atthakathäyam eva ekacce
äcariyä, Sp-t II 162,17 (Sp 377,10); Khandhakabhänakä, Sp-t I 66,1 (Sp 17,17);
eke ti Majjhirnahhänakänam yeva eke, Sp-t I 59,9 (Sp 13,2).
" Buddhaghosa Sp 46,24 ff. hängt durch eine Sp-t I 129,10 ff. erklärte An¬
spielung die Geschichte von Mhv V 49 ff. an den Vers 47,1-2; dieser Vers - mit einer ganz anderen Geschichte - flndet sich Ja II 235,11-12*.
" Gp ist hier und im folgenden die Abkürzimg für ganthipada.
i^ Eine Stadt namens Kalasapura in Suvamadvipa wird KSS 54,108 erwähnt.
" Z. B. Vjb 16,1.
^0 Z. B. Vjb 260,20.
" Vjb 507,23.
^2 Vjb 52,11 ff.; 140,22.
Vjb 308,2 f.
51 Vjb 258,10 ff.; 261,3.
55 Vjb 147,9 äcariyä nämä Buddhamittatthera-Dhammasiritthera-Upatissatthe- rddayo gana-pämokkhä atthakcUhäcariyassa ca santike suta-pubbä.
5« Z. B. Vjb 193,6; 247,12; 310,24.
einer brachte Buddhaghosa dazu, denMajjhima-nikäya zu kommentieren*';
einer - vielleicht identisch mit dem vorigen - tat dasselbe mit dem Autor
der Jätaka-atthavannanä, und der dritte bat, als alter Mann, Änanda seine
Abhidhamma-mt zu schreiben**. Ein Dhammasiri ist uns nur überliefert
als Verfasser der Khuddasikkhä, die nach der Tradition um 350, aus sprach¬
lichen Gründen von Müller** nicht vor dem 6. oder 7. Jh., von Geiger*"
nicht vor dem 11. Jh. angesetzt wird. Von Dhammasiri führt die Vjb ein
und die Sp-t zwei Verszitate an, die ich als Khuddasikkhä-,^ZoÄ;a5 identifi¬
zieren konnte**. Sollte dieser Dhammasiri derselbe sein wie der Autor des
Ganthipada in der Vjb, dann steht fest, daß er nicht in der Mitte des 4. Jh.s
gelebt haben kann, sondern nach Buddhaghosa, und daß der Poräna-gp
dazwischen liegt, womit er auch wohl kaum ein Schüler von Buddhaghosa
gewesen sein dürfte. Alles dies sind Argumente, die für Müllers Theorie
sprechen. Leider scheiden sprachliche Kriteria aus, weil Vajirabuddhi wahr¬
scheinlich die ganthipadas übersetzte.
Was Upatissa angeht, so befinden sich unter den von Malalasekera im
PPN verzeichneten 13 Trägern dieses Namens zwei Autoren: der Niddesa-
Kommentator und der Verfasser des Mahäbodhivamsa**.
Folgt man nun Müller für Dhammasiri und nimmt den dritten Buddha¬
mitta, so könnte der Autor der Müla-tikä als wohl jüngerer Zeitgenosse
Buddhamittas identisch sein mit dem Änandäcariya, der Dhammasiris
Ganthipada zitiert. Namen wie Änanda und Upatissa sind aber sehr häufig
und es muß also hier bei einer Hypothese bleiben.
Ganthipadas gehörten auch zu den Quellen der Sp-t, die sie am Anfang
(I 8,9 ff.) aufführt: Mahä-, Majjhima- und Cüla-gp in singhalesischer Sprache
und ein schlicht Ganthipada genanntes Werk auf Päli. Ein Vergleich aller
diesbezüglicher Zitate in der Vjb und Sp-t führt zu dem auffälhgen Ergeb¬
nis, daß die beiden tihäs offenbar verschiedene ganthipadas benutzt ha¬
ben**, was ein Argument sein könnte - aber nicht zu sein braucht - für ihr
zeitliches Auseinanderliegen, denn es wäre auch möglich, daß die Bedeutung
der gps lokal oder auf bestimmte Sekten beschränkt war. Es scheint mir
nicht ausgeschlossen, daß dieses Ergebnis zusammenhängt mit der allge-
" Ps V 109,9*.
** Gv 69,19.
*» Malalasekera, PLC, S. 77.
Pali Literatur und Sprache § 27.
"Vjb 284,26* f. = Khuddas XI 4; Sp-t II 104,27* f. = Khudda« IX 3;
Sp-t II 119,28* = Khuddas XXXV 6.
'2 Von Geiger im 10. Jh. angesetzt.
83 Eine Ausnahme bildet anscheinend Vjb 315,18 ff. ad Sp 818,20, wo das
Dhammasiri-Zitat Sp-t III 57,13 mit am Ende vibhävito statt vicärito &]a Mahä-
ganthipadesu vuttam erscheint. Schon der Plural macht es aber unsicher, auf
welche Texte sich ,Mahäganthipadesu' bezieht.
834 W. B. BOLLÄE
mein ablehnenden Haltung der Sp-t gegenüber der Vjb: Säriputta versucht
sich bewußt von seinem Vorgänger abzuheben; das zeigen auch deuthch
die sowohl von der Vjb als auch der Sp-t kommentierten Sp-Passagen**.
Sogar die Zielsetzung ihrer Werke ist verschieden: Vajirabuddhi führt
seinen Lesern die Ansichten mehrerer Lehrer vor und fordert sie auf, sich
durch sorgfältige Prüfung, was davon mit Vinayapitaka und Samantapäsä¬
dikä vereinbar sei, selbst über das Richtige ein Urteil zu bilden**.
Säriputta dagegen strebt überdies ein weiteres Ziel an: er wollte nach
eigener Aussage die in den ganthipadas niedergelegten Auffassungen der
singhalesischen äcariyäs in Päli zusammenfassen**, womit er der Praxis
folgte, die - seit dem Buddha selbst - in der Landessprache übliche Lehr-
und Auslegetätigkeit jeweils dmch Übertragung ins Päli international zu¬
gänglich zu machen und so zu verbreiten, wobei er nicht zuletzt an Paräkra¬
mabähu I. Kontakte zu Pagan gedacht haben dürfte.
Übrigens zeigt Cola-Kassapa fast überall, wo er in seiner Vmv die Sp-t
namenthch erwähnt - im Gegensatz zu den Stellen, wo er sie wörtlich ab¬
schreibt - eine ähnliche, wenn auch weniger scharf formulierte Haltung wie
sie Säriputta Vajirabuddhi entgegenbringt. Vielleicht gehört diese persön¬
liche Ausdrucksweise auch zum Dialogstil der späteren Kommentatoren.
Kommt vereinzelt bei Buddhaghosa ein fiktiver Opponent mit etth'äha^''
oder ti ce** zu Worte, so ist vor allem das letzte in den Vinaya-tlkäs nach
Sanskritvorbild häufig der Fall.
Der Sanskrit-Einfluß ist nicht nirr im Stil spürbar, sondern natürlich
auch in neuen Wörtern und Bedeutungen - obwohl man hier vorsichtig ur¬
teilen muß, solange noch nicht einmal das Wortmaterial Buddhaghosas
zusammengestellt und imtersucht worden ist - und weiter z. B. Vjb 26,29*f.
in einem ins Päli übertragenen Upanishaden-Zitat**.
•1 Einzelne Wörter erklären Vjb und Sp-t bisweilen gleich, wie z. B. Vjb
39,25 = Sp-t I 240,4 ad Sp 118,2 dattheyyam ti datthabbam, oder ähnlich, wie
Vjb 43,16 vibhaUiantarn atthassa näpanato padam und Sp-t I 329,9 vibhatti-y-an- tarn padam ad Sp 127,15.
•* Vjb i88,27; 189,26; 359,7; 423,11; 584,6 ff.
" Sp-t I 2,5* ff. zitiert von Saddhatissa, a. a. O., S. 53 Anm. 181-183.
" Z. B. Vism 55.5,1; 566,4.
'* Diose Ausdrücke kommen in der Stilart vor, die S^änamoli, The Minor
Readings, London 1960, S. ix: ,discussion in order to convince style' nennt, z. B.
Pj I 18,2,8,16; 19,4,17; Vism 506,27; 507,30; 508,4 ff.
" Vjb 26,28 flF. mittarn hi Vede:
angä angä sambhavasi, hadayä adhijäyase.
attä ve putta-nämäsi ; sa jiva sarado satarn.
vgl. KBU 2,11; AG 1,15,9; PG 1,16,18; HG 2,3,2; MG 1,18, 6; Mbh, Poona 1929,
I 74, 63
angäd angät sambhavasi, hrdayäd adhijäyase.
ätmä vai putra-nämäsi ; sa jiva Sa/radäh iatam.
Abschließend kann man über die Stellung und Bedeutung der Vinaya-<i-
käs in der Päli-Literatur sagen, daß sie, besonders Vjb und Sp-t, sich diu-ch
ihren Reichtum an Zitaten aller Art aus Quellen vor und nach Buddha¬
ghosa als ein wahres Sammelbecken der Vinaya-Auslegung über tausend
Jahre erweisen und damit bestimmt verdienen, mit Buddhaghosa auf eine
Stufe gestellt zu werden.
DIGNÄGA'S KRITIK AN DER SCHLUSSLEHRE DES
NYÄYA UND DIE DEUTUNG VON NYÄYASÜTRA LLÖ*
Von A. Wezler, Tübingen
Unsere Kenntnis der Geschichte des älteren Nyäya ist lüekenhaft und
im einzelnen oft nicht gesichert. Nicht nur die mangelhafte Überlieferung
steht dem Bemühen entgegen, ein möglichst vollständiges und getreues Bild
von den Lehren des Systems und ihrer Entwicklung zu zeichnen; gerade
auch das Grundwerk, das Nyäyasütra des Äksapäda Gautama, bietet dem
Verständnis keine geringen Schwierigkeiten. Wie bei der Interpretation
anderer, im sütra-Stil abgefaßter Werke sind wir auch bei der Deutung des
Nyäyasütra in starkem Maße auf die Erläuterungen der einheimischen
Kommentatoren angewiesen. Paksilasvämin Vätsyäyana jedoch, der Ver¬
fasser des ältesten erhaltenen Kommentars zum NS, des vermutlich aus
der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts stammenden Nyäyabhäsya, erweist sich
nicht immer als zuverlässiger Führer, ja gewährt auch gar keine Hilfe bei
der Interpretation einzelner sütras, so des NS 1.1.5, des ältesten Beleges
für die Schlußlehre des Nyäya: atha tatpürvakam trividham anumänam
pürvavac chesavat sämänyato drstam ca. Paksilasvämin liefert nämlich zwei
erheblich voneinander abweichende Erklärungen der Termini pürvavat,
iesavat und sämänyato drstam, technischer Benennungen, die im NS selbst
weder definiert noch durch Beispiele exemplifiziert werden. Es liegt daher
nahe zu vernmten, daß er die ursprüngliche Bedeutung dieser Benennungen
nicht mehr gekannt hat. Äuch die mir bekannt gewordenen Deutungsver¬
suche europäischer und neuzeitlicher indischer Gelehrter, auf die ich jetzt
nicht näher eingehen kann, haben meines Erachtens noch nicht das rechte
Licht in das Dunkel gebracht.
Bevor man die Waffen streckt, wird man fragen, ob wirklich alle Möglich¬
keiten erschöpft sind, das Problem methodisch zu lösen, ob nicht vielleicht
doch Aussicht besteht, weiteres Material zu finden, das zur Deutung eines
der wichtigsten Lehrsätze des Nyäya wenigstens beitragen könnte. Zu¬
mindest ein Weg scheint noch offen zu stehen ; man kann eine Methode an¬
wenden, die sich in den letzten Jahrzehnten ausgezeichnet bewährt hat,
nämlich die, durch Entdeckung, Auswertung und Einordnung von Frag-
1 Zu Einzelheiten siehe meinen Aufsatz „Die. a dreifache» Schlußfolgerung in Nyäyasütra 1.1.5", Indo-Iranian Journal, Vol. XI. Ein zweiter Aufsatz, in dem das tibetische Material vorgelegt werden soll, befindot sich in Vorbereitung.