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Überholtes Geschäftsmodell?

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Academic year: 2022

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770 B I B L I O T H E K E N Forschung & Lehre 9|16

I

n Bibliotheken ist seit jeher verfüg- bar und zugänglich, was in der Wis- senschaft beforscht, entdeckt und veröffentlicht wird. Dies hat in Biblio- theken zu kontinuierlich wachsenden Sammlungen von Büchern und Zeit- schriften geführt. Vor allem wissen- schaftliche Bibliotheken, die für die dau- erhafte Speicherung und permanente Verfügbarkeit publizierter Forschungser- gebnisse verantwortlich sind, haben sich dabei als fester Bestandteil der Wissen- schaftskommunikation etabliert. Nun wandeln sich die Bibliotheken als Spei- cher- und Rezeptionsräume gedruckter Wissensgüter zu Zentren für Informati- on, Kommunikation und Medien – eine Entwicklung, die dem rasanten, techni- schen Wandel bei der Aneignung, Pro- duktion und Verbreitung von Wissens- gütern Rechnung trägt. Die Potenziale des Internets und der elektronischen Medien sind dafür die Treiber, was oft- mals mit hochgradig ambitionierter Ar- chitektur zu symbolisieren versucht wird, die im Regelfall keine traditionel- len Bibliotheksräume mehr kennt. Doch sind die Weiterentwicklungen, die digi- tale Technologien ermöglichen, in den Bibliotheken umfassend realisiert?

Über Jahrhunderte wurden von Bi-

bliotheken gedruckte, papiergebundene Bücher und Zeitschriften gekauft, ge- sammelt, verzeichnet und ihren Nutzern langfristig zur Verfügung gestellt. Der er- folgreichen Wahrnehmung dieser Aufga- ben wurden logistische Verfahren zu- grunde gelegt, die für die Verwaltung ge- druckter Bücher und Zeitschriften kennzeichnend und tragfähig sind. Da- bei geht es um viele, teilweise hochkom- plexe Arbeitsabläufe, die zur Abwick- lung von Beschaffung, Lieferung, Kata- logisierung, Speicherung und Bereitstel- lung von Literatur ausschließlich manu- ell erfolgten. Um die deshalb sehr hohen Aufwände zu reduzieren, wurden viele Arbeiten in Kooperation mit großen und kleinen Bibliotheken realisiert. Da- zu gehören die Entwicklung praxisbezo- gener Standards für die Erfassung und Katalogisierung von Büchern und Zeit- schriften, Kooperationen mit Buchhand- lungen und Verlagen sowie die Entwick- lung von Versorgungsstrukturen wie die Fernleihe, die vor Ort nicht vorhandene Literatur aus anderen Bibliotheken ver- mittelt. In dieser langen Phase der Ent- wicklung von Bibliotheken wurden die bibliothekarischen Kernprozesse der Beschaffung, Katalogisierung und Nut- zung einerseits professionalisiert. Ande- rerseits entwickelte sich daraus ein Selbstverständnis wissenschaftlicher Bi- bliotheken als Monopol der dauerhaften Bereitstellung und der systematischen Ordnung von Wissensgütern in Form gedruckter Literatur. Ein solcher Begriff von Bibliotheken erscheint in Zeiten von Google entfernter denn je. Doch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler dieser vergangenen Zeiten stellte die

Bibliothek eine hoch willkommene Ar- beitsumgebung dar.

Bibliotheken und die Anfänge des IT-Einsatzes

Seit den 1980er Jahren sind rechnerge- stützte Bibliotheksverwaltungssysteme entwickelt und in den Bibliotheksbe- trieb eingeführt worden. Mit der Ein- führung dieser neuen IT-Verfahren konnten viele, jedoch nicht alle Abläufe und Verfahren auf eine moderne techni- sche Grundlage überführt und optimiert werden. Allerdings blieben die Arbeits- prozesse weiterhin an der Verarbeitung gedruckter Medien orientiert; denn zu diesem Zeitpunkt ging es noch nicht um elektronische Medien, sondern weiter- hin um die Verarbeitung von gedruck- ten Büchern und Zeitschriften. Anlass für eine Veränderung des Geschäftsmo- dells bestand vor diesem Hintergrund nicht. Darüber hinaus zeigte sich deut- lich, dass die IT-gestützten Kernprozes- se zu einer erneuten Verstärkung der Zusammenarbeit von großen und klei- nen Bibliotheken führten. Aufsetzend auf bestehende Strukturen wurde die innerbibliothekarische Kooperation durch den IT-Einsatz weiter intensiviert und zu dienstleistungsorientierten Netzwerken entwickelt, die eine ge- meinsame Erbringung von Serviceange- boten bis heute ermöglichen. Ein gutes Beispiel dafür sind die – im föderalen System in Landesverantwortung liegen- den – Bibliotheksverbünde, bei denen auf Basis der jeweils regionalen Kata- logdatenbanken kooperativ erbrachte Bibliotheksservices verfügbar sind, wie das bereits erwähnte Beispiel der Fern- leihe, aber auch die wechselseitige Nut- zung und Übernahme bibliografischer Daten sowie weitere regionale und na- tionale Dienstleistungen zeigen. Das Zusammenwirken von Bibliotheken im

Überholtes Geschäftsmodell?

Bibliotheken in der digitalen Transformation

| A N D R E A S D E G K W I T Z | Wissenschaftliche Bibliotheken sind Orte, an denen publizierte Forschungsergebnisse gespeichert und verfüg- bar sind. Was bedeutet der Wandel zu Zentren für Infor mation, Kommunikation und Medien?

A U T O R

ProfessorAndreas Degkwitzist Direktor der Universitätsbiblio- thek der Humboldt- Universität zu Berlin.

Foto: Matthias Heyde

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Rahmen von Bibliotheksverbünden ist seither noch weniger als zuvor durch gegenseitigen Wettbewerb, sondern vielmehr durch solidarisch zu nennende Kooperationen geprägt. Von daher wur- den und werden auch nationale Ansät- ze zur Weiterentwicklung bibliothekari- scher Infrastrukturen vom Solidarprin- zip getragen. Denn die Infra-

strukturen sollten und sollen sich über die Ländergrenzen hinweg auf einem hohen und nach Möglichkeit gleichen Ni- veau bewegen, um für Wissen- schaftlerinnen und Wissen- schaftler aller Bundesländer in

etwa dieselbe Qualität der Infrastruk- turausstattung sicherzustellen.

Bibliotheken in Zeiten von Google

Wurden und werden mit diesen gut etablierten Strukturen die Potenziale der Digitalisierung von Bibliotheken schon ausgeschöpft? Gegenüber der Si- tuation in den 1980er Jahren haben sich

die Rahmenbedingungen für Bibliothe- ken signifikant verändert. Heute sind Bibliotheken unmittelbar mit den Aus- wirkungen des Wandels von gedruckten zu elektronischen Büchern und Zeit- schriften konfrontiert. Neue Ansätze und Herausforderungen provozieren Zielkonflikte. Empfehlungen, Handrei-

chungen, Statements und Strategien thematisieren die Neuausrichtung und fordern Veränderung. Anstelle von ge- druckten, papiergebundenen Texten geht es jetzt um Medien, die noch im- mer in Buch- und Zeitschriftenform er- scheinen, deren technische Eigenschaf- ten aber auf Daten beruhen und darü- ber hinaus viele weitere digitale Objekte wie beispielsweise Audios, Bilder, Filme

und jede Menge Forschungsdaten ent- halten können. Die digitale Transforma- tion, die weit über Organisation und Prozesse von Bibliotheken hinaus- reicht, hat die Bibliotheken erreicht, ist aber dort noch nicht vollständig umge- setzt. Mit dem Internet, mit neuen Kommunikationsformen, mit der Viel- zahl an Endgeräten und Tools, mit den Möglichkeiten der Aufbereitung und Verarbeitung von Texten und Daten verändern sich For- schung, Lehre und Studium sowie die Wissenschaftskom- munikation insgesamt. Neue Servicean- forderungen werden an die Bibliothe- ken gestellt, die mit ihrer traditionellen Ausrichtung und Logistik nicht immer leicht zu vereinen sind. Das Spektrum digitaler Informationsversorgung ist ge- prägt von Lizenzierung und Bereitstel- lung elektronischer Bücher und Zeit- schriften, Digitalisierung wertvoller Ma-

9|16 Forschung & Lehre B I B L I O T H E K E N 771

»Neue Serviceanforderungen sind mit der traditionellen Ausrichtung und Logistik von Bibliotheken nicht immer leicht zu vereinen.«

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Das Projekt

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Die Partner

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terialien des kulturellen Erbes, langfris- tige Nutzbarkeit digitaler Ressourcen, Open-Access-Publizieren, informati- ons- und medientechnische Unterstüt- zung sowie von vielen weiteren Ser- vices, die das wissenschaftliche Arbei- ten unterstützen und dafür zeitgemäße Arbeitsumgebungen zur Verfügung stel- len.

Im Kontext vieler, auch sehr disrup- tiver Veränderungen wird offen oder verdeckt immer wieder die Frage ge- stellt, ob denn das Ge-

schäftsmodell, das sich im- mer noch stark an gedruck- ten Medien orientiert, die Bibliotheken weiterhin tra- gen kann. Dabei steht ganz außer Frage, dass gedruckte Bücher auch künftig einen

nicht unerheblichen Teil der Akquisiti- onsmaßnahmen von Bibliotheken aus- machen werden; denn gedruckte Bücher werden weiterhin nachgefragt. Doch sind die neuen Ansätze und Chancen der Digitalisierung tatsächlich aufgegrif- fen und bei der Neuausrichtung von Bi- bliotheken und ihrer Weiterentwicklung konsequent realisiert? Das Bild, das sich dazu zeigt, gibt klar zu erkennen, dass E-Books und E-Journals zum Alltagsge- schäft der Bibliotheken gehören. Bemer- kenswert ist zudem, in welchem Um- fang sich das Open-Access-Publizieren mit Unterstützung der Bibliotheken wei- terentwickelt hat. Schließlich wurden große Erfolge auf dem Gebiet der Digi- talisierung von Schätzen des kulturellen Erbes erreicht. Doch ist dies genug, um wirklich von einer Neuausrichtung der Bibliotheken sprechen zu können?

Zukunftsszenarien

Für die Bereitstellung der von Biblio- theken beschafften oder lizenzierten In- formationen wird das Internet ganz selbstverständlich eingesetzt. Für die Einbeziehung von Nutzern in die Wei- terentwicklung der Bibliotheken wird das Internet hingegen wenig genutzt.

Zudem finden Austausch und Interakti- on zwischen Bibliotheken und Nutzern, verglichen mit anderen Informationsan- bietern, in eher geringem Umfang statt.

Überwiegend wird das gewohnte Ge- schäftsmodell praktiziert, das die Rollen von Bibliothekaren als Serviceerbringer und Nutzern als Servicenehmer recht traditionell verteilt. Damit hält man an einer Differenzierung fest, die unter di- gitalen Bedingungen Bibliothek und Nutzer eher voneinander trennt, als in einem gemeinsamen, interaktiven Kon-

text zusammenführt – wie kann das sein? Offenbar wurde von Bibliotheken und Nutzern bisher nicht genügend er- kannt, dass das Internet nicht nur digi- tale Inhalte an jedem Ort und zu jeder Zeit zugänglich macht, sondern darüber hinaus – und auch für Bibliotheken – virtuelle Interaktions- und Wissensräu- me schaffen kann.

Mit den Potenzialen des Internets können Nutzerinnen und Nutzer deut- lich stärker als bisher an der Samm-

lungs- und Service-Entwicklung der Bi- bliotheken partizipieren und diese mit- gestalten. Dann spielen sie eine äußerst aktive Rolle in der Bibliothek und sind in der Situation, mit den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern der Bibliotheken auf ganz neue und andere Weise zu ko- operieren. Modelle für interaktive Ar- beits- und Wissensräume bieten bekann- te Verfahren wie Crowd-Funding und Crowd-Sourcing. Für den Bibliotheks- kontext könnten diese Modelle für fol- gende Zukunftsszenarien weiterentwi- ckelt werden:

1. Die Sammlungen von Bibliothe- ken werden nicht mehr nur von Biblio- thekarinnen und Bibliothekaren, son- dern auch von Nutzerinnen und Nut- zern mit Informations- und Medienob- jekten auf- und ausgebaut.

2. Die Metadaten alter und neuer Sammlungsobjekte werden sowohl von bibliothekarischer Seite als auch von Nutzerseite angelegt, aggregiert und an- gereichert sowie in die Suchmaschinen der Bibliotheken oder in die Werkzeuge anderer Suchmaschinenbetreiber einge- spielt.

3. Innerhalb der gesetzlichen Be- stimmungen von Datenschutz und Ur- heberrecht und basierend auf entspre- chenden Policies können Nutzerinnen und Nutzer die Zugangs- und Zugriffs- optionen für Informationen und Medien festlegen, die sie selbst in den Bestand der Bibliotheken eingebracht haben.

Im Zuge dieser und weiterer Formen partizipativer Weiterentwicklungsansät- ze übernehmen sowohl Bibliotheken als auch ihre Nutzerinnen und Nutzer Ver- antwortung für die Literatur- und Infor- mationsversorgung und deren Fortbe- stand. Dabei müssen den Nutzerinnen

und Nutzern Bearbeitungs- und Mitwir- kungsrechte eingeräumt werden, wofür ein sachgerechtes Niveau an Informati- ons- und Medienkompetenz unbedingte Voraussetzung ist. Denn die neuen „Ak- teure“ müssen zu dieser Form der akti- ven Teilhabe in dem dafür notwendigen Umfang befähigt werden. Beispiele für interaktive Arbeits- und Wissensräume existieren bereits und können Biblio- theken die entsprechenden Ansätze bie- ten. Dazu gehören, um bekannte Bei- spiele mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu nennen, Google Scholar, Mendeley und Wikipedia. Zugleich gibt es vergleichbare Platt- formen in der Wissenschaft, deren Funktionsspektrum unmittelbar auf die Anforde- rungen der Arbeitsweise der jeweils nut- zenden Fachdisziplinen ausgerichtet ist (z.B. FuD: http://fud.uni-trier.de/de/, TextGrid: https://textgrid.de/ und Wiss- KI: http://wiss-ki.eu/). Greifen Biblio- theken diese Ansätze für ihre Neuorien- tierung auf, entwickeln sie sich deutlich stärker als bisher zu Bibliotheken ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Mit der wei- terhin unerlässlichen Aufgabe, analog und digital publizierte Wissensgüter für eine langfristige Nutzung bereitzustel- len, setzen Bibliotheken dabei auf ein Geschäftsmodell, das Interaktion und Partizipation in den Mittelpunkt stellt und damit die Potenziale des Internets nutzt – das ist doch ein lohnendes Ziel!

772 B I B L I O T H E K E N Forschung & Lehre 9|16

»Bemerkenswert ist, in welchem Umfang

sich das Open-Access-Publizieren mit

Unterstützung der Bibliotheken weiter-

entwickelt hat.«

Referenzen

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