LAWINEN
SCHAFFEN
LEBENSRAUM
Schon aufden ersten Blick
fällt
in Abb.i
auf, dassder subalpine Fich¬tenwald manchenorts in der Schweiz einen eher einförmigen dunklen Gürtel darstellt, wäre er nicht stellenweise durch zahlreiche Lawinen¬
züge (Lavinare) aufgelockert und gelichtet.Das
Institut für
Schnee- und Lawinenforschung Davos ging in mehreren Forschungsprojekten der Fragenach, welche Bedeutung Lawinenfür
die Diversität vonPflanzen¬arten und
für
dieHabitatvielfalt
im subalpinen Fichtenwaldhat.Zum
einenwollten wir
wissen, welche und wie viele Pflanzenarten in Lawinenzügen imUnterschied zum ungestörtenWald vorkommen. Zu¬sätzlich interessierte uns, ob die
Häufigkeit
und Intensität der LawineneineRolle
für
dieDiversitätspielt(Rixenet al.2.007).Dazu untersuchtenwir
die Vegetation in Lawinenzügenmit
unterschiedlicher Wiederkehr¬dauerund
in
unterschiedlichstark gestörten BereichenderLawinenzüge (Zentrum, Rand und ungestörter Wald). Interessanterweise fandenwir dort
am meisten Pflanzenarten (ca. 30 pro m2), wo jährlich Lawinen niedergingen (Abb. 2). Gingen Lawinenwenigerhäufigab,konnten nurca. halb bzw. ein
Drittel
so viele Arten gefunden werden. Auch die Artverteilung innerhalb der Lawinenzüge deutete auf einen positiven Einfluss der Störung hin: Am meisten Arten wurden im Zentrum der Lavinare gefunden, weniger im Randbereich und am wenigsten im un¬gestörten Wald.
Es gibt keine speziellen «Lawinenarten», also Pflanzenarten, welche nur indenLawinenzügenvorkommen.EskommenaberArtenausvielen verschiedenen Habitaten vor:
Man
findet sowohl Arten aus schattigen wieaus lichten Habitaten, konkurrenzkräftige Arten austieferen Lagen wie konkurrenzschwächere alpineArten,deren Samenvermutlich durch dieLawinenausgebreitetwurden.Entscheidend ist,dassdieLawinenein MosaikanHabitatengeschaffen haben, indem derdominante, lichtarme Wald lokal ausgeräumt wurde. In offenem Gelände gibt es wiederumDieausgedehnten Lawinenverbauungen haben
imletztenJahrhundert sehr erfolgreich Lawinenanrisse
verhindert.
Abb. 1 DurchLavinare aufgelockerter subalpiner Fichtenwald.
Abb.3 Lawinenablagerungenvom vorigen Winter sindam2.September 2008nochnicht geschmolzen.
6 CRATSCHLA
z/ll
Bereiche
mit
früherSchneeschmelzeundsolche,wo der Schnee erst im Spätsommerschmilzt (Abb. 3).Dadurch
gibt
es geeignete Lebensbedingungenfür
verschiedenste Pflanzenarten, inklusive Arten,wel¬che sonst nur
in
viel grösserer Höhe vorkommen können. Esistdavon auszugehen, dassviele Pflan¬zenarten des offenen alpinen Wiesen- und Weide¬
landes ihren Ursprung in Lavinaren hatten. In früheren Zeiten, vordermenschlichenNutzungin den Alpen, gehörten Lavinare vermutlich zu den wenigen unbewaldeten offenen Habitaten, wo Grünlandarten vorkommen konnten.
Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurden aber zunehmend Lawinen¬
züge zum Schutz der Bevölkerung
mit
Verbauungen ausgestattet (Abb.4), undinderFolge, aber auchdurchÄnderungen derLandnutzung, hat dieWaldfläche allgemein zugenommen. Für die Gemeinde Davos konn¬
ten
wir
zeigen, dass erstens die Waldflächen insgesamt zugenommen haben und dass zweitens der Wald gleichförmiger geworden ist, d.h.weniger Flächen
mit
unterschiedlicher Baumdichte vorhanden sind (Abb. 5). Die Gründe dafür waren in erster Linie Landnutzungsände¬rungen, in zweiter Bewaldung von Lawinenzügen und erst in
dritter
Temperaturveränderungen(Kulakowski
et al. 2011 Vielfältigeundvor allem auchhalboffeneWaldhabitatesind abervongrosserBedeutungfür
bedrohte Tierarten wie das Auerhuhn (stark gefährdet) oder das Birk¬huhn (potentiell gefährdet). Auch in anderen Bergregionen der Welt
kommt
den Lavinareneine wichtige Bedeutung als Lebensraumzu.In
Nordamerika zum Beispiel halten sich Grizzlybären, die sich vor¬wiegend vegetarisch ernähren, im Sommer bevorzugtin Lawinenzügen auf
-
vermutlicheine Folgeder höheren Pflanzen- und damit Nahrungs- diversität.Diese Erkenntnisse sind selbstverständlich nicht so zu verstehen, dass Lawinenschutzmassnahmen zurückgebaut werden sollten. Die For¬
schungsergebnisse helfenuns aber Ökosysteme zu verstehen, in denen grossflächige Störungeneinewichtige natürlicheRollespielen.
In
anderen Ökosystemen derWelt kann zum Beispiel dem Feuer oder Stürmen die wichtige Rolle «Störung» zukommen. Innaturbelassenen Gebieten wie dem SchweizerischenNationalpark
sind diese Naturgewalten als Teil natürlicher Prozesse zu verstehen, die kurzfristig zerstören, langfristig aberwertvollenLebensraumfür
Pflanzen und Tiere schaffen.-t
Dank
Ichdanke derVelux- Stiftungfürfinanzielle Unterstützungund denMitarbeitendender ForschungsprojektefürihrenEinsatz.
ChristianRixen, Eidg. ForschungsanstaltfürWald,Schnee und LandschaftWSL,Birmensdorf
Abb.5 Waldbedeckung in der Landschaft DavosindenJahren1950 und2000.Dunklere Grautöne zeigen dichtere Waldbestände (KULAKOWSKIetal.2011).
< 10 1
Zentrum Rand Wald
flnh
1 2 5-10
Wiederkehrdauerder Lawinen (Jahre)
Abb.2 AnzahlvonPflanzenarteninLawi¬
nenzügenunterschiedlicherWiederkehrdauer undinverschiedenstark gestörten Bereichen der Lawinenzüge(ausBEBIetal.2009).
Literatur
BebiP.,D.Kulakowski&C.Rixen(2009):
Snow avalanche disturbancesinforestecosystems-
stateofresearchandimplicationsformanagement.
ForestEcologyandManagement: 1883
-
1892.KulakowskiD.,P.Bebi&C.Rixen(2011):
Theinteractingeffectsoflandusechange,climate changeandsuppressionof naturaldisturbances on landscapeforest structurein theSwissAlps.
Oikos120:216-225.
RixenC,S.Haag,D.Kulakowski &
P.Bebi (2007):Naturalavalanchedisturbance shapesplant diversityandspeciescomposition in subalpineforestbelt.JournalofVegetation
Science 18:735-A737.
SCHWERPUNKT 7