Viele Eltern wollen ihr Kind am liebsten ins Krankenhaus begleiten. Doch nach wie
vor ist das die Ausnahme. Foto: Globus
THEMEN DER ZEIT
der Einbruch von Selbstakzeptanz und Selbstbewußtsein in der Pubertät und die durch die körperlichen Verän- derungen hervorgerufenen Befind- lichkeitsstörungen keine wirkliche Abweichung von der gesundheitli- chen Norm. Sie sollten deshalb nicht pathologisiert werden und sind nicht eigentlich therapiebedürftig.
Wenn aber Verunsicherung und Orientierungslosigkeit in der Puber- tät längst ausgemacht wurden als Ba- sis für adoleszente Abwehrprozesse (Eßstörungen, exzessiver Leistungs- sport) oder für maladaptive Lösungs- versuche (Rauchen, Drogen, verfrüht
AUFSÄTZE/BERICHTE
aufgenommener Sexualverkehr), dann sollte die ärztliche Hilfe und Un- terstützung über Absichtserklärun- gen hinaus konkreter werden.
Präventivmedizinische Angebote, die die Jugendlichen auch wirklich errei- chen, müssen etabliert werden. Ko- stenintensive risikoorientierte Einzel- kampagnen, die später auf Versäum- nissen aufbauen, können nicht mehr hinreichend effektiv sein. Wir müssen zudem versuchen, mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, die auf Kosten der physischen und psychischen Ge- sundheit Jugendlicher merkantile Absichten verfolgen. Arztsein hat im-
mer auch eine gewichtige gesell- schaftspolitische Komponente, an der wir uns angesichts der gesundheitli- chen Situation der Jugendlichen kaum mehr vorbeimogeln können.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärzteb11995; 92: A-2542-2546 [Heft 39]
Literatur bei der Verfasserin
Anschrift der Verfasserin:
Dr. med. Gisela Gille Drögenkamp 1 21335 Lüneburg
Befragung von Kincerärzten im Krankenhaus
Mitaufnahme von Eltern ist eher die Ausnahme
an knapp 500 ärztlichen Direk- toren und Leitern von Kinder- kliniken beziehungsweise kin- dermedizinischen oder -chirur- gischen Ambulanzen haben sich 327 an einer bundesweiten Erhebung be- teiligt, die die Bundesarbeitsgemein- schaft Kind und Krankenhaus vor ei- nem Jahr gestartet hatte. Ziel war es, Angaben und Einschätzungen zur Si- tuation im deutschen Kinderkliniken zu erhalten.
Hochgerechnet sind 1993 dem- nach rund 1,1 Millionen Säuglinge, Kinder und Jugendliche sta-
tionär behandelt worden.
Die Versorgung summierte sich zu gut 8 Millionen Be- handlungstagen. In den kin- derchirurgischen Abteilun- gen lag die durchschnittliche Verweildauer nur bei 5,9 Ta- gen, während sie in den Fachkliniken für Kinderheil- kunde allgemein 7,5 Tage betrug. Prof. Werner Andler, Sprecher der Bundesarbeits- gemeinschaft Kind und Krankenhaus, wertet das als Erfolg: Bessere Behand- lungsmethoden sowie eine intensive Betreuung hätten die durchschnittliche Ver-
weildauer in den letzten 15 Jahren noch einmal um mehr als die Hälfte zu senken geholfen. Indirekt lobte And- ler auch die Krankenkassen, die für den Finanzbedarf in diesem Bereich in den vergangenen Jahren mehr und mehr Verständnis gezeigt hätten.
In Deutschland gibt es derzeit knapp 31 000 Kinderkrankenhausbet- ten, die im Durchschnitt zu gut 70 Pro- zent belegt sind. Dafür sind derzeit et- wa 5 900 Arztstellen und gut 25 000 Planstellen für Pflegekräfte vorgesehen, wobei Teilzeitverträge
nicht mitgerechnet sind. Rein rechne- risch ist ein Arzt für vier kleine Pati- enten zuständig, eine Schwester etwa für ein Kind. Dies sei für Kinderkran- kenhäuser immer noch unzureichend, meinte Andler, zumal tatsächlich ja noch Urlaubs- und Krankheitszeiten einzubeziehen sind.
Gefragt wurde im Rahmen der Studie auch danach, ob Eltern mit ihrem kranken Kind zusammen in der Klinik aufgenommen werden kön- nen. Dies bejahten 285 der 327 Kli- nikärzte, die den Fragebogen zurück- schickten. Die Arbeitsge- meinschaft weist jedoch darauf hin, daß dies bei den wenigsten Kindern tatsäch- lich geschieht. „80 von 285 Kinderkliniken praktizie- ren die Elternmitaufnahme bei noch nicht einmal fünf Prozent ihrer kleinen Pati- enten; daneben wird in Ein- zelfällen die Mitaufnahme als Wahlleistung zu einem Tagespreis von 150 DM und mehr angeboten. Hier besteht noch ein großes In- formations- und Aufklä- rungsbedürfnis", meinte ei- ne Sprecherin der Arbeits- gemeinschaft. th A-2546 (36) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 39,29. September 1995